Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Beschl. v. 07.09.2023 – 1 Ws 89/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Der überlange Vollzug von Organisationshaft zur Vorbereitung des Vollzugs einer angeordneten Maßregel begründet eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Verurteilten.
2. Ob eine festgestellte Rechtsverletzung durch einen überlangen Vollzug von Organisationshaft zu einer Entlassung aus der Haft zu führen hat, ist anhand einer Abwägung zu beurteilen, für die es maßgeblich ankommt einerseits auf die Gefährlichkeit des Verurteilten und die dadurch tangierten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit sowie andererseits auf Ausmaß und Intensität der Rechtsgutsverletzung durch die verzögerte Sachbehandlung und überlange Dauer der Organisationshaft.
3. Die zuständige Strafvollstreckungsbehörde hat grundsätzlich bereits ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung Bemühungen um die Aufnahme des Verurteilten aus der Organisationshaft in den Maßregelvollzug einzuleiten und es ist nicht das Vorliegen der Akten oder der schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten.
4. Die Regelung des § 121 StPO hat keine auch nur indizielle Bedeutung für die Frage, ob als Ergebnis dieser Abwägungsentscheidung jedenfalls nach einem sechsmonatigen Vollzug von Organisationshaft eine Entlassung aus der Haft zu erfolgen hat.
In pp.
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bremen vom 26.07.2023 wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer 77 des Landgerichts Bremen vom 20.07.2023 aufgehoben, soweit dort die Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft zum 21.09.2023 angeordnet wird, und der Antrag des Verurteilten, ihn aus der Organisationshaft zu entlassen, wird abgelehnt. Im Übrigen bleibt es bei der Feststellung, dass der Vollzug der Organisationshaft seit dem 21.03.2023 rechtswidrig ist und den Verurteilten in seinen Rechten verletzt.
2. Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten vom 21.07.2023 und vom 23.07.2023 werden zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Verurteilten vom 23.07.2023 auf Aussetzung des Vollzuges der Organisationshaft wird abgelehnt.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 01.09.2022, rechtskräftig seit dem 08.09.2022, verurteilte das Landgericht Bremen (Az.: 5 KLs 331 Js 79783/20) den Verurteilten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 10 Fällen, davon in 2 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 23.04.2021 (Az.: 75 Cs 680 Js 23957/21) verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an. Zudem ordnete das Landgericht Bremen an, dass 1 Jahr und 3 Monate der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bremen kamen der Verurteilte und der Mitangeklagte [pp.] spätestens ab Frühjahr 2020 überein, zukünftig gemeinsam Kokain in jeweils nicht geringer Menge gewinnbringend zu veräußern. Die einzelnen Taten hatten den An- und Weiterverkauf von Kokain und Marihuana im Kilobereich im Zeitraum vom 29.03.2020 bis zum 18.05.2020 zum Gegenstand. Der Verurteilte handelte dabei mit Gewinnerzielungsabsicht und auch, um seine Betäubungsmittelabhängigkeit zu finanzieren. Vor diesem Hintergrund entschied er sich, auch allein Kokain und Cannabisprodukte in jeweils nicht geringer Menge gewinnbringend zu veräußern. Soweit der Verurteilte und der Mitangeklagte gemeinschaftlich handelten, gingen sie arbeitsteilig vor, wobei der Verurteilte in der Regel die Verhandlungen beim Erwerb der Betäubungsmittel führte und die Übernahmen der Betäubungsmittel organisierte, indem er sie entweder selbst abholte oder sich von Dritten bringen ließ. Anschließend verkauften der Verurteilte und der Mitangeklagte die Betäubungsmittel gemeinsam gewinnbringend an verschiedene Abnehmer weiter. Zur Abwicklung und Durchführung ihrer Betäubungsmittelgeschäfte bedienten sie sich sogenannter „Kryptohandys“ des Kommunikationsanbieters EncroChat und unterhielten so Kontakt zu einer Vielzahl weiterer EncroChat-Nutzer, bei denen es sich um Verkäufer und Erwerber der Betäubungsmittel handelte. Der Verurteilte konsumierte nach den Feststellungen des Landgerichts im Tatzeitraum erhebliche Mengen an Betäubungsmitteln, wobei das Landgericht – sachverständig beraten durch pp. – Auswirkungen auf die Einsichtsfähigkeit sowie eine Aufhebung oder erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht feststellen konnte. Indes konnte festgestellt werden, dass ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Verurteilten, Kokain und Cannabis zu konsumieren, und den verübten Taten besteht, da der aus den Taten erzielte Gewinn von dem Verurteilten überwiegend zur Beschaffung von Betäubungsmitteln für den Eigenkonsum eingesetzt wurde.
Der Verurteilte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bremen vom 09.12.2021 (Az.: 91b Gs 1613/21) vom 16.12.2021 bis zum 08.09.2022, mit Ausnahme einer viertägigen Erzwingungshaft vom 21.-24.02.2022, in dieser Sache in Untersuchungshaft. Seit dem 09.09.2022 befindet sich der Verurteilte in dieser Sache in Strafhaft, wobei der angeordnete Vorwegvollzug am 20.03.2023 endete und seither sogenannte Organisationshaft vollstreckt wird. Der Verurteilte ist bis zum heutigen Tag nicht in den Maßregelvollzug aufgenommen oder aus der Haft entlassen worden.
Nachdem das Urteils des Landgerichts Bremen gegen den Verurteilten am 09.09.2022 rechtskräftig geworden war, leitete die Staatsanwaltschaft am 28.09.2022 die Vollstreckung ein und richtete ein vorläufiges Aufnahmeersuchen an die Justizvollzugsanstalt pp., da ihr die Verfahrensakte zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlag.
Bereits mit Schreiben vom 13.09.2022 wandte sich der Verurteilte mit dem Ziel, bis zum Antritt der Therapie in Freiheit zu bleiben, an den ehemaligen Vorsitzenden der erkennenden Strafkammer. In seinem weiteren Schreiben vom 03.11.2022 hielt der Verurteilte dem Grunde nach an seinem Ansinnen fest. Mit Beschluss vom 02.12.2022 (Az.: 77 StVK 763/22) wies die Strafvollstreckungskammer den als Antrag auf nachträgliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge ausgelegten Antrag des Verurteilten als unbegründet zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Verurteilten wurde durch Beschluss des Senats vom 18.01.2023 (Az.: 1 Ws 1/23) aufgrund ihrer Verfristung als unzulässig verworfen.
Nachdem die Verfahrensakte am 15.12.2022 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen war, stellte diese am 19.12.2022 ein Aufnahmeersuchen an die Justizvollzugsanstalt pp. und das Klinikum pp., letzteres mit dem Hinweis, dass der angeordnete Vorwegvollzug am 20.03.2023 endet und sodann um kurzfristige Aufnahme gebeten wird. Das Klinikum pp. teilte daraufhin am 27.12.2022 mit, dass alle Behandlungsplätze belegt seien und mit einem freien Platz im März 2023 nicht gerechnet werden könne.
