Gericht / Entscheidungsdatum: LG Augsburg, Beschl. v. 23.11.2023 - 8 Qs 307/23
Eigener Leitsatz:
Hat sich der Beschuldigte in einem Termin nach § 115 StPO zur Sache eingelassen und hat der Verteidiger einen Antrag zur Fortdauer der Untersuchungshaft gestellt, liegt ein Verhandeln i.S. der Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG vor.
Landgericht Augsburg
8 Qs 307/23
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen versuchte Körperverletzung u. a.
erlässt das Landgericht Augsburg - 8. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 23. November 2023 folgenden
Beschluss
1. Die Beschwerde der Staatskasse gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Augsburg vom 31.08.2023 und 02.10.2023 wird als unbegründet verworfen.
2. Das Verfahren ist gebührenfrei.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg führte zunächst unter dem (führenden) Aktenzeichen 202 Js 105086/22 gegen den später Verurteilten pp. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der vorsätzlichen Körperverletzung. In diesem Verfahren wurde dem damals noch Beschuldigten auf Antrag seiner Verteidigerin hin durch Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 28.04.2022 Rechtsanwältin pp. als Pflichtverteidigerin bestellt.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 30.05.2022 hin erließ das Amtsgericht Augsburg am 15.07.2022 einen Haftbefehl (Gz. 61 Gs 4415/22) gegen pp. wegen des dringenden Tatverdachts des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen und versuchter Körperverletzung und Diebstahl in drei Fällen. Das Amtsgericht Augsburg führte in dem Haftbefehl aus, dass der Haftgrund der Flucht bestünde, da pp. flüchtig sei bzw. sich verborgen halte. Er sei ohne festen Wohnsitz und unbekannten Aufenthalts.
Nach Ergreifung des später Verurteilten - der sich zwischenzeitlich in Strafhaft in anderer Sache befand - fand am 04.08.2022 die Vernehmung des Beschuldigten nach Ergreifung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls durch den zuständigen Richter (§ 115 StPO) vor dem Amtsgericht Augsburg statt. In diesem Termin gab die Pflichtverteidigerin für den Beschuldigten eine Einlassung zur Sache ab und stellte den Antrag, nach Aktenlage zu entscheiden. Diese Erklärung wurde seitens des Beschuldigten ausdrücklich genehmigt.
Daraufhin erließ das Amtsgericht Augsburg einen Beschluss, wonach der Haftbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 15.07.2022 aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt wurde. Zusätzlich wurde Überhaft angeordnet.
Am 20.12.2022 erhob die Staatsanwaltschaft Augsburg sodann Anklage gegen pp. zum Amtsgericht Augsburg - Schöffengericht -, wobei dieser beschuldigt wurde, einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen und versuchte Körperverletzung und Diebstahl in vier tatmehrheitlichen Fällen begangen zu haben.
Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg - Schöffengericht - vom 03.04.2023 wurde der Verurteilte wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen und versuchte Körperverletzung und Diebstahl in vier tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 1 Monat verurteilt, wobei die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet wurde. Das Urteil ist seit dem 03.04.2023 rechtskräftig.
II.
Mit Antrag vom 26.04.2023 beantragte die Pflichtverteidigerin des Verurteilten die Kostenfestsetzung für das Verfahren, wobei sie u.a. eine Terminsgebühr Strafrecht außerhalb Hauptverhandlung - mit Zuschlag § 14 RVG, § 49 RVG i.V.m. Nr. 4103 VV RVG begehrte. Hintergrund für diese Gebühr war die am 04.08.2022 erfolgte Vernehmung des (damaligen) Beschuldigten nach Ergreifung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls durch den zuständigen Richter (§ 115 StPO) vor dem Amtsgericht Augsburg.
Mit Stellungnahme vom 16.06.2023 führte die Bezirksrevisorin bei dem Amtsgericht Augsburg aus, dass die beantragte Gebühr nach Nr. 4103, 4102 Nr. 3 VV RVG nicht festgesetzt werden könne, da der Gebührentatbestand mangels eines „Verhandelns" in dem Termin nicht erfüllt sei.
Mit Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 24.07.2023 wurden die der „Wahlverteidigerin" [sie] aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf insgesamt 2.639,48 EUR festgesetzt, wobei die geltend gemachte Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG i.H.v. 183,00 EUR abgesetzt wurde.
Hiergegen erhob Rechtsanwältin pp. mit Schreiben vom 11.08.2023 Erinnerung. Mit Beschluss vom 23.08.2023 half das Amtsgericht Augsburg der Beschwerde nicht ab und legte die Akte der zuständigen Richterin zur weiteren Entscheidung vor.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 31.08.2023 wurde der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24.07.2023 dann dahingehend abgeändert, dass zusätzlich eine Terminsgebühr Nr. 4103, 4102 Nr. 3 VV RVG in Höhe von 183,00 EUR festgesetzt wurde.
