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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Führungsaufsicht, Abstinenzweisung, Suchtkranker, Ermessen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 25.05.2023 - III 2 Ws 67/23

Eigener Leitsatz:

Eine im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Abstinenzweisung muss geeignet sein, den mit ihr angestrebten Zweck zu erreichen, wobei bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Bei einer Abstinenzweisung muss also die Möglichkeit bestehen, dass Straftaten unterbleiben, die im Fall weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten wären.


OLG Hamm

III-2 Ws 67/23 OLG Hamm

Strafvollstreckungssache
Gegen pp.

Verteidiger: ,

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.,
(hier: Beschwerde des Verurteilten gegen Erteilung einer Abstinenzweisung im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB).

Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 24.03.2023 gegen den Beschluss der
1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 08.11.2022 hat der
2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm
am 25.05.2023 durch

pp.

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Hamm und des Verurteilten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird, soweit dem Verurteilten gem. § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB die strafbewehrte Weisung erteilt worden ist, keine illegalen berauschenden Mittel zu sich zu nehmen und seine Abstinenz auf Kosten der Staatskasse einmal monatlich durch Urinkontrollen nachzuweisen sowie das Ergebnis dieser Kontrollen der Bewährungshelferin / dem Bewährungshelfer und der Kammer unverzüglich mitzuteilen, aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Verurteilte - folgend auch: Beschwerdeführer - wurde durch Urteil des Landgerichts Bochum - 9. Große Strafkammer - vom 11.01.2012 (Az. 9 KLs 46 Js 117/11 -97/11) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 46 Fällen und wegen unerlaubten Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in 4 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 08.12.2009 (9 Ds - 53 Js 841/09 - 356/09) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 6 Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 2 Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 09.11.2020 (9 Ds - 53 Js 591/10 -318710), Auflösung der dortigen Gesamtstrafe und Aufrechterhaltung der dortigen Maßregel der Sicherung und Besserung sowie der dortigen Nebenstrafe (Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von 18 Monaten und Verbot für die Dauer von 3 Monaten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Verkehr zu führen) zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten und wegen unerlaubten Handel-treibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt. Ferner wurde gegen ihn der Verfall von Wertersatz angeordnet (BI. 1 ff. FA-Heft).

Auf die Revision des hiesigen Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28.08.2012 (Az. 4 StR 188/12) das Urteil des Landgerichts Bochum vom 11.01.2012 teilweise aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen und die weitergehende Revision verworfen. Die teilweise Aufhebung erfolgte, soweit eine Entscheidung über die Anrechnung von Leistungen, die im Rahmen der für die einbezogenen Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 09.11.2010 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung erbracht worden waren, unterblieben war und das in dem oben bezeichneten Urteil verhängte Fahrverbot aufrechterhalten sowie der Verfall eines Geldbetrages von 180.000 € angeordnet worden war. Mithin betraf die Teilaufhebung die (nachträglich) gebildete und ausgeurteilte Gesamtstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten sowie die Verfallsanordnung; die Schuldsprüche sind durch die Teilaufhebung nicht berührt worden. Im Übrigen ist das Urteil des Landgerichts Bochum vom 11.01.2012 - also hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und der Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten - am 29.08.2012 in Teilrechtskraft erwachsen (vgl. BI. 12m R ff. FA-Heft).

Mit Urteil des Landgerichts Bochum - 1. Große Strafkammer - vom 28.01.2013 (Az. 11-1 KLs - 46 Js 117/11 - 40/12) ist der hiesige Beschwerdeführer sodann wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 6 Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 2 Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 09.11.2020 (9 Ds - 53 Js 591/10 - 318710) unter Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden, von denen 2 Monate als vollstreckt angerechnet wurden. Klarstellend wurde festgestellt, dass das in o.g. Urteil angeordnete Fahrverbot und die insoweit verhängte Sperrfrist erledigt sind. Ferner wurde gegen den Angeklagten wegen eines Betrages in Höhe von 30.000,- € der Verfall von Wertersatz angeordnet (vgl. Bl. 12d ff. FA-Heft). Das Urteil wurde am 19.06.2013 rechtskräftig.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 08.06.2011 an zunächst in Untersuchungshaft, später in Strafhaft (vgl. BI. 12o FA-Heft sowie Vollstreckungsblatt vom 25.01.2022, BI. 18 FA-Heft). Ausweislich des Vollstreckungsblattes, auf das Bezug genommen wird, hat der Beschwerdeführer die 3 Rest-(Gesamt-)Freiheitsstrafen betreffend das staatsanwaltliche (Vollstreckungs-)Verfahren zum Az. 46 Js 117/11 V -mithin aus dem Urteil des Landgerichts Bochum - 9. Große Strafkammer - vom 11.01.2012 (Az. 9 KLs 46 Js 117/11 - 97/11) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Bochum -1. Große Strafkammer - vom 28.01.2013 (Az. 11-1 KLs - 46 4 Js 117/11 - 40/12) - voll verbüßt am 03.08.2022. Im Anschluss daran war die Verbüßung einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten aus einem Urteil vom 23.01.2020 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Az. 472 Js 605/19 V StA Bochum) bis 03.12.2022 notiert.

