Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Haftgrund, Wiederholungsgefahr, exhibitionistischer Handlungen vor Kindern, Schwere der Tat

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 18.04.2023 – 1 Ws 209/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Exhibitionistische Handlungen eines Mannes vor einem Kind überschreiten die von § 184h StGB vorausgesetzte Erheblichkeitsschwelle. Solche Handlungen erfüllen den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind gemäß § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Führen solche Handlungen bei dem Kind zu einer nicht unerheblichen Gefühlsbeeinträchtigung kommt auch eine tateinheitliche Verwirklichung des Tatbestandes der exhibitionistischen Handlungen gemäß § 183 StGB in Betracht.
2. Beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO rechtfertigt die zu besorgende Begehung von Tatbeständen nach dieser Vorschrift die Anordnung von Untersuchungshaft nur dann, wenn es sich um erhebliche Taten handelt. Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind gemäß § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB durch exhibitionistische Handlungen eines Mannes vor einem Kind sind aufgrund der gesetzgeberischen Wertung regelmäßig als erhebliche Straftaten anzusehen und rechtfertigen ohne Weiteres die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr, ohne dass es einer weiteren Begründung bedarf. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage bedarf es einer näheren Begründung nurmehr dann, wenn das Merkmal der Erheblichkeit ausnahmsweise entfällt.




In pp.

I. Die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Landgerichts vom 08.03.2023 wird verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts vom 26.01.2023, eröffnet am 09.02.2023, seitdem in Untersuchungshaft. In diesem Haftbefehl wird ihm sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind in vier tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 176a Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB zur Last gelegt. Der Haftbefehl ist auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO gestützt. Mit Beschluss vom 08.03.2023 hat das Landgericht die Haftbeschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts verworfen. Gegen diesen landgerichtlichen Beschluss wendet sich der Beschuldigte mit der weiteren Haftbeschwerde im Schriftsatz des Verteidigers vom 16.03.2023, der das Landgericht mit Beschluss vom 28.03.2023 nicht abgeholfen hat.

II.

Das Rechtsmittel des Beschuldigten ist als weitere Haftbeschwerde statthaft und zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1, 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Beschuldigte ist der im Haftbefehl des Amtsgerichts vom 26.01.2023 bezeichneten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

a) Nach Aktenlage stand der Beschuldigte am 21.12.2022 gegen 09.40 Uhr mit seinem PKW VW Caravelle in X auf einem Parkplatz und wartete mit heruntergezogener Hose auf vorbeilaufende Passanten. Als die deutlich als Kinder erkennbaren vier Geschädigten (drei Mädchen und ein Junge im Alter von 11 bzw. 12 Jahren) am Fahrzeug vorbeiliefen, öffnete er die Türe, wandte sich den Geschädigten zu, begab sich in eine leicht stehende Haltung und manipulierte mit einer Hand an seinem entblößten Glied, das deutlich sichtbar war und von den Geschädigten - wie vom Beschuldigten gewollt - auch wahrgenommen wurde. Die drei Mädchen fühlten sich anschließend unwohl. Zwar weist der Verteidiger im Schriftsatz vom 11.04.2023 darauf hin, dass es hinsichtlich der konkreten Tatörtlichkeiten Unstimmigkeiten gibt. So ist der Tatort im Haftbefehl offensichtlich beruhend auf den Feststellungen des KHK vom 19.01.2023 mit „am […] in X in unmittelbarer Nähe zur […]-Mittelschule“ bezeichnet, während die Geschädigten die Tatörtlichkeit als „Parkplatz bei der Pizzeria Z“ beschreiben. Diese geringfügige (auch nach dem Vorbringen der Verteidigung nur 500 m betragende) Abweichung schadet nicht. Die Taten sind auch aus der Sicht des Beschuldigten hinreichend konkret bezeichnet und von anderen Tatvorwürfen deutlich abgrenzbar. Der dringende Tatverdacht wird im Übrigen auch vom Beschwerdeführer ersichtlich nicht in Abrede gestellt.