Am 03.01.2023 beantragte Rechtsanwalt pp. als Verteidiger des Verurteilten eine Anhörung des Verurteilten gemäß § 67c StGB durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft Bremen stellte daraufhin am 12.01.2023 den Antrag, die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67c Abs. 1 StGB nicht zur Bewährung auszusetzen. In Ihrer Stellungnahme vom 21.12.2022 hatte sich auch die Justizvollzugsanstalt vor dem Hintergrund des vollzuglichen Verhaltens des Verurteilten, der 18-mal disziplinarisch belangt wurde und durch eine positiv auf THC getestete Urinkontrolle aufgefallen war, gegen eine Außervollzugsetzung ausgesprochen. Im Vollzugsplan vom 18.01.2023 legt die Justizvollzuganstalt weiter dar, dass das Haftverhalten des Verurteilten von zahlreichen Disziplinarverfahren und Verhaltensauffälligkeiten geprägt sei. Die Disziplinarverstöße würden zumeist auf dem Nichtbefolgen von Weisungen sowie auf Bedrohungen und Beleidigungen von Bediensteten beruhen. Von den bisher durchgeführten Urinkontrollen sei die vom 19.09.2022 positiv auf THC getestet und eine weitere durch den Verurteilten verweigert worden, die letzten beiden Urinkontrollen seien ohne Befund gewesen. Aufgrund der Anordnung der Unterbringung im Maßregelvollzug und der am 21.03.2023 beginnenden Organisationshaft sei im Rahmen der Vollzugsplanung auf ein umfassendes Diagnoseverfahren gemäß § 7 BremStVollzG verzichtet worden. Die Prognose sei vor diesem Hintergrund offen, aufgrund der einschlägigen Vorstrafen und der Hinweise auf eine kontinuierliche Hinentwicklung zur Kriminalität lägen jedoch ungünstige Faktoren vor. Eine Lockerungseignung bestehe derzeit nicht, da ein symptomatischer Zusammenhang zwischen einer schwerwiegenden Suchtproblematik und den eng getakteten Anlasstaten bestehe und Missbrauchsgefahr gesehen werde. Eine langfristige Behandlungsmaßnahme sei unbedingt erforderlich.
Am 02.03.2023 hörte die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten an und lehnte mit Beschluss vom gleichen Tag (Az.: 77 StVK 16/23) eine Aussetzung der Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Bremen vom 01.09.2022 angeordneten Unterbringung ab.
Die Staatsanwaltschaft Bremen bat das Klinikum pp. am 15.03.2023 erneut um Mitteilung, ob der Verurteilten zum 21.03.2023 in den Maßregelvollzug aufgenommen werden könne. Zudem veranlasste die Staatsanwaltschaft eine bundesweite Abfrage an die jeweiligen Maßregelvollzugseinrichtungen der Bundesländer, von der bis dahin aufgrund Erkenntnissen aus einem Parallelverfahren, in dem eine im Januar 2023 durchgeführte bundesweite Abfrage erfolglos verlaufen war, abgesehen worden war. Das Klinikum pp. teilte daraufhin mit Schreiben vom 16.03.2023 mit, dass sich der Verurteilte auf Wartelistenplatz 24 befinde, mit weiterem Schreiben vom 20.03.2023 wurde Wartelistenplatz 26 für den Verurteilten mitgeteilt. Wann der Verurteilte in den Maßregelvollzug aufgenommen werden könne, sei derzeit nicht absehbar. Bereits am 06.02.2023 hatte das Klinikum pp. der Staatsanwaltschaft Bremen gegenüber telefonisch mitgeteilt, dass mit einer Aufnahme nicht vor Februar 2024 gerechnet werden könne. Der Verurteilte selbst teilte der Staatsanwaltschaft Bremen am 20.03.2023 mit, dass er auch bereit sei, einen Platz in einer Maßregelvollzugseinrichtung außerhalb pp. anzunehmen. Die bundesweite Abfrage bei den Maßregelvollzugseinrichtungen der anderen Bundesländer blieb jedoch erfolglos.
Am 07.04.2023 beantragte der Verteidiger Rechtsanwalt pp. die Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft. Die Justizvollzugsanstalt nahm am 17.05.2023 zur Gefährlichkeit und Sozialprognose des Verurteilten Stellung und sprach sich im Ergebnis maßgeblich aufgrund seines auch in der Haft fortgesetzten Betäubungsmittelkonsums gegen eine Entlassung des Verurteilten aus. Im Einzelnen führte die Justizvollzugsanstalt wie folgt aus: [pp.].
Die Staatsanwaltschaft Bremen lehnte den Antrag auf Entlassung aus der Organisationshaft mit Schreiben vom 23.05.2023 gegenüber dem Verurteilten ab.
Am 06.06.2023 teilte das Klinikum pp. mit, dass sich der Verurteilte nunmehr auf Platz 23 der Warteliste befinde und derzeit nicht absehbar sei, wann der Verurteilte aufgenommen werden könne.
Mit Schriftsatz vom 15.06.2023 stellte der Verteidiger Rechtsanwalt pp. einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er sein Begehren auf Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft weiterverfolgt. Am 04.07.2023 und 11.07.2023 beantragten auch die weiteren Verteidiger des Verurteilten, Rechtsanwalt pp. und Rechtsanwalt pp., jeweils die Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft.
Die Staatsanwaltschaft Bremen beantragte am 28.06.2023 gegenüber der Strafvollstreckungskammer, den Antrag vom 15.06.2023 zurückzuweisen.
Im Rahmen des Anhörungstermins vom 18.07.2023 vor der Strafvollstreckungskammer führte der Verteidiger Rechtsanwalt pp. wie folgt zu den Verhältnissen des Verurteilten aus: [pp.] Der Sachverständige pp. nahm im Rahmen der Anhörung wie folgt Stellung: [pp.]
Mit Beschluss vom 20.07.2023 stellte die Strafvollstreckungskammer 77 des Landgerichts Bremen fest, dass der Vollzug der Organisationshaft seit dem 21.03.2023 rechtswidrig ist und den Verurteilten in seinen Rechten verletzt und ordnete die Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft zum 21.09.2023 an. Im Übrigen wies das Landgericht den Antrag des Verurteilten auf Entlassung als unbegründet zurück. Die Staatsanwaltschaft habe es versäumt, die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug unverzüglich einzuleiten, da der Bedarf eines Maßregelvollzugsplatzes erst am 19.12.2022 angemeldet worden sei. Der Rücklauf der gesamten Verfahrensakte oder der Eingang der schriftlichen Urteilsgründe dürfe nicht abgewartet werden und das Bemühen auch nicht – wie zunächst geschehen – darin erschöpft werden, ein Aufnahmeersuchen an das Klinikum zu richten, da die Bemühenspflicht, einen geeigneten Therapieplatz zu besorgen, nicht auf die landesrechtlich grundsätzlich vollstreckungszuständigen Einrichtungen beschränkt sei. Zudem genüge auch die Ausgestaltung der Organisationshaft nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wonach die Organisationshaft der Vorbereitung des Vollzuges der Maßregel zu dienen habe. Dem widerspreche es grundlegend, wenn ausweislich der Stellungnahme der JVA beim Verurteilten bereits auf ein Diagnoseverfahren nach § 7 BremStVollzG verzichtet, ihm keine entwöhnungstherapeutischen Maßnahmen angeboten und ein nicht näher ausgeführtes „Gruppenangebot“ in der Abteilung für gesundheitliche und berufliche Wiedereingliederung nicht realisiert worden sei. Aus der Rechtswidrigkeit der Organisationshaft folge allerdings derzeit noch kein sofortiger Entlassungsanspruch des Verurteilten, da diesem die überwiegenden Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit noch entgegenstünden. Die gegenwärtig noch zu Ungunsten des Verurteilten ausfallende Abwägung werde allerdings in naher Zukunft die Fortdauer der Organisationshaft nicht mehr rechtfertigen können, die aus Sicht der Kammer hier nicht länger als sechs Monate andauern dürfe. Nach sechs Monaten habe der Verurteilte bereits ein Viertel der mutmaßlichen Dauer seines Maßregelaufenthaltes in der Organisationshaft verbracht. Zudem werde das Privileg der Halbstrafenregelung des § 67 Abs. 5 StGB bei einer noch längeren Dauer der Organisationshaft bei einer Aussetzung des Strafrestes nach zweijährigem Vollzug der Maßregel über Gebühr entwertet. Ferner spreche für die Entlassungsnotwendigkeit nach sechs Monaten trotz des Fortbestandes erheblicher Gefahren für die Allgemeinheit indiziell auch die Wertung, dass nach § 121 StPO auch bei einer Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Befürchtung weiterer erheblicher Straftaten eine nicht rechtskräftig angeordnete Freiheitsentziehung über sechs Monate hinaus nur in Ausnahmefällen rechtfertigen könne.
