Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 20.10.2023 – 3 Ws 50/23 – 161 AR 180/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Verkündet das Tatgericht vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die vorschriftsmäßige Besetzung ein Urteil, so ist das Vorabentscheidungsverfahren erledigt. Der Einwand vorschriftswidriger Besetzung kann sodann im Rahmen der Revision geltend gemacht werden.
2. Die zulässige Begründung der Besetzungsrüge erfordert gemäß § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen, die den behaupteten Besetzungsfehler begründen. Wird der Besetzungseinwand auf den Umfang der Akten gestützt wird, dürften konkrete Angaben zu dem tatsächlich zu bewältigenden Aktenbestand erforderlich sein.
3. Die in § 222b Abs. 2 Satz 1 StPO vorgesehene Entscheidung des Tatgerichts über seine ordnungsgemäße Besetzung ist durch mit Gründen versehenen Beschluss zu treffen. Sie dient insbesondere im Falle der Zurückweisung des Besetzungseinwands der Selbstüberprüfung und soll die ihr zugrundeliegenden Erwägungen für die Verfahrensbeteiligten sowie das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar und überprüfbar machen.
(2. und 3. nicht tragend)
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen gefährlicher Körperverletzung pp.
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 20. Oktober 2023 beschlossen:
Der vom Nebenkläger erhobene Besetzungseinwand ist erledigt.
Eine Entscheidung über die Kosten und Auslagen ist nicht veranlasst.
Gründe:
I.
Die große Strafkammer 34 des Landgerichts Berlin hat mit Beschluss vom 11. September 2023 unter Eröffnung des Hauptverfahrens die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 9. August 2023 zur Hauptverhandlung zugelassen. Gleichzeitig hat sie hinsichtlich ihrer Besetzung in der Hauptverhandlung entschieden, dass diese gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4 GVG mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt sein wird. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat der Vorsitzende die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses veranlasst, Termin zur Hauptverhandlung auf den 27. September 2023 anberaumt und die Ladung der Beteiligten sowie die Übersendung der Besetzungsmitteilung angeordnet. Mit Schriftsatz vom 14. September 2023 hat Rechtsanwalt A für den Nebenkläger B die Besetzung des Gerichts nach § 222b Abs. 1 StPO gerügt und bemängelt, dass die Kammer nach § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 GVG keine Dreierbesetzung beschlossen hat. Im Rahmen der Begründung hat er ausgeführt, weshalb die Anberaumung der Verhandlung als Tagessache aufgrund des aus seiner Sicht erforderlichen Hauptverhandlungsprogramms, das neben der Inaugenscheinnahme eines einstündigen Tatvideos, der Hinzuziehung eines waffenkundigen Sachverständigen und weiterer Zeugen bestehen sollte, unzureichend sei. Ferner hat der Nebenkläger auf die in dem vor der 42. großen Strafkammer geführten Parallelverfahren bereits durchgeführten über 20 Hauptverhandlungstage hingewiesen, in dem unter anderem gegen fünf vermeintliche Mitbeteiligte an der vorliegend angeklagten Tat mit umfangreichem Prozessstoff und einem Aktenbestand von aktuell 21 Verfahrensbänden, 24 Sonderbänden und einer Beiakte verhandelt werde.
Vorliegend gebiete der Umfang der Akten, in die aufgrund der bislang lediglich gewährten Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle bis dato keine Einsicht genommen worden sei, sowie die erforderliche Hinzuziehung eines Dolmetschers und das aufgrund des (bislang) schweigenden Angeklagten gebotene Beweisprogramm die Besetzung der Kammer mit drei – statt nur zwei - Berufsrichtern.
In seiner Verfügung vom 18. September 2023 hat der Kammervorsitzende zunächst vermerkt, dass die Kammer nach Beratung den Besetzungseinwand für unbegründet halte. Eine Zweierbesetzung sei ausreichend, da die Hauptakten aus zwei Bänden bestünden und der Tatvorwurf gegen den einen Angeklagten überschaubar sei. Die Sache sei als Tagessache für den 27. September 2023 terminiert. Ferner sei nach dortiger Rechtsansicht im neuen Vorlageverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO ein förmlicher Beschluss nicht erforderlich. Sodann hat der Kammervorsitzende die Vorlage des Besetzungseinwands – über die Staatsanwaltschaft Berlin – an das Kammergericht verfügt.
