Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.05.2023 - 1 Ws 65/22
Eigener Leitsatz:
Für die sichere Annahme eines Vermögensabflusses über bloße Vermutungen hinaus bedarf es auch im Vollstreckungsverfahren einer tragfähigen Tatsachengrundlage, wozu das Gericht konkrete Feststellungen zu treffen hat. Insoweit kann bei der Entscheidung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO nichts anderes gelten als bei der Feststellung einer Entreicherung im Erkenntnisverfahren.
In pp.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten S. wird der Beschluss der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 6. April 2022 insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Potsdam (25 KLs 9/13) vom 22. Dezember 2017 erkannten Einziehung zurückgewiesen worden ist.
Die weitere Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Potsdam (25 KLs 9/13) vom 22. Dezember 2017 angeordneten Einziehung eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht, unterbleibt.
Die Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Potsdam (25 KLs 9/13) vom 22. Dezember 2017 angeordneten Einziehung eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht, ist auf gerichtliche Anordnung wieder aufzunehmen, wenn nachträglich Umstände bekannt werden oder eintreten, die der vorgenannten Anordnung entgegenstehen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Der Verurteilte S. erstrebt die gerichtliche Anordnung des Unterbleibens einer Wertersatzeinziehung gemäß § 459g Abs. 5 StPO, da der Wert des Erlangten nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei und die weitere Vollstreckung sich als unverhältnismäßig erweisen würde.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
1. Die 5. große Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Potsdam hat am 22. Dezember 2017, rechtskräftig seit dem 30. Dezember 2017, den nicht vorbelasteten Beschwerdeführer wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens gefälschter Arzneien in Tateinheit mit vorsätzlichem Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel, wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken, wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Einfuhr von Arzneimitteln ohne Erlaubnis nach § 72 Arzneimittelgesetz sowie wegen vorsätzlicher Benutzung einer Marke und eines Zeichens ohne Zustimmung des Inhabers zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, von der vier Monate der Strafe als vollstreckt galten und deren restliche Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit betrug zwei Jahre, Auflagen und Weisungen wurden nicht erteilt. Zudem wurde ein Geldbetrag in Höhe von 117.676,90 € eingezogen, der dem Wert des vom Verurteilten Erlangten entspricht.
Ausweislich der Urteilsgründe war der Verurteilte im Zeitraum vom 25. Mai 2009 bis zur Zerschlagung der sogenannten Pillendienst-Gruppierung am 5. April 2011 ein für den Versand der bestellten Arzneimittel wichtiger Mitarbeiter der Gruppierung. Ihm wurden an die Geschäftsanschrift des vormals Angeklagten M. Pakete geliefert, in denen sich die bereits mit Arzneimitteln gefüllten, zugeklebten und adressierten sowie mit einer fiktiven Absenderadresse versehenen Briefumschläge befanden. Der Verurteilte versah diese Briefumschläge mit Briefmarken und gab sie sodann zur Post. Der Verurteilte erhielt pro aufgegebene Briefsendung eine Provision von 0,65 € und erlöste so über den genannten Tatzeitraum einen Betrag in Höhe von 117.676,90 €.
Zur Person des Verurteilten führen die Urteilsgründe aus, dass er im Jahr 2006 mit einem Geschäftspartner eine GmbH gegründet habe, die für das Telekommunikationsunternehmen E. tätig gewesen sei. Diese Tätigkeit sei nicht sehr ertragreich gewesen, die Provisionen seien immer mehr zurückgegangen, sodass die GmbH habe Insolvenz anmelden müssen. Seit September 2015 sei der Verurteilte als Angestellter bei einer Versicherungsagentur tätig und verdiene dort etwa 1070 € im Monat. Er wohne bei seiner Mutter zur Miete und zahle ihr hierfür 300 € im Monat, sodass ihm nach Abzug seiner Ausgaben etwa 500 € zum Leben verblieben.
Zum Verbleib der Einnahmen des Verurteilten aus den Straftaten führen die Urteilsgründe aus, dass diese Einnahmen für eigene Zwecke (Lebensunterhalt, Schuldentilgung) verbraucht worden seien.
