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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

Pauschgebühr. Wirtschaftsstrafverfahren, umfangreiches Aktenmaterial, zahlreiche Hauptverhandlungstage

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 15.12.2023 - 1 (S) AR 53/22

Eigener Leitsatz:

Zur Gewährung einer Pauschgebühr in einem umfangreichen und schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren.


Strafsenat

1 (S) AR 53/22

BESCHLUSS

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

hier: Antrag nach § 51 RVG, Antrag vom 18.08.2022

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 15.12.2023

beschlossen:

Herrn Rechtsanwalt pp. wird für seine Tätigkeit als gerichtlich beigeordneter Verteidiger des Angeklagten für das gesamte Verfahren eine zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren hinzutretende Pauschvergütung in Höhe von 23.000,00 EUR bewilligt.
Der weitergehende Antrag wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In vorliegendem Verfahren ist Rechtsanwalt Pp. am 06. November 2013 noch im Ermittlungsverfahren als Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 18. August 2022 die Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertretung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht und in der Revisionsinstanz in Höhe von 300.000,00 EUR (netto) beantragt. Er ist der Auffassung, das Verfahren sei besonders umfangreich und besonders schwierig gewesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den genannten Schriftsatz Bezug genommen.

Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht ist zu dem Antrag gehört worden. Sie hat ihn wegen des (Akten-)Umfangs der Sache in Höhe von 2.240,00 EUR über die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 89.015,00 EUR befürwortet. Ihre Stellungnahme ist dem Verteidiger zur Kenntnis gegeben worden. Er hat hierauf mit Schriftsatz vom 16. Mai 2023 erwidert, auf den hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird.

II.

Der zulässige Antrag auf Festsetzung einer Pauschvergütung ist aus dem in der Beschluss-formel ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

1. Gemäß § 51 Abs. 1 RVG kann dem beigeordneten Verteidiger eine über die gesetzlichen Gebühren hinausgehende Pauschgebühr bewilligt werden, wenn die Strafsache besonders um-fangreich oder besonders schwierig ist und die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG bestimmten Gebühren dem Verteidiger nicht zumutbar sind (vgl. Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG 26. Aufl., § 51 RVG Rdnrn. 9 ff.). Nicht ausreichend ist somit, dass Umfang oder Schwierigkeit der Sache über dem Durchschnitt liegen. Es muss sich vie-mehr um eine anwaltliche Tätigkeit handeln, die sich in besonderer Weise von sonstigen, auch überdurchschnittlichen Sachen abhebt, so dass unzumutbar wäre, dem Verteidiger nur die gesetzlichen Gebühren zuzuerkennen. Diese Einschränkung ist nach der amtlichen Be-gründung (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 201) gerechtfertigt, weil in das Gebührenverzeichnis zum RVG neue Gebührentatbestände aufgenommen worden sind, bei denen die zugrundeliegenden Tätigkeiten in der Vergangenheit häufig bei der Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt worden sind. Das gilt zum Beispiel für die Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren oder die Teilnahme an Haftprüfungsterminen. Für diese Tätigkeiten steht dem Pflichtverteidiger nach neuem Recht ein gesetzlicher Gebührenanspruch zu. Gleiches gilt für die Dauer der Hauptverhandlung, da das Vergütungsverzeichnis für den Pflichtverteidiger für mehr als fünf bzw. acht Stunden dauernde Hauptverhandlungstermine Zuschläge zu den Hauptverhandlungsgebühren vorsieht. Maßgebend für die Beurteilung, ob ein Verfahren besonders umfangreich oder besonders schwierig im Sinne des § 51 RVG war, ist ein Vergleich mit einem entsprechenden durchschnittlichen Verfahren vor dem jeweiligen Gericht. Dabei ist ins-besondere abzustellen auf den zeitlichen Aufwand, den der Verteidiger auf die Sache verwenden muss, und den Grad der Schwierigkeit der Strafsache in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Anhaltspunkte für die Bemessung des zeitlichen Aufwandes sind vor allem der Umfang der Akten und die Dauer der Hauptverhandlung, wobei ein als unterdurchschnittlich zu qualifizierender Aspekt des Verfahrens einen überdurchschnittlichen anderen Aspekt zu kompensieren vermag, da es auf eine Gesamtbetrachtung ankommt (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2006, 63 f.).

