Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 06.11.2023 - 204 StRR 470/23
Eigener Leitsatz:
Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe einer Geldstrafe muss das Tatgericht auch in ausreichender Weise erkennen lassen, dass es sich möglicher entsozialisierender Wirkungen der Geldstrafe bewusst gewesen ist.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
204 StRR 470/23
In dem Strafverfahren gegen
wegen Bedrohung
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 4. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 6. November 2023 folgenden
Beschluss
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 26.07.2023 aufgehoben, soweit die Tagessatzhöhe auf 30,00 € festgesetzt wurde und darin eine Entscheidung über Zahlungserleichterungen unterblieben ist.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen.
III. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen
Gründe:
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Ange-klagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der allein auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützten Revision hat betreffend den Schuldspruch und die Strafzumessung - mit Ausnahme der Festsetzung der Tagessatzhöhe und der fehlenden Entscheidung über Zahlungserleichterungen - keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Zur Begründung wird insoweit auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 05.10.2023 Bezug genommen.
Ergänzend - auch im Hinblick auf die Gegenerklärung der Verteidigung vom 30.10.2023 - bemerkt der Senat zum Schuldspruch, dass das angefochtene Berufungsurteil den Anforderungen, die in der Rechtsprechung an die Darstellung der Beweisführung gestellt werden, stand hält. Das Berufungsgericht hat die tatsächlichen Anknüpfungspunkte seiner Beweis-würdigung so dargestellt, dass dem Senat eine Überprüfung ohne weiteres möglich ist. So hat es nachvollziehbar dargelegt, warum es von der Ernstlichkeit der Ankündigung des Angeklagten ausgegangen ist und welchen Umfang diese hatte, und die Angaben der Zeugin pp. einer kritischen Würdigung unterzogen. Soweit die Verteidigung geltend macht, dass noch weitere tateinheitliche Straftatbestände in Betracht kommen würden, wäre ein Fehler des Gerichts hier nicht nachteilig für den Angeklagten und würde diesen daher nicht belasten.
Im Übrigen wird noch darauf hingewiesen, dass der Senat gesehen hat, dass das Landgericht die mit dem Angeklagten verlobte Lebensgefährtin vernehmen wollte, diese sich aber in der Berufungshauptverhandlung am 26.07.2023 auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat (Bl. 107 d. A.).
2. Die Festsetzung der Tagessatzhöhe hält einer rechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand.
Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe hat das Landgericht nicht in ausreichender Weise erkennen lassen, dass es sich möglicher entsozialisierender Wirkungen der Geldstrafe bewusst gewesen ist.
Die Festsetzung einer Geldstrafe gliedert sich insgesamt in drei Phasen (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 40 Rn. 1, BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 58. Ed. 01.08.2023, StGB § 40 vor Rn. 1, NK-StGB/Albrecht, 6. Aufl. 2023, StGB § 40 Rn. 2). Zunächst ist die Zahl der Tagessätze nach der Tatschwere zu bestimmen, anschließend die Höhe der Tagessätze nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters. Mit dieser Unterteilung soll erreicht werden, dass die wirtschaftliche Bemessungsgrundlage sachgerecht in Ansatz gebracht und damit eine Opfergleichheit bei denjenigen hergestellt wird, deren Taten im Unrechts- und Schuldgehalt vergleichbar sind. Dem Strafzumessungsvorgang schließt sich sodann als dritter Akt die Prüfung an, ob und welche Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) zu bewilligen sind.
Bemessungsgrundlage für die Tagessatzhöhe ist das Nettoeinkommen, das der Täter zur Zeit der Verurteilung erzielt oder erzielen könnte, § 40 Abs. 2 S. 2 StGB (Schönke/Schröder/ Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 40 Rn. 8, BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 58. Ed. 01.08.2023, StGB § 40 Rn. 10, MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl. 2020, StGB § 40 Rn. 56). Inso-weit bestehen auch keine Bedenken gegen das vom Gericht angenommene Einkommen aus Bürgergeld, auch wenn dieses zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung trotz eines gestellten Antrags des Angeklagten nicht ausgezahlt wurde.
Insbesondere bei den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen, bei denen die Ab-schöpfung des Einkommens durch die Geldstrafe nicht durch den Einsatz von Vermögen zu kompensieren ist, besteht die Gefahr einer erheblichen entsozialisierenden Wirkung der Geldstrafe, weil wegen deren Höhe als Produkt aus Tagessatzzahl und Tagessatzhöhe bei der Bestimmung des Nettoeinkommens nicht berücksichtigungsfähige laufende Belastungen nicht mehr bedient werden können (MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl. 2020, StGB § 40 Rn. 38).
Bei hoher Tagessatzanzahl und bei besonders einkommensschwachen Personen ist in besonderer Weise zu prüfen und sicherzustellen, dass die sich aus der rechnerischen Be-stimmung ergebende absolute Belastung nicht unverhältnismäßig ist (Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 40 Rn. 24).