b) Das Verhalten des Beschuldigten erfüllt den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind in vier tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 176a Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB. Insbesondere sind zweifelsohne auch die Voraussetzungen des § 184h StGB gegeben. Die Handlungen des Beschuldigten sind bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eindeutig als sexualbezogene Handlungen zu qualifizieren, deren Bedeutung sich der Beschuldigte auch bewusst war. Diese sind unter dem Gesichtspunkt der besonderen Schutzbedürftigkeit der geschädigten Kinder auch von einiger Erheblichkeit i.S.v. § 184h Nr. 1 StGB. Zur Beurteilung der Erheblichkeit bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus. Es muss eine sozialethisch nicht mehr hinnehmbare Rechtsgutsbeeinträchtigung zu besorgen sein (Fischer StGB 70. Aufl. § 184h Rn. 5). Unter Berücksichtigung des Schutzgutes der unbeeinträchtigten Gesamtentwicklung und sexuellen Selbstbestimmung von Kindern, das nach dem Willen des Gesetzgebers schon vor der Neuregelung, jedenfalls aber aufgrund der Neufassung der Vorschriften zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder als sehr hoch anzusiedeln ist, ist die Schwelle zur Erheblichkeit vorliegend auch dann überschritten, wenn die Handlungen des Beschuldigten nur von kurzer Dauer waren. Das überraschende, bewusste und zweifelsohne sexuell motivierte Vorzeigen des entblößten Gliedes und die Vornahme von wie auch immer gearteten Manipulationen hieran gegenüber Kindern auf dem Weg zur Schule aus dem geöffneten Auto heraus stellt - worauf bereits das Amtsgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 23.02.2023 hingewiesen hat - gerade auch aufgrund des Überraschungseffekts bei den Kindern einen äußerst verstörenden, nicht mehr hinnehmbaren Vorgang dar. Dabei kann letztlich offenbleiben, ob der Beschuldigte bei geöffneter Fahrertür in Richtung der Kinder onaniert bzw. masturbiert oder lediglich sonst an seinem entblößten Glied herummanipuliert hat. Die geschädigten Kinder haben die sexuellen Handlungen auch wahrgenommen (§ 184h Nr. 2 StGB).

c) Darüber hinaus hat der Beschuldigte neben dem Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind in vier tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 176a Abs. 1 Nr. 1, 52 StGB auch tateinheitlich hierzu einmal den Tatbestand der exhibitionistischen Handlungen gemäß §§ 183 Abs. 1, 52 StGB verwirklicht. Die dem Beschuldigten zur Last liegenden Handlungen erfüllen die Voraussetzungen einer vorsätzlichen Entblößungshandlung mit sexueller Motivation, wobei eine Entblößung vor mehreren Belästigten nur eine einzige Tat darstellt (Fischer a.a.O. § 183 Rn. 5, 7, 17). Auch die erforderliche Belästigung ist gegeben, weil sich die drei geschädigten Mädchen - auch wenn sie zunächst gelacht haben sollten - anschließend über mehrere Stunden unwohl gefühlt haben und sie damit in ihrem Empfinden nicht unerheblich beeinträchtigt wurden. Der Umstand, dass der Vorfall den geschädigten Jungen nicht belastet hat, schadet nicht (Fischer a.a.O. Rn. 6). In diesem Zusammenhang weist der Senat allerdings darauf hin, dass sich aus der vorgelegten Viertakte eine formwirksame Strafantragstellung nur von zwei der Geschädigten ergibt und derzeit mangels konkreter Anhaltspunkte nicht ohne weiteres eine Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft unterstellt werden kann.

Auch wenn § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB exhibitionistischen Handlungen vor Kindern besonders erfasst, kommt Tateinheit mit § 183 StGB in Betracht, weil § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB anders als § 183 StGB keine Belästigung voraussetzt und damit dem Unrechtsgehalt nur durch Annahme von Tateinheit anstelle einer Verdrängung im Wege der Spezialität Rechnung getragen werden kann (so bereits zum alten Recht vgl. MüKoStGB/Renzikowski StGB 4. Aufl. § 176 Rn. 71, 72; MüKoStGB/Hörnle 4. Aufl. 2021 § 183 Rn. 16, 17 sowie nunmehr auch zur neuen Rechtslage Fischer a.a.O. § 183 Rn.17).

2. Bei dem Beschuldigten besteht auch nach Auffassung des Senats der Haftgrund der Wiederholungsgefahr i.S.v. § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO.

a) Nach § 112a Abs. 1 Satz 1 StPO besteht dieser Haftgrund, wenn neben dem dringenden Tatverdacht einer der in § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO genannten Katalogtaten bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass ein Beschuldigter vor rechtskräftiger Aburteilung weitere Straftaten der in § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO bezeichneten Art begehen oder solche Straftaten fortsetzen werde und die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich ist. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 StPO im Sinne einer hohen Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens, welche kein Mittel der Verfahrenssicherung, sondern eine vorbeugende Maßnahme präventiv-polizeilicher Natur zum Schutz der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten des Beschuldigten darstellt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfGE 19, 342; 35, 185). Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind aber an die Wiederholungsgefahr strenge Anforderungen zu stellen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Vorstrafen des Beschuldigten, die Abstände zwischen den Straftaten, die äußeren Umstände, in denen er sich bei Begehung der Taten befunden hat, seine Persönlichkeitsstruktur und sein soziales Umfeld (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 112a Rn.13 f. m.w.N.). Die insoweit festzustellenden bestimmten Tatsachen müssen eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet ist, er werde weitere gleichartige Taten wie die Anlasstaten vor seiner Verurteilung wegen der Anlasstaten begehen (KK-StPO/Graf § 112a Rn. 19).

