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Entscheidungen

OWi

Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO, nochmalige Anhörung des Beschwerdeführers

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 28.07.2023 - 3 Ws 35/23121 AR 131/23

Leitsatz des Gerichts:

Im Verfahren nach § 33a StPO scheidet ein Gehörsverstoß aus, wenn zwar keine nochmalige Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden ist, es aber ersichtlich ist, dass der Beteiligte die in Rede stehenden (entscheidungserheblichen) Tatsachen zur Kenntnis genommen und er sich bereits vor (erneuter) Beschlussfassung dazu umfassend geäußert hat.


In der Strafsache
gegen pp.

wegen gefährlicher Körperverletzung

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 28. Juli 2023 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts vom 11. Januar 2023 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Am 20. Dezember 2021 hat das Amtsgericht Tiergarten gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung einen Strafbefehl erlassen, der ihm am 10. Januar 2022 zugestellt worden ist. Mit Schriftsatz vom 7. Februar 2022, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat die Verteidigerin Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und zugleich wegen der versäumten Frist zur Einlegung des Einspruchs einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Diesen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 9. Mai 2022 verworfen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat die Verteidigerin mit Schriftsatz vom 27. Juli 2022 unter anderem damit begründet, es liege schon keine wirksame Zustellung des Strafbefehls an den der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten vor, weil dem Strafbefehl keine Rechtsmittelbelehrung in arabischer Sprache beigefügt worden sei. Sie hat weiter ausgeführt, die aus der Zustellungsverfügung des Amtsgerichts ersichtlichen Formblätter StP 393 (Merkblatt zum Verfahren nach rechtskräftiger Verurteilung) und SN 435 beträfen nicht die Rechtsbehelfsbelehrung bezüglich Strafbefehle. Ferner zitiert sie die in deutscher Sprache verfasste Überschrift des Formblatts StP 393 wörtlich.

Mit Beschluss vom 23. August 2022 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es zwar auch davon ausgehe, dass die Rechtsbehelfsbelehrung dem der deutschen Sprache unkundigen Angeklagten nicht in übersetzter Form zugestellt worden sei, jedoch stünden unzureichende Sprachkenntnisse einem Verschulden im Sinne von §§ 44, 45 StPO nicht generell entgegen. Lediglich um sich mit einem Einwand der Verteidigung - gestützt auf das mit dem Strafbefehl zugestellte Formblatt StP 393 in arabischer Sprache - auseinanderzusetzen, hat die Strafkammer ihrer Entscheidung auf das zu den Akten genommene, in deutscher Sprache abgefasste Formblatt StP 393 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 2. September 2022 hat die Verteidigerin Akteneinsicht beantragt und die Akten nach Gewährung derselben am 28. September 2022 zurückgereicht. Mit weiterem Schriftsatz vom 29. September 2022 hat sie gegen den Beschluss des Landgerichts vom 23. August 2022 eine Anhörungsrüge nach § 33a StPO wegen Verletzung des Grundrechts des Angeklagten auf rechtliches Gehör erhoben und vorgetragen, ihr sei das o.g. Formblatt StP 393 lediglich in arabischer, nicht aber in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt worden. Zugleich hat sie zu dem Formblatt unter anderem wörtlich ausgeführt:

“Aus der Perspektive eines juristischen Laien [...] kann die Belehrung in dem Formular StP 393 ohne weiteres so verstanden werden, dass der Verurteilte entweder innerhalb von vier Wochen „Rechtsmittel” einlegen kann oder, wenn er das nicht tut, innerhalb dieser Frist bezahlen muss. Konkret wird ausgeführt, wenn kein Rechtsmittel eingelegt wird, muss innerhalb von vier Wochen bezahlt werden. Nachdem für das Rechtsmittel keine besondere Frist mitgeteilt wird und die in diesem Vordruck mitgeteilte Frist die einzige mitgeteilte Frist ist, kann dieser Hinweis zu der Schlussfolgerung führen, dass der Betroffene vier Wochen Zeit hat, zu überlegen, ob er bezahlt oder Rechtsmittel einlegt.”

Daraufhin hat das Landgericht durch Beschluss vom 27. Oktober 2022 das Verfahren in die Lage zurückversetzt, die vor der Entscheidung vom 23. August 2022 bestand, und diesen Beschluss für gegenstandslos erklärt. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts hat es verworfen und unter Bezugnahme auf seine Argumentation aus dem für gegenstandslos erklärten Beschluss erneut ausgeführt, das Formblatt StP 393 sei für die Frage, ob dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wegen des eindeutigen Wortlauts ohne Relevanz. Eine Gelegenheit, zu dem Formblatt StP 393 vor Beschlussfassung gesondert Stellung zu nehmen, hat es dem Angeklagten nicht eingeräumt.

Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 27.Oktober 2022 hat der Angeklagte wiederum eine auf die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 33a StPO gestützte Anhörungsrüge erhoben, das bisherige Vorbringen zu der aus seiner Sicht unwirksamen Zustellung des Strafbefehls wiederholt und weiter vorgetragen, ihm sei immer noch kein rechtliches Gehör zu dem deutschen Formblatt StP 393 gewährt worden. Die erneute Anhörungsrüge hat das Landgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2023 zurückgewiesen und wiederum auf die fehlende Entscheidungserheblichkeit des Formblatts StP 393 verwiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Er rügt, das Landgericht habe ihm weiterhin keine Gelegenheit gegeben, zu dem deutschen Text des Formblatts StP 393 Stellung zu nehmen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Verteidigerin vom 20. Februar 2023 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 11. Januar 2023 hat keinen Erfolg. Der - nach eigenen Angaben - der deutschen Sprache unkundige Angeklagte kann eine Verletzung seines Grundrechts auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise nicht darauf stützen, dass ihm durch das Amtsgericht das Formblatt StP 393 lediglich in arabischer, nicht aber in deutscher Sprache zur Kenntnis gebracht worden ist. Auch der Umstand, dass das Gericht seiner Verteidigerin dieses Formblatt nicht in deutscher Sprache übermittelt hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft, weil überprüft werden soll, ob die Ablehnung der Durchführung des Nachholungsverfahrens gemäß § 33a StPO zu Recht ergangen ist, unabhängig davon, ob die Anhörungsrüge als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesen worden ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 26. August 2021 - 5 Ws 169/21 - und 7. September 2016 - 5 Ws 75/16 -; beide juris; NStZ-RR 2016, 52; StraFo 2007, 241; OLG Celle NJW 2012, 2899; Schneider-Glockzin in KK-StPO 9. Aufl., § 33a Rdn. 13 m.w.N.; a.A. Hans. OLG Bremen NStZ-RR 2019, 314; Hans. OLG Hamburg NStZ-RR 2017, 284).

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 33a StPO wird das Verfahren in die Lage zurückversetzt, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand, wenn das Gericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

a) Eine Gehörsverletzung des Angeklagten in entscheidungserheblicher Weise ist nicht festzustellen. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist eine unterbliebene Anhörung nur dann entscheidungserheblich, wenn und soweit sie sich auf das Ergebnis des Beschlusses ausgewirkt hat. Hätte insbesondere der Beteiligte - hier der Beschwerdeführer - nichts Anderes vortragen, sich also nicht anders verteidigen können, als er tatsächlich bereits vorgetragen hat, oder ist es sonst ausgeschlossen, dass das Gericht bei ordnungsgemäßer Anhörung anders entschieden hätte, ist der Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich (BT-Drucksache 15/3706, S. 17).

Auf der Grundlage dessen hat das Landgericht das Gehörsrecht des Angeklagten nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Es kann offenbleiben, ob die Entscheidungserheblichkeit nach objektiven Kriterien zu bestimmen ist, oder ob es allein darauf ankommt, dass das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, einen Umstand aus seiner (subjektiven) Sicht für entscheidungserheblich gehalten hat. Denn in beiden Fällen wäre der vom Angeklagten behauptete Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich.

aa) Objektiv ist das Formblatt StP 393 für die Frage, ob dem Angeklagten wegen der versäumten Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, nicht entscheidungserheblich. Schon aus dem Titel Merkblatt zum Verfahren nach rechtskräftiger Verurteilung (Unterstreichung durch den Senat), zu den Kosten im Strafbefehlsverfahren und zur elektronischen Einreichung von Dokumenten geht unmissverständlich hervor und ist auch für juristische Laien ohne nennenswerte Anstrengung zu erfassen, dass das Formblatt keinerlei Informationen über das Verfahren vor Eintritt der Rechtskraft, namentlich zur Einlegung von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln enthält. Dass der Angeklagte es - mit kaum nachvollziehbarer Argumentation - für entscheidungserheblich hält, ist insoweit bedeutungslos.

bb) Zu keinem abweichenden Ergebnis käme der Senat, legte er die subjektive Sichtweise des Landgerichts als Maßstab für die Entscheidungserheblichkeit im Sinne von § 33a StPO zu Grunde. Denn das Landgericht hat sowohl in der Entscheidung vom 27. Oktober 2022 als auch in der vom 11. Januar 2023 die Verwerfung der Beschwerde argumentativ nicht auf dieses Formblatt gestützt, sondern sich lediglich mit einem entsprechenden Einwand des Angeklagten auseinandergesetzt und dabei explizit auf die Irrelevanz Formblatts StP 393 für seine Entscheidung bezüglich der begehrten Wiedereinsetzung hingewiesen. Der Senat schließt aus, dass sich daran etwas geändert hätte, wenn das Landgericht dem - wie dargelegt - der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten das in deutscher Sprache abgefasste Formblatt übersandt hätte.