2. Vor der Verurteilung durch das Landgericht Potsdam am 22.12.2017 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts F. auf Eigenantrag des Verurteilten am 10. Juni 2013 das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet. Mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom 11.07.2019 wurde dem Verurteilten die Restschuldbefreiung erteilt.
Mit weiterem Beschluss vom 20. Dezember 2017 hat das Landgericht F. (… O …) festgestellt, dass in dem Rechtsstreit zwischen dem Verurteilten und der B. AG ein Vergleich mit dem Inhalt zustande gekommen ist, dass der Verurteilte – neben anderen Verpflichtungen – zum Zweck der Wiedergutmachung des von ihm verursachten Schadens 10.000 € an die B. AG zur Abgeltung des Schadensersatzanspruchs zahlt. Der Verurteilte hat die Zahlungsverpflichtung aus diesem Vergleich am 20. Dezember 2017 erfüllt.
Die Bewährungsstrafe wurde dem Verurteilten nach Ablauf der Bewährungszeit mit Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 15. Januar 2020 erlassen.
3. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. März 2020 an die Staatsanwaltschaft Potsdam erklärte der Verurteilte, er sei vermögenslos und daher nicht in der Lage, den Einziehungsbetrag zu zahlen. Seinen Nettoverdienst für seine Tätigkeit bei einer Versicherungsagentur gab er mit 1089,20 € an. Er versuche derzeit, über die Stiftung R. (Stiftung für die Resozialisierung Straffälliger) und mit Hilfe seiner Mutter und seines Bruders die Bereitstellung eines Vergleichsbetrages zur Tilgung der Forderung zu erreichen. Nachweise zu seinen Vermögensverhältnissen wurden eingereicht, wonach der Verurteilte bei seiner Mutter wohne, der er eine monatliche Kostenpauschale von 350 € zahle. Zusätzlich seien Kfz-Haftpflichtversicherung und Kfz-Steuer in Abzug zu bringen, deren Höhe er mit monatlich 33 € (Versicherung) und jährlich 378,48 € (Steuern) angab.
4. Mit Verfügung vom 17. Juni 2020 gestattete die Staatsanwaltschaft Potsdam dem Verurteilten, den geforderten Betrag in Höhe von 117.676,90 € in monatlichen Raten von 100 € zu zahlen. Der bewilligten Ratenzahlungsmöglichkeit kam der Verurteilte nicht nach, sondern regte mit Anwaltsschriftsatz vom 04. Juli 2020 eine vergleichsweise Einigung dahingehend an, dass er 6000 € in monatlichen Raten zu je 100 € zahle und damit sämtliche Forderungen gegen ihn aus dem Vollstreckungsverfahren abgegolten seien. Sollte die Staatsanwaltschaft Potsdam diesem Vergleich nicht zustimmen, beantragte er gemäß § 459g Abs. 5 StPO anzuordnen, dass die Vollstreckung der Einziehung unterbleibt, da der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Verurteilten und Beschwerdeführers vorhanden und die Einziehung damit sowie im Hinblick auf den Resozialisierungsgedanken unverhältnismäßig sei. Am 2. September 2020 setzte die zuständige Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft Potsdam den Verteidiger in Kenntnis, dass erst nach Erhalt des angebotenen Vergleichsbetrags über das Vergleichsangebot entschieden werde.
5. Mit Anwaltsschriftsatz vom 8. September 2020 teilte der Verurteilte der Staatsanwaltschaft Potsdam mit, dass die Sache nunmehr nach Ablehnung der angebotenen vergleichsweisen Einigung dem nach § 459g Abs. 5 StPO zuständigen Gericht zur Entscheidung vorzulegen sei. Die Akte wurde daraufhin durch die Staatsanwaltschaft Potsdam dem Landgericht Potsdam vorgelegt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 25. Juli 2021 beantragte der Verurteilte anzuordnen, dass auch die Vollstreckung der Verfahrenskosten unterbleibt, da mit einer Beitreibung der Forderung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen sei.
Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Beschluss vom 6. April 2022, dem Verurteilten am 9. April 2022 förmlich zugestellt, die Anträge auf Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2017 (25 KLs 9/13) erkannten Einziehung und auf Niederschlagung der Verfahrenskosten zurückgewiesen sowie die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung in Höhe von 10.000 € ausgeschlossen.
Das Landgericht begründete seine Entscheidung dahingehend, dass in Höhe von 10.000 € der Ausschluss der Vollstreckung der Einziehung nach § 459g Abs. 4 StPO auszusprechen gewesen sei. Der Antrag auf Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung des Einziehungsbetrages sei unbegründet, da die Vollstreckung – auch im Hinblick auf die aktuelle Vermögenssituation des Verurteilten – nicht unverhältnismäßig sei im Sinne des § 459g Abs. 5 StPO. Die Entreicherung des Verurteilten begründe nicht die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung. Die Entreicherung sei mit der Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung als vertypter Regelfall der Verhältnismäßigkeit eingeführt, jedoch zum 1. Juli 2021 wieder aus dem Gesetz gestrichen worden. Damit reiche die bloße Verarmung des Einziehungsadressaten für sich genommen regelmäßig nicht aus, um die Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Vollstreckung zu begründen. Der Verurteilte sei zwar entreichert, da er verarmt sei. Besonders gravierende Umstände, die eine Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung begründen, seien jedoch nicht vorhanden. Die beantragte Entscheidung über die Vollstreckung der Verfahrenskosten könne nicht getroffen werden, da eine Niederschlagung der Verfahrenskosten gemäß § 459d Abs. 2 StPO nur möglich sei, wenn auch eine Geldstrafe verhängt worden ist, deren Vollstreckung unterbleibt. Der Antrag auf Niederschlagung der Verfahrenskosten sei an die zuständige Behörde zu richten, eine gerichtliche Entscheidung könne derzeit nicht ergehen.
6. Hiergegen richtet sich die am 12. April 2022 bei Gericht angebrachte sofortige Beschwerde des Verurteilten. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 16. Mai 2022 beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen. Dem ist der Verurteilte mit Anwaltsschriftsatz vom 1. Juni 2022 entgegengetreten.
7. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat auf Nachfrage des Senats mit Verfügung vom 8. September 2022 mitgeteilt, dass die im Ermittlungsverfahren veranlassten Forderungspfändungen nicht werthaltig gewesen seien und die Grundbuchsicherungen nach den Zwangsversteigerungen keine Erlöse erzielt hätten. Bezüglich der gesicherten Devisen und Postwertzeichen im Gesamtwert von 930,41 € sei die Verwertung angeordnet worden. Der Verurteilte sei als entreichert anzusehen.
Auf Anregung des Senats ist seitens der Staatsanwaltschaft Potsdam mit Verfügung vom 29. November 2022 über ein Auskunftsersuchen nach § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht geprüft worden, ob der Verurteilte Inhaber von Konten und eine Vollstreckung der Einziehungsentscheidung insoweit möglich ist.
Im Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft am 7. März 2023 mitgeteilt, dass von der F. Sparkasse ein Betrag in Höhe von 709,32 € habe eingezogen werden können und sämtliche weiteren Vollstreckungsversuche erfolglos geblieben seien.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 462 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 459g Abs. 5 StPO statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.
2. Das Rechtsmittel hat überwiegend auch in der Sache Erfolg und führt zur Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Anordnung, dass die weitere Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2017 (25 KLs 9/13) angeordneten Einziehung eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht, unterbleibt.
a) Die Entscheidung über die Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung von Nebenfolgen, die zu einer Geldzahlung verpflichten, richtet sich im vorliegenden Fall nach § 459g Abs. 5 StPO a.F., d.h. in der bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung. Nach § 459g Abs. 5 S. 1 StPO a.F. unterbleibt die weitere Vollstreckung von Nebenforderungen, soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist oder die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig wäre.
