Gericht / Entscheidungsdatum: AG Amberg, Beschl. v. 17.10.2023 - 4 Gs 2469/23 jug
Eigener Leitsatz:
1. Von einer Schwierigkeit der Rechtslage ist bereits dann auszugehen, wenn fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt.
2. Im Blick auf die Neureglung des Rechts der Pflichtverteidigung im Anschluss an die RL 2016/1919/EU („PKH-Richtlinie") ist die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers möglich, wenn dessen Bestellung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat.
3. Nach Wortlaut und systematischer Stellung bezieht sich die Ausnahmeregelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO ausschließlich auf § 141 Abs. 2 StPO. Eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht.
Amtsgericht Amberg
4 Gs 2469/23 jug
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Gesetzl. Vertreter:
Verteidiger: Rechtsanwalt
wegen Versuch d. Vergehens nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 BtMG erlässt das Amtsgericht Amberg durch die Richterin am Amtsgericht - als die ständige Vertreterin des Direktors - am 17. Oktober 2023 folgenden
Beschluss
Dem vormals Beschuldigten wird gemäß § 68 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO i. V. m. § 142 StPO Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.
Gründe:
1.
Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.
Von einer Schwierigkeit der Rechtslage ist bereits dann auszugehen, wenn fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 140, Rn. 28 m.w.N.).
Im Rahmen einer vorzunehmenden Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage ist vorliegend zu beachten, dass das einzige Beweismittel, das bei der durchgeführten Durchsuchung als Zufallsfund aufgefunden wurde und das alleine eine Verurteilung stützen könnte (Springmesser), möglicherweise von einem Beweisverwertungsverbot betroffen ist. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes ist angesichts der Ausführungen des Verteidigers in seinem Schriftsatz vom 06.06.2023 jedenfalls nicht völlig fernliegend (vgl. zum Ganzen: OLG Oldenburg Beschl. v. 5.6.2020 - 1 Ws 228/20, BeckRS 2020, 42755).
2. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Verfahren mittlerweile abgeschlossen ist.
Im Blick auf die Neureglung des Rechts der Pflichtverteidigung im Anschluss an die RL 2016/1919/EU („PKH-Richtlinie") ist die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers möglich, wenn dessen Bestellung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat (OLG Nürnberg Beschl. v. 6.11.2020 - Ws962/20, Ws963/20, BeckRS 2020, 35193). Das Gericht schließt sich der Rechtsaufassung des OLG Nürnberg aus den zutreffenden Erwägungen an.
Gestützt wird diese Rechtsauffassung durch das Unverzüglichkeitsgebot in § 141 Abs. 1 S. 1 StPO. Mit dieser neuen Fassung der Vorschrift kommt der besondere Beschleunigungsbedarf zum Ausdruck, den der Gesetzgeber für eine Pflichtverteidigerbestellung sieht. Ebenso wurde im Zuge der gesetzlichen Neuregelung die bisher statthafte einfache Beschwerde durch die sofortige Beschwerde nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO ersetzt. Die Bestellungsentscheidung - samt der mit dieser verbundenen Alimentierung des Verteidigers - muss also schnell fallen.
Im vorliegenden Verfahren lag hinsichtlich des Pflichtverteidigerantrags eine wesentliche Verzögerung vor. Der Antrag wurde am 06.06.2023 gestellt und es wird mangels Vorlage des Antrags erst heute hierüber entschieden. Die Verfahrenseinstellung erfolgte am 04.07.2023. Bis dahin hätte zweifellos der Antrag dem Gericht vorgelegt werden können. Die Vorlage erfolgte nicht unverzüglich.
3. Die beantragte Bestellung eines Pflichtverteidigers kann vorliegend auch nicht unterbleiben
a) Die Voraussetzungen des § 68a Abs. 1 S. 2 JGG liegen nicht vor, da Gegenstand kein Verbrechen ist.
b)
Die Bestellung kann auch nicht aufgrund einer (entsprechenden) Anwendung der Regelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO unterbleiben.
Gemäß § 141 Abs. 2 S. 3 StPO kann in den Fällen des S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 die Bestellung eines Pflichtverteidigers unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen. Eine unmittelbare Anwendung der Regelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO kommt vorliegend jedoch nicht in Betracht. Nach Wortlaut und systematischer Stellung bezieht sich die Ausnahmeregelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO ausschließlich auf § 141 Abs. 2 StPO, also auf Fälle, in denen - wie bei einer richterlich angeordneten Inhaftierung des Beschuldigten (§ 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO) - unabhängig von einem Antrag des Beschuldigten ein Pflichtverteidiger von Amts wegen zu bestellen ist. Auf § 141 Abs. 1 StPO, der die Pflichtverteidigerbestellung auf einen Antrag des Beschuldigten hin regelt, ist die Ausnahmevorschrift daher nicht anwendbar (LG Freiburg Beschl. v. 26.8.2020 - 16 Qs 40/20, BeckRS 2020, 21745, LG Frankenthal Beschl. v. 16.6.2020 - 7 Qs 114/20, BeckRS 2020, 14117, LG Aurich Beschl. v. 5.5.2020 - 12 Qs 78/20, BeckRS 2020, 10940, LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 4.5.2020 - JKII Qs 15/20 jug, BeckRS 2020, 10878).
Auch eine entsprechende Anwendung der Regelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO kommt nicht in Betracht. Angesichts der systematischen Stellung von § 141 Abs. 2 S. 3 StPO liegt keine im Wege der Analogie auszufüllende Gesetzeslücke vor.
Einsender: RA J. Jendricke, Amberg
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