Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 22.11.2023 - 202 StRR 86/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unter anderem dann unwirksam, wenn aufgrund der unzulänglichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht.
2. Der Straftatbestand des Landfriedensbruchs gemäß § 125 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen aus einer Menschenmenge „mit vereinten Kräften“ begangen wurden, was dann nicht erfüllt ist, wenn es sich lediglich um ein spontanes Vorgehen eines oder vereinzelter Gruppenmitglieder handelt, ohne dass eine irgendwie geartete Unterstützung dieser Ausschreitungen durch die Menge wenigstens in psychischer Form vorliegt.
3. Nach § 125 Abs. 1 StGB macht sich nur derjenige strafbar, der sich an den Gewalttätigkeiten bzw. Bedrohungen als Täter oder Teilnehmer aktiv beteiligt; eine bloße Anwesenheit am Ort des Tatgeschehens genügt hierfür nicht.
In pp.
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 13. Juli 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Würzburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Würzburg hat den Angeklagten am 10.01.2023 wegen Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat die Jugendkammer des Landgerichts Würzburg mit Urteil vom 13.07.2023 als unbegründet verworfen, wobei es von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen ist. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 16.10.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, auf die Revision des Angeklagten das Berufungsurteil vom 13.07.2023 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist bereits deshalb begründet, weil das Landgericht zu Unrecht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch gemäß § 318 Satz 1 StPO ausgegangen ist und deshalb keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen hat. Aufgrund der Sachrüge ist dies vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, weil das Fehlen erforderlicher Feststellungen durch die Berufungskammer einen sachlich-rechtlichen Mangel des Berufungsurteils darstellt (st.Rspr., vgl. zuletzt BayObLG, Beschl. v. 18.10.2023 - 202 StRR 74/23; 12.10.2023 – 202 StRR 72/23, beide bei juris, jew. m.w.N.). Zudem sind auch die Strafzumessungserwägungen nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Zwar ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich zulässig. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder derart knapp sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und die erstinstanzlichen Feststellungen deshalb keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können (st.Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 27.04.2017 - 4 StR 547/16 = BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2482 = NZV 2017, 433 = StraFo 2017, 280; Urt. v. 02.12.2015 - 2 StR 258/15 = StV 2017, 314 = BeckRS 2016, 3826). Die Beschränkung ist ebenfalls unwirksam, wenn aufgrund der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 06.08.2014 – 2 StR 60/14 = NStZ 2014, 635 und Urt. v. 19.03.2013 – 1 StR 318/12 = wistra 2013, 463; BayObLG, Beschl. 18.03.2021 - 202 StRR 19/21 bei juris = BeckRS 2021, 14721; 03.07.2023 – 202 StRR 34/23 bei juris = BeckRS 2023, 17751;12.10.2023 - 202 StRR 72/23 bei juris u. 18.10.2023 - 202 StRR 74/23 bei juris, jew. m.w.N.). Derartige zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch führende Defizite haften dem erstinstanzlichen Urteil an, weil sich aus dessen Gründen nicht ergibt, ob sich der Angeklagte wegen Landfriedensbruchs gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB strafbar gemacht hat.
a) Das Amtsgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte befand sich am 18.03.2022 gegen 18.00 Uhr als Angehöriger einer Fan-Gruppierung der Würzburger Kickers zusammen mit ca. 20 weiteren Angehörigen dieses Fanclubs auf dem Weg zur Drittligapaarung gegen Viktoria Köln. In Höhe einer Fußgängerampelanlage trafen sie auf die aus ca. 15 Personen bestehende Gruppe einer Freizeitfußballmannschaft aus der Kölner Gegend. Die Mitglieder der Kölner Gruppe stimmten ein Faschingslied an, welches auch in Heimspielen des 1. FC Köln gesungen wird, was „die Gruppe“ um den Angeklagten deshalb als Fangesang auffasste. Die „Würzburger Gruppe“ forderte die Angehörigen der Kölner Gruppe auf, keine Fangesänge zu veranstalten, wobei ein „durchaus rauer Ton […] angeschlagen“ wurde. Nach Überqueren des Fußgängerübergangs auf die andere Straßenseite „wurden“ Mitglieder der Kölner Gruppe beleidigt und bespuckt. Anschließend „wurde“ der Geschädigte N. in ein Gebüsch geschubst, blieb jedoch unverletzt. Dem Geschädigten G. „wurde“ mit der Faust ins Gesicht geschlagen, weshalb es zu einem Frontzahntrauma mit Dislokation sowie einer blutenden Rissquetschwunde an Ober- und Unterlippe kam. Dem Geschädigte K. „widerfuhr“ ein Faustschlag ins Gesicht, sodass er eine Jochbeinfraktur links mit Orbitabodenbeteiligung davontrug. Der Zeuge L. „wurde“ angegriffen, konnte jedoch den einen Schlag, der ihm ins Gesicht „hätte gehen sollen“, durch eine schnelle Handbewegung abwehren, so dass er nicht verletzt wurde. Als Rettungskräfte telefonisch angefordert wurden, verließ die Würzburger Gruppe den Tatort.
