Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 12.10.2023 - 202 StRR 72/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn sich im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs aus dem amtsgerichtlichen Urteil nicht ergibt, ob dem Getäuschten ein Schaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB entstanden ist.
2. Im Falle der wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch besteht keine Bindung des Berufungsgerichts gemäß § 327 StPO an die amtsgerichtlichen Feststellungen zum gewerbsmäßigen Handeln im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB. Vielmehr hat das die Berufungskammer insoweit eigene Feststellungen zu treffen.
In pp.
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 27.06.2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 21.06.2022 wegen Betrugs in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 27.06.2023 das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt wird. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten ist begründet und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils (§ 349 Abs. 4 StPO) und Zurückverweisung der Sache.
1. In den Fällen II. 1. und 3. des amtsgerichtlichen Urteils ist das Landgericht zu Unrecht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch gemäß § 318 Satz 1 StPO ausgegangen und hat deshalb keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen. Dies hat das Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge von Amts wegen zu prüfen, weil das Fehlen erforderlicher Feststellungen durch die Berufungskammer einen sachlich-rechtlichen Mangel des Berufungsurteils darstellt.
a) Zwar ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich zulässig. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so knapp sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und die erstinstanzlichen Feststellungen deshalb keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können (vgl. nur BGH, Beschl. v. 27.04.2017 - 4 StR 547/16 = BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2482 = NZV 2017, 433 = StraFo 2017, 280; Urt. v. 02.12.2015 - 2 StR 258/15 = StV 2017, 314) oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (vgl. etwa BGH, Urt. v. 06.08.2014 – 2 StR 60/14 = NStZ 2014, 635 und Urt. v. 19.03.2013 – 1 StR 318/12 = wistra 2013, 463; BayObLG, Beschl. v. 03.07.2023 – 202 StRR 34/23; 18.03.2021 - 202 StRR 19/21, jew. bei juris).
b) Derartige zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch führende Defizite haften dem erstinstanzlichen Urteil hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Betruges in den Fällen II. 1. und 3. des amtsgerichtlichen Urteils an, weil unklar bleibt, ob der Angeklagte den Straftatbestand des Betrugs verwirklicht hat. Aus den Feststellungen des Amtsgerichts ergibt sich nämlich nicht, ob die Getäuschten jeweils einen Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB erlitten haben.
aa) Das Amtsgericht hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
(1) Fall II.1:
Der Angeklagte verkaufte am 13.02.2021 einen gebrauchten Pkw an den E. zum Preis von 2.750 Euro. Hierbei gab er wahrheitswidrig an, dass er die Bremsen erneuern, die Scheinwerfer aufbereiten, eine Generalüberholung machen und einen Satz Sommerreifen beigeben werde. Der Käufer bezahlte den Kaufpreis an den Angeklagten, der am 17.02.2021 den Pkw an die Ehefrau des Geschädigten übergab, ohne die vereinbarten Zusatzleistungen erbracht zu haben.
(2) Fall II.3:
Am 17.02.2021 kaufte der Angeklagte unter Vortäuschung seiner Leistungsfähigkeit und -willigkeit von der Verkäuferin S. einen Satz Autoreifen zum Preis von 140 Euro. Der Angeklagte zahlte den vereinbarten Preis - wie von ihm von vornherein geplant - nicht, obwohl er die Reifen von der Getäuschten erhielt.
bb) Durch die im amtsgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen ist in diesen Fällen der für die Verwirklichung des Betrugstatbestands nach § 263 Abs. 1 BGB erforderliche Eintritt eines Vermögensschadens nicht belegt. Die Beurteilung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Vermögensschaden eingetreten ist, erfolgt bei Austauschverhältnissen im Wege der Gesamtsaldierung. Ein Vermögensnachteil des Getäuschten ist nur dann anzunehmen, wenn die von diesem getroffene Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt, wobei es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Vermögensverfügung ankommt (st.Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urt. v. 01.06.2023 – 4 StR 225/22 = GesR 2023, 528; Beschl. v. 16.02.2022 – 4 StR 396/21 = wistra 2022, 471 = ZInsO 2022, 1057; Beschl. v. 19.07.2023 – 2 StR 77/22 bei juris; 16.02.2022 – 4 StR 396/21 = ZInsO 2022, 1057 = wistra 2022, 471; BayObLG, Beschl. v. 26.09.2023 - 202 StRR 68/23 bei juris).
