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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, StVG, Maßgeblicher Punktestand, Berücksichtigungsfähige Eintragungen, Zuwiderhandlungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Sachsen, Beschl. v. 14.09.2023 – 6 B 113/23

Leitsatz des Gerichts:

Die Fahrerlaubnisbehörde hat im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG grundsätzlich nur diejenigen Zuwiderhandlungen zu berücksichtigen, die ihr durch das Kraftfahrt-Bundesamt übermittelt worden sind, nicht sonstige, ihr aufgrund einer Selbstanzeige oder Rücknahme des Einspruchs des Fahrerlaubnisinhabers bekannten Verstöße.


In pp.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 27. Juni 2023 – 2 L 213/23 – wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins durch die Antragsgegnerin. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs mit Beschluss vom 27. Juni 2023 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entziehung der Fahrerlaubnis finde ihre Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG, weil für den Antragsteller an dem gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG für die Punkteberechnung maßgeblichen Zeitpunkt acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen gewesen seien. Die Antragsgegnerin habe auch die beiden nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG vor der Entziehung der Fahrerlaubnis liegenden Stufen des Maßnahmesystems rechtsfehlerfrei gegenüber dem Antragsteller ergriffen. Dabei sei eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG nicht eingetreten. Nach dem Erreichen von fünf Punkten habe sie den Antragsteller mit Schreiben vom 20. Dezember 2021 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnt. Nachdem dieser einen Punktestand von sieben Punkten erreicht habe, sei er von ihr mit Schreiben vom 5. April 2023 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass er zu diesem Zeitpunkt rechnerisch bereits acht Punkte erreicht habe. Denn für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG seien nur die im Fahreignungsregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Zuwiderhandlungen maßgeblich. Im Zeitpunkt der Verwarnung am 5. April 2023 habe die Antragsgegnerin keine vom Kraftfahrt-Bundesamt vermittelte Kenntnis davon gehabt, dass die beiden Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 3. und 20. September 2022 seit dem 24. März 2023 rechtkräftig geahndet worden seien. Auch aufgrund der Mitteilung seines Prozessbevollmächtigten vom 24. März 2023 habe der Antragsgegner keine Reduzierung des Punktestands durchführen müssen. Es entspräche einhelliger Auffassung der Rechtsprechung, dass die Fahrerlaubnisbehörde den erforderlichen Kenntnisstand nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG nur durch Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, nicht durch Mitteilungen des Fahrerlaubnisinhabers oder anderer Privatpersonen erhalte. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 – 6 B 269/20 –, juris Rn. 4 ff.).