b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Gründe des Haftbefehls des Amtsgerichts vom 26.01.2023, dessen Nichtabhilfeentscheidung mit Beschluss vom 23.02.2023 sowie die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts vom 08.03.2023 und dessen Nichtabhilfeentscheidung vom 28.03.2023 und schließlich auch auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Zuschrift vom 03.04.2023. Die Ausführungen der Verteidigung in den Schriftsätzen vom 16.02.2023, 28.02.2023, 16.03.2023 und 11.04.2023 rechtfertigen auch nach Ansicht des Senats keine andere Entscheidung.

Zu Recht haben die Vorinstanzen auf die Vorahndungen des Beschuldigten wegen einer exhibitionistischen Tat am 27.03.2022 und wegen einer exhibitionistischen Tat am 24.04.2022 sowie auf eine weitere exhibitionistische Tat am 10.11.2022 in der […] Therme in S abgestellt. Zur Überzeugung des Senats ist der Beschuldigte aufgrund der polizeilichen Ermittlungen dringend verdächtig, am 10.11.2022 in der […] Therme, nachdem er Blickkontakt mit einer Besucherin aufgenommen hatte, in einer Entfernung ca. 2 m gezielt an seinem entblößten Glied manipuliert zu haben.

Dagegen kann den weiteren im Aktenvermerk des KHK vom 18.01.2023 geschilderten Tatvorwürfen vom 13.10.2022 und 07.11.2022 - jedenfalls derzeit - keine indizielle Bedeutung beigemessen werden, weil die knappen Tatschilderungen keinen Rückschluss auf das Vorhandensein eines dringenden Tatverdachts und damit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Wiederholung der Anlasstaten erlauben.

Bei den Taten vom 27.03.2022, 24.04.2022 und 10.11.2022 handelt es sich zwar jeweils um exhibitionistische Handlungen i.S.v. § 183 StGB und damit nicht um Katalogtaten i.S.v. § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, so dass aus ihnen allein nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf die erforderliche starke Neigung gezogen werden können. Sie erlauben aber Rückschlüsse auf die Entwicklung des Beschuldigten im Jahr 2022, die in dem dringenden Tatverdacht der Anlasstaten gemäß § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB am 21.12.2022 gipfelten. Aus dieser Entwicklung und den Anlasstaten vom 21.12.2022, Katalogtaten i.S.v. § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, ergibt sich jedoch zur Überzeugung des Senats die Gefahr, dass der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Taten gegenüber Kindern nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB begehen wird. Denn bereits die erstmalige bzw. sogar einmalige Begehung einer Sexualtat und insbesondere einer Katalogtat deutet bei einem erwachsenen Täter auf einen Persönlichkeitsdefekt hin, der künftige Verfehlungen ähnlicher Art befürchten lässt (KK-StPO/Graf a.a.O. Rn. 7; MüKoStPO/Böhm 2. Aufl. 2023 § 112a Rn. 48).

Dabei ist sich der Senat bewusst, dass dieser Schluss nicht zwingend ist und die Wiederholungsgefahr durch die einmalige Verwirklichung einer Katalogtat nicht immer automatisch indiziert wird, sondern durch hinzutreten weiterer Umstände relativiert sein kann (vgl. z.B. OLG Koblenz BeckRS 2014, 11571; OLG Jena BeckRS 2015, 113; BeckOK-StPO/Krauß [46. Ed., Stand: 01.01.2023] § 112a Rn. 13 m.w.N.). Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich. Im Gegenteil deutet die Entwicklung des Beschuldigten im Bereich der Sexualdelikte gerade darauf hin, dass beim ihm ein entsprechender Persönlichkeitsdefekt vorliegt. Zwar ist dem Beschuldigten angesichts der bestehenden Ungenauigkeiten hinsichtlich der Tatörtlichkeit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, dass er sich bewusst in unmittelbarer Nähe der Schule aufgestellt hat, um die Begegnung mit den Kindern sicherzustellen. Zutreffend hat das Landgericht allerdings darauf hingewiesen, dass die Anlasstaten sich nicht lediglich als zufälliges Ereignis darstellten, zumal der Beschuldigte nach dem Erkennen der Kinder bewusst die Autotür geöffnet und an seinem entblößten Glied manipuliert hat. Selbst wenn das Zusammentreffen mit den Kindern zufallsbedingt erfolgt sein sollte, hat der Beschuldigte gerade durch die Anlasstaten gezeigt, dass sich seine innere Neigung jedenfalls nunmehr auch auf Kinder bezieht. Hinzu kommt, dass auch der Gesetzgeber bei Einführung der Verschärfungen im Sexualstrafrecht davon ausgegangen ist, dass bereits die erstmalige Verwirklichung dieser Delikte aufgrund der damit zum Ausdruck kommenden Persönlichkeitsdisposition der Täter geeignet ist, die hohe Wahrscheinlichkeit ihrer Wiederholung und Fortsetzung zu bedingen (MüKoStPO/Böhm a.a.O. § 112a Rn. 52d).

