Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stuttgart, Beschl. v. 03.01.2024 – 8 Qs 62/23
Eigener Leitsatz:
1. Gegen den Beschluss über ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Strafbefehl ist die sofortige Beschwerde statthaft, auch wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde.
2. Nach Verwerfung eines Einspruchs gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO wegen Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist der Amtsrichter nicht mehr erkennender Richter im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, auch wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 329 Abs. 7 StPO gestellt wurde (vgl. für die Konstellation eines Verwerfungsurteils nach einer Berufungshauptverhandlung: OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 4 Ws 429/17 -), so dass dann gegen die amtsgerichtliche Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch die sofortige Beschwerde statthaft ist.
In pp.
1. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 02.11.2023 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels werden der Angeklagten auferlegt.
Gründe
I.
Mit Strafbefehl vom 22.11.2022 verhängte das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt gegen die Angeklagte wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 10 Euro. Auf den fristgerechten Einspruch der Angeklagten beraumte das Amtsgericht die Durchführung der Hauptverhandlung für den 03.04.2023 an. In diesem Termin stellte die Angeklagte einen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit. Hierauf setzte das Amtsgericht die Hauptverhandlung aus und verwarf mit rechtskräftigem Beschluss vom 05.04.2023 das mündlich gestellte Ablehnungsgesuch als unzulässig mit der Begründung, dass ein Grund der Ablehnung nicht angegeben worden sei.
Am 25.05.2023 bestimmte das Amtsgericht einen neuen Termin zur Hauptverhandlung auf 12.06.2023 und ordnete mit Beschluss vom selben Tag das persönliche Erscheinen der Angeklagten hierzu an.
Zu diesem Termin zur Hauptverhandlung erschien die Angeklagte nicht. Daraufhin verwarf das Amtsgericht mit Urteil vom 12.06.2023 nach §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 StPO ihren Einspruch. Das Urteil wurde der Angeklagten am 15.09.2023 zugestellt.
Mit Telefax stellte die Angeklagte am 22.09.2023 einen neuerlichen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden der Hauptverhandlung vom 12.06.2023 wegen der Besorgnis der Befangenheit sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Außerdem legte sie Berufung ein.
Nachdem der abgelehnte Richter am 25.09.2023 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben hatte, wies das Amtsgericht das Ablehnungsgesuch der Angeklagten - ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters - mit Beschluss vom 02.11.2023 als unbegründet zurück. Der Beschluss wurde am 06.11.2023 formlos an die Angeklagte hinausgegeben.
Gegen diesen Beschluss legte die Angeklagte am 27.11.2023 sofortige Beschwerde ein.
Im Übrigen wird auf die Sachverhaltsdarstellung im angefochten Beschluss verwiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 22.09.2023 hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft und im Übrigen zulässig.
a) Der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts über das Ablehnungsgesuch steht nicht § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO entgegen, auch wenn am 12.06.2023 ein Urteil ergangen ist. Nach dieser Vorschrift kann ein Beschluss, mit welchem ein Gesuch auf Ablehnung eines erkennenden Richters als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wurde, aus prozessökonomischen Gründen nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden. Entscheidend für das hiernach statthafte Rechtsmittel - die Beschwerde oder die Berufung - ist, ob der abgelehnte Richter zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch noch erkennender Richter war (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 4 Ws 429/17 -, juris, Rn. 8 m.w.N.).
Erkennender Richter ist das für das Hauptverfahren zuständige Gericht bis zur Urteilsfällung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 305, Rn. 2). In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist umstritten, wie der Begriff des erkennenden Richters auszulegen ist, wenn ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ergangen ist.
Nach der einen Ansicht bleiben die Mitglieder einer Strafkammer bis zum Ablauf der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. bis zu dessen rechtskräftiger Zurückweisung erkennende Richter i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO mit der Folge, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden kann (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 17. September 2020 - III-4 Ws 167/20 -; OLG Dresden, Beschluss vom 03. September 2013 - 2 Ws 455/13 - und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. April 2003 - III-3 Ws 127-129/03 -; jeweils juris). Begründet wird diese Auffassung damit, dass bei einem Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO das Gericht in der ursprünglichen Besetzung weiterhin mit der Sache befasst wäre, wenn es einem gestellten Wiedereinsetzungsantrag stattgäbe. Zudem habe der Angeklagte es in der Hand, mit der Einlegung immer neuer Ablehnungsgesuche die Entscheidung über die Sache zu verzögern, was durch die Regelung des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO verhindert werden solle (vgl.OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 4 und 7).