Zur Vorbereitung der Entscheidung betreffend den Eintritt der Führungsaufsicht nach § 68 f StGB bei vollständiger Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat hat die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Bochum unter dem 03.11.2022 Bericht erstattet (BI. 13 ff. FA-Heft), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Beschwerdeführer am 08.11.2022 zur Frage der vorzeitigen Entlassung sowie zum Eintritt der Führungsaufsicht mündlich angehört. Auf den Vermerk zur Anhörung (BI. 53 FA-Heft) wird verwiesen.

Mit (angefochtenem) Beschluss vom 08.11.2022 (BI. 19 ff. FA-Heft) hat die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum u.a. Folgendes beschlossen:

„Es wird festgestellt, dass nach vollständiger Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 11.01.2012 (Az.: 9 KLs 46 Js 117/11 - 97/11) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten Führungsaufsicht eingetreten ist (§ 68 f Abs. 1 StGB).
Für ihre Dauer wird der Verurteilte der Aufsicht und Leitung eines/r örtlich für ihn zuständigen Bewährungshelfers/in unterstellt (§ 68 a Abs. 1 StGB), bei dem/der er sich unverzüglich nach seiner Entlassung zu melden hat.
1. Dem Verurteilten werden gem. § 68b Abs. 1 StGB folgende strafbewehrte Weisungen erteilt:
a) Er hat mindestens einmal im Monat, spätestens bis zum 15. eines jeden Monats, persönlich in der Dienststelle der Bewährungshilfe vorzusprechen und den Vorladungen der Aufsichtsstelle und des/der Bewährungshelfers/in Folge zu leisten, § 68b Abs. 1 Ziff. 7 StGB.
Im Falle einer - vorher abzusprechenden - Ortsabwesenheit hat er sich bei seinem Bewährungshelfer im Abstand von jeweils höchstens 2 Wochen telefonisch zu melden.
b) Er hat jeden Wohnsitzwechsel und Arbeitsplatzwechsel unverzüglich der zuständigen Führungsaufsichtsstelle zu melden, § 68b Abs. 1 Ziff 8 StGB.
c) Er hat sich im Falle der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit
oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden,
§ 68b Abs. 1 Ziff. 9 StGB.
d) Er hat keine illegalen berauschenden Mittel zu sich zu nehmen und seine Abstinenz auf Koste der Staatskasse einmal monatlich durch Urinkontrollen nachzuweisen, § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB. Das Ergebnis dieser Kontrollen hat er der Bewährungshelferin / dem Bewährungshelfer und der Kammer unverzüglich mitzuteilen.
Ein Verstoß gegen eine dieser Weisungen ist gemäß § 145a StGB mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bedroht.
2. Er wird darüber hinaus gern. § 68b Abs. 2 StGB - nicht strafbewehrt - angewiesen
a) den Anordnungen des Bewährungshelfers gewissenhaft zu folgen;
b) den Wohnort und Arbeitsplatz nicht ohne vorherige Rücksprache mit dem Bewährungshelfer zu wechseln."

