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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

Einstellung des Verfahrens, Tod des Angeklagten, Auslagenerstattung, Berufungsverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2023 – 1 Ws 96/23

Eigener Leitsatz:

Zur Auslagenerstattung im Fall der Einstellung des Verfahrens wegen Todes des Angeklagten im Berufungsverfahren


In pp.

Die für den früheren Angeklagten durch den Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt pp. gegen die Auslagenentscheidung in dem Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 24. Mai 2023 eingelegte sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel verurteilte den früheren Angeklagten am 7. Dezember 2021 (24 Ds 496 Js 17182/21) wegen Führens einer erlaubnispflichtigen Reizstoffwaffe, wegen Sachbeschädigung in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, und wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 30,00 Euro. Zu den Tatvorwürfen hatte sich der Angeklagte teilweise geständig eingelassen (UA S. 5).

Gegen dieses Urteil legte der bis dahin unverteidigte Angeklagte fristgerecht mit Schreiben vom 07. Dezember 2021, eingegangen beim Amtsgericht am 13. Dezember 2021, Berufung ein. Nach Ladung des Angeklagten durch das Landgericht Potsdam zur Berufungshauptverhandlung meldete sich Herr Rechtsanwalt („Name 01“) als Verteidiger, beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO und gab an, dass der Angeklagte an einer Depression sowie einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung leide. Der stellvertretende Vorsitzende vermerkte zudem am 08. März 2023, dass sich der Angeklagte laut telefonischer Mitteilung seines Verteidigers gegenwärtig im Klinikum befände und bei ihm eine schizophrene Erkrankung wohl diagnostiziert werden würde. Es stelle sich möglicherweise die Frage der verminderten Schuldfähigkeit (BI. 344R d. A.). Durch Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 21. März 2023 erfolgte die Beiordnung des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 14. April 2023 beantragte der Beschwerdeführer, den Hauptverhandlungstermin vom 27. April 2023 aufzuheben und das Verfahren nach § 153a StPO einzustellen. Es bestünden Zweifel an der Verhandlungs- und möglicherweise der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit. Ein ärztliches Attest, ausgestellt durch das („Klinik 01“), zur Verhandlungsunfähigkeit wurde beigefügt. Eine Diagnose beinhaltete die ärztliche Bescheinigung nicht. Nach Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Potsdam, welche einer Einstellung nach § 153a StPO aufgrund des nicht näher bezeichneten Krankheitsbildes nicht zustimmte, hat das Landgericht durch Beschluss vom 28. April 2023 die Begutachtung des Angeklagten auf seine Verhandlungs- und Reisefähigkeit in Auftrag gegeben.

Aufgrund des Todes des Angeklagten am … 2023 stellte das Landgericht sodann das Verfahren auf Kosten der Landeskasse mit Beschluss vom 24. Mai 2023 gemäß § 206a StPO ein und sah ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf die Landeskasse ab. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers vom 31. Mai 2023, eingegangen beim Landgericht Potsdam am selben Tag.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem 13. Juli 2023 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

1. Die gegen die Auslagenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 StPO). Das Rechtsmittel ist auch nicht durch § 464 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 StPO ausgeschlossen, obwohl die Hauptentscheidung nach § 206a Abs. 2 StPO mangels Beschwer nicht für den Angeklagten angefochten werden kann (vgl. hierzu: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 464 Rn. 19 m. w. N. zur Rspr.). Der Senat geht davon aus, dass die notwendigen Auslagen des Angeklagten den Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) von 200 Euro nach Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens und dem Beginn der Berufungsinstanz übersteigen.