Weitere Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschvergütung ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar sind. Damit soll verhindert werden, dass der Pflichtverteidiger ein Sonderopfer erbringt. Zur Stellung des Pflichtverteidigers hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung ausgeführt: „Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sinn der Pflichtverteidigung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Ihr Zweck besteht ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfGE 39, 238, 341 f.; 68, 237, 253 f.). Angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für die Wahrnehmung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe hat der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Dass sein Vergütungsanspruch unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist (BVerfGE 68, 237, 253 ff.). In Strafsachen, die die Arbeitskraft der Pauschvergütung für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinnt die Höhe des Entgelts für den Pflichtverteidiger existentielle Bedeutung. Für solche besonderen Fallkonstellationen gebietet das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung eine Regelung, die sicherstellt, dass ihm die Verteidigung kein unzumutbares Opfer abverlangt (vgl. BVerfGE 68, 237, 255). Dieses Ziel stellt § 51 Abs. 1 RVG sicher (BVerfG, NStZ-RR 2007, 359; BVerfG, AGS 2009, 66; BVerfG NJW 2005, 1264 f.; BVerfG, NStZ 2001, 211 f.).

Sinn und Zweck der Pauschgebühr ist danach nicht, dem Verteidiger einen zusätzlichen Gewinn zu verschaffen; sie soll nur eine unzumutbare Benachteiligung verhindern (vgl. auch Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., § 51 RVG Rdnr. 2). Die Bewilligung einer Pauschgebühr kommt nach alledem nur noch in Ausnahmefällen in Betracht (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2006, 63 f.).

2. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von 23.000,00 € gerechtfertigt. Der darüber hinausgehende Antrag ist als unbegründet zurückzuweisen.

a) Vorliegend ist das Verfahren aufgrund des Aktenumfangs als besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG anzusehen. So ist bis zur ersten Hauptverhandlung von einem wesentlichen Aktenumfang von bis zu 50.000 Blatt auszugehen, wobei sich der Umfang der Hauptakten bis zum Ende des Verfahrens jedoch deutlich erhöht hat. Auf die detaillierten Aus-führungen der Stellungnahme der Bezirksrevisorin wird insoweit Bezug genommen. Die von den Strafsenaten des Oberlandesgerichts für vergleichbare Fälle nach § 51 Abs. 1 RVG aufgestellten Grundsätze sehen vor, dass bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht ab einem Aktenumfang ab 1.200 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Eine lineare Fortführung der Tabelle kann im Einzelfall angemessen sein, ist aber nicht generell geboten. Diesen Grundsätzen folgend ergingen auch die Entscheidungen des Senats und der anderen Senate, auf die im Antrag bzw. den Anträgen der Mitverteidiger Bezug genommen wurde (etwa Beschluss vom 08. Februar 2016, Az.: 1 (S) AR 47115 - Wirtschaftsstrafsache). Dazu kommt, dass den Verteidigern umfangreiche elektronische Daten zur Verfügung gestellt wurden, unter anderem allein ein drei Terrabyte umfassendes Exzerpt digitalisierter Daten; eine nähere Beschreibung findet sich etwa in dem Antrag eines Mit-verteidigers Meißner auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 73/22. Andererseits ist insoweit zu beachten, dass es sich dabei nicht per se um klassischen Lesestoff handelt, vielmehr bedürfen die Inhalte in großen Teilen lediglich einer kursorischen Erfassung und sind Grundlage computergestützer Recherchen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. April 2018, Az.: 111-3 AR 256/16 - juris).

Im Hinblick auf den vorliegend besonders großen Akten- und Datenumfang hält der Einzelrichter hier eine deutliche Erhöhung der Grundgebühr für gerechtfertigt.

Einen besonderen Umfang hat der Verteidiger nachvollziehbar in Bezug auf die Haftsituation seines Mandanten, insbesondere die Vielzahl der benannten Haftbesuche bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und in Bezug auf die im Zusammenhang mit Haftentscheidungen erstellten Schriftsätze dargetan. Dies fand bei der Entscheidung ebenso Berücksichtigung wie der v.a. angesichts der Urteilsgründe erhöhte Aufwand im Revisionsverfahren.

b) Keine Pauschvergütung rechtfertigt sich - selbst angesichts der hohen Zahl der Hauptverhandlungstage und des insoweit aufgetretenen Vor- und Nachbearbeitungsaufwandes - für den Umfang der Tätigkeit des Verteidigers während der Hauptverhandlung.

