Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 31.08.2023 - 202 ObOWi 836/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Die Ordnungswidrigkeit nach § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, die bei einem Verzug der versicherten Person mit der Entrichtung von 6 Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung erfüllt ist, stellt ein echtes Unterlassungsdelikt in Form eines Dauerverhaltens dar, das seinen Abschluss erst mit der Entrichtung der Beiträge findet.
2. Bei einem dauerhaften Unterlassen der Beitragsentrichtung über einen längeren Zeitraum handelt es sich eine einheitliche Tat im materiell-rechtlichen Sinne.
3. Zwar findet ein Dauerdelikt grundsätzlich seine materielle Beendigung mit einer tatrichterlichen Verurteilung. Im Falle der Nichtentrichtung der geschuldeten Beiträge in der Folgezeit beginnt allerdings eine neue Ordnungswidrigkeit, deren Verfolgung nicht wegen der Rechtskraft der vorhergehenden Verurteilung unzulässig ist.
In pp.
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 19.04.2023 aufgehoben.
II. Der Betroffene wird wegen Verzugs mit der Entrichtung von mehr als 6 Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung zur Geldbuße von 500 Euro verurteilt.
III. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
IV. Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt die im Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen Auslagen und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 19.04.2023 wegen Verzugs mit der Entrichtung von 6 Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung in 4 Fällen gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, § 20 OWiG zu Einzelgeldbußen in Höhe von jeweils 250 Euro, weil er nach den tatrichterlichen Feststellungen im Zeitraum von August 2019 bis Januar 2022 jeweils für einen Zeitraum von 6 Monaten die Beiträge zur privaten Pflegeversicherung nicht entrichtet hat. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit ihrer Zuleitungsschrift vom 07.07.2023 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft.
a) Für die Frage, ob die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG oder ein Zulassungsantrag gemäß § 80 Abs. 1 OWiG statthaft ist, kommt es nicht auf die Urteilsformel der angefochtenen Entscheidung, sondern - wie sich aus § 79 Abs. 2 OWiG ergibt – darauf an, ob mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 264 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) Gegenstand des Urteils sind und ob für einzelne Taten Bußgelder jeweils über der Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG verhängt wurden. Die Beurteilung, ob eine oder mehrere Taten im prozessualen Sinne vorliegen, hat das Rechtsbeschwerdegericht anhand der tatrichterlichen Feststellungen in eigener Zuständigkeit zu treffen (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 24.10.2022 – 202 ObOWi 1150/22 bei juris m.w.N.).
b) Nach den getroffenen Feststellungen handelt es sich indes nicht um unterschiedliche Taten im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO, sondern sowohl materiell-rechtlich und deshalb erst recht prozessual um eine einheitliche Tat.
Die vom Amtsgericht vertretene Auffassung, wonach aufgrund der Regelung des § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, nach der eine Ordnungswidrigkeit bei einem Verzug mit der Entrichtung von 6 Monatsprämien zur Pflegeversicherung erfüllt ist, davon auszugehen sei, dass mit jedem Abschluss eines 6 Monatszeitraums eine neue Tat begangen werde, ist rechtsfehlerhaft. Das Amtsgericht hat verkannt, dass es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. Udsching/Schütze SGB XI Soziale Pflegeversicherung 5. Aufl. § 121 SGB XI Rn. 8) in Form eines Dauerverhaltens handelt, das seinen Abschluss erst mit der Entrichtung der Beiträge findet. Die Vorschrift ist daher so verstehen, dass ab einem Verzugszeitraum von mindestens 6 Monaten der Bußgeldtatbestand erfüllt ist. Da aber die Nichtentrichtung der Prämien für jeden Monat sich zeitlich mit der Nichtentrichtung der jeweils anderen Monate überschneidet, stellt das dauerhafte Unterlassen hinsichtlich mehrerer Monate eine einheitliche Tat im materiell-rechtlichen Sinne dar.
c) Da das Amtsgericht für diese einheitliche Tat Geldbußen in Höhe von insgesamt 1.000 Euro verhängt hat, ist die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten.
2. Die Rechtsbeschwerde führt aufgrund der Sachrüge zu einer Änderung des Schuldspruchs, weil das Amtsgericht zu Unrecht von tatmehrheitlich begangenen Taten im Sinne des § 20 OWiG ausgegangen ist, und demzufolge auch des Rechtsfolgenausspruchs, wozu der Senat nach § 79 Abs. 6 OWiG befugt ist; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
a) Ein Verfahrenshindernis wegen eingetretener Rechtskraft besteht nicht. Zwar liegen die Zeiträume, in denen der Betroffene mit der Entrichtung der Beiträge zur privaten Pflegeversicherung in Verzug geraten ist, vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Regensburg vom 22.09.2022 und hätten daher dort mit abgeurteilt werden können und müssen, weil es sich aus den genannten Gründen um eine einheitliche Tat handelt. Ferner findet ein Dauerdelikt grundsätzlich seine materielle Beendigung mit der tatrichterlichen Verurteilung (vgl. KK-OWiG/Mitsch 5. Aufl. § 19 Rn. 36). Allerdings schloss sich daran eine neue Ordnungswidrigkeit hinsichtlich der geschuldeten Beiträge an, weil der Betroffene weiterhin zu deren Entrichtung verpflichtet war und dieser Verpflichtung bis zur Hauptverhandlung im vorliegenden Verfahren nicht nachgekommen ist. Eine neue Verurteilung ist daher wegen der auch nach der durch die Vorverurteilung bewirkten Zäsur weiterhin geschuldeten und nicht entrichteten Beiträge möglich (vgl. Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch 30. Aufl. Vorbem. zu den §§ 52 ff. Rn. 87).
b) Aufgrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene den Tatbestand des § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI aus den dargelegten Gründen erfüllt. Soweit sich die Rechtsbeschwerde auf eine „konkludente Kündigung“ des Pflegeversicherungsvertrags beruft, kann sie mit diesem urteilsfremden Vorbringen im Rechtsbeschwerdeverfahren schon nicht gehört werden. Im Übrigen wäre dies auch mit Blick auf die Bestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 SGB XI, der die Wirksamkeit einer Kündigung an den Nachweis des Versicherungsnehmers knüpft, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist, ohnehin bedeutungslos, weil derartiges schon gar nicht festgestellt wurde.
3. Die Höhe der Geldbuße setzt der Senat unter Berücksichtigung der durchaus nicht unerheblichen Gesamthöhe der Versicherungsbeiträge, mit deren Entrichtung der Betroffene in Verzug geraten ist, und des Verzugszeitraums, wobei nur derjenige seit der letzten Verurteilung durch das Amtsgericht Regensburg vom 22.09.2022 aus den genannten Gründen zugrunde gelegt durfte, einerseits und unter Berücksichtigung seines Alters und seiner eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit andererseits auf 500 Euro fest.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG.
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.
Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg
Anmerkung:
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