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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Wiederholungsgefahr, JGG-Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.10.2023 – 2 Ws 142/23

Eigener Leitsatz:

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschuldigte zur Tatzeit Heranwachsender war und insoweit möglicherweise nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe, sondern – jedenfalls wegen schädlicher Neigungen – aufgrund des Ausmaßes der Tatvorwürfe die Verurteilung zu einer unbedingten, ein Jahr weit übersteigenden Jugendstrafe zu erwarten ist.


In pp.

Die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. August 2023 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Beschuldigten zur Last.

Gründe

I.

Der Beschuldigte befindet sich nach seiner vorläufigen Festnahme am 29. April 2023 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Eberswalde vom 25. April 2023 in Untersuchungshaft.

Ihm wird vorgeworfen, als Heranwachsender im Zeitraum von Dezember 2021 bis Juni 2022 in (Ort 01) von anderen unter Drohungen mit Gewalt bzw. der Aufrechterhaltung früherer Drohungen unberechtigt Geldbeträge verlangt zu haben, die die Geschädigten aufgrund vorangegangener Einschüchterungen teilweise auch gezahlt haben sollen (§§ 255, 249, 250, 22 StGB). Ende 2021/2022 soll er den Zeugen (Name 01) ohne einen Anspruch hierauf zur Zahlung von 1.000 € aufgefordert und seiner Forderung dadurch Nachdruck verliehen haben, dass er eine – echte oder jedenfalls einer echten täuschend ähnlich sehende – Schusswaffe in Richtung des Zeugen gehalten habe, woraufhin dieser ihm aus Angst um Leben und Gesundheit 600 € ausgehändigt habe. Mitte Februar 2022 soll er unter der Drohung, dass er ihm ansonsten die „Knochen brechen“ würde, erneut 1.000 € gefordert haben, woraufhin ihm der Zeuge zumindest 235 € übergeben habe. Im Mai und Juni 2022 soll der Beschuldigte in entsprechender Weise weitere Zahlungen von 1.000 € bzw. 500 € verlangt haben, die der Geschädigte ihm gezahlt habe. Am 17. und 26. März 2022 soll er an den mit dem Zeugen (Name 01) befreundeten Zeugen (Name 02) Kurznachrichten versandt haben, mit denen er die Übermittlung weiterer Geldforderung an den Zeugen (Name 01) in Höhe von jeweils 300 €, zu übergeben am (Adresse 01) in (Ort 01), verlangt habe, wobei es zu Geldübergaben nicht gekommen sei. Am 31. März 2022 soll der Beschuldigte vom Zeugen (Name 02) mittels Sprachnachricht 1.200 € gefordert haben, wobei es zu der am Folgetag verlangten Zahlung nicht gekommen sei. Darüber hinaus soll der Beschuldigte am 18. April 2022 aus der Wohnung des Zeugen (Name 02) eine Pistole Walther P22 nebst 50-60 Schuss Munition, mehrere Messer sowie eine goldene Halskette entwendet haben, um diese für sich zu behalten (§ 242 Abs. 1 StGB).

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl hat das Landgericht Frankfurt (Oder) durch Beschluss vom 4. August 2023 als unbegründet verworfen. Hiergegen hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger weitere Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat aus den zutreffenden Gründen der der Verteidigung bekannt gegebenen Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 20. September 2023, auf die der Senat ergänzend Bezug nimmt, keinen Erfolg.

1. Der Beschuldigte ist dringend tatverdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht aufgrund der Aussagen der Zeugen (Name 01) und (Name 02) sowie der ausgewerteten Sprachnachrichten auf deren Mobiltelefonen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er die ihm vorgeworfenen Tathandlungen begangen hat. Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung sind die belastenden Angaben der Zeugen nach derzeitigem Erkenntnisstand insgesamt als ausreichend konkret und glaubhaft zu bewerten. Widersprüche und Ungenauigkeiten sind angesichts der Vielzahl der einzelnen Vorfälle und Zeitabläufe plausibel und sprechen nicht für Falschbelastungen. Im Übrigen ist auch im Hinblick auf weitere gegen den Beschuldigten geführte Strafverfahren anzunehmen, dass ihm die Art und Weise der Tatbegehung und die Erpressung von Dealern im Umfeld von (Ort 01) nicht wesensfremd ist. Allein der Umstand, dass der Zeuge (Name 01) mit Drogen gehandelt und ebenso wie der Zeuge (Name 02) Schusswaffen besessen haben soll, liefert keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, die gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen und für falsche Angaben zur Erlangung einer Strafmilderung sprechen würden. Bei der Waffe, die der Beschuldigte bei einer der Taten mit sich geführt und verwendet haben soll, handelt es sich jedenfalls um ein Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB. Dass der Beschuldigte die Zahlungsaufforderung gegenüber dem Geschädigten (Name 02) unter konkludenten bzw. aufrechterhaltenen früheren Drohungen mit Gewalt zu erzwingen versucht hat, ergibt sich in hinreichendem Maße aus den Aussagen des Zeugen vom 16. und 28. Dezember 2022 sowie den wechselseitigen Sprachnachrichten („Bis morgen habt ihr Zeit, 1.200 € ranzuholen, weil ich kommt sonst in Knast“, “Ich bin doch nicht dumm, lass mich nicht ausrasten“, „Erpressung“, „“Wir wissen alle, was passiert, wenn wir nicht machen, was die wollen“, „Deine Drohungen kannst du dir sparen“, Bl. 135, 152 d.A.). Dies gilt insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass der Geschädigte (Name 02) ersichtlich und in Kenntnis des Beschuldigten von den vorangegangenen Drohungen gegenüber dem Geschädigten (Name 01) Kenntnis hatte.