Gegen diesen Beschluss haben Rechtsanwalt pp. am 21.07.2023 und Rechtsanwalt pp. am 23.07.2023 jeweils als Verteidiger des Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt. Es liege ein systemisches Versagen der zuständigen Behörden im Hinblick auf die Schaffung einer ausreichenden Anzahl von Therapieeinrichtungen/-plätzen vor. Aus der Rechtswidrigkeit der Organisationshaft folge ein sofortiger Entlassungsanspruch des Verurteilten, da der Rechtsverletzung kein überwiegendes Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit entgegenstehe.
Die Staatsanwaltschaft Bremen hat am 26.07.2023 ebenfalls sofortige Beschwerde eingelegt. In ihrer Beschwerdebegründung weist sie darauf hin, dass bei dem Verurteilten ein als Hang qualifiziertes Abhängigkeitssyndrom festgestellt worden sei, das bei Weiterbestehen der Abhängigkeit weitere Straftaten des Verurteilten aus dem verfahrensgegenständlichen Spektrum befürchten lasse. Dieses Abhängigkeitssyndrom sei bisher unbehandelt und es seien weitere Straftaten – bei einer fortlaufenden Abstinenz von Kokain – zumindest aus dem Bereich der indirekten Beschaffungskriminalität zu befürchten. Die von der Strafkammer angenommene Erwägung einer indiziellen Wirkung der in § 121 StPO geregelten Dauer einer Untersuchungshaft von sechs Monaten gehe fehl.
Die Justizvollzugsanstalt hat in einer Stellungnahme zum aktuellen Vollzugsverhalten vom 09.08.2023 erklärt, dass es über den gesamten Haftverlauf bisher 27 schuldhafte Pflichtverstöße des Verurteilten gegeben habe, die disziplinarisch sanktioniert worden seien. Bei den Urinkontrollen habe auch die letzte Kontrolle vom 14.07.2023 einen positiven Befund auf THC ergeben. Am 07.08.2023 sei zudem im Haftraum des Verurteilten ein Stückchen Cannabisharz aufgefunden worden, dessen Besitz der Verurteilte eingeräumt habe. In der Gesamtschau könne festgehalten werden, dass der Verurteilte sich nicht an bestehende Regeln im Vollzug halten könne, wobei sich die Palette der Verfehlungen von Nichtbeachtung von Weisungen im Vollzug über körperliche Angriffe an Mitgefangene und Besitz von verbotenen Gegenständen erstrecke.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 15.08.2023 Stellung genommen und beantragt, auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bremen den angefochtenen Beschluss vom 20.07.2023 aufzuheben, soweit mit diesem die Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft zum 21.09.2023 angeordnet worden ist, und festzustellen, dass die weitere Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Bremen vom 01.09.2022 in Organisationshaft zulässig ist. Zudem wird seitens der Generalstaatsanwaltschaft Bremen beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten und seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Organisationshaft gemäß § 307 Abs. 2 StPO bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Verteidiger Rechtsanwalt pp. hat hierzu mit Schriftsatz vom 31.08.2023 Stellung genommen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bremen vom 26.07.2023 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 77 des Landgerichts Bremen vom 20.07.2023 ist statthaft als sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss und auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet und führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags des Verurteilten, ihn aus der Organisationshaft zu entlassen.
Mit dem Beschluss vom 20.07.2023, mit dem die Strafvollstreckungskammer 77 des Landgerichts Bremen die Rechtswidrigkeit des Vollzuges der Organisationshaft seit dem 21.03.2023 festgestellt und die Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft zum 21.09.2023 angeordnet hat, hat die Kammer gemäß § 458 Abs. 1 StPO über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung entschieden, so dass gegen diesen Beschluss gemäß den §§ 463 Abs. 1, 462 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 StPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft ist. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bremen vom 26.07.2023 ist zudem form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 306 Abs. 1, 311 StPO) und damit zulässig.
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bremen war der Beschluss der Strafvollstreckungskammer 77 des Landgerichts Bremen vom 20.07.2023 in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Zwar liegt eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch den Vollzug der Organisationshaft seit dem 21.03.2023 wegen verzögerter Sachbehandlung vor (siehe unter a.). Hieraus folgt aber noch nicht die Feststellung der Unzulässigkeit des Vollzugs der Organisationshaft, sondern zunächst lediglich die Feststellung, dass der Vollzug der Organisationshaft den Verurteilten in seinen Rechten verletzt. Die weitere Entscheidung des Landgerichts, die Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft zum 21.09.2023 anzuordnen, war aufzuheben, da der Entlassung des Verurteilten die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Schutz der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit entgegenstehen, und der Antrag des Verurteilten, ihn aus der Organisationshaft zu entlassen, war daher abzulehnen (siehe unter b.). Ein Entlassungszeitpunkt war vorliegend durch den Senat nicht festzulegen (siehe unter c.).
a) Wie bereits vom Landgericht zutreffend angenommen wurde, liegt keine angemessene Dauer der Organisationshaft mehr vor, wenn zum Zeitpunkt des Endes des Vorwegvollzuges am 20.03.2023 mangels zur Verfügung stehender Plätze in einer Maßregeleinrichtung eine Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug nicht absehbar ist und voraussichtlich erst nach ca. einem Jahr, vorliegend nicht vor Februar 2024, erfolgen können soll. Es war daher festzustellen, dass der fortdauernde Vollzug von Organisationshaft gegen den Verurteilten diesen wegen verzögerter Sachbehandlung in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der Vollzug von Organisationshaft als ein befristetes Abweichen von der sich aus dem Urteilstenor i.V.m. § 67 Abs. 1 und Abs. 2 StGB ergebenden Reihenfolge der Vollstreckung der rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe und der rechtskräftig verhängten Maßregel nur in engen Grenzen gerechtfertigt sein und unterliegt dem Gebot größtmöglicher Beschleunigung (siehe BVerfG, Beschluss vom 26.09.2005 – 2 BvR 1019/01, juris Rn. 32 ff., NJW 2006, 427; siehe auch die Rspr. des Senats in Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 29.11.2022 – 1 Ws 136/22, juris Rn. 10, StV 2023, 253; Beschluss vom 27.01.2023 – 1 Ws 2/23, juris Rn. 11, StV 2023, 257 (Ls.); Beschluss vom 26.04.2023 – 1 Ws 32/23, juris Rn. 21, NStZ-RR 2023, 230). Bei der Organisationshaft liegt damit eine gesetzeswidrige und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechende Verkehrung der Vollstreckungsreihenfolge vor, wenn die Vollstreckungsbehörde in Umsetzung des gerichtlichen Rechtsfolgenausspruchs nicht unverzüglich die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug einleitet und herbeiführt (siehe BVerfG, a.a.O., juris Rn. 30; siehe auch die Rspr. des Senats, a.a.O.).