Nach alledem drohen von Seiten des Beschuldigten nach Auffassung des Senats jedenfalls weitere Straftaten nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB und damit gleichartige Taten i.S.v. § 112a Abs. 1 Satz 1 StPO.

c) Diese drohenden Straftaten sind auch erheblich i.S.v. § 112a Abs. 1 Satz 1 StPO. Zutreffend ist, dass bei Sexualstraftaten der Begriff der erheblichen Straftat und damit der erforderliche Schweregrad über die für den Begriff der sexuellen Handlungen nach § 184h Nr. 2 StGB vorausgesetzte Erheblichkeit hinausgeht. Nach allgemeinen Grundsätzen liegt eine Straftat von erheblicher Bedeutung vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind daher nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen (MüKoStPO/Böhm a.a.O. § 112a Rn. 52a; KK-StPO/Graf a.a.O. § 112a Rn. 18). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Aufgrund der Neufassung des § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB sind die dort geschilderten Handlungen mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren strafbewehrt und damit im Gegensatz zu der früheren Regelung in § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB (a.F.) mit einer Strafdrohung von drei Monaten bis zu fünf Jahren nunmehr ohne weiteres als erhebliche Straftaten anzusehen, ohne dass es einer weiteren Begründung bedarf. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage bedarf es einer näheren Begründung nunmehr dann, wenn das Merkmal der Erheblichkeit ausnahmsweise entfällt (MüKoStPO/Böhm a.a.O. § 112a Rn. 52e und 52f).

d) Vor diesem Hintergrund geht der Hinweis der Verteidigung auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.01.2020 - 2 Ws 1/20 = BeckRS 2020, 1561) fehl. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe und vergleichbare Entscheidungen weiterer Gerichte (vgl. z.B. OLG Bremen, Beschl. v. 11.5.2020 - 1 Ws 44/20 = BeckRS 2020, 12058; BGH, Urt. v. 10.01.2019 - 1 StR 463/18 = BeckRS 2019, 2164), die zu der Erkenntnis gelangten, dass exhibitionistische Handlungen vor Kindern nicht stets als erhebliche Straftaten anzusehen seien, ergingen zu § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB (a.F.) und waren ersichtlich dadurch geprägt, dass diese Straftaten aufgrund der geringeren Strafdrohung nicht ohne nähere Begründung als Straftaten der mittleren Kriminalität angesehen werden konnten. Soweit das OLG Karlsruhe (a.a.O.) und ihm folgend das OLG Bremen auf die vorgenannte Entscheidung des BGH (a.a.O.) Bezug nehmen, vermag der Hinweis auch deshalb nicht zu überzeugen, weil es bei der Entscheidung des BGH nicht um die Beurteilung der Wiederholungsgefahr i.S.v. § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO ging, sondern um eine Unterbringung nach § 63 StGB und die Frage, ob vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Auch wenn dort regelmäßig Taten gefordert werden, die mindestens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, müssen angesichts des äußerst belastenden Charakters der Maßregel nach § 63 StGB Taten drohen, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (Fischer a.a.O. § 63 Rn. 26, 27). Eine solche Situation ist aber bei der Beurteilung der Frage der Erheblichkeit nach § 112a StPO nicht gegeben. Insbesondere ist bei der Prüfung des § 112a Satz 1 Nr. 1 StPO weder bei der Prüfung der Anlasstaten noch bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr gerade nicht erforderlich, dass eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat vorliegt bzw. droht.

