Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 21.08.2023 – 2 W 107/23
Leitsatz des Gerichts:
Materiellrechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren sind – auch bei der Frage der Nichtigkeit eines Anwaltsvertrages – nur berücksichtigungsfähig, wenn sie unstreitig sind oder vom Rechtspfleger ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden können.
In pp.
Die am 3. April 2023 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den ihm am 20. März 2023 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim <6 O 105/19> vom 14. März 2023 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.839,34 EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde des Beklagten ist unbegründet und war zurückzuweisen. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Rechtspflegerin in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss die von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten beider Instanzen auf 7.839,34 EUR festgesetzt hat. Insbesondere hat sie es zu Recht abgelehnt, die vom Beklagten behauptete und von der Klägerin bestrittene Nichtigkeit deren Anwaltsvertrages mit ihren Prozessbevollmächtigten im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen.
Da das Kostenfestsetzungsverfahren nur den Zweck hat, die Kostengrundentscheidung der Höhe nach zu beziffern, sind materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Kostengrundentscheidung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen; hierfür steht der Weg über § 775 Nr. 4, 5 ZPO oder die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) offen [BGH, NJW-RR 2007, 422; BGH, MDR 2014, 865 (866); Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auflage, Bearbeiter Herget zu § 104 Rn. 21.56; Musielak/ Voit, Zivilprozessordnung, 20. Auflage, Bearbeiter Flockenhaus zu § 104 Rn. 8; Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 81. Auflage, Bearbeiter Bünnigmann zu § 104 Rn. 11 und 12]. Eine Ausnahme ist nur für Einwände zu machen, deren tatsächlichen Voraussetzungen unstreitig sind oder vom Rechtspfleger bzw. von der Rechtspflegerin ohne Schwierigkeiten aus den Akten zu ermitteln sind [BGH, NJW-RR 2007, 422, 423; BGH, MDR 2014, 865 (866); BGH, MDR 2010, 412]. Dies hat seine Gründe in der Verfahrensökonomie [dies., a. a. O.; Anders/ Gehle-Bünnigmann, § 104 Rn. 13 m. w. N.; Musielak/Voit-Flockenhaus, § 104 Rn. 9 m. w. N.; Zöller-Herget, § 104 Rn. 21.56 m. w. N.]. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Der Beklagte, ein Rechtsanwalt, der sich in dem Rechtsstreit selbst vertritt, wendet gegen die von der Klägerin am 4. Februar 2021 (erste Instanz) und 25. März 2022 (zweite Instanz) beantragte Kostenfestsetzung maßgeblich ein, es existiere kein Honoraranspruch der Klägervertreter gegenüber der Klägerin, weil der Anwaltsvertrag wegen Vorliegens einer Interessenkollision gemäß § 134 BGB i. V. m. § 43a BRAO nichtig sei; die Klägervertreter hätten in derselben Rechtssache gleichzeitig oder nacheinander Personen (Klägerin und Zeugin) vertreten, deren Interessen gegenläufig seien. Hierzu macht er in seinem Schriftsatz vom 26. September 2022 auf 21 eng beschriebenen Seiten Ausführungen, für deren Richtigkeit er auf diverse Anlagen und eine Zeugenvernehmung verweist. Dabei prüft er die behauptete Interessenkollision unter arbeitsrechtlich-zivilrechtlichen Aspekten sowie unter prozessrechtlich-zivilrechtlichen Gesichtspunkten und aus strafrechtlichen Erwägungen. Seine Rechtsauffassung hat er in seinen Schriftsätzen vom 13. Oktober 2022, 21. Juni 2023 und 30. Juli 2023 weiter vertieft. Die Klägervertreter haben die Behauptung eines Interessenkonflikts zurückgewiesen; insbesondere haben sie das Vorliegen eines Mandatsverhältnisses zu der Zeugin bestritten. Die Rechtspflegerin hat in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 20. Juli 2023 die vom Beklagten als Beweismittel aufgeführten Anlagen B 21 und B 22 mit dem Vorbringen der Klägerin abgeglichen und das Klägervorbringen als in sich stimmig und widerspruchsfrei angesehen.
Damit erweist sich der Sach- und Streitstand zur behaupteten Interessenskollision als streitig. Die Rechtslage konnte von der Rechtspflegerin auch nicht im Sinne des Beklagten ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden. Das Gegenteil war der Fall, wie die Rechtspflegerin in ihrem Nichtabhilfebeschluss dargelegt hat; danach fand sie nach einer Durchsicht der Anlagen lediglich das Vorbringen der Klägervertreter bestätigt, nicht aber dasjenige des Beklagten. Zu dessen Überprüfung hätte es einer intensiven Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Vorbringen des Beklagten, der Auswertung des gesamten sechsbändigen Akteninhaltes und gegebenenfalls der Vernehmung der Zeugin bedurft. Ein solches Vorgehen sprengt unzweifelhaft die Prüfungskompetenz einer/s Rechtspflegers/in im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens. Eine weitere Prüfung der Behauptung des Beklagten hat die Rechtspflegerin mithin zu Recht abgelehnt.
