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Entscheidungen

beA

beA, Anreise, frühe Anreise, unbeaufsichtigtes beA, Terminsaufhebung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG München I, Urt. v. 10.10.2023 - 15 O 7223/23

Eigener Leitsatz:

Ein Rechtsanwalt, der zu einem bereits am Vortag aufgehobenen Termin anreist, erhält keine Reisekosten erstattet, wenn er sein beA unbeaufsichtigt lässt und deshalb von einer Terminaufhebung nicht rechtzeitig erfahren hat.


Landgericht München I
15 O 7223/23

In pp.

wegen Forderung
erlässt das Landgericht München I - 15. Zivilkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 11.10.2023 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2023 folgendes

Endurteil

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 956,86 € festgesetzt.
Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege der Amtshaftungsklage wegen Reisekosten seines Rechtsanwalts auf Freistellung in Anspruch.

Der Kläger hatte den Klägervertreter in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht München, Az. 22 CA 11069/21 mandatiert. In diesem Verfahren war für 12.01.2022, 15.15 Uhr, ein Gütetermin bestimmt worden.

Am 11.01.2022, 10.39 Uhr, wurde dem Klägervertreter über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Terminsaufhebung mitgeteilt. Eine telefonische Benachrichtigung des Klägervertreters fand nicht statt.

Hintergrund der Aufhebung des Termins war der Umstand, dass die Klage im dortigen Verfahren nicht wirksam zugestellt worden war. Der Klägervertreter hatte die Klage vom 14.12.2021 nämlich mit unrichtigen Angaben zu den Vertretungsverhältnissen des (auch dort) beklagten Freistaats Bayern, „vertreten durch den Justizminister, Justizpalast am Karlsplatz, Prielmayerstr., 7, 80097 München“ erhoben. Das Arbeitsgericht München verfügte deshalb die Zustellung der Ladung zum Gütetermin am 12.01.2022 mit Klageschrift an die in der Klageschrift angegebene Adresse. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz teilte mit Schreiben vom 28.12.2021 dem Arbeitsgericht die richtige Vertretungsbehörde (Landesamt für Finanzen, § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3b VertrV) mit. Am 03.01.2022 wurde dieses Schreiben an den Klägervertreter weitergeleitet mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis 05.01.2022. Eine solche ging nicht ein. Am 10.01.2022, 15.30 Uhr, teilte die JVA Landsberg / Lech als Ausgangsbehörde im Arbeitsgerichtsverfahren telefonisch mit, den Termin mangels ordnungsgemäßer Zustellung der Klage nicht wahrnehmen zu können. Daraufhin wurde der Termin durch Beschluss vom 11.01.2023 aufgehoben.

Der Kläger behauptet, der Klägervertreter sei mit seinem eigenen Wagen zum Termin angereist und sei am 11.01.2022 bereits um 9.00 Uhr abgefahren, da er mit einer reinen Fahrzeit von 9 Stunden und unter Einrechnung von Pausen und Verzögerungen mit 11 Stunden Fahrzeit gerechnet habe. In der Kanzlei des Klägervertreters habe sich niemand weiter befunden, Zugriff auf das beA-Postfach habe nur er gehabt. Eine Anreise am Verhandlungstag sei nicht möglich gewesen, weil die Ladung auf 15.15 Uhr datierte und eine Abreise um 04.00 Uhr morgens unzumutbar gewesen sei. Er sei zum Zeitpunkt des Zugangs der Abladung (10.39 Uhr) schon unterwegs gewesen und habe erst nach seiner Ankunft in Türkenfeld, wo er habe übernachten wollen, den Eingang der Nachricht des Arbeitsgerichts festgestellt.

Die gerichtliche Verfügung vom 28.12.2022 sei ihm erst am 05.01.2022 zugegangen.

Das Kanzleitelefon des Klägervertreters sei auf das Mobiltelefon umgeleitet gewesen, dort habe man ihn noch erreichen können.