Zwar ist die Vorschrift des § 459 StPO vor der angefochtenen Entscheidung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. 2021, 2099) zum 1. Juli 2021 u.a. dahingehend geändert worden, dass in Absatz 5 die „Entreicherung“ als besonderer Aspekt der „sonstigen Unverhältnismäßigkeit“ und damit zugleich als zwingendes Vollstreckungshindernis gestrichen wurde. Jedoch wurde im vorliegenden Fall die Tat vor dem 1. Juli 2021 beendet und der Verurteilte hat vor dem 1. Juli 2021 das Unterbleiben der Vollstreckung beantragt, so dass entsprechend dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB das mildere Gesetz gilt. Dies ist im Vergleich zur jetzigen Regelung die bis zum 30. Juni 2021 geltende Fassung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO, die für den Fall der Entreicherung das Unterbleiben der (weiteren) Vollstreckung zwingend anordnete.
Die Vorschrift des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO in der bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung schreibt das Unterbleiben der Vollstreckung zwingend vor, wenn das durch die Straftat Erlangte bzw. dessen Wert nicht (mehr) im Vermögen des Tatbeteiligten vorhanden ist (vgl. BT-Drucks. 18/9525, 31, 95; BGH, Urteil vom 8. Mai 2019, 5 StR 95/19, zit. n. juris, dort Rn. 6; BGH, Urteil vom 15. Mai 2018, 1 StR 651/17, zit. n. juris, dort Rn. 57; BGH, Beschluss vom 22. März 2018, 3 StR 577/17; Senatsbeschluss vom 22. September 2022, 1 Ws 118/21 (S), in: NZI 2022, 954 ff.; OLG München, Beschluss vom 19. Juli 2018, 5 OLG 15 Ss 539/17, zit. n. juris, dort Rn. 26, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2020, Ws 2/20, StraFo 2020, 393 f.), wobei die zivilrechtlichen Gesichtspunkte der verschärften Haftung gemäß § 818 Abs. 4, 819 BGB nach der Rechtsprechung bei der Auslegung von § 459g StPO keine Rolle spielen kann (vgl. Senatsbeschluss a.a.O.; OLG Schleswig, Beschluss vom 30. Januar 2020, 2 Ws 69/19 (40/19), NStZ-RR 2021, 63; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2020, Ws 2/20, ZInsO 2020, 2144; LG Bochum Beschluss vom 24. April 2020, 12 KLs 6/19, NInsO 2021, 1452 f, jew. m.w.N.). Denn erkennbar hat sich der Gesetzgeber für eigenständige Wertungen des Vollstreckungsrechts entschieden, um zwar einerseits die Vermögensabschöpfung zu effektivieren, andererseits aber die Tatbeteiligten vor der „erdrosselnden“ Wirkung der Wertersatzanordnung trotz möglicher Entreicherung zu schützen (amtl. Begründung des Regierungsentwurfs zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drucks. 18/9525, S. 57).
Zur Entlastung der Hauptverhandlung verlagerte der Reformgesetzgeber 2017 (Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017, BGBl. I, 872) die Härteklausel des § 73c StGB a.F., der dem erkennenden Gericht für den Fall der Entreicherung ein Ermessen eröffnete, von Verfallserscheinungen abzusehen, in das Vollstreckungsverfahren und erweiterte sie dahin, dass die Entreicherung nicht mehr fakultativ, sondern zwingend zum Ausschluss der Vollstreckung führte (s.o.; BT-Drucks. aaO.). Ungeachtet des Vorstehenden stellt die Frage der Entreicherung auch einen Aspekt der allgemeinen Verhältnismäßigkeit dar.
b) Im vorliegenden Fall ist von einer Entreicherung des Beschwerdeführers auszugehen.