Nach der - aus Sicht der Beschwerdekammer vorzugswürdigen - Gegenauffassung endet die Eigenschaft des erkennenden Richters mit Erlass des Urteils (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O. m.w.N., OLG München, Beschluss vom 7. Mai 1982 - 2 Ws 501/82 -, juris), so dass hier die Beschwerde gegen den Beschluss über das Ablehnungsgesuch vom 02.11.2023 trotz des Verwerfungsurteils vom 12.06.2023 statthaft ist.
Für den Vorzug dieser Auffassung spricht bereits der Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, denn trotz der noch bestehenden Möglichkeit einer Wiedereinsetzung ist der Richter bereits ab dem Erlass eines Urteils - auch bei einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 StPO - nicht mehr mit der Sache befasst und damit nicht mehr „erkennender“ Richter. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass er im Falle der Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrags erneut mit der Sache befasst sein wird. Anderenfalls bliebe die Frage, welcher Spruchkörper für das Rechtsmittel gegen die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zuständig ist, solange in der Schwebe bis klar ist, ob Wiedereinsetzung gewährt werden muss. Ein solcher Schwebezustand ist mit dem Sinn und Zweck eines befristeten Rechtsmittels, nämlich der raschen Klärung der Prozesslage, nicht vereinbar (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 13 f.).
Zudem hätte die konzentrierte Anfechtung von Urteil und Befangenheitsbeschluss in der Berufung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO in Fällen, in denen - wie vorliegend - der Hauptverhandlung ein Strafbefehl vorausgegangen ist und ein Verwerfungsurteil nach §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 StPO ergeht, systemwidrige Konsequenzen. Die von der Gegenauffassung vertretene konzentrierte Anfechtung von Urteil und Befangenheitsentscheidung hätte in dieser Konstellation zur Folge, dass dem Angeklagten eine vom Gesetz vorgesehene Tatsacheninstanz entzogen würde. Das Recht aus § 329 Abs. 7 StPO, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beanspruchen, wäre verschlossen.
Mit der Anfechtung des Urteils gelangt die Sache vor die Berufungskammer. Für die Entscheidung über den parallel zur Berufung zulässigen Wiedereinsetzungsantrag (vgl. § 315 Abs. 1 und 2 StPO) ist aber gemäß § 46 Abs. 1 StPO allein das Amtsgericht und nicht das Berufungsgericht zuständig (vgl. ausführlich: OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. April 2014 - 2 Rv 50/14 -, juris, Rn. 8 f.) und die Hauptverhandlung wäre im Fall der Gewährung von Wiedereinsetzung vor dem Amtsgericht zu führen.
Auch stünde der Berufungskammer - anders als dem Revisionsgericht - nicht die Möglichkeit zu, die Sache an das zuständige Amtsgericht zurückzuverweisen (vgl. § 328 Abs. 2 StPO). Nach der hier vertretenen Auffassung entscheidet zunächst die Beschwerdekammer über das Ablehnungsgesuch, das Amtsgericht anschließend über den Antrag auf Wiedereinsetzung.
b) Die sofortige Beschwerde ist auch nicht wegen Nichtbeachtung der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO unzulässig. Mangels förmlicher Zustellung des Beschlusses vom 02.11.2023 wurde die Beschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 35, Rn. 12).
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht hat den Antrag der Angeklagten auf Ablehnung des Vorsitzenden ihrer Hauptverhandlung am 12.06.2023 mit zutreffenden Gründen abgelehnt, auf die die Kammer verweist. Insbesondere hat die Angeklagte ihre nicht nachvollziehbaren Äußerungen in ihrem Ablehnungsgesuch vom 22.09.2023 auch in ihrem Beschwerdevorbringen nicht klargestellt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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