Aus den durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen folgt allerdings nicht die Pflicht, jederzeit und insbesondere bereits zum Zeitpunkt des im Einzelfall nicht vorhersehbaren Vollstreckungsbeginns einen Behandlungsplatz zur Verfügung stellen zu können (vgl. BVerfG, a.a.O., juris Rn. 33; siehe auch die Rspr. des Senats in Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 29.11.2022 – 1 Ws 136/22, juris Rn. 11). Ein mögliches Zuwarten auf einen freiwerdenden Platz ist daher nicht grundsätzlich unzulässig, sofern unverzüglich ein entsprechender Bedarf angemeldet wird und in geeigneter Weise Bemühungen um das Finden eines solchen Platzes unternommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es insoweit erforderlich, dass die Vollstreckungsbehörden auf den konkreten, von der Rechtskraft des jeweiligen Urteils abhängigen Behandlungsbedarf unverzüglich reagieren und in beschleunigter Weise die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete Einrichtung, welche sich unter Umständen auch außerhalb des jeweiligen Bundeslandes befinden kann, herbeiführen. Es existiert insbesondere keine Frist von drei Monaten, die der Strafvollstreckungsbehörde grundsätzlich an die Hand gegeben wäre, um die Aufnahme eines Verurteilten in den Maßregelvollzug zu bewerkstelligen (vgl. BVerfG, a.a.O., juris Rn. 34 f.; siehe auch die Rspr. des Senats, a.a.O.). Diesen Maßstäben wird nicht genügt, wenn mangels genügender Kapazitäten im Maßregelvollzug freie Aufnahmeplätze nach der Dauer der Wartezeit in der Organisationshaft verteilt werden, so dass hierdurch die Verzögerung zum Regelfall wird. Auch wenn keine Pflicht besteht, jederzeit und insbesondere bereits zum Zeitpunkt des im Einzelfall nicht vorhersehbaren Vollstreckungsbeginns einen Behandlungsplatz zur Verfügung stellen zu können, trifft den Staat und namentlich die Justizbehörden bzw. die nach Landesrecht für die Maßregelvollzugseinrichtungen zuständigen Behörden aber aufgrund des für den Vollzug von Organisationshaft geltenden Gebots größtmöglicher Beschleunigung eine Verpflichtung, eine dem Bedarf entsprechende Kapazität an Behandlungsplätzen vorzuhalten (siehe allgemein BGH, Urteil vom 21.03.1979 – 2 StR 743/78, juris Rn. 9, BGHSt 28, 327; KG Berlin, Beschluss vom 10.06.2020 – 5 Ws 93/20, juris Rn. 17, OLGSt StGB § 67 Nr. 17; OLG Hamm, Beschluss vom 25.11.2003 – 4 Ws 537/03 und 4 Ws 569/03, juris Rn. 15, NStZ-RR 2004, 381; Beschluss vom 07.05.2019 – 1 Ws 209/19, juris Rn. 11; LG Rottweil, Beschluss vom 02.06.2021 – 1 StVK 26/21, juris Rn. 21; siehe auch die Rspr. des Senats, a.a.O., juris Rn. 13). Dieser Pflicht wird nicht genügt, wenn die Verfügbarkeit von Plätzen im Maßregelvollzug generell von Erfordernissen einer Wartezeit in der Organisationshaft abhängig gemacht wird, wobei im vorliegenden Fall eine Wartezeit bis zur voraussichtlichen Aufnahme in den Maßregelvollzug von ca. einem Jahr oder länger erforderlich sein soll. Bereits dies begründet eine Rechtsverletzung durch eine nicht gerechtfertigte Verlängerung der Dauer des Vollzugs von Organisationshaft, ohne dass es weiter darauf ankäme, ob diese Rechtsverletzung noch durch eine weitere verzögerte Bearbeitung der Vollstreckungssache durch die Justizbehörden zusätzlich verstärkt wurde (vgl. so auch die Rspr. des Senats, a.a.O.).
b) Aus der Feststellung der überlangen Dauer der Organisationshaft folgt nicht notwendigerweise, dass der Verurteilte aus der Organisationshaft zu entlassen ist. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass es für die Frage einer Entlassung in dieser Konstellation vielmehr auf eine Abwägung insbesondere mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit ankommt (siehe Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 29.11.2022 – 1 Ws 136/22, juris Rn. 29 ff., StV 2023, 253; Beschluss vom 27.01.2023 – 1 Ws 2/23, juris Rn. 13, StV 2023, 257 (Ls.); Beschluss vom 26.04.2023 – 1 Ws 32/23, juris Rn. 27, NStZ-RR 2023, 230). Die hiernach zu treffende Abwägungsentscheidung führt zu einem Überwiegen der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und mithin zu einer Ablehnung des Antrags des Verurteilten, ihn aus der Organisationshaft zu entlassen.
aa) Es kommen bei festgestellter Rechtsgutsverletzung durch eine Verzögerung der Sachbehandlung und einer überlangen Dauer der Organisationshaft grundsätzlich verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten im Hinblick auf einen Antrag auf Freilassung des Verurteilten in Betracht: Es kann die Unterbrechung der Organisationshaft und die Freilassung des Verurteilten zum einen dann angeordnet werden, wenn dessen Gefährlichkeit den weiteren Vollzug der Organisationshaft vor der Aufnahme in den Maßregelvollzug nicht mehr erfordert. Geboten ist eine Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft aber zum anderen auch dann, wenn auch unter Abwägung mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit die weitere Fortdauer der Verletzung des Freiheitsgrundrechts durch eine der Art nach fehlerhafte und der gesetzlichen Vollstreckungsreihenfolge widersprechende Form des Vollzugs der Freiheitsentziehung nicht mehr hinzunehmen ist. Sind diese Voraussetzungen dagegen (noch) nicht erfüllt, dann ist der Vollzug der Organisationshaft fortzusetzen.
