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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Beleidigung, Bezeichnung einer Frau als „Schlampe“, Formalbeleidigung, Meinungsäußerung

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 06.11.2023 - 202 StRR 80/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Bezeichnung einer Frau als „Schlampe“ stellt regelmäßig eine Formalbeleidigung dar, bei der die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter den Ehrenschutz der Verletzten zurücktritt, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf.
2. Eine Schmähung des Opfers, die ebenfalls eine Einzelfallabwägung entbehrlich macht, ist dann anzunehmen, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es im Angeklagten nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht.
3. Bestreitet der Angeklagte vollständig das strafbare Verhalten, ist es rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten von einem „Teilgeständnis“ ausgeht.


In pp.

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 22.05.2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 16.01.2023 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 22.05.2023 als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.
Die Berufungskammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der vielfach vorbestrafte Angeklagte war bis Ende März 2022 mit der Mutter der Verletzten liiert. Weil die Mutter dem Angeklagten nach der Trennung für einen Antrag beim Arbeitsamt benötigte Unterlagen nicht zur Verfügung stellte, wollte der Angeklagte diese unter Druck setzen und zur Herausgabe der Unterlagen bewegen. Zu diesem Zweck veröffentlichte er auf Facebook eine Fotocollage verschiedener von der Verletzten gefertigter Torten und bewarb den Verkauf von Torten, wobei er deren Namen nannte. Nachdem die Verletzte am 04.04.2022 gegen 9.00 Uhr in einem Telefonat von dem Angeklagten verlangt hatte, den Beitrag bei Facebook zu löschen, äußerte der Angeklagte ihr gegenüber: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen!“.

III.

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die erhobenen Verfahrensrügen entsprechen bereits nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind im Übrigen aus den Gründen der Zuleitungsschrift der Generalstaatsanwaltschaft München auch unbegründet.

2. Der Schuldspruch wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB hält im Ergebnis der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts weist keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere wird diese den gesteigerten Anforderungen bei einer hier gegebenen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation noch hinreichend gerecht (vgl. hierzu nur BayObLG, Beschl. v. 12.07.2021 – 202 StRR 76/21 = OLGSt StPO § 261 Nr 31 m.w.N.). Soweit der Beschwerdeführer auf eine Beweisaufnahme in der Revisionsinstanz drängt, verkennt er das Wesen der Revision, die darauf gerichtet ist, das angefochtene Urteil auf Rechtsfehler zu überprüfen (§ 337 Abs. 1 StPO), sodass eine Beweisaufnahme, die allein dem Tatrichter obliegt, durch das Revisionsgericht von vornherein nicht in Betracht kommt.

b) Im Ergebnis zu Recht ist die Berufungskammer von der Erfüllung des Beleidigungstatbestands nach § 185 Var. 1 StGB ausgegangen.
aa) Die Bezeichnung der Gesprächspartnerin durch den Angeklagten als „Schlampe“ stellt zweifelsfrei durch die darin zum Ausdruck gekommene Missachtung einen Angriff auf die persönliche Ehre der Verletzten dar.

bb) Zwar ist es rechtsfehlerhaft, soweit das Berufungsgericht lapidar ausführt, es seien „keinerlei“ Anhaltspunkte für das Vorliegen berechtigter Interessen des Angeklagten ersichtlich. Denn das Landgericht hat dabei außer Acht gelassen, dass die Äußerung selbstverständlich am Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen ist. Indessen beruht das Urteil nicht auf diesem Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 1 StGB, weil die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter das Recht der Verletzten auf Achtung ihrer persönlichen Ehre wegen der Besonderheiten des Tatgeschehens zurücktritt.

(1) Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB regelmäßig auf der Grundlage der konkreten Umstände einer Äußerung und ihrer Bedeutung eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur in Ausnahmefällen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. – jeweils – v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 = NJW 2020, 2622 = EuGRZ 2020, 589; 1 BvR 2459/19 = NJW 2020, 2629; 1 BvR 1094/19 = NJW 2020, 2631 = EuGRZ 2020, 595; 1 BvR 362/18 = NJW 2020, 2636 = DVBl 2020, 1279; vgl. hierzu auch BayObLG, Beschl. v. 04.07.2022 – 202 StRR 61/22 = NJW 2022, 3236 m.w.N.).

(2) Die inkriminierte Äußerung des Angeklagten ist nach den vom Tatgericht getroffenen Feststellungen sowohl als Schmähkritik als auch als Formalbeleidigung einzustufen, was eine Abwägung der gegenseitigen Rechte des Angeklagten einerseits und der Verletzten andererseits entbehrlich macht.