Ausweislich der Gründe dieses Beschlusses hat der Verurteilte die „Strafe aus dem zu Grunde liegenden Urteil" seit dem 03.08.2022 voll verbüßt. Zur Begründung der Abstinenzweisung hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass die Dauer der Führungsaufsicht und die erteilten Weisungen geboten, aber auch ausreichend seien, um auf den Verurteilten einwirken zu können und eine Änderung seiner Lebensführung erzielen und neue Straftaten verhindern zu können. Zur Begründung speziell der Abstinenzweisung hat die Strafvollstreckungskammer folgendes ausgeführt:

„Angesichts der Tatsache, dass die Anlassverurteilung auf dem Handel mit Cannabis beruht und der Verurteilte auch während der Haftzeit mehrfach durch den Konsum von Betäubungsmitteln aufgefallen ist, ist diesbezüglich eine besonders engmaschige Kontrolle und Führung erforderlich, um die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern.",
(vgl. Bl. 21 FA-Heft).

Am 01.12.2022 ist der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen worden (BI. 24 FA-Heft).

Die gegen die Anordnung des Nichtentfallens der Führungsaufsicht gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 17.11.2022 hat der seinerzeit zuständige 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 03.01.2023 (BI. 23 FA-Heft) als unbegründet verworfen.

Mit Schreiben seines Verteidigers vom 24.03.2023 (BI. 41 ff. FA-Heft) wendet sich der Verurteilte nunmehr mit der Beschwerde gegen die im Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 08.11.2022 enthaltene sog. Abstinenzweisung. Die Weisung verstoße gegen den in § 68 b Abs. 3 StGB normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wonach an die Lebensführung der verurteilten Person keine zumutbaren Anforderungen gestellt werden dürften. Unter Bezugnahme auf den Inhalt des - der Beschwerde beigefügten - fachärztlichen Attests des Dipl.-Psychologen und Facharzt für Neurologische Psychiatrie und Psychotherapie pp. vom 01.03.2023 erschienen die verhängten Suchtmittelverbote im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2016, 2172) aufgrund einer bestehenden Cannabisabhängigkeit des Verurteilten bereits als unverhältnismäßig. In dem Attest (BI. 45 FA-Heft) heißt es auszugsweise wie folgt:

„ 0. g. Patient stellte sich am 28.2.23 vor.
Nach Anamnese und medizinischem Befund leidet Herr pp. seit Jahren an einer Cannabisabhängigkeitserkrankung und konsumiert entsprechend regelmäßig Marihuana. Abstinenzversuche sind leider gescheitert. Da Pat. auch angibt, seine nervösen Unruhe und Konzentrationsstörung mit Hilfe des Konsums.besser kontrollieren zu können, ist kurz- und mittelfristig Abstinenz wohl nicht herzustellen.
Diagnose:
Abhängigkeitssyndrom durch Gebrauch von Cannabinoiden F12.2G".

Aufgrund der Suchtmittelabhängigkeit stehe ggf. zu befürchten, dass der Verurteilte sich in der Zukunft wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz strafbar mache, indem er nämlich seine eigene Cannabisabhängigkeit durch den Erwerb von Betäubungsmitteln befriedige. Unabhängig davon, dass derartige Verhaltensweisen offensichtlich ohnehin alsbald legalisiert würden, erschienen diese Straftaten jedenfalls nicht als so schwerwiegend, dass man befürchten müsse, dass hierdurch die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigt würden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Verurteilte gesundheitliche Probleme (nervöse Unruhe, Konzentrationsstörungen, depressive Erkrankung) weitgehend erfolgreich mit gelegentlichem Konsum von Cannabisprodukten therapiere. Zudem erscheine auch die Kostentragungspflicht im Ergebnis unverhältnismäßig.

Unter dem 31.03.2023 datiert der Erstbericht des dem Verurteilten zwischenzeitlich bestellten Bewährungshelfers (BI. 33 f. FA-Heft). Dem Bewährungshelfer lag das o.g. Attest nebst Beschwerdeschrift des Verteidigers vor. Hervorzuheben ist, dass der Verurteilte dem Bewährungshelfer aufgrund einer Zusammenarbeit aus zuvor widerrufenen Bewährungssachen bekannt ist und in dieser Sache ein erster persönlicher Gesprächstermin am 23.01.2023 stattgefunden hatte. Auszugweise heißt es in o.g. Bericht:

