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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Strafaussetzung zur Bewährung, Voraussetzungen des Widerrufs, Vertrauenstatbestand

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2023 – 3 Ws 478/23

Leitsatz des Gerichts:

Ein dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung entgegenstehender Vertrauenstatbestand kann gegeben sein, wenn zum Zeitpunkt der nachträglichen Gesamtstrafenbildung bereits bekannt war, dass die verurteilte Person zeitlich nach der Verhängung der im Gesamtstrafenbeschluss zusammenzuführenden Strafen erneut straffällig geworden und deswegen bereits rechtskräftig verurteilt worden ist und der Richter die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe dennoch zur Bewährung aussetzt. Das gilt aber nur dann, wenn der Verurteilte entweder davon Kenntnis hatte, bei Abfassung des Gesamtstrafenbeschlusses dem Gericht die neue Verurteilung bekannt war oder er aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte hiervon ausgehen durfte.


In pp.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Bewährungszeit aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Siegen vom 04.03.2022, Az. 445 Ls- 64 Js 1349/18-83/19, wird um ein Jahr verlängert.
Dem Verurteilten wird die Weisung erteilt, zum 04.01.2024 eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie in der Klinik U., Psychosomatische Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen, G.-straße, # U., anzutreten, diese für mindestens 22 Wochen durchzuführen und die dortige Behandlung nicht gegen ärztlichen Rat und ohne Zustimmung der Strafvollstreckungskammer abzubrechen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Der Verurteilte steht unter der Bewährungsaufsicht der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld wegen der Strafaussetzung aus einem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Siegen vom 04.03.2022, rechtskräftig seit dem 19.03.2022. Darin hat das Amtsgericht Siegen aus Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Siegen vom 30.06.2020 sowie vom 11.12.2018 nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten gebildet und die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Durch Urteil des Landgerichts Köln vom 16.12.2021 ist der Verurteilte wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Führen eines verbotenen Gegenstands (Butterflymesser) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Tatdatum war der 02.09.2021.

Mit hier angefochtenem Beschluss vom 30.10.2023 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld die zur Bewährung ausgesetzte Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe widerrufen. Gegen diesen - ihm am 06.11.2023 zugestellten - Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 09.11.2023.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 453 Abs. 2 S. 3, 311 Abs. 2 StPO, § 56f Abs. 1 StGB statthaft und zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Widerrufsbeschluss war aufzuheben, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern und eine Therapieweisung zu erteilen.

Ein Widerrufsgrund gemäß § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB liegt vor, da der Verurteilte in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Entscheidung über die Gesamtstrafe eine Straftat begangen und dadurch gezeigt hat, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.

Einem Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Strafvollstreckung steht vorliegend auch kein Vertrauenstatbestand entgegen. Ein solcher kann gegeben sein, wenn zum Zeitpunkt der nachträglichen Gesamtstrafenbildung bereits bekannt war, dass die verurteilte Person zeitlich nach der Verhängung der im Gesamtstrafenbeschluss zusammenzuführenden Strafen erneut straffällig geworden und deswegen bereits rechtskräftig verurteilt worden ist und der Richter die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe dennoch zur Bewährung aussetzt (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 56f Rn. 5, OLG Celle, Beschluss vom 08.08.2011 - 2 Ws 191, 192/11, BeckRS 2011, 23534, beck-online).

Dies ist hier nicht der Fall. Denn für den Verurteilten konnten sich aus dem Inhalt des allein textbausteinartig begründeten Gesamtstrafenbeschlusses vom 04.03.2022 (ebenso wie aus demjenigen vom 25.01.2022) keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem dort entscheidenden Tatrichter die Verurteilung durch das Landgericht Köln vom 16.12.2021 bekannt gewesen ist und dieser gleichwohl in Kenntnis der Verurteilung eine bewusste Entscheidung zugunsten einer erneuten Strafaussetzung der Vollstreckung der neu gebildeten Gesamtstrafe zur Bewährung getroffen hätte. Auf die Frage, ob diesem die Entscheidung hätte bekannt sein können, kommt es dagegen nicht an. Denn es sind auch keine anderen Umstände von dem Verurteilten vorgetragen oder sonst ersichtlich, die Grund zu der Annahme geben würden, dass der Verurteilte berechtigterweise darauf vertraut haben könnte, dass seine Tat vom 02.09.2021 - geahndet mit einer erheblichen und vollstreckbaren Freiheitsstrafe - folgenlos bleiben würde. Auch in Anbetracht des Umstandes, dass er bereits durch Schreiben der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 08.02.2022 zum beabsichtigten Widerruf (noch in der Annahme, es sei nur die Strafaussetzung aus dem Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 30.06.2020 zu widerrufen) angehört wurde, bestand Veranlassung dazu, mit einem Widerruf zu rechnen, während ein Vertrauen auf einen ausbleibenden Widerruf durch keine anderen Umstände hervorgerufen werden konnte.

Zum jetzigen Zeitpunkt konnte jedoch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls eine Verlängerung der Bewährungszeit und die Erteilung der Therapieweisung als milderes Mittel im Sinne des § 56f Abs. 2 StGB gegenüber dem Widerruf der Strafaussetzung ausgesprochen werden.

Der Verurteilte befindet sich seit seiner Festnahme am 02.09.2021 in Untersuchungshaft, Strafhaft und Maßregelvollzug. Die Staatsanwaltschaft Köln hat unter dem 15.11.2023 mit Zustimmung des Landgerichts Köln die weitere Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückgestellt und der Verurteilte hat sowohl eine Zusage des Kostenträgers als auch einen Therapieplatz der im Tenor genannten Einrichtung beigebracht. Ferner hat er seine Einwilligung gemäß § 56c Abs. 3 StGB dazu erteilt, dass ihm auch hier die Weisung erteilt wird, Aufenthalt in der genannten Einrichtung zu nehmen und sich dort einer therapeutischen Behandlung zu unterziehen. Der Senat geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass die tenorierten Maßnahmen ausreichen, um der Gefahr weiterer Straftaten durch den Verurteilten zu begegnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten waren der Staatskasse vollständig aufzuerlegen, weil der Verurteilte mit seinem Rechtsschutzbegehren - Abwendung eines Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung - durchgedrungen und zudem anzunehmen ist, dass er von der Einlegung eines Rechtsmittels gänzlich abgesehen hätte, wenn schon die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts auf eine "bloße" Verlängerung der Bewährungszeit gelautet hätte.


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