Maßgeblich kommt es für diese Abwägung einerseits auf die Gefährlichkeit des Verurteilten und die dadurch tangierten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit an, andererseits auf Ausmaß und Intensität der Rechtsgutsverletzung durch die verzögerte Sachbehandlung und überlange Dauer der Organisationshaft. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit werden Kriterien zu berücksichtigen sein wie die zugrunde liegende Tat, die hierdurch betroffenen Rechtsgüter und die Schwere ihrer Beeinträchtigung, das strafrechtliche Vorleben des Verurteilten, die Rückfallgefahr, Krankheitseinsicht und Therapiemotivation sowie die Führung des Verurteilten im Vorwegvollzug, das Vorhandensein eines sozialen Empfangsraums und die Erwartbarkeit einer therapeutischen Anbindung und Kontrolle bis zur späteren Aufnahme in den Maßregelvollzug sowie weitere nach den besonderen Umständen des Einzelfalls relevante Umstände. Für die Beurteilung von Ausmaß und Intensität der Rechtsgutsverletzung wird darauf abzustellen sein, in welchem Umfang die verzögerte Sachbehandlung und eine überlange Dauer der Organisationshaft festzustellen sind. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, inwieweit auf der einen Seite das Verhalten des Verurteilten selbst hierfür mitursächlich geworden ist oder ob auf der anderen Seite besondere und zeitnah entfaltete Bemühungen der Vollstreckungsbehörden ersichtlich sind, einer Verzögerung möglichst entgegenzuwirken. Ferner wird hier auch eine Verzögerung und überlange Dauer der Organisationshaft in ein Verhältnis zur Gesamtdauer der ausgeurteilten Freiheitsstrafe und der anzunehmenden Therapiedauer zu setzen sein. Eine Verzögerung wird umso weniger zur Freilassung führen müssen, je weiter diese im Verhältnis zu den Letzteren zurücktritt. Schließlich kann in geeigneten Fällen auch Berücksichtigung finden, in welchem Ausmaß bereits der Zeitraum der Organisationshaft für eine therapeutische Arbeit genutzt werden konnte bzw. kann (vgl. Hanseatische OLG in Bremen, Beschluss vom 27.01.2023 – 1 Ws 2/23, juris Rn. 14, StV 2023, 257 (Ls.)).
Allgemein ist nach Auffassung des Senats bei der Bewertung des Gewichts der Beeinträchtigung des Verurteilten zudem zu berücksichtigen, dass die Einschränkung des Freiheitsgrundrechts in der vorliegenden Konstellation dem Grunde nach auf dem vollstreckbaren richterlichen Erkenntnis beruht, welches den Freiheitsentzug für erforderlich angesehen hat, so dass der sich durch die Verkehrung der sich aus dem Urteil i.V.m. § 67 StGB ergebenden Vollstreckungsreihenfolge ergebende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht weniger schwerwiegend erscheinen muss als in Fällen, in denen es bereits an einer rechtmäßigen Anordnung des Freiheitsentzugs auch dem Grunde nach mangelt. Zudem kann – über die ohnehin erfolgende Anrechnung der Organisationshaft auf die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe hinaus – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen einer solchen Haftung eine verzögerte Überstellung in den Maßregelvollzug auch Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzansprüche auslösen (siehe OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.06.2022 – 4 Ws 213/22, juris Rn. 19, Justiz 2022, 222), so dass eine Kompensation in dieser Weise auch außerhalb der Entscheidung im Verfahren nach § 458 StPO denkbar ist.
Zu betonen ist schließlich, dass der Umstand einer tatsächlichen Begrenzung der vorhandenen Kapazitäten im Maßregelvollzug kein in die Abwägung einzustellender Umstand ist, ebenso nicht ein etwaig befolgter Grundsatz der Priorisierung der Platzvergabe nach Wartelisten: Der Staat und seine zuständigen Behörden stehen vielmehr, wie bereits ausgeführt wurde, in der Verpflichtung zur Schaffung und Vorhaltung eines bedarfsgerechten Angebots von Plätzen und das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass für eine Mindestzeitspanne der Dauer der Organisationshaft keine Grundlage besteht (siehe BVerfG, Beschluss vom 16.11.2004 – 2 BvR 2004/04, juris Rn. 36, BVerfGK 4, 176). Die Verzögerung der Aufnahme in den Maßregelvollzug stellt vielmehr nach den vorstehenden Ausführungen eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Verurteilten dar und der Staat hat die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um diese Beeinträchtigung zu vermeiden, auch wenn diese Rechtsverletzung im konkreten Einzelfall nach Abwägung gegen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit noch nicht die Freilassung des Verurteilten erfordern sollte (vgl. Hanseatisches OLG in Bremen a.a.O.).
bb) Das Landgericht hat seine Entscheidung zur Anordnung der Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft maßgeblich darauf gestützt, dass aufgrund einer verzögerten Sachbearbeitung der Staatsanwaltschaft und einer mangelnden Ausgestaltung der Organisationshaft als Vorbereitung des Maßregelvollzuges von einer Verletzung des Freiheitsrechts des Verurteilten durch eine überlange Organisationshaft ausgegangen werden müsse, der gegenwärtig noch die überwiegenden Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit entgegengehalten werden könnten, dies aber nicht über sechs Monate hinaus und mithin ab dem 21.09.2023 aber nicht mehr gegeben sei. Das Landgericht geht insofern davon aus, dass zwar die zu treffende Abwägung – insbesondere hinsichtlich der Dauer der Organisationshaft im Verhältnis zur Höhe der ausgeurteilten Freiheitsstrafe, der Rückfallgefahr und damit verbundenen Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten und des Verhaltens des Verurteilten in der Haft in Bezug auf Selbstkontrolle und Absprachefähigkeit – derzeit noch zuungunsten des Verurteilten ausfalle, dies aber bereits in naher Zukunft nicht mehr der Fall sei. Hierbei verweist das Landgericht darauf, dass am 21.09.2023 bereits ein Viertel der Zeit, die der Verurteilte voraussichtlich im Maßregelvollzug verbringen werde, verstrichen sei. Zudem spreche für eine Entlassungsnotwendigkeit indiziell auch die Wertung, dass nach § 121 StPO auch bei der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Befürchtung weiterer erheblicher Straftaten eine nicht rechtskräftig angeordnete Freiheitsentziehung über sechs Monate hinaus nur in Ausnahmefällen rechtfertigen könne.
Die Staatsanwaltschaft Bremen ist dagegen in ihrer Beschwerdebegründung vom 26.07.2023 zu der Beurteilung gekommen, dass unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit eine Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft nicht verantwortet werden könne. Hierzu führt sie im Wesentlichen den bestehenden Hang des Verurteilten zum Betäubungsmittelkonsum und die damit verbundene Rückfallgefahr und Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten, sowie die Schwere der Anlasstaten ins Feld. Die Annahme einer indiziellen Wirkung der in § 121 StPO geregelten Dauer einer Untersuchungshaft von sechs Monaten gehe fehl.
cc) Im vorliegenden Fall folgt aus der Abwägung, bei der das Ausmaß und die Intensität der Rechtsgutsverletzung bei dem Verurteilten den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit gegenüberzustellen sind, dass die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit überwiegen.
(1) Das Landgericht ist im Grundsatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Vollzug der Organisationshaft wegen verzögerter Sachbehandlung den Verurteilten in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verletzt. Der Verurteilte befindet sich nunmehr seit fast einem halben Jahr in der Organisationshaft und die Aufnahme in den Maßregelvollzug ist weiterhin nicht absehbar. Dies genügt den Anforderungen des Beschleunigungsgebots beim Vollzug von Organisationshaft nicht und es ist mit diesem Grundsatz nicht vereinbar, wenn die Verfügbarkeit von Plätzen im Maßregelvollzug aufgrund mangelnder Kapazitäten generell von dem Erfordernis einer Wartezeit in der Organisationshaft abhängig gemacht wird. Zudem wirft auch die Sachbearbeitung der Staatsanwaltschaft im konkreten Fall hinsichtlich des Zuwartens auf das Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe und den Eingang der Verfahrensakte Bedenken auf. Ein von Verfassungs wegen vertretbarer Grund für diese Verzögerung ist nicht erkennbar, weil der zum Zeitpunkt des Urteils absehbare Zeitpunkt der Rechtskraft von der Staatsanwaltschaft spätestens nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim Landgericht hätte erfragt werden können. Ungeachtet der erforderlichen Prüfung sämtlicher Vollstreckungsvoraussetzungen hätte die Staatsanwaltschaft schon mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft bei den für den Maßregelvollzug zuständigen Stellen den konkreten Unterbringungsbedarf - auch fernmündlich oder per Telefax - anmelden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.09.2005 – 2 BvR 1019/01, juris Rn. 36, NJW 2006, 427). Dies gilt unabhängig davon, ob die Vollzugsplanung mangels der Vorlage aller Unterlagen noch nicht im Detail erfolgen kann, wobei das Zuwarten auf die schriftlichen Urteilsgründe und den Eingang der Verfahrensakte sich im vorliegenden Fall jedenfalls kausal im Ergebnis zum derzeitigen Zeitpunkt nicht weiter ausgewirkt haben dürfte. Die erstmalige Platzanfrage bei der Maßregelvollzugsanstalt erfolgte ungeachtet dieses Zuwartens bereits im Dezember 2022 und damit knapp drei Monate vor Ablauf des angeordneten Vorwegvollzugs. Bei genügenden Kapazitäten im Maßregelvollzug wäre dieser Zeitraum für eine Platzvergabe ausreichend gewesen.
