Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2023 – 3 Ws 458/23
Leitsatz des Gerichts:
Beruht ein Verzicht eines Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus auf eine persönliche mündliche Anhörung im Gericht allein auf schwerwiegenden gesundheitlichen Gründen (hier: Gefahr des Eintritts eines akuten psychiatrischen Notfalls durch die Anhörung außerhalb der Klinik), so liegt kein freiwilliger Verzicht vor. Die Strafvollstreckungskammer muss dann - in Ermangelung anderer Alternativen - den Untergebrachten ggf. in der Klinik mündlich anhören.
In pp.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.
Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Untergebrachten.
Gründe
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn - ohne vorherige mündliche Anhörung der Beschwerdeführerin - die Fortdauer der mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 28. September 2015 (Az. 34 KLs 33/15) angeordneten Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Hiergegen richtet sich die durch die Verteidigerin erhobene sofortige Beschwerde der Untergebrachten.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Behandler zur den Fragen eingeholt, ob der Beschwerdeführerin die Teilnahme an dem Anhörungstermin nicht nur körperlich, sondern auch psychisch möglich war und ob die Teilnahme an einer Anhörung außerhalb der Klinik zu einer Beeinträchtigung des therapeutischen Prozesses bzw. zu einer krisenhaften Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen könnte.
Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft zunächst beantragt hatte, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, beantragt sie nunmehr, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht Paderborn zurückzuverweisen.
II.
Die gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 67d StGB statthafte und gemäß §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO zulässig eingelegte sofortige Beschwerde hat aus verfahrensrechtlichen Gründen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.
Die angefochtene Entscheidung leidet an einem im Beschwerderechtszug nicht behebbaren Verfahrensmangel, denn sie ist ohne die gesetzlich gebotene mündliche Anhörung der Untergebrachten (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 1 Satz 3 StPO) durchgeführt worden, ohne dass eine Ausnahmeregelung eingreift, sodass der Anspruch der Untergebrachten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt ist.
Zwar kann von der mündlichen Anhörung abgesehen werden, wenn die Untergebrachte ausdrücklich und eindeutig erklärt, sie wolle an der mündlichen Anhörung nicht teilnehmen, oder sich ernsthaft weigert, sich vorführen zu lassen (vgl. nur Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 454 Rn. 24 m.w.N.).
Hier ist die Strafvollstreckungskammer jedoch zu Unrecht von einem wirksamen Verzicht der Untergebrachten auf eine persönliche Anhörung ausgegangen.
Diese hatte über ihre Verteidigerin und ihre Bezugsbetreuerin erklären lassen, dass sie an einer Anhörung, allerdings in der Klinik, teilnehmen wolle. Die Strafvollstreckungskammer ist davon ausgegangen, dass gesundheitliche Gründe einer Anhörung im Gerichtsgebäude nicht entgegengestanden hätten und ihre Weigerung, die Station zu verlassen, deshalb als Verzicht auf eine persönliche Anhörung anzusehen sei.
Tatsächlich war es der Beschwerdeführerin jedoch psychisch nicht möglich, an einem Anhörungstermin im Gerichtsgebäude teilzunehmen.
Bereits in der Stellungnahme der Behandler vom 14. Juni 2023 ist ausgeführt, dass der Untergebrachten begleitete Ausgänge bewilligt worden seien, das Verlassen der Station ihr jedoch nicht möglich gewesen sei. Das Gespräch mit dem Gutachter, der sie als "erschöpft, überlastet und durch die psychische Erkrankung erheblich gezeichnet" beschrieb, brach sie nach 10 Minuten ab. Auch die Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 14. September 2023 unter anderem ausgeführt, ein Transport zum Gericht sei für die Beschwerdeführerin eine extreme Stresssituation und die Klinik gehe davon aus, dass sich ihr psychopathologischer Zustand dadurch unmittelbar erheblich verschlechtern würde. Im Hinblick darauf, dass ihre Erkrankung bereits chronifiziert und eine vollständige Remission nicht (mehr) erreichbar sei, drohten nicht nur erhebliche, sondern auch irreversible Gesundheitsgefahren. Diese seien abzuwenden. Dabei ist unter dem 14. September 2023 vermerkt, dass die Bezugstherapeutin in einem Telefonat erklärt habe, die Untergebrachte sei grundsätzlich transportfähig und könne zum Landgericht gebracht werden. Es sei aber ein Einzeltransport notwendig. Im Anhörungstermin vom 21. September 2023, an dem die Beschwerdeführerin nicht teilgenommen hat, hat die Bezugsbetreuerin, Frau O., sodann unter anderem erklärt, die Beschwerdeführerin sei "körperlich" transportfähig, jedoch auch ausgeführt, allein der Gedanke an die Anhörung habe die Untergebrachte in eine Stresssituation gebracht, in der sie psychopathologisch reagiert habe. Sie habe die Station noch nie verlassen. Es sei davon auszugehen, dass - wenn sie zwangsweise ins Gericht gebracht worden wäre - dies dann auch eine Verschlechterung ihres psychopathologischen Zustandes zur Folge gehabt hätte.