Die Frage, ob der Verteidiger im Falle des Todes des Angeklagten weiterhin zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung inzwischen überwiegend bejaht (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 03.05.2011- 2 Ws 1/11-; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246; OLG Celle NJW 2002, 3720; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 286; KG NStZ-RR 2008, 295; OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. März 2010, Az.: 1 Ws 113/10, zitiert nach juris; Meyer-Goßner, StPO, 66. Aufl., Vor § 137 Rn. 7). Zur Begründung wird vor allem angeführt, dass zwischen dem Verteidiger und dem Mandanten ein Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 BGB besteht. Auf diesen findet § 672 BGB, wonach der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftraggebers endet, entsprechende Anwendung. Dasselbe gilt – wie hier - im Fall der Pflichtverteidigung (vgl. KG StraFo 2008, 90; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 296; a.A. Hanseatisches Oberlandesgericht, NStZ-RR 2008, 160). Die Pflichtverteidigerbestellung endet im Erkenntnisverfahren grundsätzlich mit dessen rechtskräftigem Abschluss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 143 Rn. 1 ; KK-Willnow, StPO 9. Aufl., § 143 Rdn. 1, jeweils m.w.N.). Durch den Tod des Angeklagten wird das Verfahren nicht ohne weiteres beendet. Es bedarf dazu vielmehr einer förmlichen Einstellung nach § 206a StPO oder - in der Hauptverhandlung - nach § 260 Abs. 3 StPO (vgl. BGHSt 45, 108). Mit dieser Entscheidung ist zugleich gemäß § 464 StPO auch darüber zu befinden, wer die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des (verstorbenen) Angeklagten zu tragen hat. Insoweit bleibt das Verfahren auch nach dem Tod des Angeklagten anhängig (vgl. BGH aaO). Ebenso wie die Einstellung selbst unterliegen auch die Nebenentscheidungen der Anfechtung (§§ 206 Abs. 2, 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StPO). Erst mit ihrer Rechtskraft ist das Verfahren endgültig abgeschlossen. Der Pflichtverteidiger muss daher – wie die Staatsanwaltschaft - befugt sein, auch nach dem Tod des Angeklagten auf eine gesetzmäßige Kosten- und Auslagenentscheidungen hinzuwirken und diese erforderlichenfalls durch das Beschwerdegericht überprüfen zu lassen (vgl. OLG Karlsruhe aaO.; KG Berlin, Beschluss vom 14. November 2007 – 1 AR 447/051 Ws 235/07 –, Rn. 6, juris)

2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 13. Juli 2023 Folgendes ausgeführt:

„Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen.

Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.). Die Frage kann jedoch offen gelassen werden, da auch nach der engen Auffassung, welche die Durchführung der Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife verlangt, der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist. Das Amtsgericht ist hier nach durchgeführter Hauptverhandlung bereits erstinstanzlich zu einem Schuldspruch des Angeklagten gekommen.

Im Falle der Fortsetzung des Berufungsverfahrens hätte der frühere Angeklagte damit rechnen müssen, dass sein Rechtsmittel verworfen worden wäre. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils bilden eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung. Rechtsfehler, die zu einer anderen Entscheidung und letztlich zum Freispruch des Angeklagten insgesamt oder einer erheblich milderen Bestrafung und damit zu einer für ihn ganz oder teilweise günstigen Auslagenentscheidung hätten führen können, sind nicht ersichtlich.

Die lediglich ohne ärztliche Unterlagen behauptete psychische Erkrankung des Angeklagten, nämlich einer Depression und einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung, würden nach Aktenlage nicht zu einer Aufhebung oder Verminderung der Schuldfähigkeit führen. Es fehlt auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen dafür, dass der Angeklagte bereits zur Tatzeit im August 2020 und Januar 2021 derart krankheitsbedingt eingeschränkt war, dass die Anwendung der §§ 20, 21 StGB in Betracht käme. Erstmalig vorgetragen wurden die Krankheitsanzeichen mit Schreiben vom 16.05.2022. Das vom Amtsgericht festgestellte Tatgeschehen und das Einlassungsverhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sprechen ebenfalls gegen eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit.

Das Landgericht hätte die Anwendung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO im Beschluss begründen müssen (§ 34 StPO).

Eine Zurückverweisung der Sache an das untere Gericht ist trotz der fehlenden Begründung jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 17.04.1996 - 2 Ws 50/96), welche hier nicht ersichtlich sind. Weitere Sachaufklärung ist durch den Tod des Angeklagten nicht möglich.“

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen, die der Sach- und Rechtslage entsprechen, an.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Erben des früheren Angeklagten für die Kosten nicht haften (§ 465 Abs. 3 StPO).


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