Die durch die Dauer des Vollzugs der Organisationshaft begründete Rechtsgutverletzung ist auch nicht dadurch teilweise ausgeglichen worden, dass die Organisationshaft bereits zur Vorbereitung des Maßregelvollzuges ausgenutzt worden wäre. Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum seitens der Justizvollzugsanstalt auf ein Diagnoseverfahren verzichtet wurde, obschon ein zeitnaher Übergang in den Maßregelvollzug nicht absehbar war, und eine Teilnahme an einem Gruppenangebot nicht realisiert werden konnte. Wenn auch diese Umstände geeignet sind, den grundsätzlich behandlungsmotivierten Verurteilten weiter zu belasten, bleibt allerdings insoweit auch zu berücksichtigen, dass der Verurteilte ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 17.05.2023 eigeninitiativ nur selten den Kontakt zu dem Fachdienst in der Justizvollzugsanstalt gesucht hat und sodann auch nur organisatorische Fragen in Bezug auf die kommende Maßregelunterbringung klären wollte.
Des Weiteren ist die Rechtsgutsverletzung auf Seiten des Verurteilten im Rahmen der Beurteilung von Ausmaß und Intensität ins Verhältnis zu setzen zur Gesamtdauer der ausgeurteilten Freiheitsstrafe und der anzunehmenden Therapiedauer. Es ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht zu übersehen, dass derjenige Verurteilte, dem es gelingt, die Unterbringung in der Entziehungsanstalt in dem vom Gericht prognostizierten Zeitraum erfolgreich zu absolvieren und eine bedingte Aussetzung der Unterbringung und des Strafrests zur Bewährung zu erreichen und der diese Bewährungszeit dann durchsteht, so dass der Strafrest erlassen wird, der es aber andererseits nicht schafft, die Voraussetzungen einer bedingten Entlassung früher als vom Gericht prognostiziert, zu schaffen, faktisch u. U. tatsächlich länger Freiheitsentzug erdulden muss, als dies der Fall gewesen wäre, wenn die Justiz mit dem erforderlichen Nachdruck gehandelt hätte (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.10.2021 – 3 Ws 616/21, juris Rn. 11, NStZ-RR 2022, 95). Auch vorliegend könnte der Verurteilte eine Strafrestaussetzung nach erfolgreichem Maßregelvollzug mit der sachverständig prognostizierten Dauer von zwei Jahren zum Halbstrafenzeitpunkt gemäß §§ 57 Abs. 1, 67 Abs. 2, Abs. 5 S. 1 StGB nicht mehr erreichen, da hierfür eine umgehende Aufnahme in den Maßregelvollzug im Anschluss an den Vorwegvollzug notwendig gewesen wäre. Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass dies den Idealfall abbildet, in dem der Verurteilte die Therapie erfolgreich und in der prognostizierten Dauer abschließt, was zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls offen ist. Ein solcher zum derzeitigen Zeitpunkt für den Verurteilten noch ungewisser Aspekt ist dem Vollzug der Organisationshaft für sich genommen noch nicht entscheidend entgegenzuhalten (siehe Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 29.11.2022 – 1 Ws 136/22, juris Rn. 21, StV 2023, 253). Mit Blick auf die vorstehenden Umstände ist das Landgericht in Ansehung der bisher fünf Monate andauernden Organisationshaft im Verhältnis zu der ausgeurteilten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Intensität der Rechtsverletzung als erheblich, aber noch nicht als gravierend eingestuft werden kann.
(2) Der Rechtsverletzung stehen aufgrund der Gefährlichkeit des Verurteilten gewichtige und letztlich auch überwiegende Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit gegenüber. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit sind – wie bereits dargelegt – Kriterien wie die zugrunde liegende Tat, die hierdurch betroffenen Rechtsgüter und die Schwere ihrer Beeinträchtigung, das strafrechtliche Vorleben des Verurteilten, die Rückfallgefahr, Krankheitseinsicht und Therapiemotivation sowie die Führung des Verurteilten im Vorwegvollzug, das Vorhandensein eines sozialen Empfangsraums und die Erwartbarkeit einer therapeutischen Anbindung und Kontrolle bis zur späteren Aufnahme in den Maßregelvollzug sowie weitere Aspekte nach den besonderen Umständen des Einzelfalls relevant.
Bei den dem Verurteilten vorgeworfenen Anlasstaten handelt es sich um 10 Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, mithin um Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetzt, die den Handel mit Kokain und Marihuana im Kilobereich zum Gegenstand haben. Aus den Taten heraus ist ein professionelles und organisiertes Vorgehen unter Verwendung eines kryptisierten Mobiltelefons ersichtlich. Die betroffenen Rechtsgüter der Gesundheit der Allgemeinheit und deren Schutz vor unerlaubten Betäubungsmitteln sind von hohem Rang und werden durch die Taten, bei denen große Mengen von Betäubungsmitteln gehandelt werden und es letztlich eine unüberschaubare Zahl Betroffener gibt, empfindlich tangiert. Weiter ist zu berücksichtigen, dass für den Fall der Entlassung des Verurteilten aus der Organisationshaft eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung weiterer Straftaten besteht. Der Verurteilte selbst hat die von ihm begangenen Taten bagatellisiert und angegeben, er habe mit Betäubungsmitteln nie jemandem weh getan und er sei nicht gemeingefährlich. Eine Auseinandersetzung mit den Taten oder gar eine innere Abkehr, die sich risikoreduzierend hätten auswirken können, sind insoweit nicht ersichtlich.