Für die sichere Annahme eines Vermögensabflusses über bloße Vermutungen hinaus bedarf es einer tragfähigen Tatsachengrundlage, wozu das Gericht konkrete Feststellungen zu treffen hat. Insoweit kann bei der Entscheidung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO nichts anderes gelten als bei der Feststellung einer Entreicherung im Erkenntnisverfahren (vgl. Senatsbeschluss vom 22. September 2022, 1 Ws 118/21 (S), in: NZI 2022, 954 ff.; ebenso: KG Berlin, Beschluss vom 7. September 2020, 5 Ws 105/19, zit. n. juris, dort Rn. 18; OLG München, Beschluss vom 12. Februar 2019, 3 Ws 939/18, zit. n. juris, dort Rn. 13; Lubini, NZWiSt 2019, 419, 422; Appl, KK-StPO, 8. Aufl. § 459g Rn. 17; siehe auch zum Erkenntnisverfahren: BT-Drs. 18/9525, 47; BGH, Beschluss vom 8. August 2013, 3 StR 179/13, zit. n. juris, dort Rn. 2). Eine Amtspflicht zur Ermittlung dieser Tatsachengrundlage besteht für das Gericht indes nicht (Senatsbeschluss aaO.; KG aaO.; Rettke, NZWiSt 2019, 338, 339). Sie muss vielmehr – soweit entsprechende Tatsachen dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft nicht ohnehin bereits bekannt sind – vom Einziehungsadressaten dargelegt und nachgewiesen werden (Lubini a.a.O.; Wolf, Rpfleger 2017, 489, 493; Rettke, a.a.O., 340; siehe auch BT-Drs. 18/10146, 6, 12). Dies ist Folge der seit 2017 umgesetzten Verschiebung der Entreicherungsprüfung in das Vollstreckungsverfahren. Die Darlegungs- und Beweislastzuschreibung stellt dabei keine ungebührliche Belastung des Verurteilten dar, da die maßgeblichen Umstände zur Ermittlung eines Vermögensabflusses grundsätzlich in seiner Einfluss- und Kenntnissphäre liegen und er – anders als im Erkenntnisverfahren – bei der Tätigung von Angaben zu seinem Vermögen nicht mehr auf seine Verteidigung gegen den Tatvorwurf Bedacht nehmen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018, 3 StR 577/17, zit. n. juris). Bloße, nicht nachprüfbare Behauptungen des Verurteilten bilden keine ausreichende Grundlage für die durch das Gericht zu treffenden Feststellungen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 7. November 2019, 1 Ws 341/19, zit. n. juris, dort Rn. 12), da sonst das Rechtsinstitut der Vermögensabschöpfung auf der Vollstreckungsebene ausgehöhlt werden könnte, was dem gesetzgeberischen Zweck der effektiven Abschöpfung inkriminierten Vermögens zuwiderliefe (siehe dazu BT-Drs. 18/9525, 45, 48).
Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer seiner Nachweispflicht nachgekommen, indem er seine Lohnabrechnungen eingereicht und seine Wohnkosten belegt hat. Aus den von ihm eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass der Verurteilte verarmt ist.
Von seiner Nachweispflicht ist der Verurteilte zudem ausnahmsweise dann entbunden, wenn die absehensbegründenden Tatsachen der Strafvollstreckungsbehörde bzw. dem zur Entscheidung berufenen Gericht sicher bekannt sind (vgl. Senatsbeschluss vom 22. September 2022, 1 Ws 118/21 (S), in: NZI 2022, 954 ff.; OLG Jena, Beschluss vom 7. November 2019, 1 Ws 341/19, zit. n. juris, dort Rn. 12; Rettke, NZWiSt 2019, 338, 339). Eine entsprechende Kenntnis kann beispielsweise aus erfolglosen Vollstreckungsversuchen der Staatsanwaltschaft (dazu vgl. OLG München, Beschluss vom 3. November 2017, BesckRS 2017 136037, dort Rn. 15) oder aus den Feststellungen des die Wertersatzeinziehung anordnenden rechtskräftigen Urteils erwachsen. Hat das erkennende Gericht konkrete Feststellungen zur Entreicherung bei dem Verurteilten getroffen, sind diese von Amts wegen ermittelten und durch Strengbeweis gewonnenen Erkenntnisse im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich taugliche Beurteilungsgrundlage (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 7. September 2020, 5 Ws 105/19, zit. n. juris, dort Rn. 18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2020, Ss 2/20, zit. n. juris, dort Rn. 2, 8; OLG München, Beschluss vom 3. November 2017, BesckRS 2017 136037, dort Rn. 16). Etwas anderes gilt nur dann, wenn nachträglich bekannt gewordene Tatsachen geeignet sind, die Urteilsfeststellungen in Zweifel zu ziehen. In diesem Fall lebt die Darlegungs- und Beweislast des Verurteilten hinsichtlich des Vermögensabflusses wieder auf. Denn für die Prüfung der Entreicherung kommt es auf den Zeitpunkt der Vollstreckungsentscheidung und nicht auf den der Verurteilung an (Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 459g Rn. 13); die Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung im Jahr 2017 sollte gerade auch der Abschöpfung nachträglich entdeckten Vermögens dienen (vgl. BT-Drs. 18/9525, 47 f., 57, 94). Für die Berücksichtigungsfähigkeit nachträglich bekannt werdender oder eintretender Umstände streitet auch die Regelung des § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO, die für diese Fälle sogar die Wiederaufnahme der Vollstreckung nach einer zuvor gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO getroffenen Absehensentscheidung vorsieht.