„Bereits bei diesem ersten Termin teilte Herr pp. mit, dass er seit seiner Jugendzeit regelmäßig Marihuana konsumiere (das hatte er bei der früheren Zusammenarbeit verschwiegen), weil er damals eine Diagnose in Richtung ADHS bekommen hätte. Er hätte gemerkt, dass ihn der Konsum beruhige. Es falle ihm bis heute nicht leicht, über seine Suchterkrankung zu sprechen und sich zu offenbaren. Aufgrund der bestehenden Abstinenz- und UK-Weisung sah er nun die Notwendigkeit dafür, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Beim heutigen Gespräch legte er dann das fachärztliche Attest und die Beschwerde seines Rechtsanwalts gegen die Weisung vor (vgl. Anlage). Ein Drogenscreening wurde bisher nicht durchgeführt, zumal (...) Das Drogen-screening würde in Bezug auf Cannabis erwartungsgemäß auch positiv ausfallen (...)."

Der Beschwerde hat die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum nicht abgeholfen und dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vorgelegt. Im Nichtabhilfebeschluss vom 19.04.2023 (BI. 47 ff. FA-Heft) hat die Kammer zur Begründung u. a. Folgendes ausgeführt: Die Abstinenzweisung sei nicht unverhältnismäßig, da keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung der verurteilten Person gestellt würden. Vorliegend sei mit Blick auf die (Feststellungen bei den) Anlassverurteilungen, die Angaben des Verurteilten im Rahmen der Anhörung am 08.12.2022 und das Vollzugsverhalten - (schon) nicht von einer Betäubungsmittel-abhängigkeit des Verurteilten auszugehen. Das vorgelegte Attest ändere an dieser Einschätzung nichts. Insbesondere enthalte diese keine Erklärung dafür, warum nunmehr von einer Abhängigkeitserkrankung auszugehen sein sollte. Auch erscheine keine langjährige Behandlung durch den ausstellenden Arzt, sondern eine erstmalige Vorstellung des Verurteilten vorzuliegen, sodass die Einschätzung des Arztes offensichtlich nur auf den mündlichen Angaben des Verurteilten beruhe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Abstinenzweisung der Verschreibung von medizini-schem Cannabis durch zur Therapie seiner gesundheitlichen Probleme nicht entgegenstehe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Nichtabhilfebe-schlusses (BI. 47 ff. FA-Heft) verwiesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Zuschrift vom 28.04.2022 beantragt, die Beschwerde des Verurteilten - aus den zutreffenden Erwägungen der Strafvollstreckungsammer des Landgerichts Bochum - als unbegründet zu verwerfen.

Dem Verurteilten bzw. seinem Verteidiger ist Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden. Eine Stellungnahme ist nicht zu den Akten gelangt.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige (einfache) Beschwerde des Verurteilten gem. §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 1 StPO, §§ 68 b StGB hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

Der Prüfungsumfang beschränkt sich im vorliegenden Beschwerdeverfahren darauf, die Gesetzmäßigkeit der getroffenen Anordnung zu überprüfen. Dabei ist die getroffene Anordnung nur dann als gesetzeswidrig anzusehen, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig, unzumutbar oder zu unbestimmt ist oder nicht auf rechtsfehlerfreier Ermessensausübung beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 19.08.2021 - 2 Ws 145/21 m.w.N; vom 25.11.2021 - 2 Ws 204, 218/21 m.w.N; OLG Dresden, NStZ 2008, 572 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 22. Aufl., § 453, Rn 12 m.w.N). Insbesondere im Hinblick auf die Frage der rechtsfehlerfreien Ermessensausübung ist dem Beschwerdegericht eine Überprüfung nur möglich, wenn die Erwägungen, die Grundlage der Ermessensentscheidung waren, dem Beschwerdegericht ersichtlich sind, sei es aus dem Beschluss selbst, sei es aus der nach Einlegung der Beschwerde zu ergehenden Entscheidung über die Abhilfe.

Nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB kann das Gericht einer verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind. Eine solche Abstinenzweisung kommt vor allem für im Vollzug erfolgreich behandelte rauschmittelabhängige Probanden in Betracht. Problematisch ist ein Konsumverbot hingegen bei Personen, die eine langjährige, nicht (erfolgreich) therapierte Suchtmittelabhängigkeit aufweisen. Voraussetzung ist zunächst, dass bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Rauschmittelkonsum zur Gefahr weiterer Straftaten beitragen könnte. Maßgeblich ist nicht das Rückfallrisiko an sich, sondern die Wahrscheinlichkeit eines „Beitrags" zu strafbaren Handlungen, zum Beispiel auch die Gefahr von Beschaffungskriminalität (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 68b Rn. 14). Demgemäß muss eine solche Weisung geeignet sein, den mit ihr angestrebten Zweck zu erreichen, wobei bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Bei einer Abstinenzweisung muss also die Möglichkeit bestehen, dass Straftaten unterbleiben, die im Fall weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten wären. Ungeeignet wäre eine Abstinenzweisung hingegen, wenn eine Verminderung des Risikos der Begehung weiterer Straftaten aufgrund dieser Weisung ausgeschlossen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 30.03.2016 - 2 BvR 496/12, NJW 2016, 2170, 2171).

Mit einer entsprechenden Abstinenzweisung dürfen zudem nach § 68b Abs. 3 StGB keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten gestellt werden. Die Abstinenzweisung muss erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn sein. Letzteres bedeutet, dass sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten darf, sondern diesem zumutbar sein. Insoweit stellt § 68b Abs. 3 StGB eine einfachgesetzliche Ausprägung der sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen dar. Die Feststellung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne setzt eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, zu deren Wahrnehmung es erforderlich ist, in die Grundrechte des Betroffenen einzugreifen, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter des Betroffenen voraus. Dabei kann nicht außer Betracht bleiben, dass die Abstinenzweisung strafbewehrt ist. Insoweit unterscheidet sich die Abstinenzweisung im Rahmen der Führungsaufsicht von einer Weisung im Rahmen der Bewährungsaussetzung gern. § 56c StGB, sodass an eine Abstinenzweisung gern. § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Da im Fall der Verletzung einer Abstinenzweisung gern. § 68 b I Nr. 10 StGB die Möglichkeit der Verhängung einer Strafe als der schärfsten dem Staat zur Verfügung stehenden Sanktion besteht (vgl. § 145 a StGB), kann von dem Betroffenen die Hinnahme des damit verbundenen ethischen Unwerturteils im allgemeinen nur erwartet werden, wenn er überhaupt in der Lage ist, sich normgerecht zu verhalten, und der Schutz überwiegender Interessen anderer oder der Allgemeinheit eine strafrechtliche Sanktionierung gebietet. Von der Verhältnismäßigkeit einer Abstinenzweisung gern. § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB wird regelmäßig auszugehen sein, wenn diese gegenüber einer ohne Weiteres zum Verzicht auf den Konsum von Suchtmitteln fähigen Person angeordnet wird und im Fall des erneuten Alkohol- oder Suchtmittelkonsums mit der Begehung erheblicher, die Sicherheitsinteressen der All-gemeinheit betreffender Straftaten zu rechnen ist. Wenn der Verzicht auf den Konsum von Suchtmitteln lediglich vorn Willen und der charakterlichen Festigkeit des Weisungsunterworfenen abhängt, ist es ohne Weiteres zumutbar, für die Dauer der Führungsaufsicht zur Vermeidung weiterer Straftaten einen solchen Verzicht einzufordern. Anders verhält es sich demgegenüber im Fall eines nicht oder erfolglos therapierten langjährigen Suchtkranken. Ungeachtet der Tatsache, dass § 68 b Abs. 1 Nr. 10 StGB nicht zwischen erfolgreich therapierten und nichttherapierten Suchtkranken unterscheidet, stellt sich die Frage der Zumutbarkeit des Verzichts auf den Konsum von Suchtmitteln in beiden Fällen unterschiedlich dar. Für den Suchtkranken beinhaltet die Abstinenzweisung eine deutlich schwerere Belastung. Dennoch wird auch in diesen Fällen nicht ausnahmslos davon ausgegangen werden können, dass die Weisung, auf den Konsum von Suchtmitteln zu verzichten, unzumutbar ist. Vielmehr ist auch insoweit eine Abwägung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls erforderlich. Dabei sind insbesondere die Fragen, in welchem Umfang überhaupt die Aussicht besteht, den mit einer Abstinenzweisung verfolgten Zweck zu erreichen, ob und inwieweit der Suchtkranke sich (wenn auch erfolglos) Therapieangeboten geöffnet hat und welche Straftaten im Fall weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten sind, in die Abwägung einzustellen. Jedenfalls in Fällen, in denen ein langjähriger, mehrfach erfolglos therapierter Suchtabhängiger aufgrund seiner Suchtkrankheit nicht zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage ist und von ihm keine die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigenden Straftaten drohen, ist eine strafbewehrte Abstinenzweisung gem. § 68 b I Nr. 10' StGB als unzumutbare Anforderung an die Lebensführung iSv § 68 b III StGB und damit zugleich als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit anzusehen (vgl. BVerfG, NJW 2016, 2170 Rn. 18-26, beck-online).

Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes kann die unter Ziff. 1. d) erteilten Abstinenzweisung in dem Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 08.11.2022 (BI. 19 ff. FA-Heft) nach dem bisherigen Sach- und Verfahrensstand keinen Bestand haben.

Im Einzelnen:

1.
Keinen durchgreifenden Bedenken begegnet im Ergebnis zunächst die - auf konkreten Tatsachen beruhende - Annahme der Kammer, dass der Rauschmittelkonsum zur Gefahr weiterer Straftaten beitragen könnte.

Zur Begründung der Abstinenzweisung hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass die Dauer der Führungsaufsicht und die erteilten Weisungen geboten, aber auch ausreichend seien, um auf den Verurteilten einwirken zu können und eine Änderung seiner Lebensführung erzielen und neue Straftaten verhindern zu können. Zur Begründung speziell der Abstinenzweisung hat die Strafvollstreckungskammer weiter ausgeführt, dass angesichts der Tatsache, dass die Anlassverurteilung auf dem Handel mit Cannabis beruhe und der Verurteilte auch während der Haftzeit mehrfach durch den Konsum von Betäubungsmitteln aufgefallen sei, diesbezüglich eine besonders engmaschige Kontrolle und Führung erforderlich sei, um die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern. Zwar ergibt sich nicht unmittelbar, dass im Fall des weiteren Suchtmittelkonsums Straftaten zu erwarten wären. Jedoch ist bei einer Würdigung der Gesamtumstände davon auszugehen. Die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Bochum vom 11.01.2012 und im Urteil vom 28.01.2013 zu der Anlassverurteilung (s.o.) verhalten sich nicht dazu, dass ein Rauschmittelkonsum des Verurteilten zu den Anlasstaten „beigetragen" hätte. Indes ist auf der Grundlage des Vorbringens des Verurteilten davon auszugehen, dass dieser sich regelmäßig Cannabis beschafft und konsumiert. Gegenüber dem Bewährungshelfer hat er ange-geben, dass er zurzeit Arbeitslosengeld erhalte und mit Bürgergeld vom Jobcenter aufstocke. Er stehe mit dem Arbeitsamt in Kontakt und plane ggfs. eine Umschulung. Konkretes konnte er dazu jedoch nicht berichten (vgl. Erstbericht des Bewährungshelfers vom 31.03.2023, BI. 33 f. FA-Heft). Mit der Beschwerdeschrift vom 24.03.2023 hat der Verurteilte zudem vortragen lassen, dass aufgrund der Suchtmittelabhängigkeit ggf. zu befürchten stehe, dass er sich in der Zukunft wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz strafbar mache, indem er nämlich seine eigene Cannabisabhängigkeit durch den Erwerb von Betäubungsmitteln befriedige. Insofern besteht die Möglichkeit, dass aufgrund der ungegriffenen Abstinenzweisung Straftaten unterbleiben, die im Fall weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten wären.

2. Indes beruht die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auf einer rechtsfehlerhaften Ermessensausübung bzgl. der Feststellung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Der angefochtene Beschluss unter Ergänzung durch die Nichtabhilfeentscheidung beruht hinsichtlich der Weisung unter Ziff. 1. d) - unter Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht - auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage und entbehrt daher der vorliegend erforderlichen vertieften Begründung.

