Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 06.03.2023 - 1 ORbs 63/23
Eigener Leitsatz:
Ein Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG kann noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
BESCHLUSS
1 ORbs 63/23
In der Bußgeldsache
gegen pp.
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 06. März 2023 durch den Richter am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
1. Auf den Antrag des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Wernigerode vom 19. Dezember 2022 aufgehoben.
2. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Wernigerode vom 15. August 2022 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Wernigerode zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 15. August 2022 hat das Amtsgericht Wernigerode den Einspruch des Betroffenen vom 04. Juni 2021 gegen den Bußgeldbescheid der Polizeiinspektion Zentrale Dienste - Zentrale Bußgeldstelle - (3841-082790-2) gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Dieses Urteil ist dem Betroffenen am 21. November 2022 und dem Verteidiger am 27. November 2022 zugestellt worden.
Die am 15. August 2022 erhobene und am gleichen Tag bei dem Amtsgericht Wernigerode eingegangene Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die dieser am 19. Dezember 2022 mit Schriftsatz des Verteidigers begründet hat, verwarf das Amtsgericht Wernigerode mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 gemäß § 346 StPO i. V. m. §§ 79, 80 OWiG.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem mit Schriftsatz des Verteidigers vom 06. Januar 2023 erhobenen Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 28. Februar 2023 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Wernigerode vom 19. Dezember 2022 aufzuheben und auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Wernigerode vom 15. August 2022 aufzuheben und die Sache am die bislang zuständige Abteilung des Amtsgerichts Wernigerode zurückzuverweisen.
1. Der Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zulässig, insbesondere fristgemäß gestellt worden (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 346 Abs. 2 Satz 1 StPO), und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 28. Februar 2023 hierzu ausgeführt:
"Der Beschluss des Amtsgerichts Wernigerode vom 19. Dezember 2022 bedarf der Aufhebung mit der Wirkung, dass das Rechtsbeschwerdeverfahren seinen Fortgang nimmt (vgl. Gericke in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 346 Rn. 22). Das Verwerfungsurteil wurde dem Betroffenen am 21. November 2022 sowie seinem Verteidiger am 27. November 2022 zugestellt (BI. 94, 95 d. A.). Damit endet die Begründungsfrist mit Ablauf des 27. Dezember 2022. Da die Rechtsbeschwerde rechtzeitig eingelegt worden ist (BI. 78 d. A.) und die Beschwerdeanträge und ihre Begründung am 19. Dezember 2022 beim Amtsgericht Wernigerode eingegangen sind (BI. 96 ff. d. A.), ist die Rechts-beschwerde rechtzeitig begründet worden, mithin zulässig. Daher ist der Beschluss des Amtsgerichts Wernigerode vom 19. Dezember 2022 unrichtig und aufzuheben."
2. Die Rechtsbeschwerde hat mit der gemäß §§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG formgerecht erhobenen Verfahrensrüge des Verstoßes gegen §§ 74 Abs. 2, 73 Abs. 2 OWiG Erfolg.
Die Rüge des Verstoßes gegen § 74 Abs. 2 OWiG, mithin das Gericht habe den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu Unrecht verworfen, kann nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Eine solche ist hier erhoben, sie ist als Rüge des Verstoßes gegen das Recht der Betroffenen auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung und Verletzung des rechtlichen Gehörs auszulegen (Göhler/Seitz, OWiG, 18. Aufl., § 73 Rn. 16, 24; § 74 Rn. 48a ff.; § 80 Rn. 16b).
Die Rüge ist auch ausreichend ausgeführt, da die Betroffene die Verfahrenstatsachen dafür, dass das Amtsgericht ihr Ausbleiben nicht als unentschuldigt hätte ansehen dürfen, im Einzelnen so konkret dargelegt hat, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen zuträfe.
Die Rüge ist auch begründet, wobei der Senat vollumfänglich auf die Ausführungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Februar 2023 Bezug nimmt. Diese hat wie folgt ausgeführt:
„Das Amtsgericht Wernigerode hätte dem Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen stattgeben müssen. Ein Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG kann, wie hier geschehen, noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden (OLG Celle VRS 116, 451; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 258). Dass der Betroffene die Ladung des Gerichts nicht befolgt hat, führt nicht zu einem unentschuldigten Ausbleiben im Termin der Hauptverhandlung. Da mit der Erklärung des Verteidigers, die Fahrereigenschaft werde eingeräumt, die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen, auch wenn eine Erklärung zum Schweigerecht des Betroffenen fehlt, war die Anordnung des persönlichen Erscheinens unter keinem Gesichtspunkt mehr erforderlich, zumal der Verteidiger eine Gehaltsabrechnung des Betroffenen mit sich führte und insoweit die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten aufgeklärt werden können. Hinzu tritt, dass der Verteidiger über eine Vollmacht verfügte, die ihn ermächtigte, den Betroffenen in dessen Abwesenheit in der Hauptverhandlung zu vertreten und Erklärungen für seinen Mandanten abzugeben. Vom Erscheinen des Betroffenen war eine nähere Aufklärung der entscheidungserheblichen Umstände nicht zu erwarten. Bei der gegebenen Sachlage kommt es auf den persönlichen Eindruck des Betroffenen nicht an (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 273). Weitere Auskünfte hätte der Verteidiger als Vertreter des Betroffenen i. S. d. § 73 Abs. 3 OWiG ohne Weiteres erteilen können.
Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler. Es ist deshalb mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuverweisen."
Dem Schließt sich der Senat an. Die Entscheidung über die Zurückverweisung folgt aus § 79 Abs. 6 OWiG.
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