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Entscheidungen

Haftfragen

Fluchtgefahr, Schwerkriminalität, schlechter Gesundheitszustand

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 01.11.2023 - 1 Ws 226/23

Eigener Leitsatz:

Fluchtgefahr ist auch bei Delikten der Schwerkriminalität zu verneinen, wenn aufgrund des sehr schlechten Gesundheitszustandes des Beschuldigten ausgeschlossen werden kann, dass er sich dem Verfahren durch Flucht entziehen wird.


1 Ws 226/23

BESCHLUSS

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidigerin

wegen Totschlags

hier: weitere Haftbeschwerde

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 01.11.2023
beschlossen:

1. Auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten werden der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 25. September 2023 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Chemnitz vom 02. September 2023 (Gz.: 11 Gs 3261/23) aufgehoben.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten im Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I.

Der Beschuldigte wurde am 01.September 2023 vorläufig festgenommen. Er befindet sich seit dem 02. September 2023 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Chemnitz vom selben
Tage (Gz.: 11 Gs 3251/23) seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Mit dem auf die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs, 2 Nr. 2 StPO) sowie der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) gestützten Haftbefehl vom 02. September 2023 wird dem Beschuldigten Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB zur Last gelegt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den genannten Haftbefehl Bezug genommen.

Die Verteidigerin beantragte mit Schriftsatz vom 02. September 2023 die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Haftprüfung. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den vorgenannten Schriftsatz verwiesen. Im Ergebnis der durchgeführten Haftprüfung hielt das Amtsgericht Chemnitz mit Beschluss vom 11. September 2023 den Haftbefehl aufrecht und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an, Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 12. September 2023 legte der Beschuldigte gegen den Haftfortdauerbeschluss des Amtsgerichts Beschwerde ein und beantragte die Aufhebung des Haftbefehls sowie hilfsweise dessen Außervollzugsetzung gegen geeignete Auflagen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den genannten Schriftsatz verwiesen. Nachdem der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Chemnitz mit Beschluss vom 15. September 2023 der Beschwerde des Beschuldigten nicht abgeholfen hatte, verwarf das Landgericht Chemnitz diese mit Beschluss vom 25. September 2023 als unbegründet.

Dagegen legte der Beschuldigte mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 25. September 2023 weitere Beschwerde ein, mit der er weiterhin die Aufhebung des Haftbefehls und hilfsweise dessen Außervollzugsetzung gegen geeignete Auflagen beantragt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den vorgenannten Schriftsatz verwiesen.

Das Landgericht Chemnitz hat mit Beschluss vom 05. Oktober 2023 der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen, sondern diese dem Oberlandesgericht Dresden zur Entscheidung vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 25. September 2023 als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die weitere Beschwerde des Beschuldigten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Chemnitz vom 02. September 2023 war aufzuheben. Zwar ist der Beschuldigte der ihm mit Haftbefehl vom 02, September 2023 zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 StPO). Jedoch ist ein Haftgrund nicht mehr gegeben.

Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) besteht nicht.

Zwar hat der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung angesichts der Schwere der ihm zur Last gelegten Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Es ist jedoch vorliegend ausgeschlossen, dass der von dieser Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz die konkrete Gefahr begründet, dass der Beschuldigte - auf freiem Fuß belassen - sich dem Verfahren entziehen wird, selbst wenn Fluchtgefahr nicht verlangt, dass dies auf Dauer geschieht, sondern ein gegebenenfalls vorübergehendes Sichentziehen, was den Fortgang des Strafverfahrens verhindert, genügt. Der Beschuldigte ist pp. Jahre alt und verfügt über enge soziale Bindungen zu pp. Er leidet unter einer schweren Erkrankung, die palliativ zu behandeln ist.

Bereits vor seiner Festnahme am 01. September 2023 wies er einen deutlich beeinträchtigten Gesundheitszustand auf, wie sich sowohl den detaillierten Angaben pp. in ihrer Vernehmung vom pp. als auch der Dokumentation der Hausärztin pp. entnehmen lässt, wonach ab dem 10. August 2023 beim Beschuldigten unter anderem ein deutlicher Gewichtsverlust sowie Kraftlosigkeit bzw. Schwäche dokumentiert sind. Soweit die Kammer in der angefochtenen Entscheidung unter Bezugnahme auf die Aussagen der Zeugin pp. - Pflegerin der Geschädigten - sowie der Zeugin pp. - Hausärztin der Geschädigten und des Beschuldigten - zugrunde gelegt hat, der Beschuldigte habe den Haushalt geführt und die Ehefrau des Beschuldigten in die Praxis begleitet, so beziehen sich diese Angaben ersichtlich auf den Zeitraum vor der Diagnosesteilung beim Beschuldigten, die im Juli 2023 erfolgt ist. Nach seiner Inhaftierung hat sich der bereits deutlich beeinträchtigte Gesundheitszustand nochmals erheblich verschlechtert, wie insbesondere der Stellungnahme der JVA vom 26. Oktober 2023, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, entnehmen lässt. Angesichts der dort beschriebenen körperlichen und geistigen Verfassung des Beschuldigten, der bereits stark von seiner schweren Erkrankung gezeichnet ist, sieht es der Senat vorliegend als ausgeschlossen an, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entziehen wird,

Es besteht dementsprechend auch der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) nicht.

§ 112 Abs. 3 StPO lässt nach dem Wortlaut bei den darin aufgeführten Straftaten der Schwer-kriminalität die Anordnung der Untersuchungshaft auch dann zu, wenn ein Haftgrund nach § 112 Abs, 2 StPO nicht besteht. Bei der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts (BVerfGE 19, 342, 350 ff; BVerfG NJW 1966, 772) gebotenen verfassungskonformen Auslegung ist die Vorschrift wegen eines sonst darin enthaltenen offensichtlichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass der Erlass eines Haft-befehls nur zulässig ist, wenn Umstände vorliegen, welche die Gefahr begründen, dass ohne die Verhaftung des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte, Genügen kann bereits die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr, ferner die ernstliche Befürchtung, der Täter werde weitere Taten ähnlicher Art begehen, Ausreichend aber auch erforderlich ist die Feststellung, dass eine verhältnismäßig geringe oder entfernte Gefahr in dieser Art besteht, Wenn allerdings nach den Umständen des Einzelfalls gewichtige Gründe gegen jede Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr sprechen, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von einem Haftbefehl nach § 112 Abs. 3 StPO abzusehen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. April 2022, Az.; StB 15/22 - juris; BGH, Beschluss vorn 23. Dezember 2009, Az,; StB 51/09 - juris).

Unter Berücksichtigung dessen und der unter 1. genannten Umstände, aufgrund derer der Senat im Ergebnis seiner Prüfung eine bestehende Fluchtgefahr beim Beschuldigten ausschließt, scheidet daher auch der Haftgrund der Schwerkriminalität aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.


Einsender: RAin A. Bornemann-Pietsch, Meerane

Anmerkung:


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