Die Strafvollstreckungskammer hat im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht die für ihre Entscheidungsfindung maßgeblichen Tatsachen festzustellen und in eine ordnungsgemäße Ermessensabwägung einzubeziehen. Das Institut der Führungsaufsicht nach § 68f StGB hat nämlich die Aufgabe, gefährliche oder (rückfall)gefährdete Täter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten. Führungsaufsicht soll damit nicht nur Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit geben, sondern auch den Verurteilten führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisierungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen voraus, die auf den Täter, die Tat(en), deretwegen er verurteilt wurde, und -damit zusammenhängend - auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abzustimmen sind. Um dieser kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht zu werden, ist eine Schematisierung der zu erteilenden Weisungen nicht möglich (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 27.03.2008 - 2 Ws 147/08, NStZ 2008, 572).

Unter Berücksichtigung der o.g. Begründung der Strafvollstreckungskammer für die Erteilung der Abstinenzweisung hat diese Folgendes in die Ermessensentscheidung einbezogen:

Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers hat das Landgericht Bochum im Urteil vom 11.01.2012 auszugweise folgendes festgestellt: „In Freiheit konsumierte er regelmäßig Marihuana in kleinen Mengen, ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. So konnte er ohne Entzugserscheinungen und ohne süchtiges Verlangen wochenweise auf Marihuana verzichten und hatte er auch nach seiner Festnahme in dieser Sache keine Entzugserscheinungen und kein süchtiges Verlangen" (vgl. BI. 3 FA-Heft).

Das Landgericht Bochum hat im Urteil vom 28.01.2013 weitergehenden Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des hiesigen Beschwerdeführers getroffen, auf die Bezug genommen wird (BI. 12n R f. FA-Heft). Diese verhalten sich nicht weiter zu einem etwaigen Drogenkonsum des Beschwerdeführers.

Mit Bericht vom 03.11.2022 hat die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Bochum zur Frage des Drogenkonsums Folgendes ausgeführt:

„Von einer manifestierten Drogenabhängigkeit wird - auch mit Blick auf Stellungnahmen aus der Vorinhaftierung - nicht ausgegangen. Der Gefangene gibt an, nur gelegentlich THC konsumiert zu haben. Diese Gelegenheiten ergaben sich laut Angaben des Inhaftierten, wenn er emotional stark belastenden Situationen ausgesetzt war. Beispiele dafür waren der Autounfall des Kindes oder gravierende finanzielle Probleme der Familie" (BI. 13 ff. FA-Heft).

Den Stellungnahmen aus Vorinhaftierungen ist zu entnehmen, dass der Verurteilte seinerzeit eine Suchtmittelabhängigkeit verneint hatte und sich keine Hinweise für eine manifestierte Abhängigkeitserkrankung ergeben hätten (vgl. Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Bochum vom 28.05.2013, Bl. 71 VH) sowie dass der Verurteilte sich seinerzeit unter Einfluss von Drogen zum Strafantritt gestellt hat (vgl. Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Attendorn vom 11.03.2021, BI. 359 VH).

Im Rahmen der Anhörung des Beschwerdeführers am 08.11.2022 hatte dieser u.a. angegeben, dass er mit Betäubungsmitteln „eigentlich gar nichts mehr" zu tun habe, er sei auch nicht abhängig. Soweit ihm in der JVA der Konsum von Cannabis vorgeworfen worden sei, habe dies beim ersten Mal an einem schweren Autounfall seines Sohnes gelegen, beim zweiten Mal habe ihm ein Freund Brownies angeboten, wobei er nicht gewusst habe, dass Marihuana eingebacken gewesen sei (vgl. Vermerk BI. 53 FA-Heft).