Nach Gegendarstellung der Bezirksrevisorin bei dem Amtsgericht Augsburg vom 08.09.2023 half das Amtsgericht Augsburg der Beschwerde der Rechtsanwältin pp. vom 21.09.2023 dahingehend ab, dass der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 31.08.2023 dahingehend ergänzt wurde, dass auch die gesetzlich auf die festgesetzte Terminsgebühr Nr. 4103 4102 Nr. 3 VV RVG anfallende Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG festgesetzt wurde.
Gegen diese Beschlüsse erhob der Bezirksrevisor bei dem Amtsgericht Augsburg mit Verfügung vom 05.10.2023 Beschwerde und beantragt, die Beschlüsse des Amtsgerichts Augsburg vom 02.10.2023 und 31.08.2023 aufzuheben, die Erinnerung der Rechtsanwältin pp. vom 11.08.2023 und die Beschwerde der Rechtsanwältin pp. vom 21.09.2023 als unbegründet zurückzuweisen.
III.
1. Die Beschwerde der Staatskasse ist statthaft, fristgerecht eingelegt(§ 56 Abs. 2 Satz i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die für den Beschwerdegegenstand maßgebliche Wertgrenze von 200,00 EUR erreicht (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet und hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochte nen Entscheidungen des Amtsgerichts Augsburg entsprechen der Sach- und Rechtslage.
Deren Begründung wird durch das Beschwerdevorbringen, das sich in dem wiederholten Vorbringen erschöpft, ein „Verhandeln" im Sinne des Gebührentatbestands habe nicht stattgefunden, nicht entkräftet. Die Kammer teilt die Auffassung, dass die Terminsgebühr VV 4103, 4102 Nr. 3 RVG angefallen und dementsprechend auch festzusetzen ist.
VV 4103 RVG sieht eine Gebühr mit Zuschlag für die Gebührentatbestände der VV 4102 RVG vor. VV 4102 Nr. 3 RVG sieht eine Terminsgebühr für Termine außerhalb der Hauptverhandlung, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird, vor.
Bei der am 04.08.2022 erfolgten Vernehmung des (damaligen) Beschuldigten nach Ergreifung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls durch den zuständigen Richter(§ 115 StPO) vor dem Amtsgericht Augsburg handelt es sich um einen solchen Termin außerhalb der Hauptverhandlung, in dem über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wird. Unstreitig kann ein solcher Termin nämlich auch ein sog. ,,Vorführtermin" sein, der hier zweifelsfrei außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt ist.
Wie seitens der Staatskasse zutreffend ausgeführt wird, ist für das Entstehen dieser Gebühr ein „Verhandeln" erforderlich (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4102 Rn. 13). Mit diesem Erfordernis wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht von diesem Gebührentatbestand erfasst werden und die Teilnahme des Rechtsanwalts an derartigen Terminen nicht gesondert honoriert wird (vgl. OLG Saarbrücken, B. v. 25.06.2014, 1 Ws 85/14 - juris Rn. 7).
Entgegen der Auffassung der Staatskasse hat ein solches „Verhandeln" im Termin vom 04.08.2022 jedoch stattgefunden. Daran ändert auch der abermalige Verweis der Staatskasse in der Beschwerdebegründung vom 05.10.2023 auf die Entscheidungen des OLG Saarbrücken (B. v. 25.06.2014, 1 Ws 85/14 - juris) und OLG Bamberg (B. v. 19.01.2012, 1 Ws 692/20 - juris) nichts, da selbstverständlich die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick zu nehmen sind und den zitierten Entscheidungen - soweit ersichtlich - ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde lag:
Der Entscheidung des OLG Bamberg lag ein Haftbefehlseröffnungstermin zugrunde, nachdem das Landgericht nach Anklageerhebung gegen den später Verurteilten einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl erließ. Der darauf folgende Termin zur Verkündung und Eröffnung des neuen Haftbefehls fand in Anwesenheit des Pflichtverteidigers statt. Nach der Vereidigung des Dolmetschers und der Feststellung der Personalien des zum damaligen Zeitpunkt Angeschuldigten wurde diesem eine Haftbefehlsabschrift überreicht. Anschließend wurde die Sitzung kurz unterbrochen. Nach Fortsetzung der Sitzung erklärte der Angeschuldigte, dass er den Haftbefehl erhalten habe, dieser ihm vom Dolmetscher vorgelesen worden sei und er ihn verstanden habe. Er bestätigte, die im Haftbefehl benannte Person zu sein. Nach gerichtlicher Belehrung des Angeschuldigten über dessen Rechte erklärte der Verteidiger, dass eine Einlassung zur Person und zur Sache bis zur Hauptverhandlung zurückgestellt werde. Dies bestätigte der Angeschuldigte. Anschließend bestätigte das Landgericht den neuen Haftbefehl.