Entsprechend den vorgenannten Maßstäben ist bei einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass der Wert des durch die erhaltenen Provisionen Erlangten nicht mehr im Vermögen des Verurteilten vorhanden ist.
Bereits in den Gründen des Urteils vom 22. Dezember 2017 (25 KLs 9/13) ist ausgeführt, dass der Verurteilte die Erlöse aus den Straftaten verbraucht hat, sich im Insolvenzverfahren befindet und ihm lediglich 500,00 € im Monat zum Bestreiten seines Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.
Das Landgericht Potsdam geht in der angefochtenen Entscheidung ebenfalls davon aus, dass der Verurteilte verarmt und damit entreichert ist.
Auch die Staatsanwaltschaft Potsdam ist nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer über nennenswertes Vermögen nicht (mehr) verfügt, weder über deliktisch erlangtes Vermögen noch über redlich erlangtes oder neu gebildetes Vermögen.
Gewichtiges Indiz für eine Entreicherung des Beschwerdeführers ist zudem die im Insolvenzverfahren mit Beschluss des Amtsgerichts F. am 11.07.2019 erklärte Restschuldbefreiung. Dass die Restschuldbefreiung gemäß § 302 Ziff. 2 InsO iVm. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht die gerichtliche Einziehungsanordnung erfasst, steht dem nicht entgegen; sie lässt den Anspruch bestehen. Kann aber eine Vollstreckung in aktuell vorhandene Gegenstände oder in Vermögen des Schuldners nicht erfolgen, setzt die weiter bestehenden Verbindlichkeit den Betroffenen einem Druck aus, die nicht mehr vorhandenen Werte erst (wieder) neu zu schaffen. Dies kann aber nicht mehr dem gesetzgeberischen Ziel der Reform der Vermögensabschöpfung seit 2017 dienen, dass sich Straftaten nicht lohnen dürfen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. September 2022, 1 Ws 118/21 (S), in: NZI 2022, 954 ff.; Bittmann NStZ 2022, 8, 15; Meißner StraFo 2021, 266, 269, 271).
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Ausführungen hat die weitere Vollstreckung der Einziehung von Wertersatz aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2017 (25 KLs 9/13) zu unterbleiben.
3. Der Senat weist darauf hin, dass, sofern sich an den festgestellten Umständen in Zukunft etwas ändern sollte, die Wiederaufnahme der Vollstreckung von Wertersatz nach Maßgabe von § 459g Abs. 5 S. 2 StPO n.F. in Betracht kommt.
4. Hinsichtlich der Anordnung im angefochtenen Beschluss, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung in Höhe von 10.000 € ausgeschlossen ist, kann der Verurteilte kein Rechtsschutzbedürfnis geltend machen, da er durch diese Anordnung nicht beschwert ist.
5. Bezüglich der Ablehnung einer Entscheidung über den Antrag auf Niederschlagung der Verfahrenskosten ist der angefochtene Beschluss aufgrund seiner zutreffenden Erwägungen nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 467 StPO (analog), 473 Abs. 4 StPO.
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