Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 19.7.2023 - 203 VAs 196/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Für den gegen eine Staatsanwaltschaft gerichteten Anspruch auf Auskunft über in Dateisystemen im Sinne von §§ 483, 486 StPO gespeicherte Daten nach § 491 Abs. 2 StPO ist der Rechtsweg nach § 23 EGGVG eröffnet. Die Verweigerung einer Auskunft nach § 491 Abs. 2 StPO i.V.m. § 57 BDSG ist einer gerichtlichen Überprüfung nicht entzogen.
2. Teilt der Antragsteller im Laufe des Verfahrens mit, dass die begehrte Auskunft vollständig erteilt sei und der Antrag für erledigt erklärt werde, ist nur noch über die Frage der Kostenerstattung zu befinden.
3. Die Anordnung der Kostenerstattung nach § 30 S. 1 EGGVG bedarf einer besonderen Rechtfertigung im Einzelfall, etwa wenn der Justizbehörde ein offensichtlich oder grob fehlerhaftes oder gar willkürliches Verhalten zur Last zu legen ist.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
In der Justizverwaltungssache
pp.
Antragstellervertreter:
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 19. Juli 2023 folgenden
Beschluss
1. Das Verfahren ist in der Hauptsache erledigt.
2. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aus der Staatskasse wird nicht angeordnet.
Gründe:
I.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 4. Mai 2023 hat der Antragsteller beantragt, die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Passau anzuweisen, dem Antragsteller die von diesem mit einer dem Antrag als Ausdruck beigefügten E-Mail vom 12. Januar 2023 beantragte Auskunft zur Speicherung seiner personenbezogenen Daten unter Aufschlüsselung des Grunds der Verknüpfung (Anzeigeerstatter, „BES“, Zeuge, Geschädigter, Straftatbestand) und Angabe der voraussichtlichen Speicherdauer nach § 491 Abs. 2 StPO i.V.m. § 57 BDSG zu erteilen. Mit Schreiben vom 22. Mai 2023 hat der Antragsteller dem Senat mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin am 16. Mai 2023 die beantragte Auskunft erteilt habe, die Erledigung der Hauptsache erklärt und die Erstattung der außergerichtlichen Kosten beantragt. Die Generalstaatsanwaltschaft München ist der Erledigterklärung nicht entgegengetreten. Sie hat beantragt, den Antrag auf Auferlegung der Kosten an die Staatskasse zu verwerfen, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen. Der Antrag nach § 23 EGGVG erweise sich mangels Durchführung eines Vorschaltverfahrens als unzulässig. Die Auskunft eines Beschuldigten über den Akteninhalt sei vorrangig in § 147 Abs. 4 StPO geregelt. Der Antragsteller hätte vor einer Anrufung des Gerichts den Beschwerdeweg nach §§ 304 ff. StPO wählen müssen. Der Antragsteller hat darauf repliziert und zum Rechtsgrund der Auskunft und zur Erledigung ausgeführt.
II.
1. Der Rechtsweg nach § 23 Abs. 1 und 2 EGGVG war für das ursprüngliche Begehren des Antragstellers eröffnet.
a) Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG entscheiden über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten unter anderem auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden, auf Antrag die ordentlichen Gerichte; nach Abs. 2 der Regelung kann mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch die Verpflichtung der Justiz- oder Vollzugsbehörde zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes begehrt werden.
b) Für die Anwendung der speziellen Rechtswegbestimmung des § 23 Abs. 1 EGGVG und die Abgrenzung zu § 40 VwGO auf dem Gebiet der Strafrechtspflege ist allein maßgebend, ob die beanstandete Maßnahme funktional der Verfolgung strafbarer Handlungen dient (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2022 – 203 VAs 139/22 –, juris Rn. 10 m.w.N.). Aufgrund der - im Vergleich zur Verwaltungsgerichtsbarkeit größeren - Sachnähe der ordentlichen Gerichte wird diesen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der auf den in § 23 Abs. 1 Satz 1 genannten Gebieten ergangenen sogenannten Justizverwaltungsakte zugewiesen (vgl. Gerson in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 23 ff. EGGVG Rn. 1).
c) Der Senat versteht den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung dahin gehend, dass er auf die Erteilung einer bei der Staatsanwaltschaft erfolglos beantragten Auskunft über seine in Dateisystemen im Sinne von §§ 483, 486 StPO gespeicherten Daten („Verknüpfung“) nach § 491 Abs. 2 StPO gerichtet ist.