b) Durch die getroffenen Feststellungen ist ein strafbares Verhalten des Angeklagten wegen Landfriedensbruchs gemäß § 125 Abs. 1 StGB nicht belegt.
aa) Bereits zum Tatbestandsmerkmal der Vornahme von Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen aus einer Menschenmenge „mit vereinten Kräften“ fehlen im Ersturteil ausreichende Feststellungen. Für die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals genügt es schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht, wenn aus einer Menge ein oder mehrere Täter für sich handeln (BGH, Urt. v. 29.08.1985 - 4 StR 397/85; Fischer StGB 70. Aufl. § 125 Rn. 8; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm StGB 30. Aufl. § 125 Rn. 10). Erforderlich ist vielmehr, dass diejenigen Personen, die Ausschreitungen begehen oder unterstützen, ihre Kräfte faktisch zu den Tathandlungen der Nrn. 1 oder 2 des § 125 Abs. 1 StGB vereinen (MüKo/Feilke StGB 4. Aufl. § 125 Rn. 17 m.w.N). Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn die ausgeführten Gewalttätigkeiten von der in der gewaltbereiten Menge vorhandenen Grundstimmung und zustimmenden Haltung getragen worden, mithin der Angriff eines Täters als Ausdruck des die Menge beherrschenden feindlichen Willens und damit als ein mit vereinten Kräften aus der Menschenmenge heraus begangener Angriff anzusehen gewesen wäre (BGH, Urt. v. 09.10.2013 − 2 StR 119/13 = NStZ 2014, 512). Dass dies der Fall war, lässt sich den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils indes nicht entnehmen. Vielmehr werden dort lediglich einzelne Angriffe durch Personen aus der Gruppe um den Angeklagten gegenüber Mitgliedern der anderen Fangruppe in reiner Passivform wiedergegeben, ohne dass ersichtlich würde, wer und gegebenenfalls wie viele Personen überhaupt gehandelt haben, ob sich dies als Ausfluss eines Vorgehens mit vereinten Kräften oder nur als spontane Aktionen einzelner ohne Beteiligung anderer Gruppenmitglieder darstellte und wie lange sich die Vorfälle hingezogen haben. Gänzlich offen bleibt überdies, wie sich das dynamische Geschehen entwickelt und wie sich die übrigen Mitglieder der Fangruppe auf Seiten des Angeklagten verhalten haben. Aufgrund der unzulänglichen Festungen im amtsgerichtlichen Urteil ist mithin nicht auszuschließen, dass es sich um ein spontanes Vorgehen eines oder vereinzelter Gruppenmitglieder gehandelt hat, ohne dass eine irgendwie geartete Unterstützung dieser Ausschreitungen durch die Menge wenigstens in psychischer Form (vgl. hierzu etwa Otto NStZ 1986, 70) vorgelegen hat.
bb) Zudem kann den Feststellungen des Ersturteils nicht entnommen werden, dass der Angeklagte selbst einen Tatbeitrag geleistet hätte. Nach dem gesetzgeberischen Willen, der im Gesetzeswortlaut zweifelsfrei zum Ausdruck kommt, macht sich nur derjenige nach § 125 Abs. 1 StGB strafbar, der sich an den Gewalttätigkeiten bzw. Bedrohungen als Täter oder Teilnehmer aktiv beteiligt (BGH, Urt. v. 24.05.2017 – 2 StR 414/16 = BGHSt 62, 178 = JR 2018, 107 = NJW 2017, 3456 = NStZ 2017, 696 = NStZ-RR 2017, 337 = StV 2018, 90 = BeckRS 2017, 122759). Hierzu verhält sich, wie die Generalstaatsanwaltschaft München zu Recht beanstandet, das amtsgerichtliche Urteil ebenfalls nicht. Es bleibt auch bei der gebotenen Gesamtschau der Urteilsgründe völlig offen, ob der Angeklagte zu den Gewalttätigkeiten oder etwaigen Bedrohungen, die im amtsgerichtlichen Urteil schon gar nicht hinreichend präzise festgestellt wurden, einen Beitrag geleistet hat. Hierfür wäre zwar eine eigenhändige Mitwirkung an den Gewalttätigkeiten oder auch eine ausdrückliche Aufforderung oder Billigung dieses Verhaltens anderer nicht notwendig (vgl. BGH a.a.O.). Vielmehr genügte etwa eine Beteiligung durch psychische Beihilfe, die aber über die bloße Anwesenheit am Ort der Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen hinausgehen muss (BGH a.a.O. m.w.N.). Irgendwelche Handlungen des Angeklagten außer seiner Anwesenheit am Tatort werden im Ersturteil jedoch nicht geschildert. Auch wenn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein „ostentatives Mitmarschieren“ auf dem Weg zum Ort der Begehung von Gewalttätigkeiten im Sinne des Auftretens innerhalb einer geschlossenen Formation mit dem Ziel, geschlossen Gewalttätigkeiten zu begehen, im Einzelfall ausreichend sein kann (BGH a.a.O.), genügen die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils für die Annahme einer derartigen Konstellation schon deshalb nicht, weil sich diesen nicht entnehmen lässt, dass sich die Gruppe von vornherein zur Begehung von Gewalttätigkeiten gebildet hätte.