Der Beschwerdeband ging nebst Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom gleichen Tag am 26. September 2023 beim Senat ein. Von hier aus wurde dem Verteidiger und Rechtsanwalt A Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Vermerk des Vorsitzenden und der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin bis zum 28. September 2023, 12 Uhr gewährt. Der vor Fristablauf eingegangene Schriftsatz von Rechtsanwalt A lag vor.
In der Hauptverhandlung am 27. September 2023 hat die 34. große Strafkammer den Angeklagten wegen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und zur Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
II.
Der Besetzungseinwand des Nebenklägers ist durch das ergangene Urteil vom 27. September 2023 prozessual überholt.
Verkündet das Tatgericht vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die vorschriftsmäßige Besetzung ein Urteil, so ist das Vorab-entscheidungsverfahren erledigt. So liegt der Fall hier. Der Einwand vorschriftswidriger Besetzung kann sodann im Rahmen der Revision geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2023 – 2 StR 87/22 -, juris; Kammergericht, Beschluss vom 7. September 2021 – 4 Ws 69-70/21 –; BT-Drucks. 19/14747, S. 32).
Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob der entweder in direkter oder analoger Anwendung des § 222b StPO statthafte Einwand gegen die Gerichtsbesetzung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Februar 2023 – 4 Ws 20/23 –, BeckRS 2023, 2294 m. w. N.) vorliegend überhaupt zulässig war. Dabei folgen die Anforderungen an die Begründung der Besetzungsrüge nach § 222b Abs. 1 S. 2 StPO den Anforderungen aus § 344 Abs. 2 S. 2 StPO an eine Verfahrensrüge im Revisionsrecht (vgl. KG, Beschluss vom 1. März 20/21 – 4 Ws 14/21 –, juris; OLG Stuttgart, a. a. O.; BT-Drs 19/14747, S. 29). Erforderlich ist eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen, bei der alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen aus sich heraus so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden müssen, dass eine abschließende Prüfung durch das zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (KG, a. a. O.). Ob die Besetzungsrüge diesen Anforderungen genügt, erscheint bereits vor dem Hintergrund, dass der Besetzungseinwand insbesondere auch auf den Umfang der Akten gestützt wird, gleichzeitig aber keine konkreten Angaben zu dem in diesem Verfahren tatsächlich zu bewältigenden Aktenbestand enthält, zumindest fraglich. Dies gilt insbesondere angesichts des Hinweises des Vorsitzenden vom 18. September 2023, dass die Hauptakten (nur) aus zwei Aktenbänden bestünden.
Die Sachbehandlung des Besetzungseinwands durch die Strafkammer gibt Anlass zu folgender Anmerkung des Senats:
Die in § 222b Abs. 2 Satz 1 StPO vorgesehene Entscheidung des Tatgerichts über seine ordnungsgemäße Besetzung ist durch mit Gründen versehenen Beschluss zu treffen (vgl. Jäger in Löwe-Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 222b Rn. 22; Arnoldi in MüKo-StPO 1. Aufl. § 222b Rn. 21; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 222b Rn. 13). Sie dient insbesondere im Falle der Zurückweisung des Besetzungseinwands der Selbstüberprüfung und soll die ihr zugrundeliegenden Erwägungen für die Verfahrensbeteiligten sowie das Rechtsmittelgericht nach-vollziehbar und überprüfbar machen und auch die in § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO vorgesehene Besetzung erkennen lassen. Insoweit tritt der Senat der in dem Vermerk des Kammervorsitzenden vom 18. September 2023 niedergelegten Rechtsauffassung, dass im neuen Vorlageverfahren gemäß 222b Abs. 3 StPO ein förmlicher Beschluss des Tatgerichts über die Begründetheit des Besetzungseinwands nicht erforderlich sei, entgegen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist bei der vorliegenden prozessualen Überholung des eingelegten Rechtsmittels nicht veranlasst (KG, Beschluss vom 7. September 2021 a. a. O.; OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2020 – 2 Ws 36/20 –, juris; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Auflage, Vor § 296 Rn. 17).
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
Anmerkung:
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