Beim Klägervertreter seien Kosten angefallen in Form von Tage- und Abwesenheitsgeld in Höhe von 80,00 EUR und Fahrtkosten für 1.724 km in Höhe von 724,08 EUR, insgesamt also ein Schaden in Höhe von 956,86 EUR (sic!).

Der Kläger ist der Auffassung, die Anreise des Klägervertreters wäre durch eine rechtzeitige / telefonische Unterrichtung noch zu vermeiden gewesen. Das Arbeitsgericht habe mit seiner Anreise rechnen müssen. Dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG zu. Auf die Entscheidung des OLG Dresden (18.04.2018, 1 U 1509/17), welches festgestellt habe, dass die Geschäftsstellen der Gerichte dafür sorgen müssen, dass Verfahrensbeteiligte Nachrichten über Terminsaufhebungen so rechtzeitig erhalten müssten, dass sie vor Anreise zum Termin davon Kenntnis erlangen können, werde verwiesen. Eine rechtzeitige Abladung habe nur durch einen Anruf der Geschäftsstelle in der Kanzlei erfolgen können.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von einer Forderung des Rechtsanwalts pp,, in Höhe von € 956,86 freizustellen.

Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.

Der Beklagte ist der Auffassung, es liege weder eine Amtspflichtverletzung noch ein Verschulden auf Seiten der mit dem Vorgang befassten Beamten vor. Zudem träfe den Klägervertreter jedenfalls ein tatbestandsausschließendes Mitverschulden, das sich der Kläger zurechnen lassen müsse. Die gewählte Benachrichtigungsart sei die schnellste gewesen und nicht zu beanstanden. Nach § 31a Abs. 6 BORA sei der Klägervertreter verpflichtet, die für die Nutzung des elektronischen Anwaltspostfaches erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten und Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das Postfach zur Kenntnis zu nehmen (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.07.2020, Az. 1 B 126/20 RNr. 10). Das Gericht habe deshalb von einem Zugang der Umladung durch Übersendung des Beschlusses an das beA-Postfach des Klägervertreters ausgehen dürfen. Es bestehe auch im Rahmen der beA-Nutzung die Möglichkeit, Vertretungsmöglichkeiten zu hinterlegen, Sekretariatsmitarbeiter(innen) (Lese-) Zugriffe auf das Anwaltspostfach zu gewähren oder zumindest Informations-Nachrichten zu aktivieren, die durch eine E-Mail an eine beliebige E-Mail- Adresse über neue beA- Eingänge informieren, ohne dass das Kanzleisystem oder die beA-Online-Plattform explizit aufgerufen werden müssten. Eine irgendwie geartete Verpflichtung des Gerichts zur telefonischen Unterrichtung bestehe demgegenüber nicht.

Die Geschäftsstelle habe auch nicht damit rechnen müssen und es sei auch nicht erkennbar gewesen, dass die Umladung den Klägervertreter nicht mehr erreicht. Man habe nicht davon ausgehen müssen, dass der Klägervertreter die Reise bereits am Vortrag um 9.00 Uhr mit dem Kfz antreten würde, die Anreise per Flugzeug sei billiger und schneller gewesen und damit naheliegender. Selbst mit dem Kfz sei eine Abfahrt am Vortag um 9.00 Uhr nicht zu erwarten gewesen. Außerdem habe man davon ausgehen dürfen, dass der Klägervertreter bei Ortsabwesenheit eine entsprechende Kanzleiorganisation für eventuelle E-Mail- oder beA-Eingänge sicherstelle.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien, insbesondere jene des Klägers vom 24.01.2023, 22.05.2023, 30.05.2023 und 15.09.2023 sowie jene des Beklagten vom 17.04.2023 und 12.09.2023.

Die Kammer hat am 27.09.2023 mündlich verhandelt. Eine Beweisaufnahme fand nicht statt. Auf das Protokoll vom nämlichen Sitzungstag wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

A. Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Die Klage ist zulässig.

Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 ZPO, § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich vorliegend nach bindender Verweisung schon aus § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO.

II. Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG und zwar, weil weder eine Pflichtverletzung vorliegt (1) noch dem Kläger ein Schaden entstanden ist (2).

1. Nach § 839 BGB, Art. 34 GG haftet der Dienstherr eines Beamten für Schäden, die dieser durch schuldhafte Verletzung einer Amtspflicht verursacht.

An der tatbestandlich erforderlichen Verletzung einer Amtspflicht fehlt es vorliegend bereits.

Zwar ist richtig, dass grundsätzlich die Beamten der Geschäftsstelle dafür Sorge zu tragen haben, dass den Verfahrensbeteiligten die Abladungsnachricht so rechtzeitig zugeht, dass sie davon noch vor der Anreise zum Termin Kenntnis nehmen können (OLG Dresden, Urteil vom
18.04.2018, 1 U 1509/17; LG Stuttgart, NJW-RR 1989, 190; LG Hannover, NdsRpfl 1993, 192). Das ist vorliegend aber geschehen.

a) Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Terminsaufhebung ohne Verzögerungen beschlossen wurde. Die Information, dass der Termin mangels wirksamer Zustellung nicht wahrgenommen werden kann, stammte vom 10.01.2022, 15.30 Uhr. Der richterliche Beschluss stammt vom 11.01.2022 und wurde dem Klägervertreter unstreitig um 10.39 Uhr zugestellt.

Dass eine frühere Beschlussfassung bzw. ein früherer Versand möglich gewesen wäre und pflichtwidrig (und überdies schuldhaft) unterlassen wurde, ist klägerseits weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Demnach war eine frühere Information des Klägervertreters nicht möglich.

b) Eine Amtspflichtverletzung der Beamten des Beklagten ergibt sich auch nicht daraus, dass der Klägervertreter nicht telefonisch über die Terminsaufhebung informiert wurde. Denn dies war nicht geboten.

Vielmehr konnten die Beschäftigten der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts ohne weiteres darauf vertrauen, dass den Klägervertreter die Nachricht von der Aufhebung des Termins unverzüglich, jedenfalls aber rechtzeitig erreicht.

Wie der Beklagte richtig ausführt, handelt es sich bei dem Versand mittels beA um die schnellstmögliche Übermittlungsmethode und zwar sogar unabhängig davon, ob der Klägervertreter in der Kanzlei weilt oder nicht. Denn beA ist auch mobil abrufbar und über eingehende Nachrichten kann beA bei Aktivierung dieser Funktion unmittelbar einen beliebigen E-Mail-Adressaten informieren.

Das blieb unstreitig.

Die Beschäftigten des Beklagten mussten nicht damit rechnen, dass
- der Klägervertreter für einen Termin am 12.01.2022 um 15.15 Uhr bereits am Vortag um 9.00 Uhr morgens abreist und außerdem
- die gesamte Kanzlei ab diesem Zeitpunkt verwaist ist und überdies
- der Klägervertreter für den Empfang einer mittels beA übermittelten Nachricht nicht gesorgt hatte.

Auch wenn die Distanz Lübeck – München nahezu durch die gesamte Republik führt, war es bereits fernliegend anzunehmen, der Klägervertreter würde für einen Termin um 15.15 Uhr bereits am Vortrag um 9.00 Uhr abreisen. Naheliegend wäre gewesen, dass der Klägervertreter eine Flugverbindung vom nahegelegenen Hamburg nach München am Terminstag wählt. Alternativ wäre zu erwarten gewesen, dass er eine Zugverbindung von Lübeck nach München wählt, die für ihn eine Abfahrt gegen 7.00 Uhr am Terminstag bedeutet hätte (hierauf hatte das Gericht hingewiesen). Selbst im Falle der Nutzung des eigenen Pkw wäre nicht zu erwarten gewesen, dass der Klägervertreter am Morgen des Vortages aufbricht. Ebenso wenig war für die Geschäftsstelle absehbar, dass die Kanzlei des Klägervertreters in dieser Zeit gänzlich verwaist war und weder eine Kanzleikraft noch er selbst (über einen mobilen Zugang) von eingehenden beA-Nachrichten Kenntnis erhält.

