Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 28.06.2023 – 206 StRR 174/23
Leitsatz des Gerichts:
Macht der Angeklagte nach Außerkrafttreten der Quarantänepflicht für positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 Virus getestete Personen nur durch das Übersenden einer Bescheinigung über das Vorliegen eines positiven SARS-CoV-2 Antigentests seine Verhandlungsunfähigkeit im Hauptverhandlungstermin geltend, ist sein Fernbleiben nicht genügend entschuldigt.
In pp.
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 14. Februar 2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde durch das Amtsgericht Lindau (Bodensee) am 12. Oktober 2022 wegen Beihilfe zum Betrug „in einem besonders schweren Fall“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die am 13. Oktober 2022 eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Kempten (Allgäu) mit Urteil vom 14. Februar 2023 verworfen, weil der ordnungsgemäß geladene Angeklagte im Verhandlungstermin am 14. Februar 2023 nicht erschienen sei, obwohl ihm die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens mit der Ladung mitgeteilt worden seien. Allein die Übersendung einer Bescheinigung über das Vorliegen eines positiven SARS-CoV-2 Antigentests genüge ohne weitere Informationen darüber, warum der Angeklagte am Erscheinen im Hauptverhandlungstermin gehindert sei, denen das Gericht nachgehen könne, nicht.
Dagegen richtet sich die am 21. Februar 2022 eingelegte und am 15. März 2023 begründete Revision des Angeklagten, mit der er geltend macht, dass Landgericht habe den Begriff der ausreichenden Entschuldigung verkannt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2023, die Revision des Angeklagten kostenpflichtig zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel ist unbegründet, weil das Fernbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2023 allein durch die kommentarlose Vorlage der Bescheinigung über einen positiven Antigentest auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2 Infektion nicht genügend entschuldigt war.
Insoweit kann auf die erschöpfenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2023 Bezug genommen werden. Ergänzend bemerkt der Senat auch im Hinblick auf seinen Beschluss vom 25. Oktober 2022, 206 StRR 286/22, BeckRS 2022, 30918, dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, die hier am 14. Februar 2023 stattfand, im Gegensatz zu dem mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 entschiedenen Fall, in dem am 28. Juni 2022 die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren stattgefunden hatte, die Quarantänepflicht nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 12. April 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 225 vom 12. April 2022) nicht mehr galt. Am 14. Februar 2022 galt die Allgemeinverfügung zu Schutzmaßnahmen bei positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Corona-Schutzmaßnahmen) gemäß Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 15. November 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 631 vom 15. November 2022), deren Gültigkeit durch Allgemeinverfügung vom 20. Januar 2023 bis zum 28. Februar 2023 verlängert worden ist (BayMBl. 2023 Nr. 46 vom 25. Januar 2023). In der Bekanntmachung vom 15. November 2022 war in Nr. 2.1 für positiv getestete Personen unverzüglich nach Kenntniserlangung vom positiven Testergebnis Maskenpflicht nach Nr. 3 außerhalb der eigenen Wohnung für mindestens fünf Tage nach dem Erstnachweis des Erregers angeordnet, aber keine Quarantänepflicht.
Die Feststellungen des Landgerichts belegen schlüssig, dass das Nichterscheinen des Angeklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwerfungsurteils nicht ausreichend entschuldigt war. Die Gründe lassen erkennen, dass der Angeklagte lediglich die Bescheinigung über einen positiven Antigentest übersandt hatte, ohne hierzu weitere Informationen zu erteilen (UA Seite 2). Die Gründe teilen zwar weder mit, wer das Testergebnis übersandt hat, noch wann dies geschehen war. Dies wirkt sich im Ergebnis jedoch nicht aus, denn aus der bloßen Mitteilung des positiven Testergebnisses ergibt sich - wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt – noch keine genügende Entschuldigung des Nichterscheinens im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO. Es ist nicht erkennbar, dass nach Art und konkreten Auswirkungen der Erkrankung eine Beteiligung des Angeklagten an der Hauptverhandlung unzumutbar gewesen sei.
Die rechtliche Prüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich auch darauf, ob das Berufungsgericht auf der Grundlage der festgestellten Umstände die Pflicht zu weiterer Sachaufklärung im Wege des Freibeweises gehabt hätte (BGH Beschluss vom 11. April 1979, 2 StR 306/78, NJW 1979, 2319, 2320; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 12. September 2000, 5 StRR 259/00, juris Rn. 9). Besondere, schon aus den Feststellungen selbst ersichtliche Anhaltspunkte für ein solches Defizit liegen nicht vor. Es ist in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt, dass nur das Testergebnis mitgeteilt worden war, also weder ein ärztliches Attest vorlag noch sonst ein Arzt mitgeteilt war. Ein Rechtsfehler, der darin liegen könnte, dass eine Nachfrage des Vorsitzenden bei dem betreffenden Arzt unterblieben ist, um von diesem eine Erläuterung der Krankheitssymptome zu erhalten, lässt sich aus den Urteilsgründen nicht ersehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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