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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Unfähigkeit der Selbstverteidigung, Betreuer

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Oldenburg, Beschl. v. 15.11.2023 - 1 Qs 364/23

Eigener Leitsatz:

Die Tatsache, dass dem Angeklagten ein Betreuer bestellt ist, ändert nichts an der Voraussetzung des § 140 Abs. 2 StPO, da sich die Aufgaben eines Betreuers und die eines Verteidigers grundlegend unterscheiden.


Landgericht Oldenburg

Beschluss

1 Qs 364/23

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidigerin:

Rechtsanwältin
wegen Bedrohung

hat das Landgericht - 1. Große Strafkammer - Oldenburg durch die unterzeichnenden Richter am 15.11.2023 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Brake (Unterweser) vom 18.10.2023 (Az. 2 Cs 250 Js48891/23 (274/23)) aufgehoben.

Dem Angeklagten wird Frau Rechtsanwältin pp. als Pflichtverteidigerin beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Im Jahr 2021 wurde bei dem Angeklagten eine wahnhafte Störung diagnostiziert.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat am 19.07.2023 gegen den Angeklagten den Erlass eines Strafbefehls wegen Freiheitsberaubung und Bedrohung beantragt, durch welchen der Angeklagte zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt werden sollte. Hierzu hat die Staatsanwaltschaft vermerkt:


„Der Besch. leidet wohl unter einer psychischen Erkrankung, lehnt Hilfe/Zusammenarbeit mit Therapeuten oder Psychiatern aber ab, BI. 19 x. Eine Begutachtung ist deswegen nicht erfolgsversprechend."

Das Amtsgericht Brake hat den Strafbefehl gegen den Angeklagten am 21.07.2023 antragsgemäß erlassen. Hiergegen hat der Angeklagte Einspruch eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 04.09.2023 hat die Wahlverteidigerin des Angeklagten beantragt, sie als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Sie hat u.a. darauf verwiesen, dass sich der Angeklagte wegen der aktuellen „schweren depressiven Episode" nicht selbst verteidigen könne. Mit Schreiben vom 21.09.2023 hat die Verteidigerin ihre Ausführungen ergänzt und u.a. darauf hingewiesen, dass der Angeklagte unter Betreuung steht. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat sich mit Verfügung vom 29.09.2023 ablehnend gegenüber dem Antrag der Verteidigerin geäußert.

Das Amtsgericht Brake hat mit Beschluss vom 18.10.2023 den Antrag auf Beiordnung der Wahlverteidigerin als Pflichtverteidigerin abgelehnt. Es sei nicht ersichtlich, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege. Auf die Begründung des Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 23.10.2023, auf deren Begründung ebenfalls verwiesen wird.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 StPO zulässig.
Das Rechtsmittel wurde insbesondere fristgemäß, innerhalb der sich aus § 311 Abs. 2 StPO ergebenden einwöchigen Frist, eingelegt.

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Ein Verteidiger ist zu bestellen, da der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann (§ 140 Abs. 2 StPO).

Die Verteidigung ist notwendig, wenn zu bezweifeln ist, dass der Beschuldigte seine Interessen nicht selbst wahren und inner- und außerhalb der Hauptverhandlung alle zur Verteidigung erforderlichen Handlungen selbst vornehmen kann. Zweifel können aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten sowie Einschränkungen aufgrund seiner speziellen Situation bestehen (MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 140 Rn. 47). Bei psychischen Beeinträchtigungen ist die Art und der Grad der Beeinträchtigung entscheidend (MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 140 Rn.49).

Zur Überzeugung der Kammer ist auf Basis des Akteninhalts davon auszugehen, dass der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung so schwer beeinträchtigt ist, dass er sich und seine Interessen inner- und außerhalb der Hauptverhandlung nicht selbst verteidigen kann. Bereits im Jahr 2021 ist bei ihm eine wahnhafte Störung diagnostiziert worden. Durchaus glaubhaft ist dargelegt, dass er akut unter einer „schweren depressiven Episode" leidet. Zudem hat die Staatsanwaltschaft sogar eine Begutachtung des Angeklagten im Hinblick auf eine psychische' Erkrankung erwogen, diese aber letztlich aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber Hilfsangeboten von Therapeuten oder Psychiatern als nicht erfolgsversprechend abgelehnt. Neben diesen Diagnosen deuten auch der übrige Akteninhalt und die von dem Angeklagten verfassten Eingaben an die Polizei darauf hin, dass er sich aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigungen nicht selbst verteidigen kann.

Die Tatsache, dass dem Angeklagten ein Betreuer bestellt ist, ändert nichts an der Voraussetzung des § 140 Abs. 2 StPO, da sich die Aufgaben eines Betreuers und die eines Verteidigers grundlegend unterscheiden. Das Gesetz stellt in§ 140 Abs. 2 StPO auf die Person des Verfahrensbeteiligten und dessen Fähigkeiten zur Selbstverteidigung ab und nicht auf die seines gesetzlichen Vertreters (OLG Nürnberg, Beschluss vorn 25. Juli 2007 — 2 Ws 452/07 —, juris Rn. 14). Da der Angeklagte die Fähigkeit zur Selbstverteidigung fehlt, liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vor.

Gemäß § 142 Abs. 5 S. 1 und 3 StPO war das gerichtliche Auswahlermessen hinsichtlich der beizuordnenden Verteidigerin dem Tenor entsprechend reduziert.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RAin S. Zimmermann, Oldenburg

Anmerkung:


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