b) Aber selbst wenn das Formblatt StP 393 Entscheidungsrelevanz gehabt hätte, wäre dies ohne Einfluss auf das Ergebnis, denn der Gehörsanspruch des Angeklagten wäre ohnehin bereits vor Erlass des landgerichtlichen Beschlusses vom 27. Oktober 2022 erfüllt gewesen, weswegen eine Verletzung des Gehörsrechts zum Zeitpunkt der genannten Entscheidung nicht (mehr) bestanden hätte.

In welcher Form die nachträgliche Anhörung stattzufinden hat, ist gesetzlich nicht geregelt (vgl. Gralmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 33a Rdn. 24). Zwar dürfte die nochmalige Anhörung des Angeklagten zu entscheidungsrelevanten Tatsachen vor einer Entscheidung des Gerichts der Regelfall sein (vgl. Valerius in MüKo-StPO 2. Aufl., § 33a Rdn. 19 m.w.N.). Hierbei ist allerdings der Regelungszweck von § 33a StPO zu beachten, wonach das rechtliche Gehör sicherstellen soll, dass die Beteiligten mit Ausführungen und Anträgen gehört werden, und es die Voraussetzungen für eine willkürfreie richterliche Entscheidung auf hinreichend sicherer Tatsachengrundlage schafft (vgl. Graalmann-Scheerer a.a.O. Rdn. 1 m.w.N.). Ein Gehörsverstoß scheidet daher aus, wenn zwar keine nochmalige Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden ist, es aber ersichtlich ist, dass der Beteiligte die in Rede stehenden (entscheidungserheblichen) Tatsachen zur Kenntnis genommen und er sich bereits vor (erneuter) Beschlussfassung dazu umfassend geäußert hat. Denn dann ist ein das Gehörsrecht betreffendes Informationsdefizit, das durch Kenntnisgabe an den Angeklagten geschlossen werden müsste, ausgeschlossen. Des Weiteren ist gewährleistet, dass das Gericht den diesbezüglichen Vortrag vor seiner Entscheidung zur Kenntnis nehmen kann. Einer nochmaligen Anhörung des Angeklagten vor Beschlussfassung bedarf es dann nicht.

So liegt der Fall hier. Schon in ihrem Schriftsatz vom 27. Juli 2022 zur Begründung der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 9. Mai 2022 hat die Verteidigerin Bezug auf das Formblatt StP 393 genommen, dessen Überschrift vollständig zitiert und - zutreffend - mitgeteilt, es handele sich dabei um keine Rechtsbehelfsbelehrung. Einer Aufklärung, ob sie schon zu diesem Zeitpunkt volle Kenntnis vom deutschen Text des Formblatts hatte, bedarf es indes nicht. Denn die Verteidigerin hat spätestens am 27. September 2022 durch Akteneinsicht Gelegenheit zur Kenntnisnahme der von ihr vermissten deutschen Fassung des Formblatts StP 393 erhalten. Sodann hat sie am 29. September 2022 die Gehörsrüge gegen den Beschluss vom 23. August 2022 angebracht und umfangreich zu dem deutschen Text des Formblatts Stellung genommen. Dass das Landgericht das Vorbringen des Angeklagten zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich unzweifelhaft daraus, dass es in den Beschlüssen vom 27. Oktober 2022 und 11. Januar 2023 explizit auf den Vortrag der Verteidigerin zu dem Formblatt 393 eingegangen ist.

Soweit die Verteidigerin in ihrer Beschwerdebegründung gegen den landgerichtlichen Beschluss vom 11. Januar 2023 vorgebracht hat, der Angeklagte hätte bei nochmaliger Anhörung vor Entscheidung der Strafammer zu einer “alternativen Auslegungsmöglichkeit” des Formblatts vorgetragen, ist schon nicht ersichtlich, aus welchem Grund das Vorbringen dieses Arguments nur bei nochmaliger Anhörung möglich gewesen sein soll. Denn er fußt auf eben jenem Formular, von dem die Verteidigung bereits fast vier Wochen vor Erlass des Beschlusses vom 27. Oktober 2022 Kenntnis hatte. Einen Zusammenhang zwischen dem vorgetragenen Argument und der unterbliebenen nochmaligen Anhörung vermag der Senat nicht zu erkennen. Im Übrigen hat das aus § 33a StPO folgende Gehörsrecht nicht den Zweck, dem Beschwerdeführer zu ermöglichen, bislang nicht vorgetragene Argumente zu ihm bereits bekannten Tatsachen „nachzuschieben“.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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