Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Beschl. v. 27.09.2023 - 1 AR 263/23
Eigener Leitsatz:
Es entspricht dem gesetzlichen Gebührenkonzept, dass der Verteidiger regelmäßig seine im Vorverfahren, für das relativ geringe Gebühren anfallen, gewonnenen Kenntnisse im Hauptverfahren nutzt. Ist das nicht möglich, weil der erforderlichen Einarbeitung in den Sachstand nur ein Hauptverhandlungstag folgt, mithin nur eine Terminsgebühr anfällt und somit der „Synergieeffekt“ nicht eintritt, ist das beim Pflichtverteidiger durch die Gewährung einer Pauschgebühr auszugleichen.
Oberlandesgericht München
1 AR 263/23
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
hier: Antrag des Rechtsanwalts pp. auf Bewilligung einer Pauschvergütung
erlässt das Oberlandesgericht München - 1. Strafsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter am 27. September 2023 folgenden
Beschluss
1. Rechtsanwalt pp. wird für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger des Angeklagten pp. vor dem Landgericht Landshut 3 KLs 205 Js 28056/21 eine Pauschgebühr in Höhe von 2849 Euro bewilligt.
2. Beträge, die als gesetzliche Gebühren bereits festgesetzt und ausbezahlt wurden, sind auf die bewilligte Pauschvergütung anzurechnen.
3. Für die Festsetzung der Auslagen der Antragstellerin einschließlich der Mehrwertsteuer aus dem Gesamtbetrag und für die Anweisung der Vergütung ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts Landshut zuständig.
Gründe:
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 27.06.2023 beantragt, anstelle der Gebühren gemäß VV 4100 RVG und VV 4118 RVG in Höhe von 524 € unter Anrechnung der insoweit ausbezahlten Pflichtverteidigervergütung eine Pauschvergütung in Höhe von 2150 € zu bewilligen.
Darüber hinaus wurden für den Antragsteller bereits Gebühren gemäß VV 4120 und 4122 RVG in Höhe von insgesamt 699 € festgesetzt und ausgezahlt.
Eine Pauschgebühr ist gemäß § 51 Abs. I S. 1 RVG auf Antrag zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis für den beigeordneten Rechtsanwalt bestimmten Gebühren für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind.
Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht München hat mit Stellungnahme vom 25.09.2023 dem Antrag zugestimmt und hierzu ausgeführt:
„Der Umfang dieses Verfahrens stellt vor der Wirtschaftsstrafkammer zunächst keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Der diesen Verfahren in der Regel innewohnende höhere Arbeits- und Planungsaufwand für den Pflichtverteidiger ist vom Gesetzgeber im RVG bereits durch die Festsetzung höherer Gebühren (vorliegend VV RVG 4118 und 4120) berücksichtigt worden und gibt deshalb für sich genommen noch keinen Anlass für die Festsetzung einer Pauschgebühr.
Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des OLG München zu berücksichtigen, dass der erforderlichen Einarbeitung in den Sachstand nur ein Hauptverhandlungstag folgte, mithin nur eine Terminsgebühr (VV RVG 4121) angefallen ist. Es entspricht dem gesetzlichen Gebührenkonzept, dass der Verteidiger regelmäßig seine im Vorverfahren, für das relativ geringe Gebühren anfallen, gewonnenen Kenntnisse im Hauptverfahren nutzt. Dieser Synergieeffekt fehlt vorliegend. Zudem ist im vorliegenden Verfahren die Gebühr VV RVG 4104 wegen der späten Bestellung nicht angefallen.
Zur Vermeidung eines unbilligen Sonderopfers erscheint die Gewährung einer Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 RVG erforderlich, zumal der Antragsteller, wie er zutreffend ausführt an der Verständigung und damit Verfahrensverkürzung maßgeblich mitgewirkt hat. Der Verständigung lag eine umfangreiche Vorbereitung zugrunde, die durch die geringeren Gebühren des Anwalts nicht angemessen entgolten wären, vgl. hierzu auch Nomos Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage Rn 20 zu § 51 RVG „Verfahrensverkürzung“. Weiter ist zu berücksichtigen, dass für die Teilnahme an dem Erörterungstermin keine Terminsgebühr anfällt – eine Pauschgebühr kann hierfür gerechtfertigt sein, vgl. Nomos a.a.O. „Verständigungsgespräche“. Mit Blick auf die Grund- und Verfahrensgebühren kann vorliegend von einem Ausnahmefall ausgegangen werden und es kann als Pauschgebühr wie beantragt eine Gebühr über der Wahlverteidigerhöchstgebühr i.H.v. 2150,-- € bewilligt werden.“
Die Bewilligung einer Pauschvergütung ist die Ausnahme, die bei besonders umfangreichen und schwierigen Verfahren unzumutbare Sonderopfer des beigeordneten Rechtsanwalts vermeiden soll (B. v. 02.07.2020, 1 AR 75/20; so schon BGH, B. v. 01.06.2015, 4 StR 267/11).
Unzumutbar wäre die Versagung einer Pauschvergütung zunächst insbesondere dann, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt dadurch eine wirtschaftliche Existenzgefährdung erleiden würde (BVerfG, B. v. 01.06.2011, 1 BvR 3171/10, juris), wofür vorliegend allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
Erforderlich sind daher Umstände, die sich vom Regelfall wegen des besonderen Umfangs oder ihrer besonderen Schwierigkeit deutlich unterscheiden, und deshalb die bloße Festsetzung der vom Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht zumutbar wäre.
Der Senat sieht vorliegend einen solchen Ausnahmefall als gegeben an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen an Stelle einer weiteren Begründung auf die Ausführungen der Bezirksrevisorin Bezug.
Die Pauschgebühr ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im Regelfall maximal mit dem Betrag der Wahlverteidigerhöchstgebühr anzusetzen. Vorliegend erkennt der Senat ebenso wie die Bezirksrevisorin insoweit einen außergewöhnlich besonderen Ausnahmefall, der ein Überschreiten der Wahlverteidigerhöchstgebühren ausnahmsweise zulässt.
Die Pauschgebühr errechnet sich somit aus einem Pauschvergütungsbetrag in Höhe von 2150 € mit Blick auf die Gebührentatbestände VV-RVG 4100 und 4118, sowie aus den Gebühren für die Hauptverhandlung in Höhe von 699 € (VV-RVG 4120/4122).
Insgesamt errechnet sich daraus eine vom Senat festzusetzende Pauschgebühr von 2849 €.
Über den Ersatz von Auslagen, auch Mehrwertsteuer, hat der Senat nicht zu entscheiden. Bereits ausgezahlte Gebührenanteile sind auf die bewilligte Pauschgebühr anzurechnen.
Die Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts Landshut folgt aus § 55 Abs. 1 RVG.
Einsender: RA I. K. Wamser, Passau
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