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Entscheidungen

Haftfragen

Langzeitbesuch, Missbrauchsgefahr, gemeinsame kriminelle Aktivitäten, Begründung der Ablehnung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 19.09.2023 - 1 Ws 228/23 (StrVollz)

Leitsatz des Gerichts:

1. Der begründete Verdacht, dass der Besucher und der Gefangene in gemeinsame kriminelle Aktivitäten verstrickt sind oder dass sie anlässlich von Langzeitbesuchen Rauschmittel konsumieren bzw. diesen unüberwachten Besuch für das Einbringen von verbotenen Substanzen ausnutzen könnten, vermag grundsätzlich eine fehlende Geeignetheit für einen mehrstündigen unbeaufsichtigten Besuch (Langzeitbesuch) zu begründen.
2. Die Gefahr des Missbrauchs eines Langzeitbesuchs muss aufgrund konkreter Tatsachen belegt werden.


OLG Celle

Beschluss

1 Ws 228/23 (StrVollz)

In der Strafvollzugssache
des pp.

wegen Langzeitbesuch

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht am 19. September 2023 beschlossen:

Das Verfahren ist erledigt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers werden der Landeskasse auferlegt, § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 500,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der 31-jährige Antragsteller verbüßte seit dem 29. September 2022 zwei Gesamtfreiheitsstrafen in Höhe von sechs Monaten aufgrund von Verurteilungen wegen Betruges vom 30. November 2017 und 7. Februar 2022 sowie eine weitere Freiheitsstrafe aufgrund einer Verurteilung wegen versuchter Hehlerei vom 17. März 2020. Bei den beiden länger zurückliegenden Verurteilungen handelt es sich um Widerrufe, bei denen die Strafvollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war. Der gemeinsame Zweidrittelzeitpunkt datiert auf dem 16. September 2023. Das Strafende ist auf den 18. März 2024 notiert. Mit Beschluss vom 17. Juli 2023 hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung des Strafrestes zum Zweidrittelzeitpunkt beschlossen und dem Antragsteller die Weisung erteilt, sich einer stationären Suchtmitteltherapie zu unterziehen.

Die Antragsgegnerin lehnte am 16. März 2023 mündlich einen Antrag des Gefangenen auf Gewährung von Langzeitbesuch seiner Ehefrau ab. Zur Begründung der Ablehnung führte die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15. Mai 2023 im Rahmen des vom Antragsteller angestrengten Antrags auf gerichtliche Entscheidung an, dass der Antragsteller für die Zulassung von Langzeitbesuch nicht geeignet sei. Der Antragsteller unterliege einer Cannabisabhängigkeit i.S.v. ICD-10 F12.2. Daneben bestehe ein gegenwärtig abstinenter Alkoholmissbrauch. Des Weiteren verwies sie auf ein im Jahr 2019 zur Frage der Voraussetzungen nach §§ 20, 21 und 64 StGB eingeholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten. Dieses konstatierte einen beginnenden Cannabiskonsum in der 7. Klasse, der u.a. zu erheblichen Leistungseinbußen und innerfamiliären Problemen geführt habe. Im Alter von 13 Jahren habe der Antragsteller zudem angefangen Alkohol zu sich zunehmen bis hin zu einem täglichen Verzehr von einer Kiste Bier und zwei Flaschen Wodka im Alter von 19 Jahren. Daneben sei es zeitweise zum Konsum von Speed, Ecstasy, Kokain und LSD gekommen. Bei den überwiegenden von ihm begangenen Straftaten habe er unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden. Nach einer im Jahr 2015 absolvierten Entgiftung in einer Psychiatrischen Klinik sei er in sein altes soziales Umfeld zurückgekehrt und habe wieder Cannabis zu sich genommen. Die Antragsgegnerin sieht aufgrund dieses Entwicklungsverlaufs beim Antragsteller eine verfestigte Suchtmittelabhängigkeit, die von mangelndem Selbstwertgefühl, Angst vor Unterdrückung und Suche nach Anerkennung begleitet werde und durch seine damalige soziale Einbindung, insbesondere seine Ehefrau und sein Kind, nicht ausreichend ausgeglichen werde. Zwar sei der Antragsteller innerhalb des Vollzugs bislang nicht durch Betäubungsmittelkonsum aufgefallen, habe Kontakt zur anstaltsinternen Suchberatung gehalten und sei behandlungsmotiviert für eine Aufnahme einer Drogenentwöhnungstherapie nach einer vorzeitigen Entlassung. Gleichwohl könne aufgrund der nicht ausreichend aufgearbeiteten Suchterkrankung auch vor dem Hintergrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der Ehe und Familie ein Langzeitbesuch aus Gründen der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung nicht verantwortet werden.

Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22. März 2023 hat sich der Antragsteller gegen die mündliche Versagung von Langzeitbesuch gewandt und erneute Bescheidung durch die Antragsgegnerin begehrt. Zur Begründung führt er insbesondere aus, dass in der JVA kein Kontakt zur dortigen Subkultur bestehe und seitens der Anstaltspsychologin keine weiteren Gespräche für erforderlich erachtet worden seien. Zudem sei es bei den zahlreichen bisherigen Besuchen durch die Ehefrau zu keinen Auffälligkeiten insbesondere im Hinblick auf Betäubungsmitteln gekommen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg hat mit Beschluss vom 31. Juli 2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung schloss sich die Strafvollstreckungskammer den Stellungnahmen der Antragsgegnerin an und nahm darauf vollumfänglich Bezug. Weiter führte die Kammer aus, dass dem Antragsteller vor dem Hintergrund seiner bislang nicht ausreichend therapierten Betäubungsmittelabhängigkeit die besondere Zuverlässigkeit abzusprechen sei. Gerade vor dem Hintergrund fehlender Überwachungsmaßnahmen bei Langzeitbesuchen sei die Antragsgegnerin zu Recht von einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung aufgrund fehlender Geeignetheit ausgegangen.

Gegen diesen Beschluss, der dem Verurteilten am 2. August 2023 zugestellt wurde, wendet sich der Verurteilte mit seiner Rechtsbeschwerde vom 17. August 2023, die am selben Tage beim Landgericht einging. Der Antragsteller beantragt, den angefochtenen Beschluss sowie die Entscheidung der Antragsgegnerin aufzuheben und die Antragsgegnerin zu einer Neubescheidung zu verpflichten. Der Antragsteller macht eine Verletzung von § 25 Abs. 2 S. 1 NJVollzG und Art. 6 GG geltend. Insbesondere seien für die Gewährung von Langzeitbesuchen überhöhe Anforderungen gestellt worden, die den gesetzlichen Maßstäben widersprechen. So seien die Urinkontrollen des Antragstellers stets negativ gewesen. Er habe während des Vollzugs an Therapiegesprächen teilgenommen bis diese nicht mehr für erforderlich erachtet worden seien. Er sei weiter therapiewillig und es fehle an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass von Seiten seiner Ehefrau verbotenen Substanzen in die JVA verbracht werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechtsbeschwerdeschrift vom 17. August 2023 Bezug genommen.

Der Zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Aus seiner Sicht habe die Anstalt ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil sie den Antragsteller aufgrund seiner Suchtmittelabhängigkeit für ungeeignet hielt. Derzeit sei von einer Abstinenz des Antragstellers auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass seine Ehefrau für das Einbringen von verbotenen Gegenständen missbraucht werde, seien nicht zutage getreten.

Eine Nachfrage des Senats hat ergeben, dass der Antragsteller am 19. September 2023 entlassen worden ist.

II.

Mit der Entlassung des Antragstellers aus dem Strafvollzug hat sich der Antrag gegen die Versagung von Langzeitbesuch erledigt.

Infolge der Erledigung hatte der Senat gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG allein über die Kosten zu entscheiden. Die Möglichkeit einer sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht gegeben (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28. Februar 2013 – 1 Ws 553/10 (StrVollz) –, Rn. 4, juris).

Eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen hat nach billigem Ermessen zu erfolgen. Dabei ist der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall hätte die Rechtsbeschwerde ohne das erledigende Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit zum erstrebten Erfolg geführt.

Denn die Entscheidung der Antragsgegnerin auf Versagung von Vollzugslockerungen war ermessensfehlerhaft.

1. Das Besuchsrecht eines Gefangenen ist in § 25 NJVollzG geregelt. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift darf der Gefangene regelmäßig mindestens zwei Stunden im Monat Besuch empfangen. Darüber hinaus sollen gemäß § 25 Abs. 2 NJVollzG Besuche zugelassen werden, wenn sie die Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 NJVollzG fördern oder persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die nicht von der oder dem Gefangenen schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur Entlassung der oder des Gefangenen aufgeschoben werden können. Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG können auch mehrstündige unbeaufsichtigte Besuche (Langzeitbesuche) von Angehörigen im Sinne des Strafgesetzbuchs sowie von Personen, die einen günstigen Einfluss erwarten lassen, zugelassen werden, soweit die oder der Gefangene dafür geeignet ist. Wegen des besonderen Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG werden Langzeitbesuche von Angehörigen iSd § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b StGB nicht an die Erwartung eines günstigen Einflusses geknüpft, entscheidend und ausreichend ist insofern allein die Eignung des Gefangenen (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 21. Ed. 1.7.2023, NJVollzG § 25 Rn. 13).

Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer darauf abgestellt, dass anders als nach der noch bis zum 1. Juli 2022 geltenden Rechtslage das Ermessen der Vollzugsbehörde bei der Bewilligung von Langezeitbesuchen nicht mehr gebunden war (vgl. zur damaligen Rechtslage OLG Celle, Beschluss vom 11. Juni 2020 – 3 Ws 103/20 (StrVollz) –, juris). Vielmehr wollte der Gesetzgeber durch die Änderung der bisherigen Soll- in eine Kann-Vorschrift eine Besuchsreduzierung bei Langzeitbesuchen erreichen (NdsLT-Drs. 18/11236, 2; BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 21. Ed. 1.7.2023, NJVollzG § 25 Rn. 14.1).

Gemessen daran bestand zwar kein Rechtsanspruch des Gefangenen auf Zulassung zum Langzeitbesuch. Dort, wo eine Justizvollzugsanstalt - wie im vorliegenden Fall - die entsprechenden Räumlichkeiten vorhält und Langzeitbesuche grundsätzlich zulässt, steht die Entscheidung über die Bewilligung im Einzelfall im Ermessen des Anstaltsleiters. Dementsprechend steht dem Gefangenen ein Anspruch auf eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung zu (vgl. OLG Celle Beschl. v. 29.5.2008 – 1 Ws 220/08, BeckRS 2008, 20094, beck-online).

Neben der gegenwärtigen Ausgestaltung des § 25 Abs. 2 NJVollzG als Ermessensvorschrift enthält die gesetzliche Regelung einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum auf der Tatbestandsseite (Beurteilungsspielraum) zur Frage der grundsätzlichen Eignung des Gefangenen (vgl. Arloth/Kräh StVollzG, § 25 NJVollzG Rn. 1). Hiernach war die Prüfung darauf zu beschränken, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung einen rechtlich zutreffend ausgelegten Rechtsbegriff zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat.

2. Den vorstehenden Rechtsgrundsätzen werden die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und die mündliche Ablehnung der Antragsgegnerin vom 16. März 2023 nicht gerecht. Die dort angeführten Erwägungen tragen die Ablehnung von Langzeitbesuch bereits wegen zu Unrecht festgestellter fehlender Eignung des Antragstellers nicht.

So vermag zwar ein begründeter Verdacht, dass der Besucher und der Gefangene in gemeinsame kriminelle Aktivitäten verstrickt sind oder dass sie – etwa anlässlich von Langzeitbesuchen Rauschmittel konsumieren bzw. diesen unüberwachten Besuch für das Einbringen von verbotenen Substanzen ausnutzen könnten, eine fehlende Geeignetheit zu begründen (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 21. Ed. 1.7.2023, NJVollzG § 25 Rn. 9; OLG Hamm NStZ 1995, 380, 381 beck-online). Voraussetzung ist aber stets, dass aufgrund konkreter Tatsachen die Gefahr besteht, dass der Langzeitbesuch zu unerlaubten Absprachen missbraucht wird (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 9. September 2004 – 3 Vollz (Ws) 47/04 –, juris).

An solchen tatsachenfundierten Erkenntnissen fehlte es im zugrundeliegenden Fall jedoch, sodass die Antragsgegnerin die Anforderungen an die Geeignetheit überspannt hat. Vielmehr stützte sich die Entscheidung der Antragsgegnerin allein auf die nicht vollständig aufgearbeitete Suchterkrankung, die mitursächlich für die bisherigen Straftaten des Antragstellers gewesen ist. Anhaltspunkte für einen aktuellen Betäubungsmittelkonsum während der Inhaftierung etwa in Form von positiven Urinkontrollen oder Kontakten zum dortigen Betäubungsmittelumfeld waren nicht zutage getreten. Auch bei den bereits mehrfach erfolgten Besuchskontakten durch die Ehefrau des Antragstellers konnten keinerlei Verstöße festgestellt werden.

Bei der Entscheidung der fehlenden Eignung hat die Antragsgegnerin mithin den straftatursächlichen Faktoren gegenüber seinem bisherigen beanstandungsfreien Verhalten im Vollzug und seiner dortigen Persönlichkeitsentwicklung bis hin zur nicht widerlegbaren Abstinenz sowie fehlenden Anzeichen für einen aktuellen Suchtdruck mit der möglichen Gefahr einer Einwirkung auf Dritte, insbesondere seine Ehefrau ein zu hohes Gewicht beigemessen. Die Versagung einer Eignung für Langzeitbesuche unter Hinweis auf die noch nicht abgeschlossene Suchtmitteltherapie erweist sich daher unter den gegebenen Umständen als rechtswidrig.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen waren damit der Landeskasse aufzuerlegen.

III.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60,
63 Abs. 3 Nr. 2, 65 GKG.


Einsender: 1. Strafsenat des OLG Celle

Anmerkung:


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