Bei dem Verurteilten besteht auch weiterhin der zum Zeitpunkt des Urteils festgestellte Hang, Betäubungsmittel zu konsumieren. Der Verurteile ist auch im Laufe des bisherigen Vollzugs immer wieder mit Betäubungsmittelkonsum aufgefallen. Unter den neun durchgeführten Urinkontrollen im Zeitraum 21.04.2022 – 14.07.2023 waren vier positiv auf THC, darunter neben der Kontrolle vom 19.09.2022 auch die drei letzten Kontrollen vom 08.02.2023, 24.03.2023 und 14.07.2023. Kokain konnte nicht festgestellt werden. Eine weitere Kontrolle vom 03.05.2022 versuchte der Verurteilte zu manipulieren, bei der Kontrolle vom 09.12.2022 gab es Suchtmittelauffälligkeiten, sodass der Verdacht besteht, dass eine Substanz konsumiert wurde, die vom Test nicht erfasst wird. Am 07.08.2023 wurde ein Stückchen Cannabisharz im Haftraum des Verurteilten sichergestellt, dessen Besitz der Verurteilte eingeräumt hat. Gänzlich ohne Auffälligkeiten waren nur die Kontrollen vom 21.04.2022 und 11.11.2022. In Ansehung dieser Umstände ist weiterhin von einer bestehenden unbehandelten Abhängigkeit des Verurteilten und mithin einem Hang auszugehen, dem sich der Verurteilte auch im streng reglementierten geschlossenen Strafvollzug nicht entziehen kann. Vor dem Hintergrund dieses Hanges sind auch weitere erhebliche Straftaten von dem Verurteilten zu erwarten.
Es ist zunächst mit dem Sachverständigen pp. davon auszugehen, dass im Falle einer Haftentlassung trotz Anbindung an ein familiäres und soziales Umfeld, verbunden mit der Anbindung an eine ambulante Suchtberatung, Taten aus dem Bereich der indirekten Beschaffungskriminalität zu erwarten sind. Wenn auch der Sachverständige im Rahmen der Anhörung vom 18.07.2023 weiter erklärt hat, dass bei bloßem Cannabiskonsum nicht unbedingt EncroChat-Taten zu erwarten seien, besteht auch insoweit eine nicht unerhebliche Gefahr erneuter Tatbegehung gleicher Art. Zunächst wurde im Urteil des Landgerichts Bremen vom 01.09.2022 festgestellt, dass bei Weiterbestehen der Abhängigkeitserkrankung Straftaten des Verurteilten aus dem verfahrensgegenständlichen Spektrum zu erwarten seien. Auch zum damaligen Zeitpunkt war ein Kokainkonsum bereits über einen Zeitraum vom 9 Monaten nicht nachgewiesen worden. Nennenswerte Veränderungen hat es in der Folgezeit mit Ausnahme des für den Verurteilten streitenden Zeitablaufs nicht gegeben. Der Verurteilte selbst hat in der Anhörung vom 18.07.2023 zudem angegeben, dass es eine Rückfallgefahr gebe und er süchtig sei. Er könne nie ausschließen, dass er rückfällig werde und auch nicht sagen, wie lange er ohne Drogen klarkomme. Soweit er zudem angab, seit dem 24.03.2023 kein Cannabis mehr konsumiert zu haben, wurde diese Behauptung durch eine Urinkontrolle mit positivem THC-Befund vom 14.07.2023 widerlegt. Auch der Sachverständige erklärte, dass ein Rückfall in den Kokainkonsum gerade in Stresssituationen nicht auszuschließen sei. Wie vom Landgericht zutreffend angenommen ist ein Umschlag in einen erneuten Konsum auch von Kokain außerhalb des Strafvollzuges keineswegs auszuschließen. Vielmehr dürfte diese Gefahr, die mit der Gefahr der Begehung von den Anlasstaten entsprechenden Taten einhergeht, in Ansehung der Bagatellisierung der begangenen Taten und der mangelnden Auseinandersetzung mit ihnen sowie des zuletzt durchgehenden Konsums von Cannabis im Strafvollzug nicht von der Hand zu weisen sein. Mit der Generalstaatsanwaltschaft Bremen bleibt darauf hinzuweisen, dass letztlich auch der mögliche Rückgriff auf vorhandene Strukturen und die Nutzung bekannter Abläufe einen Rückfall des hoch verschuldeten Verurteilten in alte Tatmuster zu Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums nahelegen.
Der Gefahr erheblicher Straftaten kann auch nicht mit dem bestehenden familiären und sozialen Empfangsraum hinreichend begegnet werden. Zwar hätte der Verurteilte die Möglichkeit, bei pp. einzuziehen, es handelt sich hierbei jedoch um eine noch nie erprobte Wohnsituation [pp.]. Im Hinblick auf den vorgelegten Arbeitsvertrag ist bereits fraglich, ob der Verurteilte mit der bestehenden Betäubungsmittelabhängig einer (Vollzeit-) Beschäftigung mit einem Arbeitsweg von 70 Kilometern je Strecke nachgehen könnte. Das bisherige Erwerbsleben war durch den Abbruch einer Berufsausbildung und eine zuletzt mehrjährige Phase ohne eine geregelte legale Beschäftigung geprägt. Auch das Landgericht hat in den Gründen des Urteils vom 01.09.2022 festgestellt, dass der Verurteilte aufgrund seines Betäubungsmittelkonsums nicht mehr in der Lage gewesen ist, einer Beschäftigung nachzugehen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte in der Gesamtzeit der bisherigen Haft mit einer Vielzahl von insgesamt 27 Disziplinarmaßnahmen sanktioniert wurde. Diese gehen nach Mitteilung der Justizvollzugsanstalt in deren Stellungnahmen vom 17.05.2023 und 09.08.2023 im Wesentlichen auf Nichtbefolgung von Weisungen sowie Bedrohungen und Beleidigungen von Bediensteten zurück. Unter die Verstöße fallen zudem die sanktionierten positiven Urinkontrollen, der Besitz eines Mobiltelefons und ein körperlicher Angriff auf einen Mitinsassen sowie das Rauchen im Kraftraum, auf dessen Verbot er direkt vor dem Verstoß hingewiesen wurde. Aus dem Haftverhalten des Verurteilten ist damit ersichtlich, dass er weder gewillt noch in der Lage ist, sich an jedwede Art von Regeln zu halten, wie auch aus der breiten Palette der Verstöße deutlich wird. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es sehr fraglich, dass der Verurteilte in Freiheit der nachgewiesenen Vollzeitbeschäftigung, bei der er sich an die zeitlichen Vorgaben und auch sonstigen Weisungen seines Arbeitgebers zu halten hätte, tatsächlich nachgehen wird. Eben diese Bedenken sind auch der von ihm in Aussicht genommenen ambulanten Therapie, für die bisher keine Platzzusage vorgelegt wurde, entgegenzuhalten. Der Verurteilte hat sich im Vollzug als nicht absprachefähig erwiesen und hat sich auch an sehr niedrigschwellige Regeln nicht gehalten. Dass er vor diesem Hintergrund eine mit einem gewissen Maß an Eigenverantwortung einhergehende ambulante Therapie wird absolvieren können, ist sehr unwahrscheinlich, auch wenn der Verurteilte sich dies wünscht. Eine solche Therapie könnte dem Verurteilten in vorliegender Konstellation auch nicht als Weisung aufgegeben werden, sodass deren Einhaltung vom Gericht nicht kontrolliert und ein Abbruch nicht sanktioniert werden könnte. Es kann im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der disziplinarisch sanktionierten Verstöße auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese allein haftimmanente Ursachen haben, vielmehr dürfte dort eine grundsätzliche Haltung des Verurteilten gegenüber der Einhaltung von Regeln zu Tage treten.