In der vom Senat vor diesem Hintergrund angeforderten ergänzenden Stellungnahme der Behandler vom 24. November 2023 ist ausgeführt, dass grundsätzlich bei Patientinnen mit einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis eine erhöhte Stress-Sensivität bestehe und sie experimentellen Studien zufolge stärker auf äußere Stressoren reagierten als Personen aus gesunden Kontrollgruppen. Ebenfalls hätten Zusammenhänge zwischen Stress, negativem Affekt und einer Zunahme psychotischer Symptome (im Sinne von Wahn und Halluzinationen) aufgezeigt werden können.
Die Beschwerdeführerin habe bereits mehrere Monate vor dem Anhörungstermin die Station nicht mehr verlassen, ohne dass ein konkreter Auslöser hierfür habe eruiert werden können. Sie habe Angaben gemacht, welche auf ein ausgeprägtes Bedrohungserleben außerhalb der Klinik hingewiesen hätten. Auf Nachfragen am 14. und am 21. September morgens habe sie dennoch weiterhin die Teilnahme am Anhörungstermin gewünscht. Am 21. September 2021, an dem ihre Anhörung stattfinden sollte, habe die Beschwerdeführerin im Gespräch mit der Bezugstherapeutin große Sorge vor einer Reizüberflutung aufgrund des Reisewegs geäußert. Im weiteren Gesprächsverlauf habe eine zunehmende psychopathologische Zustandsverschlechterung imponiert, welche sich zum Beispiel eindrücklich in der plötzlichen Verkennung der Bezugstherapeutin als eine vermeintlich andere Person manifestiert habe. Die Beschwerdeführerin habe zum Abfahrtszeitpunkt äquivalentes Verhalten gezeigt. Es habe sich somit die bereits angeführte Zunahme psychotischer Symptome durch die erlebte Belastung und dem damit einhergehenden Affekt im Sinne von Angst gezeigt. Die Beschwerdeführerin habe sich überdies bereits vor dem Anhörungstermin aufgrund des psychopathologischen Zustandsbildes mit einhergehenden Fremdaggressionen aufgrund wahnhafter Situationsverkennungen in der Absonderung befunden. In der Gesamtschau könne somit konstatiert werden, dass der Beschwerdeführerin die Teilnahme an dem Anhörungstermin - auch ohne Anwendung von Zwang - nicht möglich gewesen sei.
Anamnestisch seien bei ihr zudem Katatonien bekannt, welche einen akuten psychiatrischen Notfall im Sinne eines lebensbedrohlichen Zustandes darstellten. Sie müsse somit in diesen Zuständen notfallmediziert werden, zuletzt Ende Oktober 2022. Aufgrund der bereits bei Gesprächen über den Transport gezeigten Zunahme psychotischer Symptome sei davon auszugehen gewesen, dass ein durchgeführter Transport den Zustand weiter verschlechtert hätte und ein erneuter katatoner Zustand nicht ausgeschlossen habe werden können. Durch den Transport habe somit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine akute und unmittelbare psychiatrische Notfallsituation einzutreten gedroht.
Vor diesem Hintergrund ist nicht von einem freiwilligen und eigenverantwortlichen Verzicht der Untergebrachten auf eine Anhörung im Gerichtsgebäude auszugehen. Vielmehr war es allein ihrem Gesundheitszustand geschuldet, dass sie an dem Termin vom 21. September 2023 nicht teilnahm. Eine Anhörung der Beschwerdeführerin außerhalb der Klinik war nicht ohne erhebliche gesundheitliche Risiken möglich und daher nicht zumutbar. Die Strafvollstreckungskammer hätte daher nicht von der mündlichen Anhörung absehen dürfen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 15. Juni 2023 - III-3 Ws 171/23 -, juris). Vielmehr hätte sie - mangels anderer Alternativen - die Beschwerdeführerin in der Klinik anhören müssen und nicht ohne deren persönliche Anhörung über die Fortdauer der Unterbringung entscheiden dürfen. Auf telefonische Nachfrage des Senats hat eine behandelnde Ärztin ausdrücklich erklärt, eine solche könne in Anwesenheit der Ärztin in der Klinik durchgeführt werden.
Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer, weil der Senat nicht nach § 309 Abs. 2 StPO in der Sache selbst entscheiden kann. Beim Unterlassen einer zwingend vorgeschriebenen mündlichen Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer handelt es sich um einen im Beschwerderechtszug nicht heilbaren Verfahrensmangel (KG Berlin, Beschluss vom 24. März 2020 - 2 Ws 11/20 -, juris).
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde wurde ausschließlich mit der fehlenden Anhörung begründet und hatte insoweit Erfolg.
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