Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.10.2023 - 1 Ws 200/23
Eigener Leitsatz:
Wird ein Rechtsanwalt zunächst einem Mandanten als Pflichtverteidiger „für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen“ beigeordnet und dann später als Pflichtverteidiger für das Verfahren, handelt es sich um dieselbe Angelegenheit, so dass eine Anrechnung von Gebühren in Betracht kommt.
1 Ws 200/23
OLG Zweibrücken
Beschluss
In dem Strafverfahren gegen
Verteidiger
wegen Vergewaltigung u.a.
hier: Kostenfestsetzung
hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht am 17.10.2023 beschlossen:
1. Auf die weitere Beschwerde der Vertreterin der Landeskasse werden der Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 05.07.2023, der Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 05.04.2023 und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Speyer vom 26.06.2022 aufgehoben.
2. Der Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht Speyer wird aufgegeben, die Kosten und Auslagen des Verteidigers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu festzusetzen.
Gründe:
I.
Der Verteidiger ist dem Angeklagten durch Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 16.12.2C2C für die Dauer der Vernehmung einer Zeugin beigeordnet worden. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.04.2021 hat das Amtsgericht die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 582,68 € festgesetzt. Dabei wurden die Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG), die Verfahrensgebühr (Nr. 4104 VV RVG) und eine Terminsgebühr (Nr. 4102 Nr. 1 VV-RVG) sowie die Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) angesetzt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Speyer noch vor der Anklageerhebung am 21.10.2021 den Verteidiger mit Beschluss vom 21.04.2021 für das gesamte Verfahren beigeordnet. Mit Urteil vom 04.04.2022 hat das Schöffengericht des Amtsgerichts den Angeklagten von den Vorwürfen der Vergewaltigung und der Körperverletzung in zwei Fällen freigesprochen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26.06.2022 hat das Amtsgericht die von der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen des Verteidigers für seine weitere Tätigkeit mit 1.539,44 € festgesetzt. Dabei wurden die Grundgebühr (Nr. 4100 VV-RVG), die Verfahrensgebühr (Nr. 4104 W-RV3), die Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht (Nr. 4106 VV RVG) und drei Termingebühren (Nr. 4108 bzw. 4110 VV-RVG) sowie die Auslagenpauschale (Nr. 70C2 VV-RVG) angesetzt. Der gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss eingelegten Erinnerung der Vertreterin der Landeskasse hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 27.03.2023 nicht abgeholfen. Das Schöffengericht des Amtsgerichts hat die Erinnerung mit Beschluss vom 05.04.2023 zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Vertreterin der Landeskasse hat das Landgericht Frankenthai (Pfalz) mit Beschluss vom 05.07.2023 als unbegründet verworfen und die weitere Beschwerde gegen seinen Beschluss zugelassen.
Der weiteren Beschwerde der Vertreterin der Landeskasse hat das Landgericht mi: Beschluss vom 01.08.2023 nicht abgeholfen.
II.
Das Rechtsmittel der Vertreterin der Landeskasse ist gern. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 RVG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die im Beschlussausspruch genannten Entscheidungen des Amtsgerichts Speyer und des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) sind rechtsfehlerhaft.
Der Verteidiger ist demselben Angeklagten in demselben Strafverfahren während des Ermittlungsverfahrens zweimal beigeordnet worden. In diesem Fall stellt ein und dasselbe Strafverfahren - jedenfalls für jede Instanz - immer ein und dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG dar (OLG Celle, Beschluss vom 25.08.2010, 2 Ws 303/10, Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.2013, III 1 Ws 416/13, juris, Rn. 6; LG Landshut, Beschluss vom 23.03.2010, 2 Qs 326/09, juris, Rn. 15; für das Revisionsverfahren: OLG München, Beschluss vom 21.01.2008, 4 Ws 3/08
Der Umsetzung dieser Rechtslage steht auch nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 06.04.2021 entgegen; denn der Inhalt dieses Beschlusses hindert die Anrechnung der bereits zuerkannten Gebühren und Auslagen auf den weiteren Gebühren- und Auslagenanspruch des Verteidigers nicht.
Damit sind der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Speyer vom 26.06.2022, der diesen bestätigenden Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 05.04.2023 und die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 05.07.2023 aufzuheben. Damit verlieren auch die Nichtabhilfeentscheidungen des Amtsgerichts Speyer vom 27.03.2023 und des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 01.08.2023 ihre Wirkung.
Die Berechnung des Gebühren- und Auslagenanspruchs obliegt nicht den Beschwerdegerichten. Deshalb ist die Sache an die zuständige Rechtspflegerin beim Amtsgericht Speyer zur Kostenfestsetzung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zurückzugeben.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Einsender: RA A. Flory, Speyer
Anmerkung: Aufhebung von LG Frankenthal, Beschl. v. 05.07.2023 - 2 Qs 144/23 und von AG Speyer, Beschl. v. 05.04.2023 - 1 Ls 5121 Js 25842/19 und AG Speyer., Beschl. v. 23.03.2023 - 1 Ls 5121 Js 25842/19
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