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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit, inhaftierter Beschuldigter

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Braunschweig, Beschl. v. 17.10.2023 - 9 Qs 267/23

Eigener Leitsatz:

Besonderheiten des Falles können es gebieten, ausnahmsweise die nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers anzuordnen. Dies gilt insbesondere im Fall der besonderen Schutzbedürftigkeit eines inhaftierten Beschuldigten, der an einer eigenen Verteidigung in besonderer Weise gehindert ist.


LG Braunschweig

Beschluss

9 Qs 267/23

In der Strafsache
gegen pp.

Rechtsanwalt

hat die 9. Strafkammer des Landgerichts Braunschweig am 17.10.2023 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde vom 20.09.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 19.09.2023 (Az: 3 Gs 1953/23) wird dem ehemaligen Beschuldigten Rechtsanwalt pp. beigeordnet.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

I.

Das Polizeikommissariat Braunschweig Mitte hat seit dem 28.05.2023 gegen den früheren Beschuldigten pp. wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz ermittelt. Bei einer Durcnsuchung sind bei ihm 10 verschreibungspflichtige Diazepam-Tabletten in der Hosentasche aufgefunden worden. Zu diesem möglichen Gesetzesverstoß wurde der Beschuldigte schriftlich in der JVA Wolfenbüttel angehört, in der er vom 14.06. bis 11.09.2023 eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt hat. Dieses war den Ermittlungsbehörden ausweislich eines
Vermerks des PHK pp. auch positiv bekannt,

Bereits am 27.07.2023 beantragte Rechtsanwalt pp. bei der Polizei in Braunschweig seine Beiordnung in diesem Verfahren. Der Antrag wurde indes zunächst nicht beschieden. Die Ermittlungen wurden sodann seitens der Polizei am 21.08.2023 abgeschlossen und der Vorgang am 30.08.2023 der Staatsanwaltschaft zugeleitet. Auch zu diesem Zeitpunkt befand sich Herr pp. somit in Haft.

Die Staatsanwaltschaft hat sodann am 01.09.2023 das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da keine Strafbarkeit nach dem Arzneimittelgesetz gegeben sei.

Nachfolgend hat das Amtsgericht Braunschweig in dem angefochtenen Beschluss vom 19.09.2023 die beantragte Beiordnung unter Hinweis auf die inzwischen erfolgte Einstellung des Verfahrens abgelehnt. Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger am 19.09.2023 zugestellt Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde, die am 21.09.2023 beim Gericht eingegangen ist.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erfolgt und in der Sache zur Überzeugung der Kammer auch begründet.

Das Amtsgericht Braunschweig geht in der angefochtenen Entscheidung vom 19.09.2023 zunächst davon aus, dass nach dem Abschlusseines Verfahrens eine Bestellung zum notwendigen Verteidiger grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt, da eine dem Zweck der Pflichtverteidigung gerecht werdende Tätigkeit ausscheidet. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung der hiesigen Kammer am Landgericht Braunschweig.

Indes gebieten Besonderheiten gerade des vorliegenden Verfahrens hier ausnahmsweise die nachträgliche Beiordnung, sodass diese nunmehr angeordnet worden ist.

Im Zeitpunkt der Antragstellung ergab sich die Notwendigkeit einer Beiordnung aus § 140 Nr. 5 StPO. Danach ist, ohne Ermessen, die Beiordnung vorzunehmen, wenn sich ein Beschuldigter aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Justizvollzugsanstalt befindet. Anders als etwa bei der Frage des § 140 Nr. 1 oder § 140 Abs. 2 StPO war hier die Beiordnung unabhängig von einer weiteren inhaltlichen Bewertung des Sachverhalts zwingend geboten. Den Ermittlungsbehörden war dabei auch durchaus bekannt, dass sich der Beschuldigte zum damaligen Zeitpunkt in Haft befand, da die schriftliche Beschuldigtenanhörung bereits an die JVA Wolfenbüttel gerichtet worden ist.

Hinzu kommt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe auch nach diesem Zeitpunkt noch längere Zeit weiter vollzogen worden ist. Ermittlungen der Kammer haben ergeben, dass sich der frühere Beschuldigte insgesamt vom 14.06. bis 11.09.2023 in Haft befunden hat. Die Inhaftierung bestand daher selbst zur Zeit der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig noch fort. Anders als in dem Fall, in dem die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe bereits nach wenigen Tagen wieder beendet wird und der Beschuldigte so seine Freiheit wiedergewinnt, etwa durch eine entsprechende Zahlung, bestand hier über mehrere Monate eine gesteigerte Schutzbedürftigkeit des damaligen Beschuldigten.

Diese besondere Schutzbedürftigkeit eines inhaftierten Beschuldigten, der an einer eigenen Verteidigung in besonderer Weise gehindert ist, rechtfertigt es daher unter Anwendung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens ausnahmsweise im vorliegenden Fall die Beiordnung auch nachträglich vorzunehmen, um so ein Kostenrisiko für den Beschuldigten zu vermeiden, welches ihm nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht verbleiben soll. Durch die späte Entscheidung des Amtsgerichts über den Beiordnungsantrag vom 27.2.2023 bestünde sonst eine eklatant unangemessene Benachteiligung des Beschwerdeführers.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Erfolg des Rechtsmittels in der Sache.


Einsender: RA J.-R. Funck, Braunschweig,

Anmerkung:


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