d) Bei der Erteilung wie auch bei der Ablehnung einer Auskunft zu den in staatsanwaltschaftlichen Registern gespeicherten Daten handelt es sich um eine Maßnahme, die die Staatsanwaltschaft als Justizbehörde zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege trifft, und die keine – unanfechtbare - Prozesshandlung darstellt. Der Antrag hat einen in der Strafprozessordnung - über eine Verweisung auf das Bundesdatenschutzgesetz (BSDG) – gesetzlich normierten Auskunftsanspruch eines von der Speicherung der Daten Betroffenen zum Gegenstand. Die beantragte Amtshandlung der Staatsanwaltschaft ist mit Blick auf den Prüfungsmaßstab für die Auskunftserteilung und ihre möglichen Folgen nicht dem Verwaltungshandeln, sondern dem Gebiet der Strafrechtspflege zuzuordnen (vgl. zum Löschungsanspruch OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Dezember 2022 - 3 VAs 14/22-, juris Rn. 7; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. November 2009 – 2 VAs 5/09 –, juris Rn. 17; a.A. für die Finanzgerichtsbarkeit BFH, Beschluss vom 7. April 2020 – II B 82/19 –, BFHE 268, 489, BStBl II 2020, 624, juris Rn. 19). Eine Auskunft über die Verfahrensstellung des Betroffenen vermag insbesondere bei einem noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren dessen Durchführung zu berühren.
2. Eines Vorschaltverfahrens nach § 24 Abs. 2 EGGVG bedurfte es hier nicht.
3. Die Verweigerung einer Auskunft nach § 491 Abs. 2 StPO ist einer gerichtlichen Überprüfung nach §§ 23 ff. EGGVG nicht entzogen (anders noch BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - StB 29/08-, juris zu § 491 StPO a.F.). Der Auskunftsanspruch nach § 491 Abs. 2 StPO i.V.m. § 57 BDSG wird nicht durch die speziell geregelten Ansprüche auf Einsicht in die Akten und auf Auskünfte aus den Akten nach §§ 147, 406e, 474 ff. StPO verdrängt. Dies folgt bereits aus dem Gesetzeswortlaut und der gesetzlich geregelten Pflicht eines Hinweises auf die Möglichkeit von gerichtlichem Rechtsschutz (§ 57 Abs. 7 S. 2 BDSG). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22. Januar 2009 ist nach der Aufhebung der strafprozessualen Sonderregelung zum datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch mit der Gesetzesnovellierung vom 26. November 2019 und der nunmehr uneingeschränkten Verweisung auf die Vorschrift des § 57 BDSG überholt, da die Neufassung abweichend zu § 491 a.F. keine Vorrangregelung und keinen Ausschlusstatbestand enthält (vgl. BT- Drucksache 19/4671 S. 45; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. § 491 Rn. 2; für den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG auch KK-Gieg, StPO, 9. Aufl., § 491 Rn. 5 m.w.N.; Singelnstein, MüKo-StPO, 1. Aufl., § 491 Rn. 18; wohl auch BeckOK StPO/Wittig, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 491 Rn. 9; zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung vgl. BeckOK DatenschutzR/Schild, 44. Ed. 1.5.2023, BDSG § 57 Rn. 41-48 m.w.N.; VG Wiesbaden, Urteil vom 26. März 2021 – 6 K 59/20.WI –, juris; VG Köln, Urteil vom 18. April 2019 – 13 K 10236/16 –, juris; gegen den Rechtsweg nach § 23 EGGVG Köhler a.a.O. Rn. 4a).
4. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist mit der Mitteilung des Antragstellers, dass die gewünschte Auskunft vollständig erteilt wurde und der Antrag erledigt sei, gegenstandslos geworden (vgl. zur Erledigung BayObLG, Beschluss vom 5. Januar 2022 – 101 VA 140/21 –, juris Rn. 21; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2001 – 1 VA 4/01 –, juris Rn. 1).
5. Aufgrund der Erledigterklärung war nur noch über die Frage zu befinden, ob eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten anzuordnen war.
a) Eine Entscheidung über die Tragung von Gerichtskosten ist entbehrlich, weil Gerichtskosten für das vorliegende Verfahren nicht anfallen (BayObLG a.a.O.). Die Beendigung des Verfahrens durch Erledigungserklärung löst keine Gerichtsgebühr aus (Nr. 15300 und 15301 KV GNotKG zu § 3 Abs. 2 GNotKG).
b) Eine Erstattung der dem Antragsteller im Verfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten war hier nicht anzuordnen.