(1) Im Fall II.1 wäre unter Zugrundelegung dieser Vorgaben dem Getäuschten ein Schaden nur dann entstanden, wenn der Verkehrswert des an den Käufer übereigneten Fahrzeugs im Zeitpunkt der Vermögensverfügung unter dem hierfür an den Angeklagten entrichteten Kaufpreis gelegen hätte. Da das Amtsgericht den Verkehrswert des Fahrzeugs im relevanten Zeitpunkt der Vermögensverfügung aber nicht festgestellt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der objektive Wert des Fahrzeugs - ohne Berücksichtigung der vom Angeklagten versprochenen und nicht erbrachten Zusatzleistungen - dem an den Angeklagten entrichteten Kaufpreis entsprochen hat und demgemäß kein Schaden eingetreten wäre.
(2) Die gleichen Erwägungen gelten für den im Fall II.3 geschilderten Reifenkauf. Es bleibt gänzlich offen, ob die von der Getäuschten dem Angeklagten überlassenen Fahrzeugreifen überhaupt noch einen Verkehrswert hatten und gegebenenfalls in welcher Höhe ein solcher anzusetzen wäre.
2. Im Fall II.2 des amtsgerichtlichen Urteils ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zwar wirksam, jedoch hält die Strafzumessung der Berufungskammer der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die Berufungskammer ist insoweit zu Recht von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch im Sinne des § 318 Satz 1 StPO ausgegangen. Denn die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils bieten unter Zugrundelegung der oben dargelegten Prämissen eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung. Aus den Feststellungen im Ersturteil ergibt sich insbesondere, dass der Käuferin durch die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 2.999 Euro ein Vermögensschaden entstanden ist. Die hierdurch eingetretene Vermögensminderung auf Seiten der Getäuschten wird nicht durch den Gegenanspruch der Käuferin auf Übereignung des Kraftfahrzeugs kompensiert. Denn dieser Anspruch war wertlos, weil der Angeklagte nach den Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil leistungsunwillig war (vgl. BGH, Beschl. v. 05.12.2017 – 4 StR 323/17 = NStZ 2018, 538; 24.03.2015 – 4 StR 463/14, bei juris).
b) Gleichwohl kann das Berufungsurteil auch insoweit keinen Bestand haben, weil die Strafzumessung rechtsfehlerhaft ist. Die Berufungskammer hat den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB zu Grunde legt, aber keine Feststellungen zum Vorliegen eines Regelfallbeispiels getroffen. Offensichtlich ist die Berufungskammer in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht von gewerbsmäßigem Handeln ausgegangen, ohne dass dies durch Feststellungen belegt wurde. Von eigenen Feststellungen zur Frage der Gewerbsmäßigkeit war die Strafkammer nicht etwa deshalb befreit, weil das Amtsgericht entsprechende Feststellungen getroffen hatte. Insoweit bestand gerade keine Bindungswirkung gemäß § 327 StPO. Denn die Feststellungen des Amtsgerichts zum Merkmal der Gewerbsmäßigkeit i.S.d. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB, der nicht als Qualifikationstatbestand, sondern als reine Strafzumessungsregel ausgestaltet ist, betreffen allein den Rechtsfolgenausspruch. Die Gewerbsmäßigkeit stellt auch keine doppelrelevante, d.h. für den Schuld- und den Rechtsfolgenausspruch maßgebliche Tatsache dar, weil die Tatbegehung als solche von dem allein subjektiven Umstand des gewerbsmäßigen Handelns im Sinne einer reinen Handlungsmotivation ohne weiteres getrennt werden kann, ohne dass es zu widersprüchlichen Ergebnissen käme (vgl. BGH, Beschl. v. 20.06.2017 – 1 StR 458/16 = BGHSt 62, 202 = NJW 2017, 2847 = wistra 2018, 133 = StV 2018, 265; BayObLG, Beschl. v. 09.12.2021 - 202 StRR 136/21, bei juris; 12.07.2021 - 202 StRR 37/21 = NStZ 2022, 127; 18.03.2021 - 202 StRR 19/21, bei juris).
III.
Aufgrund der aufgezeigten Mängel ist das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten mitsamt seinen Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückzuverweisen.
Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg
Anmerkung:
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