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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Schwere der Rechtsfolge, Gesamtstrafe, drohender Widerruf

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Münster, Beschl. v. 21.08.2023 - 11 Qs 27/23

Eigener Leitsatz:

Die Schwelle von zu erwartender Freiheitsstrafe von einem Jahr für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gilt auch bei der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung. Das gilt auch, wenn die verfahrensgegenständliche Verurteilung voraussichtlich geringfügig ausfallen und die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflussen wird, jedoch neben der zu erwartenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung auch noch ein Bewährungswiderruf droht.


11 Qs 27/23

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren

gegen pp.

Verteidiger:

hat die 11. Strafkammer des Landgerichts Münster als Beschwerdekammer auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 14.04.2023 - Az: 23 Gs 1861/23 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Vorsitzende Richterin am Landgericht und den Richter am Landgericht am 22.08.2023 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 14.04.2023 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Dem Angeschuldigten pp. wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt (§ 140 Abs. 2 StPO).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Ablehnung des Antrags auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist zulässig und begründet.

Zwar liegt kein Fall einer notwendigen Verteidigung im Sinne der §§ 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 11, 141 StPO vor. Jedoch erscheint aus sonstigen Gründen eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten (§ 140 Abs. 2 StPO).

Die Schwere der vorliegenden Tat gebietet für sich gesehen zwar keine Pflichtverteidigerbestellung. Nach h.M. ist die Erwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Grenze. ab der ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist (OLG Naumburg BeckRS 2013. 00134; OLG München NJW 2006, 789; OLG Düsseldorf NStZ 1995, 147; BayObLG NStZ 1990, 142; LG Koblenz StV 2009, 237; Meyer-Goßner/Schmitt Rn. 23a mwN). Die Schwere der Tat richtet sich in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Selbst unter Beachtung des erhöhten Strafrahmens des § 243 StGB von drei Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe dürfte nach übereinstimmender Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters im vorliegenden Verfahren lediglich eine umgewandelte Geldstrafe in Betracht kommen.

Die Schwelle von einem Jahr Freiheitsstrafe gilt jedoch auch bei der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung. Denn maßgeblich ist der Umfang der Rechtsfolgen, die insgesamt an den Verfahrensgegenstand geknüpft sind. nicht die Höhe der Einzelstrafen (KG BeckRS 2018. 34224: OLG Hamm NStZ 1982, 298). Gleiches gilt ferner, wenn die Gesamtstrafe aus der verfahrensgegenständlichen Verurteilung und künftigen Verurteilungen aus noch nicht abgeschlossenen Verfahren gebildet werden wird (OLG Stuttgart NStZ-RR 2012, 214; LG Magdeburg BeckRS 2022, 19176; LG Halle StraFo 2023, 98; 2019, 380; LG Halle StraFo 2022, 104).

Vorliegend dürften bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung jedenfalls die Verurteilung des Amtsgerichts Münster vom 14.04.2023 (Az. 61 Js 3345/22 36 Ds 23/23 — 90 TG zu je 55 EUR) sowie die (noch nicht rechtskräftige) Verurteilung des Amtsgerichts Würzburg vom 04.04.2022 (Az. 8 Ds 952 Js 199927/21 — 9 Monate Freiheitsstrafe) einzubeziehen sein.

Zwar besteht nach Auffassung der Rechtsprechung eine Einschränkung, wenn die verfahrensgegenständliche Verurteilung voraussichtlich geringfügig ausfallen und die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflussen wird (LG Koblenz BeckRS 2021, 32482; LG Marburg BeckRS 2021, 36740). Jedoch muss vorliegend neben der zu erwartenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung auch noch der drohende Bewährungswiderruf der Reststrafenaussetzungen aus dem Verfahren des Amtsgerichts Münster vom 31.01.2018 (Az. 62 Js 5000/17 119 Ds 199/17) und vom 08.04.2019 (Az. 62 Js 9622/18 119 Ds 268/18) berücksichtigt werden, denn die Verurteilung zu einer geringeren Strafe kann die notwendige Verteidigung begründen, wenn hierdurch ein Bewährungswiderruf in anderen Verfahren ausgelöst wird und die dortige Freiheitsstrafe ein Jahr übersteigt. Es reicht dabei aus, wenn die Strafen wegen der neuen und der früheren Tat in der Summe ein Jahr Freiheitsstrafe erreichen (OLG Zweibrücken BeckRS 2018, 19431; OLG Naumburg StV 2018, 143; OLG Nürnberg BeckRS 2014, 02172; LG Magdeburg BeckRS 2019, 5117).

Davon ausgehend erscheint es daher aus Sicht der Kammer nicht ausgeschlossen, dass die Grenze von einem Jahr Freiheitsstrafe unter kumulierter Beachtung der ggf. vorzunehmenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung und der drohenden Bewährungswiderrufe erreicht werden wird.


Einsender: RA K. Rapatinski, Münster

Anmerkung:


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