Der Beklagte kann auch nicht mit Erfolg einwenden, die Nichtigkeit eines Anwaltsvertrages wegen Vorliegens einer Interessenskollision sei im Kostenfestsetzungsverfahren stets von einem/r Rechtspfleger/in zu überprüfen. Die von ihm in seinen Schriftsätzen vom 26. September 2022 auf Seite 2 (Bl. 54 d. A. Bd. VI) und vom 13. Oktober 2022 auf Seiten 1 und 2 (Bl. 99, 100 d. A. Bd. VI) erwähnten Zitate ergeben dies nicht in der vom Beklagten aufgeführten Absolutheit: In den vom Beklagten zitierten Entscheidungen des LG Bielefeld [JurBüro 2004, 612] und OLG Köln [AnwBl. 1980, 70, 71] ist offengeblieben, wie in jenen Verfahren die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages festgestellt worden ist, insbesondere ist unklar geblieben, ob die Rechtsfrage unstreitig war oder offenkundig geklärt werden konnte. Es erschließt sich aus den veröffentlichen Entscheidungen gerade nicht, dass der/die Rechtspfleger/in eine vertiefte Überprüfung der Rechtslage durchgeführt hat. In den Entscheidungen des OLG Stuttgart [MDR 1999, 1530, 1531] und des Sächsischen OVG [NJW 2003, 3404, 3505] waren die Verstöße gegen §§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 BRAO eindeutig; einer vertieften aufwändigen Prüfung der Sach- und Rechtslage bedurfte es nicht. Auch in dem Verfahren des OLG Celle [Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 W 12/17] konnte die Interessenskollision eindeutig festgestellt werden. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg [Beschluss vom 12. Februar 2018 – 7 Ta 193/17] konnte gleichfalls unproblematisch prüfen, dass der streitgegenständliche Anwaltsvertrag nicht gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstieß, weil das Vorbringen des Klägers hierzu unschlüssig sei. Diese Fälle sind somit mit dem zugrundeliegenden Verfahren nicht vergleichbar. Hier war von der Rechtspflegerin eine umfangreiche und aufwändige Überprüfung der Sach- und Rechtslage erfordert, die ihre eingeschränkte Prüfungskompetenz im Kostenfestsetzungsverfahren überschritten hätte; die Rechtsfrage war hier gerade weder unstreitig noch einfach aus dem Akteninhalt zu ermitteln.
Deshalb hat es im hier zu entscheidenden Verfahren bei dem Grundsatz zu bleiben, dass die Frage, ob ein Anwaltsvertrag aus berufsrechtlichen Gründen nichtig sei, eine materiell-rechtliche Einwendung darstellt, die im Kostenfestsetzungsverfahren generell nicht zu prüfen ist [BGH, NJW-RR 2007, 422, 423; LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. September 2020 – 26 Ta (Kost) 6075/20, Leitsatz und Rn. 8 – 12, zitiert nach juris; KG Berlin, JurBüro 2008, 316, 317; Musielak/ Voit-Flockenhaus, § 104 Rn. 8; Zöller-Herget, § 104 Rn. 21.56; Anders/Gehle-Bünnigmann, § 104 Rn. 14 – Stichwort „Anwaltsvertrag“].
Die angefochtene Entscheidung der Rechtspflegerin ist mithin nicht zu beanstanden. Kostenrechtliche Einwendungen hiergegen erhebt der Beklagte nicht. Seiner sofortigen Beschwerde bleibt folglich der Erfolg versagt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 3 ZPO.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 104 Abs. 3, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) sind keine Gründe ersichtlich: Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Es handelt sich vielmehr um eine reine Einzelfallentscheidung, die im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht. Die Übertragung auf den Senat erfolgte allein aus dem Grund, die bisherige Rechtsprechung eines Einzelrichters des Senats zu überprüfen. Mit der zugrundeliegenden Entscheidung stellt der Senat klar, dass er im Einklang mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung materiell-rechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren – auch bei der Frage der Nichtigkeit eines Anwaltsvertrages – nur für berücksichtigungsfähig erachtet, wenn sie unstreitig sind oder vom Rechtspfleger ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden können.
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