Hiergegen wendet der Antragsteller in der Begründung seiner Beschwerde ein, die Auffassung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass nur durch eine solche pauschalierende Bewertung und Betrachtung sichergestellt sei, dass dem Interesse der Verkehrssicherheit ausreichend zur Durchsetzung verholfen werde, treffe im Ergebnis nicht zu. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht habe in der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 – verwiesen. In der weiteren Entscheidungsbegründung werde unter Bezugnahme auf diese Entscheidung der Grundsatz aufgestellt, dass ausschließlich die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes maßgeblich sei. Dieser Grundsatz lasse sich allerdings der in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen. In einem Fall, in dem die Fahrerlaubnisbehörde in Unkenntnis eines weiteren Verstoßes die nach dem System des § 4 Abs. 5 StVG vorgesehene Verwarnung ausgesprochen habe und – nachdem ihr im Nachgang die andere Eintragung mitgeteilt worden sei – die Fahrerlaubnis entzogen habe, habe das Bundesverwaltungsgericht zurecht darauf hingewiesen, dass die Verwaltungsbehörde zum Zeitpunkt der Verwarnung keine Anhaltspunkte für weitere Verkehrsverstöße des dortigen Betroffenen gehabt habe und sie deshalb auch davon habe ausgehen dürfen, dass die nach § 4 Abs. 5 StVG vorgesehene letzte Verwarnung auch geeignet sei, um den Betroffenen zur künftigen Einhaltung der Verkehrsvorschriften anzuhalten. Eine Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend, dass es der Fahrerlaubnisbehörde verwehrt sei, anderweitige Erkenntnisse bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, finde sich in der genannten Entscheidung nicht. Im Übrigen sei in einer Vielzahl von Entscheidungen zwischenzeitlich auch abschließend geklärt, dass die Verwaltungsbehörde in keiner Weise gehalten sei, vor Ausspruch einer Verwarnung in irgendeiner Form weitergehende eigene Ermittlungen vorzunehmen, um eventuelle sonstige Verkehrsverstöße, die zu einer Erhöhung des Punktestandes des jeweils betroffenen führten, in Erfahrung zu bringen. Wenn und soweit allerdings daraus geschlussfolgert werde, dass auch dann, wenn aus anderen Quellen der Fahrerlaubnisbehörde zum Zeitpunkt der Entscheidung alle Informationen vorlägen, die einen Rückschluss auf den tatsächlichen Punktestand zum Zeitpunkt der Maßnahme zuließen, ausschließlich auf die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts abzustellen sei, sei dieser Schluss nicht zulässig. Der Gesetzgeber habe an keiner Stelle erkennen lassen, dass er der Fahrerlaubnisbehörde das Recht habe absprechen wollen, entsprechende Erkenntnisse bei der Ergreifung der Maßnahmen zu berücksichtigen. Es würde sich hierbei auch um eine dem eigentlichen Ziel der Sanktionsregelungen zuwiderlaufende Auffassung handeln, da dies bedeuten würde, dass auch bei positiver Kenntnis aus anderen Quellen ein Fahrerlaubnisentzug oder eine vorangehende Maßnahme nicht ausgesprochen werden dürfe, solange die entsprechende Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts nicht vorliege. Dem Interesse der Verkehrssicherheit würde dann nicht Rechnung getragen. Ausgehend davon müsse also die Verwaltungsbehörde alle diejenigen Erkenntnisse berücksichtigen, die zum einen von Kraftfahrt-Bundesamt übermittelt worden und die ihr zum anderen verlässlich aus anderen Quellen bekannt seien. Die Antragstellerin habe im vorliegenden Fall sämtliche Informationen betreffend den Verkehrsverstoß des Antragstellers vom 20. September 2022 selbst vorliegen gehabt, da es sich um ein Bußgeldverfahren der Antragsgegnerin gehandelt habe. Die notwendigen Informationen zur Beurteilung des Punktestandes aufgrund der Zuwiderhandlung des Antragstellers vom 3. September 2022 seien in der der Antragsgegnerin gemeinsam mit der Einspruchsrücknahme betreffend das Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Tat vom 20. September 2022 am 24. März 2023 übersandt worden. Sowohl der Bußgeldbescheid vom 5. Dezember 2022 des Landratsamts Mittelsachsen als auch die entsprechende Einspruchsrücknahme seien übersandt worden. Die zuvor begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten und deren Ahndung seien der Antragsgegnerin aufgrund der vorangegangenen Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts ebenfalls bekannt gewesen. Damit habe der tatsächlich am 5. April 2023 vorliegende Punktestand ohne weiteres und ohne jeden Ermittlungsaufwand ermittelt werden können. Es habe sich auch nicht nur um eine private Mitteilung, wie es in der Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Februar 2017 – 3 B 215/16 – der Fall gewesen sei, sondern um die amtlichen Entscheidungen der Verwaltungsbehörde gehandelt. Aus welchen Gründen die Fahrerlaubnisbehörde bei positiver Kenntnis der materiellen Rechtslage nicht auf die materielle Rechtslage abstellen dürfe, erschließe sich nicht und lasse sich auch nicht begründen. Es möge zwar zutreffend sein, dass die Berücksichtigung der materiellen Rechtslage bei der Verwaltungsentscheidung dazu führen könne, dass der Betroffene den Punktestand beeinflussen könne. Dies führe aber zu keiner anderen Beurteilung. Solche Möglichkeiten bestünden auch im Rahmen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens. Dementsprechend habe der vom Antragsteller eingelegte Widerspruch durchaus Aussicht auf Erfolg, sodass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen sei.