2. Unabhängig von der die Urteilsaufhebung bedingenden rechtsfehlerhaften Annahme einer wirksamen Berufungsbeschränkung halten die Erwägungen des Landgerichts zum Rechtsfolgenausspruch auch aus weiteren Gründen einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die strafschärfenden Wertungen, dass „die Tat aus absolut nichtigem Anlass begangen wurde“ und in dem vorangegangenen Singen von Liedern „keine Provokation zu sehen“ sei, sind rechtsfehlerhaft, weil die Berufungskammer dem Angeklagten in unzulässiger Weise das Fehlen eines Strafmilderungsgrund angelastet hat (st.Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 04.07.2023 - 2 StR 167/23 = NStZ 2023, 679 = BeckRS 2023, 20892; Urt. v. 02.03.2023 - 4 StR 312/22 = StV 2023, 529 = BeckRS 2023, 6473; Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 405/23 bei juris = BeckRS 2023, 30096, jew. m.w.N.).
b) Ferner sind die im Rahmen der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten angestellten generalpräventiven Erwägungen nicht rechtsfehlerfrei.
aa) Das Landgericht hat insoweit zugrunde gelegt, „dass es – gerichtsbekannt – in der jüngeren Vergangenheit zu vermehrten Straftaten gewaltbereiter Fans im Zusammenhang mit Fußballspielen der Würzburger Kickers gekommen“ sei. Insoweit sei eine „zunehmende Intensität […] zu beachten“, weshalb „potenziellen Nachahmungstätern auch durch die vorliegende Entscheidung deutlich vor Augen“ zu führen sei, „dass solch Dritte gefährdendes Verhalten aus einer vermeintlich harmlosen Gruppe von Fußballfans heraus keinesfalls akzeptiert oder geduldet werden“ könne. „Auch aus Präventionsgründen“ bedürfe „es daher in derartigen Fällen der Verhängung nicht unerheblicher Strafen“.
bb) Wird - wie hier - generalpräventiven Gesichtspunkten bei der Strafzumessung besonderes Gewicht beigemessen, ist zu beachten, dass die von einem Strafgesetz bezweckte generalpräventive Wirkung in erster Linie der Strafdrohung des Gesetzes zukommt. Bei der konkreten Strafbemessung darf der Gesichtspunkt der allgemeinen Abschreckung, den der Gesetzgeber bei der Aufstellung eines bestimmten Strafrahmens bereits berücksichtigt hat, daher nicht lediglich unter Heranziehung der Tatbestandsmerkmale strafschärfend berücksichtigt werden, um nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB zu verstoßen (BayObLG, Beschl. v. 28.04.1988 – RReg 4 St 42/88 = BayObLGSt 1988, 62, 66 f. = OLGSt StGB § 46 Nr 5 = StV 1988, 434). Demgemäß können generalpräventive Erwägungen – im Rahmen der Schuldangemessenheit – die Verhängung einer höheren als der sonst angemessenen Strafe nur rechtfertigen, wenn eine gemeinschaftsgefährliche, außergewöhnliche Zunahme von Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist. Eine vermehrte Delinquenz hat das Tatgericht in den Urteilsgründen durch Tatsachen, etwa unter Darstellung statistischen Materials, aus dem Rückschlüsse auf den gegenwärtigen und den früheren Zustand gewonnen werden können, zu belegen, weil anderenfalls das Revisionsgericht nicht in den Stand gesetzt ist zu prüfen, ob zu Recht von einer ein dringendes öffentliches Interesse an allgemeiner Abschreckung zum Schutz der Gemeinschaft gegebenen Zunahme ausgegangen worden ist (BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – 4 StR 132/23 bei juris = BeckRS 2023, 29232; 13.10.2022 – 4 StR 174/22 = StV 2023, 316 = BeckRS 2022, 30191; 17.02.1993 – 2 StR 31/93 = BGHR StGB § 46 Abs 1 Generalprävention 7 = BeckRS 1993, 31105896; BayObLG a.a.O.; OLG Dresden, Beschl. v. 07.04.2020 - 1 OLG 23 Ss 216/20 = Blutalkohol 57 [2020], 230 = ZfSch 2020, 525 = BeckRS 2020, 7543, jew. m.w.N.). Durch Tatsachen belegte Feststellungen dieser Art enthält das angefochtene Berufungsurteil indes nicht.
III.
Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel ist das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückzuverweisen.
IV.
Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.
Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg
Anmerkung:
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