(a) Allerdings rechtfertigt nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts selbst eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik noch nicht die Einschätzung als Schmähung (BVerfG, Beschl. v. 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 = StV 2022, 380 = NJW 2022, 1523 = NVwZ-RR 2022, 441 = BeckRS 2022, 6210). Eine solche ist erst dann anzunehmen, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (BVerfG, Beschl. - jeweils - v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19; 1 BvR 1094/19; 1 BvR 362/18 [a.a.O.]; BayObLG a.a.O.). Dies war hier indes der Fall. Der Beschimpfung ging ein Anruf der Verletzten voraus, die den Angeklagten aufforderte, die Veröffentlichung ihres Namens im Internet zu löschen. Auf dieses Verlangen reagierte der Angeklagte mit den Worten: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen“, ohne dass auch nur im Ansatz der an ihn herangetragene Wunsch bei verständiger Würdigung einen Anlass bieten würde, mit einer derartigen Verunglimpfung zu reagieren. Ein Sachzusammenhang zwischen der Titulierung als „Schlampe“, die in gewissen Kreisen verwendet wird gegenüber einer Person, der in sexual-ethischer Hinsicht tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen nachgesagt werden oder deren Lebensführung nicht den von der Gesellschaft an Minimalanforderungen gestellten sozial-adäquaten Verhaltens gerecht wird, und deren vorher geäußerten Anliegen bestand nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht. Eine Auseinandersetzung in der Sache ist in der Verbalinjurie in Anbetracht des von der Verletzten vorher geäußerten Anliegens nicht zu finden. Es ging dem Angeklagten ersichtlich nur darum, seiner Gesprächspartnerin und deren Mutter, mit der er vorher liiert war, mit der Bezeichnung den persönlichen Achtungsanspruch, der jeder Person kraft ihres Menschseins zukommt, von vornherein abzusprechen. Ihm kam es ersichtlich allein darauf an, seine Gesprächspartnerin „niederzumachen“ (vgl. hierzu BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 = NJW 2019, 2600 = NStZ-RR 2019, 277 = K&R 2019, 582 = EuGRZ 2019, 431 = MMR 2019, 668 = BayVBl 2019, 742 = JR 2020, 28 = DVBl 2020, 43 = BeckRS 2019, 15126; 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 = StV 2022, 380 = NJW 2022, 1523 = NVwZ-RR 2022, 441 = BeckRS 2022, 6210).

(b) Überdies ist die inkriminierte Äußerung auch als Formalbeleidigung zu werten. Hiervon ist bei der Verwendung besonders krasser, aus sich heraus herabwürdigender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - auszugehen, bei denen die gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit dazu führt, dass sie in aller Regel von vornherein nicht dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit unterliegt (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 [a.a.O.]; BVerfGE 82, 43, 51 = NJW 1990, 1980; BVerfGE 93, 266, 294 = NJW 1995, 3303; BVerfG, Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 [a.a.O.]; BayObLG a.a.O.). Die Bezeichnung einer Gesprächspartnerin als „Schlampe“ erfüllt diese Anforderungen, zumal - wie bereits dargelegt - nicht ansatzweise eine Konnexität zwischen dem vorangegangenen Verhalten der Verletzten und deren Verunglimpfung durch den Angeklagten bestand.

(3) Ungeachtet dessen tritt aber selbst bei Vornahme einer Abwägung der widerstreitenden Interessen die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles hinter den Schutz der persönlichen Ehre der Verletzten zurück. Zwar spricht einerseits zugunsten des Angeklagten, dass die Äußerung anlässlich eines Telefonats mit der Verletzten gefallen ist, sodass keine Wahrnehmung durch Dritte erfolgte und deshalb der Integritätsangriff keine erhebliche Wirkung entfalten konnte (vgl. hierzu BayObLG a.a.O.). Auch handelte es sich um eine spontane Entgleisung des Angeklagten, der aufgrund der vorangegangenen Trennung von der Mutter der Verletzten offensichtlich aufgebracht war. Dagegen ist andererseits auf Seiten der Verletzten aber zu berücksichtigen, dass es bei dem Gespräch nicht etwa um eine die Öffentlichkeit berührende Angelegenheit oder dergleichen ging, bei welcher der Meinungsäußerungsfreiheit ein besonderes Gewicht zukäme. Vielmehr handelt es sich um eine reine Privatfehde, bei der es dem Angeklagten darauf ankam, seine Gesprächspartnerin, deren Verhalten nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht im Geringsten einen Anlass für die Äußerung des Angeklagten geboten hat, ohne jeden Kontext zu der vorangegangenen Unterhaltung in übler Art zu beschimpfen. Bei einer wertenden Gegenüberstellung und Abwägung der genannten Gesichtspunkte hat aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter das Persönlichkeitsrecht des Verletzten zurückzutreten, sodass sein Verhalten nicht nach § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerechtfertigt ist.

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Es beschwert den Angeklagten nicht, dass die Berufungskammer im Rahmen der Strafzumessung rechtsfehlerhaft ein „Teilgeständnis“ zu seinen Gunsten gewertet hat, weil er einräumte, dass überhaupt ein Telefonat stattgefunden hat und er die Fotocollage im Internet veröffentlicht hatte. Von einem teilweisen Geständnis kann insoweit nicht die Rede sein, weil der Angeklagte das strafbare Verhalten, nämlich die inkriminierte Äußerung, gerade bestritten hat. Zwar stellt das Bestreiten des Tatvorwurfs zulässiges Verteidigungsverhalten dar, das nicht zu seinen Lasten gewertet werden darf (vgl. zuletzt nur BayObLG, Beschl. v. 13.12.2022 – 202 ObOWi 1458/22 = NStZ-RR 2023, 88 = ZfSch 2023, 287 m.w.N.). Andererseits kann aber ein Strafmilderungsgrund nicht etwa erblickt, dass er lediglich Umstände einräumt, die für die Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens ohne Bedeutung sind. Die strafmildernde Berücksichtigung eines Geständnisses hat nicht etwa ihren Grund darin, dass es die Beweisaufnahme erleichtert, sondern findet seine Rechtfertigung, wenn und soweit in der Einlassung Schuldeinsicht und Reue zum Ausdruck kommt. Davon kann aber bei einem Angeklagten, der den Tatvorwurf bestreitet, nicht die Rede sein (vgl. BGH, Urt. v. 24.02.2016 – 2 StR 319/15 = StV 2016, 473 = NStZ 2017, 59).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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