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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Klimaaktivisten, gemeinschädliche Sachbeschädigung, erforderliche Feststellungen, innere Tatseite

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. v. 03.11.2023 - 3 ORs 72/23161 Ss 167/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Da eine Sachbeschädigung ausscheidet, wenn die Beseitigung der Substanzverletzung oder Funktionseinbuße mit keinem ins Gewicht fallenden Aufwand verbunden ist, muss der Täter es zumindest für möglich gehalten haben, dass deren Beseitigung einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert. Demjenigen, der sich bei Begehung der Tat (§ 16 StGB) über den Beseitigungsaufwand keinerlei Gedanken gemacht hat, fehlt das zur Bejahung des Vorsatzes erforderliche Wissenselement.
2. Entsprechende Feststellungen im Urteil sind nur dann entbehrlich, wenn der Tatvorsatz angesichts des Umfangs der Substanzverletzung oder der Funktionsbeeinträchtigung auf der Hand liegt.


3 ORs 72/23161 Ss 167/23

In der Strafsache
gegen pp.

wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 3. November 2023 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. August 2023 mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 10. Mai 2023 wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,- Euro verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht durch Urteil vom 23. August 2023 verworfen.

Nach den getroffenen Feststellungen entfernte die Angeklagte als Mitglied der Klimaaktivistengruppe „Letzte Generation“ am 22. Juni 2022 zusammen mit weiteren Mittätern vor dem Bundeskanzleramt eine dort verlegte Gehwegplatte und legte sie auf einem Rasenstück neben der ursprünglichen Verlegeposition ab. Dabei machte sich die Angeklagte keine Vorstellungen darüber, welcher Aufwand mit dem Wiedereinsetzen der Gehwegplatte verbunden sein würde (UA S. 3, erster Absatz). Den Tatvorsatz hat das Landgericht mit folgenden Erwägungen begründet (UA S. 4, vorletzter Absatz):

„Die Angeklagte beging die Sachbeschädigung zumindest mit Eventualvorsatz, auch wenn sie sich keine Vorstellungen zum Aufwand der Wiederherstellung der Brauchbarkeit des Gehwegs gemacht hatte; denn sie hat, da der Zustand des Gehwegs, egal mit welchem Aufwand, wieder herstellbar war und sie daran die Aktion mit dem ihr am Herzen liegenden Ziel eines Aufrüttelns der Öffentlichkeit nicht scheitern lassen wollte, billigend in Kauf genommen, dass die Platte auch bei einem nicht nur wesentlichen Wiederherstellungsaufwand entfernt wird.“

Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil im Gesamtstrafenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und im Übrigen die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die zulässige Revision dringt mit der Sachrüge durch, weil die Feststellungen zur inneren Tatseite nicht die Verurteilung wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung tragen.

a) Ein Täter handelt mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Eintritt eines zum Tatbestand gehörenden Erfolges als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkannt hat (Wissenselement) und dies billigt oder sich mit dem Eintritt des Erfolges abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder unerwünscht sein (vgl. statt aller nur BGH StV 2023, 332; 2022, 72; NStZ 2019, 208; Senat NZV 2016, 392; Fischer, StGB 70. Aufl., § 15 Rdn. 11 ff.; alle m.w.N.). Fehlt dem Täter das Bewusstsein, dass seine Handlung ein Tatbestandsmerkmal erfüllen kann, handelt er nicht vorsätzlich, was auch dann der Fall ist, wenn er sich über die Tatbestandsverwirklichung keinerlei Gedanken gemacht hat (vgl. BGH NStZ 2004, 201; Bülte in Leipziger Kommentar zum StGB 13. Aufl., § 15 Rdn. 105; Lackner/Kühl/Heger, StGB 30. Aufl. ,Rdn. 9: potentieller Vorsatz genügt nicht).

b) Eine Sachbeschädigung scheidet aus, wenn die Beseitigung der Substanzverletzung oder Funktionseinbuße (vgl. Goeckenjan in Leipziger Kommentar a.a.O., § 303 Rdn. 23 f. m.w.N.) mit keinem ins Gewicht fallenden Aufwand verbunden ist (vgl. BGHSt 13, 207; NStZ 1982, 508; Heger in Lackner/Kühl/Heger a.a.O., § 303 Rdn. 5; Goeckenjan a.a.O. Rdn. 32 m.w.N.). In der Folge muss der Täter es zumindest für möglich gehalten haben, dass die Beseitigung der Substanzverletzung bzw. der Funktionseinbuße einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert. Da demjenigen, der sich bei Begehung der Tat (§ 16 StGB) über den Beseitigungsaufwand keinerlei Gedanken gemacht hat, das zur Bejahung des Vorsatzes erforderliche Wissenselement fehlt, muss das Urteil Feststellungen dazu enthalten, dass der Täter einen nicht unerheblichen Beseitigungsaufwand für zumindest möglich gehalten hat. Etwas anderes gilt nur, wenn dies angesichts des Umfangs der Substanzverletzung oder der Funktionsbeeinträchtigung auf der Hand liegt.

c) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Weil sich die Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen keine Vorstellungen über den Beseitigungsaufwand gemacht hat, entfällt aus den dargelegten Gründen das für die Vorsatzbildung erforderliche Wissenselement. Dass die Angeklagte davon ausging, der Gehweg lasse sich überhaupt - egal mit welchem Aufwand - wiederherstellen, und dass sie das Ziel ihrer Aktion nicht scheitern lassen wollte, besagt - anders als das Landgericht anscheinend meint - noch nichts über ihre Vorstellung, mit welchem Aufwand das Neuverlegen der Gehwegplatte tatsächlich verbunden sein könnte. Feststellungen dazu waren auch nicht entbehrlich, weil sich angesichts der vergleichsweise geringen Einwirkung auf die Sachsubstanz nicht von selbst versteht, dass die Angeklagte einen erheblichen Aufwand für die Wiederherstellung des Gehwegs für möglich gehalten hat.

2. Da die Angeklagte bereits mit ihrer Sachrüge durchdringt, kam es auf die Verfahrensrüge nicht mehr an.

3. Auf dem dargelegten Fehler beruht das Urteil. Der Senat hebt es deswegen auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine Strafkammer zurück.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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