Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 06.12.2023 – 12 Qs 77/23
Leitsatz des Gerichts:
Der auf § 102 StPO gestützte Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Beschuldigten rechtfertigt regelmäßig auch die Durchsuchung eines vom erwachsenen Kind des Beschuldigten bewohnten Zimmers, das Teil der Wohnung ist.
In pp.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.
Gründe
I.
Das Zollfahndungsamt München führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhehlerei. Am 5. Oktober erließ der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg einen auf § 102 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss u.a. für das Reihenhaus, das der Beschuldigte mit seiner Familie bewohnt. Dieser wurde am Donnerstag, dem 6. Oktober 2022 von Beamten des Zollfahndungsamts vollzogen. Bei der zunächst erfolgten Sichtung des Objekts bemerkten die Beamten im nicht abgeschlossenen Dachgeschosszimmer des Reihenhauses unversteuerte Zigaretten, eine Konsumeinheit Marihuana und einen Crusher. Als bald darauf die Ehefrau des Beschuldigten im Haus eintraf, teilte sie den Beamten mit, das Dachgeschosszimmer werde vom gemeinsamen 23-jährigen Sohn bewohnt. Kurz darauf erschien auch der Sohn und verlangte, nachdem ihn die Beamten mit ihrer Beobachtung konfrontiert hatten, einen Durchsuchungsbeschluss für sein Zimmer. Die Zollbeamten telefonierten daraufhin mit dem zuständigen Staatsanwalt, der um 17:17 Uhr die Durchsuchung des Dachgeschosszimmers auf der Grundlage von Gefahr im Verzug fernmündlich anordnete. Erst dann durchsuchten die Beamten das Zimmer und stellten dort Asservate sicher.
Mit Schreiben vom 17. November 2023 legte der Rechtsanwalt des Sohnes Beschwerde ein und beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung des Dachgeschosszimmers des Sohnes. Zudem verlangte er die Herausgabe der dort sichergestellten Asservate. Diese unterlägen einem Beweisverwertungsverbot. Die Mitteilung des vermeintlichen Drogenfunds an die Führerscheinstelle durch das Zollfahndungsamt sei rechtswidrig gewesen.
Der Ermittlungsrichter half der Beschwerde nicht ab. Die Staatsanwaltschaft beantragt deren Verwerfung als unbegründet.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Durchsuchung ist zwischenzeitlich vollzogen und damit erledigt. Die Beschwerde kann im gegebenen Fall der Durchsuchung einer Privatwohnung gleichwohl mit dem Ziel geführt werden, dass die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 - 1 BvR 1935/96, juris Rn. 18 f.; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 4. August 2023 - 12 Qs 57/23, juris Rn. 7; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., vor § 296, Rn. 18 f. m.w.N.).
2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Die Durchsuchung des Dachgeschosszimmers hatte bereits in der ermittlungsrichterlichen Durchsuchungsanordnung eine tragfähige Grundlage.
aa) Bei Mitbenutzung oder Mitgewahrsam des Durchsuchungsobjekts durch mehrere Personen, von denen nur ein Teil verdächtig ist, findet § 102 StPO Anwendung. Im unmittelbaren Einwirkungsbereich des Verdächtigen liegt das Auffinden von Beweismitteln so nahe, dass die von § 102 StPO vorausgesetzte entsprechende Vermutung bereits gerechtfertigt ist, auch wenn dadurch Nichtverdächtige betroffen werden. Voraussetzung ist aber, dass es sich tatsächlich um gemeinsam genutzte Räume handelt. Sind Räume hingegen ausschließlich dem unverdächtigen Mitbewohner zuzuordnen, scheidet eine Durchsuchung nach § 102 StPO aus. Bei Wohnungen und Räumen kann diese Rechtslage zu Härten für die Mitbewohner führen. Dies gilt für Familienwohnungen, aber auch für Arbeits-, Geschäfts- und Betriebsräume, die der Verdächtige nur mitbenutzt. Alle diese Räume werden nach § 102 StPO durchsucht, wenn nur ein Mitbenutzer Verdächtiger ist (BVerfG, Beschluss vom 9. August 2019 - 2 BvR 1684/18, juris Rn. 33; BGH, Urteil vom 15. Oktober 1985 - 5 StR 338/85, juris Rn. 5; Beschluss vom 8. April 1998 - StB 5/98, juris Rn. 5; Tsambikakis in LR-StPO, 27. Aufl., § 102 Rn. 38 f. m.w.N.).
bb) Daran gemessen durfte die Durchsuchung auf der Grundlage des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Nürnberg erfolgen. Bei dem Dachgeschosszimmer handelte es sich um einen Teil der gemeinsamen Familienwohnung, die sich über das ganze Reihenhaus erstreckte. Es bildete darin keine abgeschlossene, separate Einheit, etwa im Sinne einer Anliegerwohnung, sondern stand bei Eintreffen der Zollbeamten unabgeschlossen und war für alle Familienmitglieder zugänglich. Der für die Durchsuchung ausreichende Mitgewahrsam des Beschuldigten auch am Dachgeschosszimmer wurde weder dadurch ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer volljährig ist, noch dadurch, dass er es, angabegemäß, tatsächlich nutzt und bewohnt. Lassen bauliche oder sonst objektive Gegebenheiten nicht sicher darauf schließen, dass bestimmte Räume des Durchsuchungsobjekts vom Beschuldigten nicht genutzt werden, müssen die Beamten nicht schon deshalb von der Durchsuchung einzelner Räume Abstand nehmen, weil eine vor Ort anwesende Person angibt, diese würden nur in bestimmter Weise oder nur von bestimmten Personen genutzt.
b) Auf die mündliche Durchsuchungsanordnung kam es danach nicht an. Unschädlich ist auch, dass die Beamten des Zollfahndungsamtes und der Staatsanwalt eine abweichende Rechtsauffassung hegten und den Erlass einer mündlichen Durchsuchungsanordnung für erforderlich hielten, auf deren vermeintlicher Grundlage die Durchsuchung des Zimmers dann erfolgte. Dieser Rechtsirrtum nimmt dem richterlichen Beschluss nämlich nichts von seiner objektiv gegebenen, rechtfertigenden Kraft. So kann offenbleiben, ob die mündliche Anordnung für sich genommen rechtmäßig erging oder nicht.
3. Da somit – entgegen der Beschwerde – auch nichts für das Eingreifen eines Beweisverwertungsverbots spricht, war die Sicherstellung der beim Beschwerdeführer aufgefundenen Asservate nicht aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft wird, sollte sie die Asservate weiterhin brauchen, jedoch deren Beschlagnahme herbeiführen müssen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO.
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