In Bezug auf den neuen Vortrag mit der Beschwerdebegründung hinsichtlich einer -angeblich - bestehenden langjährigen Cannabisabhängigkeit, Einnahme von Cannabis aus therapeutischen Zwecken und gescheiterter Abstinenzversuche hat die Strafvollstreckungskammer mit dem Nichtabhilfebeschluss die Begründung für die Abstinenzweisung ergänzt. Die Abstinenzweisung sei nicht unverhältnismäßig, da keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung der verurteilten Person gestellt würden. Vorliegend sei mit Blick auf die (Feststellungen bei den) Anlassverurteilungen, die Angaben des Verurteilten im Rahmen der Anhörung am 08.12.2022 und das Vollzugsverhalten - (schon) nicht von einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten auszugehen. Das vorgelegte Attest ändere an dieser Einschätzung nichts. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Abstinenzweisung der Verschreibung von medizinischem Cannabis durch zur Therapie seiner gesundheitlichen Probleme nicht entgegenstehe. Insoweit hat sich die Strafvollstreckungskammer unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (s.o.) zwar mit dem vorliegenden Einzelfall auseinandergesetzt. Soweit die Kammer jedoch die Angaben im vorgelegten Attest für nicht belastbar hält - insbesondere enthalte dieses keine Erklärung dafür, warum nunmehr von einer Abhängigkeitserkrankung auszugehen sein sollte, auch erscheine keine langjährige Behandlung durch den ausstellenden Arzt, sondern eine erstmalige Vorstellung des Verurteilten vorzuliegen, sodass die Einschätzung des Arztes offensichtlich nur auf den mündlichen Angaben des Verurteilten beruhen würde -, gründet dies nicht auf Tatsachen, sondern vielmehr auf bloßen Vermutungen. Ferner fehlt eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Bewährungshelfers im Erstbericht vom 31.03.2023 (BI. 33 f. FA-Heft). Dem Bewährungshelfer lag das vorgenannte Attest nebst Beschwerdeschrift des Verteidigers vor. Hervorzuheben ist, dass der Verurteilte dem Bewährungshelfer aufgrund einer Zusammenarbeit aus zuvor widerrufenen Bewährungssachen bekannt ist und in dieser Sache ein erster Gesprächstermin am 23.01.2023 stattgefunden hatte. Auszugweise heißt es in o.g. Bericht:

„Bereits bei diesem ersten Termin teilte Herrn mit, dass er seit seiner Jugendzeit regelmäßig Marihuana konsumiere (das hatte er bei der früheren Zusammenarbeit verschwiegen), weil er damals eine Diagnose in Richtung ADHS bekommen hätte. Er hätte gemerkt, dass ihn der Konsum beruhige. Es falle ihm bis heute nicht leicht, über seine Suchterkrankung zu sprechen und sich zu offenbaren. Aufgrund der bestehenden Abstinenz- und UK-Weisung sah er nun die Notwendigkeit dafür, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Beim heutigen Gespräch legte er dann das fachärztliche Attest und die Beschwerde seines Rechtsanwalts gegen die Weisung vor (vgl. Anlage). Ein Drogenscreening wurde bisher nicht durchgeführt, zumal (...) Das Drogen-screening würde in Bezug auf Cannabis erwartungsgemäß auch positiv ausfallen (...)."

Der Senat verkennt dabei nicht, dass der neue Vortrag des Verurteilten im Gegensatz dazu steht, dass der Verurteilte während des Strafvollzuges keine - jedenfalls keine dokumentierte und der Strafvollstreckungskammer zur Kenntnis gebrachte ausgeprägte Suchtproblematik aufzeigte und die Annahme einer langjährigen und erfolglos therapierten Cannabisabhängigkeit im Sinne der o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts daher zumindest fraglich erscheinen lässt. Im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht hätten die durch das ärztliche Attest greifbaren Anhaltspunkte die Strafvollstreckungskammer jedoch zu einer weiteren Aufklärung veranlassen müssen. Die auf Vermutungen basierenden Gründe, aus denen die Kammer die Angaben im Attest für nicht belastbar erachtet hat, hätte die Kammer aufklären müssen. Beispielswiese hätte die Kammer den Dipl.-Psychologen pp. als den das Attest ausstellenden Arzt als sachverständigen Zeugen vernehmen können und die Umstände, die sie für fraglich erachtet, weiter aufklären können. Letztlich wäre auch noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht gekommen. Erst auf der Grundlage feststehender Tatsachen hätte sodann eine weitere Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfolgen dürfen und müssen.

3. Durchgreifende Bedenken bestehen zudem hinsichtlich der hinreichenden Bestimmtheit der unter Ziff. 1. d) erteilten Weisung insoweit, als diese nicht genau erkennen lässt, bei welcher konkreten Stelle der Abstinenznachweis durch monatliche Urinkontrollen zu erfolgen hat.

4. Soweit die angefochtene Weisung bereits regelt, dass die Kosten der vom Verurteilten zu erbringenden Urinkontrollen der Staatskasse zur Last fallen, gehen die Ausführungen der Beschwerde fehl.


Einsender: RA Dr. R. Bleicher, Dortmund

Anmerkung:


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