aa) Nach § 30 Satz 1 EGGVG kann der Senat nach billigem Ermessen bestimmen, dass die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG notwendig waren, ganz oder teilweise aus der Staatskasse zu erstatten sind. Die gesetzliche Regelung findet auch dann Anwendung, wenn in der Hauptsache keine Entscheidung ergeht, weil sie sich nach der Antragstellung erledigt hat (vgl. BayObLG a.a.O. Rn. 27 m.w.N.; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2001 – 1 VA 4/01 –, juris). Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung entspricht eine Kostenerstattung im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG billigem Ermessen, wenn sie durch besondere Umstände gerechtfertigt ist (vgl. Kissel/ Mayer, GVG, 10. Aufl., § 30 EGGVG Rn. 5). Mangels Verweisung auf diejenigen Vorschriften der Zivilprozessordnung, die für die Kostentragungspflicht maßgeblich auf das Maß des Obsiegens und Unterliegens der Partei im Rechtsstreit oder die Erfolgsaussichten des Klagebegehrens abstellen (§§ 91 Abs. 1 S. 1, 91a, 92 ZPO), genügen begründete Erfolgsaussichten allein nicht (st. Rspr., vgl. etwa BayObLG a.a.O. Rn. 28; KG Berlin, Beschluss vom 3. Juli 2018 – 5 VAs 6/18 –, juris Rn. 6; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. November 2017 – 2 VAs 52/17 –, juris Rn. 3 m.w.N.). Die Anordnung der Kostenerstattung bedarf demnach einer besonderen Rechtfertigung im Einzelfall, etwa wenn der Justizbehörde ein offensichtlich oder grob fehlerhaftes oder gar willkürliches Verhalten zur Last zu legen ist (KG a.a.O.; BayObLG a.a.O.; Gerson a.a.O. § 30 EGGVG Rn. 4; KK-Mayer, StPO, a.a.O., § 30 EGGVG Rn. 5; Kissel/Mayer a.a.O.).
bb) Im vorliegenden Fall ist die vom Antragsteller begehrte Kostenerstattung nicht veranlasst. Anhaltspunkte darauf, dass die Behörde hier willkürlich gehandelt hätte, liegen nicht vor.
aaa) Beantragt der Antragsteller eine Auskunft aus einem staatsanwaltschaftlichen Register, kann nach der Vorschrift des § 57 Abs. 4 BDSG von einer Auskunftserteilung ganz abgesehen werden, falls durch die Auskunftserteilung Ermittlungen gefährdet würden, etwa im Falle von nicht offen geführten Ermittlungsverfahren (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10. März 2008 – 1 BvR 2388/03 –, BVerfGE 120, 351-377, BStBl II 2009, 23, juris Rn. 100 ff. zu § 19 Abs. 4 BDSG a.F.). Würde bereits die Mitteilung vom Absehen der Auskunftserteilung die Ermittlungen potentiell gefährden, braucht der Antrag nach § 57 Abs. 6 S. 2 BDSG überhaupt nicht beschieden werden.
bbb) Mit Blick auf ihre Prüfungspflicht nach § 57 Abs. 4 BDSG i.V.m. § 56 Abs. 2 BDSG, gegebenenfalls i.V.m. § 45 BDSG, die Klärung möglicher Zustimmungserfordernisse nach § 57 Abs. 5 BDSG und des Versagungsgrunds nach § 57 Abs. 6 S. 2 BDSG wäre der Staatsanwaltschaft eine gewisse Bearbeitungszeit zuzubilligen, wenn wie hier aufgrund einer Vielzahl von relevanten Verfahren eine umfangreiche Auskunft zu erstellen ist und das Auskunftsbegehren zudem die Speicherungsfristen umfasst. Dass der Vorgang bei der Staatsanwaltschaft bereits in Bearbeitung war, hatte diese dem Antragsteller nach eigenem Vortrag noch vor der Antragstellung bei Gericht mitgeteilt. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zudem ist zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller nach herrschender Meinung zur Durchsetzung seiner Rechte im Falle einer Verweigerung der Auskunft jederzeit die Möglichkeit offen stand, nach § 57 Abs. 7 BDSG und nach § 60 BDSG den Bundesbeauftragten einzuschalten (Malek in Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch, Strafverteidigung, 3. Aufl., D § 30 I Rn. 6; Wittig BeckOK a.a.O. § 491 Rn. 8, im Ergebnis wohl auch Köhler a.a.O. Rn. 4a).
c) Der Festsetzung eines Geschäftswerts nach § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 79 Abs. 1 Satz 1 GNotKG bedarf es nicht, da keine Gerichtsgebühr zu erheben ist.
Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG
Anmerkung:
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