Insoweit fehlt es an der Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren, die nach dem klaren Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG und dem in der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (vgl. BT-Drs. 15/1971, Seite 201) zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfG, NJW 2007, 3420) neben einem besonders schwierigen oder besonders umfangreichen Verfahren zusätzlich vorauszusetzen ist. Insbesondere vermag der Antragsteller vor diesem Hintergrund eine ausschließliche oder fast ausschließliche Inanspruchnahme nicht aufzuzeigen. Die zwischen dem 16. November 2015 und dem 09. Juli 2018 an insgesamt 168 Tagen durchgeführte Hauptverhandlung führte - bei quartalsmäßiger Betrachtung - zu einer Terminsdichte zwischen 0,7 und 1,6 Hauptverhandlungstagen pro Woche und bei einer Gesamtbetrachtung von 1,2 Hauptverhandlungstagen pro Woche.

Eine Berücksichtigung der Verhandlungsdichte kommt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung - auch des Senats - regelmäßig erst bei einer Terminsdichte von (mehrfach) mindestens drei ganztägigen Verhandlungen pro Woche in Betracht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10. Dezember 2021, Az.: 5 AR (P) 7/20 - juris). Die Anzahl der Hauptverhandlungstermine und deren Dauer wird durch die jeweiligen Terminsgebühren und gegebenenfalls Längenzuschläge erfasst. Eine Pauschvergütung ist auch durch die umfangreiche Nutzung des Selbstlese-verfahrens durch eine Vielzahl entsprechender Anordnungen und im Umfang von über 6.000 Seiten (vgl. Antragsbegründung im Verfahren 1(S) AR 51/22) nicht veranlasst. Bei „Aufteilung" auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage ergibt sich daraus lediglich ein Leseaufwand von etwas über 40 Seiten pro Hauptverhandlungstag, der ebenfalls als noch nicht unzumutbar ein-zuordnen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei regelmäßig um Unterlagen handelt, die ohnehin im Rahmen der Einarbeitung (dazu unter Buchst. a) zur Kenntnis zu nehmen waren (OLG Hamm, Beschluss vom 05. Mai 2022, Az.: III-5 RVGs 16/22 - juris).

Es ist überdies weder dargetan noch ersichtlich, dass die jeweils erforderliche Anreise zum Gerichtsort bei der Bemessung des Umfangs der Sache zu einer Überschreitung der Zumut-barkeitsgrenze führen würde (BGH NJW 2015, 2437). Der entsprechende und zu den reinen Verhandlungszeiten hinzutretende Zeitaufwand wird durch das Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) erfasst.

c) Im Übrigen war das Verfahren jedoch als besonders schwierig einzustufen. Die Schwierigkeit ging weit über ein durchschnittlich vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zu führendes Verfahren hinaus. Die Verteidiger hatten sich etwa mit besonderen Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank-und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts zu befassen (vgl. Antrag eines Mitverteidigers pp. auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 74/22). Es ist nachvollziehbar, dass damit ein höherer Vorbereitungs- und Be-sprechungsaufwand sowohl vor als auch im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung einher ging; dies gerade auch, um eine sachgerechte Befragung von Zeugen und Sachverständigen zu ermöglichen.

3. Nach Abwägung aller relevanten Umstände und unter Berücksichtigung der vom Verteidiger in seinen Schriftsätzen vorgebrachten Argumente erschien dem Einzelrichter angesichts des außergewöhnlichen Gepräges des Verfahrens, das - wie schon das Landgericht in seinem Haftfortdauerbeschluss vom 03. Mai 2016 ausgeführt hat:

„Es geht im vorliegenden Fall nicht nur um ein für den Freistaat Sachsen bisher singuläres Betrugsverfahren, sowohl nach Zahl der mutmaßlichen Geschädigten wie nach der Schadenshöhe, sondern auch die Komplexität und der Umfang des Verfahrens machen dieses zu einem der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte." -

sich erheblich von durchschnittlichen Wirtschaftsstrafverfahren abhebt, zum Ausgleich der von ihm erbrachten Tätigkeiten eine (zusätzliche) Pauschvergütung in der ausgesprochenen Höhe für angemessen.

Die in den Besonderheiten des Verfahrens begründete Höhe der Pauschvergütung wird daher kein verallgemeinernder Maßstab für die zukünftige Handhabung des Senats in anderen Fällen sein.

Die Erstattung der Auslagen und der Mehrwertsteuer bleibt von der Festsetzung unberührt.


Einsender: RA M. Stephan, Dresden

Anmerkung:


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