2. Aus den zutreffenden und fortdauernden Gründen des Haftbefehls besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO).

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, fortgesetzt schwerwiegende räuberische Erpressungen begangen zu haben. Neben den dem Haftbefehl zugrunde liegenden Vorwürfen soll er ausweislich des Schlussberichts vom 29. September 2023 in vorliegendem Ermittlungsverfahren eine Vielzahl weiterer gleichartiger Delikte begangen haben und es wurden darüber hinaus bereits mehrere Strafverfahren wegen derartiger Taten gegen ihn geführt. Wegen der großen Anzahl der Tatvorwürfe und der besonders hohen Rückfallgeschwindigkeit, die auch durch zwischenzeitliche Ermittlungsverfahren ersichtlich nicht verringert werden konnte, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er sich von den gegen ihn geführten Ermittlungen und Strafverfahren nicht von weiteren Erpressungen abhalten lassen, sondern vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens weitere derartige Straftaten begehen wird.

Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschuldigte zur Tatzeit Heranwachsender war und insoweit möglicherweise nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe, sondern – jedenfalls wegen schädlicher Neigungen – aufgrund des Ausmaßes der Tatvorwürfe die Verurteilung zu einer unbedingten, ein Jahr weit übersteigenden Jugendstrafe zu erwarten ist. Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist § 112 a StPO auch im Jugendstrafrecht anwendbar (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 2. März 2017 – 1 Ws 14/17; KG, Beschl. v. 28. Februar 2012 – 4 Ws 18/12, zit. nach Juris mwN.). Auch der Umstand der erst nach Inhaftierung des Beschuldigten unterrichteten Jugendgerichtshilfe steht der Untersuchungshaft nicht entgegen. Möglichkeiten zur Haftvermeidung sind seitens des Jugendamtes verneint worden.

Der Zweck der Untersuchungshaft ist durch mildere Maßnahmen gemäß § 116 StPO nicht zu erreichen.

3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft erweist sich angesichts Bedeutung der Sache, der großen Gefahr für empfindliche Rechtsgüter Dritter und der im Falle einer rechtskräftig werdenden Verurteilung für den Beschuldigten zu erwartenden Jugendstrafe auch unter Berücksichtigung der bisherigen Verfahrensdauer seit der Inhaftierung als verhältnismäßig. Auch liegen Verstöße gegen das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot nicht vor (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK).

Dass bislang in der Sache noch nicht Anklage erhoben werden konnte, sondern die Anklageerhebung ausweislich der der Verteidigung bekannt gegebenen Mitteilung der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vom 5. Oktober 2023 erst unmittelbar bevorsteht, beruht darauf, dass gegen den Beschuldigten aufgrund des Verdachts einer Vielzahl weiterer gleichartiger Tatbegehungen umfangreiche Ermittlungen veranlasst waren, bei denen insbesondere die Ende Mai 2023 gesicherten Mobiltelefon-Daten des Beschuldigten in einem Speicherumfang von 55,4 GB (entsprechend 64 CDs) und insgesamt 28,54 GB Fotodaten abzuhören und zu verschriften bzw. zu sichten waren und dies im Ergebnis gegen den Beschuldigten den Verdacht der Begehung vieler weiterer Taten begründet haben soll. Der insoweit außerordentlich große Umfang der Ermittlungen mit weiteren acht Beschuldigten und insgesamt 45 Tatvorwürfen war – auch zur Untermauerung des dem Haftbefehl zugrunde liegenden Tatkomplexes und dessen Einordnung in ein Gesamtgeschehen – veranlasst und geboten und hat eine Anklageerhebung bislang nicht zugelassen, weil die Ermittlung erst mit dem nunmehr vorliegenden Schlussbericht vom 29. September 2023 abgeschlossen werden konnten. Zur Beschleunigung der Sache ist nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Beschuldigten zur zeitnahen Erstellung der Anklageschrift abgetrennt worden. Dieser Verfahrensgang weist durchgreifende Verstöße gegen das Gebot besonderer Beschleunigung noch nicht auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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