Auch der Hinweis auf § 183 Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 2 StGB führt jedenfalls derzeit nicht weiter. Zwar ermöglicht diese Vorschrift eine Strafaussetzung zur Bewährung auch bei einer ungünstigen Prognose und damit bei Wiederholungsgefahr. Voraussetzung dafür ist aber, dass nach einer Heilbehandlung (ggf. auch erst nach längerer Zeit) ein Behandlungserfolg erwartet werden kann. Diese Beurteilung kann regelmäßig erst im Rahmen der Hauptverhandlung nach Durchführung der Beweisaufnahme unter Beteiligung eines Sachverständigen nach § 246a Abs. 2 StPO erfolgen. Der geltend gemachte Wertungswiderspruch käme allenfalls in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer Bewährungsaussetzung bereits jetzt vorliegen würden. Dies ist allerdings nicht der Fall.

e) Mit zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt, ist das Landgericht auch zu dem Ergebnis gelangt, dass vorliegend das Merkmal der Erheblichkeit nicht ausnahmsweise entfällt. Weder ist von einer besonders geringen Intensität künftiger Übergriffe auszugehen noch sind sonstige besondere Umstände ersichtlich. Das Verhalten des Beschuldigten geht auch nach Auffassung des Senats deutlich über das bloße kurze Herzeigen des entblößten Gliedes mit baldigem Entfernen des Täters hinaus. Auch ist das Verhalten nicht mit einem schlichten Onanieren bzw. der Vornahme von Manipulationen am entblößten Glied in Kenntnis des Umstandes, dass dies von einem Kind wahrgenommen wird, vergleichbar. Im Gegenteil, der Beschuldigte hat hier bewusst gewartet, bis die geschädigten Kinder in die Nähe seines Autos gekommen waren und hat diese dann durch das bewusste kurzfristige Öffnen der Fahrertür, in die für sie äußerst unangenehme Situation gebracht. Zu Recht haben sowohl das Amtsgericht als auch die Beschwerdekammer aus der Entwicklung der Sexualstraftaten, wegen denen der Beschuldigte bereits verurteilt wurde, und wegen des gezielten Vorgehens bei den Anlasstaten vom 21.12.2022 den Schluss gezogen, dass der Beschuldigte in Zukunft noch aktiver und mit ähnlichem Ansinnen (Frage nach Oralverkehr bzw. einem „Fick“) auf Kinder zugeht.

Unabhängig davon, dass im Fall des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO im Gegensatz zu den Fällen des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO eine konkrete Straferwartung keine Rolle spielt, ergeben sich weder hinsichtlich der Anlasstaten noch hinsichtlich der drohenden Taten Anhaltspunkte, dass das Verhalten eher im untersten Bereich des Strafrahmens anzusiedeln ist.

3. Die Untersuchungshaft ist auch zur Abwendung der Wiederholungsgefahr erforderlich i.S. § 112a Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlich und sonst verhältnismäßig (120 Abs. 1 StPO).

Auch insoweit kann der Senat nach eigener Prüfung Bezug nehmen auf die zutreffenden Ausführungen des Beschwerdegerichts. Der Beschuldigte hat durch sein Verhalten gezeigt, dass er sich auch durch die Aufdeckung von Sexualstraftaten und die Durchführung entsprechender Ermittlungsverfahren nicht hat von den Anlasstaten abhalten lassen. Der Senat hat den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Beschuldigten mit den aufgrund der Strafverfolgung gebotenen Freiheitsbeschränkungen abgewogen. Weniger einschneidende Maßnahmen kommen bei einer Gesamtschau und Würdigung der bereits erwähnten Umstände nicht in Betracht. Insbesondere ist eine Außervollzugsetzung gemäß § 116 Abs. 3 StPO nicht zu verantworten. Die Außervollzugsetzung eines wegen Wiederholungsgefahr erlassenen Haftbefehls kann nach dem Gesetzeswortlaut § 116 Abs. 3 StPO nur dann erfolgen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, dass der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und dass dadurch der Zweck der Haft erreicht wird, womit die Außervollzugsetzung bei Wiederholungsgefahr auf Ausnahmefälle begrenzt wird (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 116 StPO Rn. 17). Eine derartige Erwartung ist vorliegend nicht begründet. Allein die mitgeteilte Bereitschaft zur Durchführung einer ersichtlich ambulanten Therapie genügt nicht, zumal derzeit noch gar keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass eine solche Therapie überhaupt geeignet ist, die Wiederholungsgefahr zu minimieren.

Nach Abwägung aller Umstände fehlt es an einem Mindestvertrauen dafür, dass der Beschuldigte sich durch Weisungen davon abhalten lässt, keine weiteren erheblichen mit den Anlasstaten vergleichbare Straftaten mehr zu begehen.

III.

Daher ist die weitere Haftbeschwerde des Beschuldigten mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".