Es bleibt zu konstatieren, dass die grundsätzlich stabilisierenden Faktoren eines familiären Empfangsraums, der Aufnahme einer Beschäftigung und einer ambulanten Therapie vorliegend aufgrund der genannten Vielzahl von Unwägbarkeiten, die insbesondere auch aus dem (Vollzugs-)Verhalten des Verurteilten resultieren, nicht geeignet sind, der von dem Verurteilten ausgehenden Gefahr hinreichend zu begegnen. Nach alledem überwiegen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit derzeit die Rechtsverletzung auf Seiten des Verurteilten.
c) Aus den vorstehenden Gründen ist der Vollzug der Organisationshaft derzeit fortzusetzen. In geeigneten Fällen kann das Gericht im Interesse der Schaffung von Rechtssicherheit auch ein Datum festlegen, bis zu dem spätestens der Verurteilte aus der Organisationshaft zu entlassen oder in den Maßregelvollzug aufzunehmen ist. Angezeigt ist dies, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung die Fortdauer der Rechtsverletzung durch die überlange Dauer der Organisationshaft noch nicht die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit überwiegt, gleichwohl aber abzusehen ist, dass dies bei einer weiteren Fortdauer des Vollzugs von Organisationshaft in Bälde der Fall sein wird (vgl. Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 29.11.2022 – 1 Ws 136/22, juris Rn. 24, StV 2023, 253; Beschluss vom 27.01.2023 – 1 Ws 2/23, juris Rn. 13, StV 2023, 257 (Ls.)). Diese Voraussetzungen sind derzeit noch nicht erfüllt. Zwar wird sich mit dem weiteren Vollzug der Organisationshaft die auf Seiten des Verurteilten bereits nach heutiger Betrachtung gegebene Rechtsverletzung weiter intensivieren, dass ein Überwiegen dieser Rechtsverletzung gegenüber den dargelegten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in Bälde bevorstehen würde, ist aber nicht ersichtlich.
Soweit die Strafvollstreckungskammer sich für die Annahme der Gebotenheit der Festlegung eines solchen Datums indiziell auf die Wertung des § 121 StPO bezogen und daher trotz des Fortbestandes erheblicher Gefahren für die Allgemeinheit eine Entlassungsnotwendigkeit nach sechs Monaten angenommen hat, tritt der Senat dieser Argumentation nicht bei. Die Rechtsprechung des Senats zum weiteren Vollzug von Organisationshaft trotz festgestellter Rechtsverletzung durch verzögerte Sachbehandlung stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Konsequenzen einer verfahrensfehlerhaft verzögerten Überprüfung der weiteren Fortdauer einer Sicherungsverwahrung nach § 67e Abs. 1 und Abs. 2 StGB, wonach die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit auch dann noch nicht notwendigerweise gegenüber der Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Betroffenen zurücktreten müssen, wenn das grundrechtlich gebotene Verfahren bereits um mehrere Monate verzögert wurde, sofern die Gefährlichkeit des Betroffenen, die zur Anordnung der Freiheitsentziehung geführt hatte, noch nicht fortgefallen ist (siehe BVerfG, Beschluss vom 16.11.2004 – 2 BvR 2004/04, juris Rn. 28, BVerfGK 4, 176; zur Anwendung dieser Argumentation im Kontext der Organisationshaft siehe auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.10.2021 – 3 Ws 616/21, juris Rn. 10, NStZ-RR 2022, 95; siehe hierzu Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 29.11.2022 – 1 Ws 136/22, juris Rn. 23, StV 2023, 253). Die vorliegende Konstellation ist insofern nicht derjenigen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots im Rahmen der Untersuchungshaft vergleichbar, bei der nach den Vorgaben der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung erhebliche, vermeidbare und dem Staat zurechenbare Verzögerungen auch bei schweren Tatvorwürfen zur Aufhebung des Haftbefehls führen (so die st. Rspr. des BVerfG, siehe zuletzt u.a. Beschluss vom 11.06.2018 – 2 BvR 819/18, juris Rn. 29, NJW 2018, 2948; siehe hierzu auch die Rechtsprechung des Senats, zuletzt u.a. in Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 24.04.2019 – 1 Ws 44/19, juris Rn. 36, OLGSt StPO § 112 Nr. 26). In Situationen der Untersuchungshaft fehlt es gerade am Vorliegen eines rechtskräftigen vollstreckbaren richterlichen Erkenntnisses, welches wegen der Gefährlichkeit des Verurteilten aufgrund der festgestellten Begehung der vorgeworfenen Tat die Freiheitsentziehung des Verurteilten anordnet. Insofern verbietet sich eine auch nur indizielle Heranziehung der Wertung des § 121 StPO, da die Grundkonstellation im Ausgangspunkt nicht vergleichbar ist.
Vielmehr ist nicht zu erkennen, dass eine zugunsten des Verurteilten ausgehende Abwägung der Rechtsverletzung durch die überlange Dauer der Organisationshaft gegenüber den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in Bälde bevorstünde und es kommt mithin auch nicht die Festlegung einer Entlassung zum 21.09.2023 oder zu einem anderen bereits derzeit bestimmbaren Datum in Betracht. Das Verhalten des Verurteilten im Vollzug lässt bisher keine hinreichende Distanzierung und Auseinandersetzung mit den Anlasstaten erkennen. Ebenso ist es dem Verurteilten nicht gelungen, sich im Vollzug an Regeln zu halten oder den Konsum vom Betäubungsmitteln einzustellen, auch wenn ihm Letzteres mangels therapeutischer Behandlung nur eingeschränkt vorwerfbar ist. Hierdurch ist im Ergebnis durch das aktuelle Verhalten des Verurteilten die von ihm ausgehende Gefahr als eher gesteigert denn reduziert anzusehen. Dieser Gefahr kann durch die derzeitigen Umstände außerhalb der Haft – wie bereits dargelegt – nicht hinreichend begegnet werden. Da weder die Änderung der äußeren Faktoren noch eine längere Wohlverhaltensphase, die eine ernsthafte und dauerhafte Verhaltensänderung erkennen lassen müsste, absehbar sind, ist derzeit nicht davon auszugehen, dass die die Fortdauer der Rechtsverletzung durch die überlange Dauer der Organisationshaft die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit bereits in Bälde überwiegen wird. Zwar wird die Rechtsverletzung durch den weiteren Vollzug intensiviert, die Bestimmung eines Entlassungsdatums ist aber aufgrund der vorstehenden Erwägungen noch nicht angezeigt.
Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass der weitere Vollzug der Organisationshaft ungeachtet der vorstehenden Ausführungen weiterhin dem hier geltenden allgemeinen Gebot größtmöglicher Beschleunigung unterliegt, d.h. die Vollstreckungsbehörden bleiben auch im weiteren Fortgang weiterhin gehalten, nunmehr unverzüglich die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug einzuleiten und herbeizuführen. Insofern ist auch die weitere Organisationshaft für die Vorbereitung das Maßregelvollzuges zu nutzen.
2. Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten vom 21.07.2023 und 23.07.2023 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 77 des Landgerichts Bremen vom 20.07.2023 sind statthaft als sofortige Beschwerden gegen diesen Beschluss und auch im Übrigen zulässig. Sie erweisen sich in der Sache als unbegründet. Es liegen keine Gründe für eine sofortige Entlassung des Verurteilten vor. Wie unter 1. dargelegt, überwiegen im Rahmen der Abwägung mit der Rechtsverletzung des Verurteilten durch die überlange Dauer der Organisationshaft derzeit noch die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit.
Eine Aussetzung des Vollzuges der Organisationshaft, die der Verurteilte mit seinem Antrag nach § 307 Abs. 2 StPO verfolgt, kam aufgrund der vorstehenden Gründe ebenfalls nicht in Betracht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO entsprechend.
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