Folge einer solchen unverhältnismäßigen Belastung kann sein, dass unter Berücksichtigung der nach § 42 StGB möglichen und von Amts wegen zu prüfenden (Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 42 Rn. 2) Zahlungserleichterungen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels der monatlichen, sich aus Geldzahlungen und etwaigen Sachmittelzuwendungen zusammensetzenden Bezüge festzusetzen ist, wobei sich auch dieser ermessensähnlich ausgestaltete Strafzumessungsakt einer schematischen Behandlung entzieht und damit revisionsrechtlich nur in eingeschränktem Maße überprüfbar ist (Hanseatisches Ober-landesgericht Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2001 - III - 42/01 - 1 Ss 65/01 -, juris; OLG Celle, Beschluss vom 7. April 1998 - 23 Ss 56/98 -, juris).
Vorliegend hat es das Landgericht jedoch unterlassen, die vorgenannten Gesichtspunkte bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe in den Blick zu nehmen, und zudem unterlassen, Zahlungserleichterungen zu bewilligen.
3. Schon auch wegen des Fehlens einer Entscheidung über Zahlungserleichterungen kann die landgerichtliche Entscheidung keinen Bestand haben. Da die Entscheidung nach § 42 StGB zwingend vorgeschrieben ist, muss sich das Urteil damit befassen, wenn die Anwendung der Vorschrift nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eines Angeklagten naheliegt (BGH, Beschluss vom 20.02.2018 - 2 StR 348/17 -, juris). Dies ist hier der Fall, weil auf der Hand liegt, dass der Angeklagte den Betrag der Geldstrafe nicht aus laufendem Einkommen, Rücklagen oder Vermögen sofort begleichen kann. Ein Ansparen bis zum Voll-streckungszeitpunkt kommt hier angesichts der Höhe der Geldstrafe nicht in Betracht (OLG Hamm, Urteil vom 6. Januar 2015 - III-1 RVs 112/14 -, juris Rn. 12). Sonstige Gründe, die einer Gewährung von Zahlungserleichterungen entgegenstehen könnten, sind nicht erkenn-bar, so dass diese grundsätzlich zwingend ist (MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl. 2020, StGB § 42 Rn. 16 ff.; Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 42 Rn. 4, jeweils m.w.N.); dass auch die Vollstreckungsbehörde nach Rechtskraft noch Zahlungserleichterungen bewilligen kann (§ 459a StPO), ändert daran nichts.
Da vorliegend über die Frage der Tagessatzhöhe und der Gewährung von Zahlungserleichterungen in einem einheitlichen ermessensähnlich ausgestalteten Strafzumessungsakt zu entscheiden ist, der bislang ausgefallen ist, ist dem Senat eine eigene Entscheidung verwehrt.
Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO).
4. Für das weitere Verfahren wird zu beachten sein:
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einem Angeklagten, der am Existenzminimum lebt, die Tagessatzhöhe in der Weise zu berechnen ist, dass ihm der zur Sicherung seines Lebensbedarfs unerlässliche Betrag in Höhe von 75 % des Regelsatzes der Sozialhilfe (heute des Bürgergeldes) nach Abzug des auf die Geldstrafe zu zahlenden monatlichen Teilbetrages noch verbleibt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.03.1993 - 2 Ss 60/93 -, juris = MDR 1993, 887 - 888; OLG Celle, Beschluss vom 07.04.1998 - 23 Ss 56/98 -, juris). Insoweit hängt die Tagessatzhöhe in derartigen Fällen auch von der Höhe und Dauer einer zu gewährenden Ratenzahlung ab, weil sich die verhängte Geldstrafe in der vom Gericht vorgesehenen Ratenzahlungsdauer in Raten bezahlen lassen muss, die dem Angeklagten den zur Sicherung seines Lebensbedarfs unerlässlichen Betrag belassen.
§ 42 StGB sieht eine zeitliche Höchstgrenze von Ratenzahlungen nicht vor (MüKoStGB/ Radtke, 4. Aufl. 2020, StGB § 42 Rn. 21, Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 42 Rn. 5, NK-StGB/Albrecht, 6. Aufl. 2023, StGB § 42 Rn. 7-10, LG Berlin, Beschluss vom 05.04.2004 - 505 Qs 37/04 -, dem entsprechend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.02.1999 - 3 Ws 91/99 -, juris: darf zwei Jahre überschreiten, a. A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.03.1993 - 2 Ss 60/93 -, juris = MDR 1993, 887 - 888: der Ratenzahlungszeitraum sollte das Drei- bis Vierfache der Tagessatzzahl nicht überschreiten, aber Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 18.07.2001 - III - 42/01 - 1 Ss 65/01 -, juris: das Neunfache der Tagessatzanzahl sei noch akzeptabel, eine Missachtung des Verbots übermäßiger Bestrafung sei damit noch nicht anzunehmen). Angesichts der hier verhängten Tagessatzanzahl von 110 Tagessätzen sollte eine Ratenzahlung für eine Dauer von zwei Jahren sechs Monaten vorliegend möglich sein.
Einsender: RA J. Jendricke, Amberg
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