Die vom Kläger bemühte Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden vom 18.04.2018, Az. 1 U 1509/17, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Die Entscheidung stammt aus einer Zeit vor Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches. Das Gericht hat entschieden, dass bei einer drei Tage vor dem Termin auf dem Postwege versandten Abladung nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass diese (wie notwendig) den Anwalt noch am Vorabend des Termins erreiche. Nach Auffassung des OLG Dresden wäre eine Benachrichtigung per Telefon oder per Telefax notwendig gewesen, mithin ein Kommunikationsweg, der die sofortige Kenntnisnahme ermöglicht. Einen solchen Kommunikationsweg hatte das Arbeitsgericht München hier mit beA gerade gewählt und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsgericht unter jedem denkbaren Blickwinkel davon ausgehen durfte, dass den Klägervertreter die Nachricht möglichst rechtzeitig erreicht (siehe vorstehend).

2. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Kläger überhaupt einen Schaden erlitten hat. Auch das ist allerdings nicht der Fall.

Der Kläger hätte nur dann einen Schaden, wenn er selbst jenem Anspruch des Klägervertreters ausgesetzt wäre, von dem er Freistellung durch den Beklagten fordert. Das ist allerdings nicht der Fall. Der Klägervertreter hat keinen Anspruch gegen den Kläger wegen der vom Kläger behaupteten Reisekosten des Klägervertreters.

Ein solcher Anspruch des Klägervertreters gegen den Kläger kann zwar grundsätzlich aus dem zwischen den beiden bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag bestehen. Der Klägervertreter hätte dann nach §§ 675, 670 BGB Anspruch auf Ersatz der ihm in Ausführung der Geschäftsbesorgung entstandenen Aufwendungen, die er nach den Umständen für erforderlich halten durfte.

Ein solcher Anspruch besteht jedoch nicht, wenn die Kosten – wie hier – schuldhaft durch den Beauftragten verursacht worden sind. In einem solchen Fall besteht der Anspruch auch nicht anteilig nach dem Grad des Verschuldens (entsprechend § 254 BGB), sondern er entfällt vollständig (MüKoBGB/F. Schäfer BGB § 670 Rn. 20, 42).

So liegt der Fall hier.

Der Kläger trägt zwar richtig vor, dass der Klägervertreter grundsätzlich nicht gehalten ist, vor Anreise nachzufragen, ob der Termin stattfindet (so auch OLG Dresden, aaO). Allerdings war der Klägervertreter vorliegend schon wegen seiner außergewöhnlich frühen Abreise, mit der niemand rechnen musste, durchaus gehalten, entweder seine Kanzlei so zu organisieren, dass dort eingehende Nachrichten alsbald zur Kenntnis genommen werden, oder er hätte technisch dafür sorgen müssen, dass er selbst von Eingängen per beA zeitnah Kenntnis erhält.

Vorliegend hatte der Klägervertreter aber noch aus einem anderen Grund Anlass zu überprüfen, ob der Termin tatsächlich aufrechterhalten bliebe. Denn ihm war spätestens seit Mitteilung durch das Gericht (nach eigenem Vortrag zugegangen am 05.01.2022) bekannt, dass an der wirksamen Zustellung der Klageschrift und Terminsladung erhebliche Zweifel bestanden und somit eine Aufhebung des Termins nahe lag. Sich hierüber zu informieren hat der Klägervertreter fahrlässig verabsäumt.

3. Auf den Umstand, dass der geltend gemachte Freistellungsanspruch der Höhe nach auch rein rechnerisch nicht nachvollziehbar ist, kommt es daher nicht mehr an. B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

C. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 708 Ziff. 11, 711 ZPO.


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