Ersichtlich erfolgte in diesem Haftprüfungstermin gerade keine Einlassung zur Sache, auch eine Antragstellung durch den Verteidiger erfolgte nicht. Vielmehr erschöpfte sich die „Leistung" des Verteidigers hier darin, seinen Mandanten dahingehend zu beraten, keine Einlassung zur Sache und zur Person abzugeben. Zutreffend ließ das OLG Bamberg dies nicht ausreichen, da das Landgericht durch diese Erklärung gar nicht in die Lage versetzt werden konnte über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Fortdauer der Untersuchungshaft ernsthaft zu entscheiden.
Auch hinsichtlich des der Entscheidung des OLG Saarbrücken zugrunde liegenden Sachverhalts hatte sich der damalige Beschuldigte nach vorläufiger Festnahme im Rahmen zweier Haftvorführungen nicht zum Sachverhalt oder zu den Haftgründen eingelassen, sondern von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht. Anträge stellte der Verteidiger - soweit sich der Entscheidung entnehmen lässt - jeweils nicht.
Damit wird bereits der Unterschied zu dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt deutlich: In dem Termin am 04.08.2022 hat die Verteidigerin für den (damaligen) Beschuldigten eine Einlassung zur Sache abgegeben, an die sich der Beschuldigte anschließend im Rahmen eines (etwaigen) Hauptverfahrens auch zu messen hätte. Zusätzlich hat die Verteidigerin auch den Antrag gestellt, nach Aktenlage zu entscheiden. Wie sich sowohl den zitierten Entscheidungen als auch der Kommentarliteratur (vgl. etwa Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4102 Rn. 14) wie auch der Gesetzesbegründung (vgl. ST-Drucks. 15/1971, S. 223) entnehmen lässt, sollen die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine von dem Gebührentatbestand nicht erfasst werden. Schließt sich allerdings eine Verhandlung über die Fortdauer der Untersuchungshaft an, entsteht die Terminsgebühr (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 223).
Vorliegend hat ein solches „Verhandeln" über die Fortdauer der Untersuchungshaft stattgefunden. Wie ein Blick in § 112 Abs. 1 StPO zeigt, setzt die Anordnung der Untersuchungshaft voraus, dass der Beschuldigte einer Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Dementsprechend kann selbstverständlich auch eine Einlassung zur Sache die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft entfallen lassen. Hierzu hat sich der Beschuldigte in dem Termin über seine Verteidigerin eingelassen. Allein der Umstand, dass der Beschuldigte den Tatvorwurf nicht bestritten hat, kann seiner Verteidigerin bei der Beurteilung, ob ein Verhandeln im Sinne des Gebührentatbestands vorliegt, nicht anschließend im Kostenfestsetzungsverfahren zum Nachteil gereichen.
Zusätzlich hat die Verteidigerin auch den Antrag gestellt, nach Aktenlage zu entscheiden. Damit hat sie sehr wohl einen Antrag hinsichtlich der Fortdauer der Untersuchungshaft gestellt:
Das Amtsgericht Augsburg ist nämlich bei Erlass des Haftbefehls am 15.07.2022 irrig davon ausgegangen, dass der Haftgrund der Flucht nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO vorliegt. Zu diesem Zeitpunkt saß der Beschuldigte jedoch bereits in Strafhaft in anderer Sache in einer Justizvollzugsanstalt ein, sodass das Amtsgericht Augsburg spätestens bei der Haftbefehlseröffnung am 04.08.2022 dazu angehalten gewesen wäre, den Haftbefehl vom 15.07.2022 nicht aufrechtzuerhalten, sondern richtigerweise aufzuheben und ggf. einen neuen Haftbefehl mit einem tragfähigen Haftgrund zu erlassen.
Ein darüberhinausgehendes Verhandeln - wie von den Bezirksrevisoren des Amtsgerichts Augsburg für erforderlich erachtet - ist hier nicht zu fordern. Die Verteidigerin hat mit ihrer Tätigkeit innerhalb des Termins am 04.08.2022 alles Erforderliche hierfür getan, den Gebührentatbestand VV 4103, 4102 Nr. 2 RVG zu erfüllen.
IV.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, § 56 Abs. 2 Satz 2. RVG. Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.
Einsender: RA W. Ruisinger, Augsburg
Anmerkung:
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