Gericht / Entscheidungsdatum: LG Oldenburg, Beschl. v. 17.08.2023 - 4 Qs 252/23
Eigener Leitsatz:
Die Schwere der drohenden Rechtsfolge i.S. des § 140 Abs. 2 StPO bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile, wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.
Landgericht Oldenburg
Beschluss
4 Qs 252/23
In der Strafsache
Gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen Bedrohung
hat das Landgericht - 4. Große Strafkammer - Oldenburg durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 17.08.2023 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Beschuldigten wird ihr - unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Oldenburg vom 28.06.2023 – Rechtsanwalt pp., als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beschuldigten trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Oldenburg den auf Pflichtverteidigerbeiordnung gerichteten Antrag der Beschuldigten vom 05.05.2023 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beschuldigten.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO liegen jedenfalls insoweit vor, als die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Verteidigerbeiordnung gebietet. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung unter anderem dann vor, wenn wegen der Schwere der drohenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Dies bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile, wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 140 Rn. 23c). Nach der mittlerweile verfestigten Rechtsprechung ist von solchen schwerwiegenden Nachteilen ab einer Straferwartung um ein Jahr Freiheitsstrafe auszugehen (Willnow in: Karlsruher Kommentar StPO, 9. Aufl. 2023, § 140 Rn. 27). So stellt sich die Sachlage hier da.
Im Einzelnen:
Der Beschuldigten wird vorliegend eine am 08.10.2022 begangene Bedrohung in Tateinheit mit Nötigung zur Last gelegt. Zur Tatzeit stand die Beschuldigte ausweislich des Auszugs aus dem Bundeszentralregister vom 18.07.2023 zweifach unter Bewährung, nämlich zum einen hinsichtlich der Freiheitsstrafe von einem Jahr und 11 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Brühl vom 05.10.2010, rechtskräftig seit dem 13.10.2010, wegen veruntreuender Unterschlagung in drei Fällen, Betruges in zwei Fällen und (gewerbsmäßigen) Betruges in zwei Fällen (Bewährungszeit: 3 Jahre) und zum anderen hinsichtlich der Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 21.11.2014, rechtskräftig seit dem 21.10.2015, wegen Betruges in 18 Fällen (Bewährungszeit: 3 Jahre). Nachdem die Bewährung in beiden Verfahren zunächst widerrufen wurde, wurde der Strafrest mit Beschluss vom 08.06.2017 zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafen wurden bisher nicht erlassen. Da im erstgenannten Verfahren die Bewährungszeit bereits einmal verlängert worden und die Bewährung in beiden Verfahren schon einmal widerrufen worden ist, erscheint im Falle einer Verurteilung ein (erneuter) Bewährungswiderruf in beiden Verfahren nicht fernliegend. Unter Berücksichtigung der ausgeurteilten Freiheitsstrafen von einem Jahr und 11 Monaten sowie 4 Jahren und 3 Monaten ist trotz des Umstandes, dass die Beschuldigte bereits einen Teil der Strafen verbüßt hat, davon auszugehen, dass ihr im Falle eines Bewährungswiderrufs eine Haft von über einem Jahr droht, sodass die ihr somit insgesamt drohende Strafvollstreckung die verfahrensgegenständliche Tat als schwer kennzeichnet.
Hinzu kommt, dass gegen die Beschuldigte, wie aus den zahlreichen Mitteilungen des Bundeszentralregisters zur Ausschreibung der Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung ersichtlich ist, weitere Ermittlungsverfahren jedenfalls bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück und der Staatsanwaltschaft Köln geführt werden. Der Beschuldigten droht insofern ein erhebliches Strafübel und der Bewährungswiderruf in den vorgenannten Bewährungsverfahren erscheint umso wahrscheinlicher.
Der Beschuldigten drohen damit in der Gesamtschau schwerwiegende Rechtsnachteile, so dass gemäß § 140 Abs. 2 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO war ihr daher auf ihren Antrag bereits im jetzigen Verfahrensstadium ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
Da ein wichtiger Grund, welcher der Bestellung des von der Beschuldigten benannten Verteidigers entgegensteht, nicht ersichtlich ist, war ihr gemäß § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO antragsgemäß Rechtsanwalt Dr. Gülpen beizuordnen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.
Einsender: RA Dr. P.-R. Gülpen, Troisdorf
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