Diese Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zu keiner Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Spätestens seit der zum 5. Dezember 2014 in Kraft getretenen Gesetzesänderung (Gesetz vom 28. November 2014 [BGBl. I S. 1802]) ist für das Ergreifen von Maßnahmen nach rechtskräftiger Ahndung der Zuwiderhandlung nicht mehr ausschließlich auf den sich für den betreffenden Tattag ergebenden Punktestand abzustellen. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG und eine Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG sind die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG übermittelten Zuwiderhandlungen (BVerwG, Urt. v. 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 –, BVerwGE 157, 235 Rn. 22). Im Fahreignungs-Bewertungssystem entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde mithin auf der Grundlage der ihr gemäß § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Eintragungen im Fahreignungsregister. Dieser Kenntnisstand ist maßgebend für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG (BVerwG, Urt. v. 26. Januar 2017 a. a. O. Rn. 25).

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung den Schluss gezogen, dass die Behörde ihr nicht bekannte Verstöße nicht berücksichtigen und sich die Kenntnis anderer Behörden nicht zurechnen lassen muss. Entgegen der Auffassung des Antragstellers gelten diese Grundsätze aber auch darüber hinaus für die Frage, welche Verstöße die Behörde berücksichtigt. Sie berücksichtigt nur die eingetragenen und ihr vom Kraftfahrt-Bundesamt nach § 4 Abs. 8 StVG übermittelten Zuwiderhandlungen, nicht sonstige, ihr aufgrund einer Selbstanzeige oder der Rücknahme des Einspruchs des Fahrerlaubnisinhabers bekannte Verstöße. An dieser Auffassung, die der einhelligen Auffassung der Oberverwaltungsgerichte (SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 – 6 B 269/20 –, juris Rn. 5 ff.; v. 18. Mai 2020 – 6 B 330/19 –, juris Rn. 3 ff. und v. 10. Februar 2017 – 3 B 217/16 –, juris Rn. 8; VGH BW, Beschl. v. 13. März 2023 – 13 S 2370/22 –, juris Rn. 7; v. 6. August 2015 – 10 S 1176/15 –, juris Rn. 13 ff.; BayVGH, Beschl. v. 13. Juni 2022 – 11 CS 21.2794 –, juris Rn. 13; NdsOVG, Beschl. v. 3. März 2020 – 12 ME 6/20 –, juris Rn. 17, 23; OVG LSA, Beschl. v. 13. Juni 2019 – 3 M 85/19 –, juris Rn. 13; OVG Schl.-H., Beschl. v. 6. Dezember 2017 – 4 MB 91/17 –, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschl. v. 25. November 2020 – 16 B 854/20 –, juris Rn. 20 ff.; v. 20. Juli 2016 – 16 B 382/16 –, juris Rn. 8 ff.) und der überwiegenden Auffassung in der Literatur (Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 4 StVG Rn. 88b [zweifelnd noch in der 45. Aufl. 2019 Rn. 88a]; Stieber, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. Stand: 1. Dezember 2021, § 4 StVG Rn. 82; Koehl, NJW 2018, 1281, 1284; a. A.: Pießkalla, NZV 2017, 261, 262 f.) entspricht, hält der Senat auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens fest.

Zwar trifft es zu, dass der Wortlaut nicht eindeutig ist. § 4 Abs. 8 StVG normiert lediglich eine Übermittlungspflicht des Kraftfahrt-Bundesamts zur Übermittlung von vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister und schließt deshalb eine Übermittlung und Berücksichtigung von Daten auch durch andere nicht aus. Allerdings erfolgt nach § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG die Übermittlung durch das Kraftfahrt-Bundesamt zur „Vorbereitung der Maßnahmen nach Absatz 5“. Dies deutet in die Richtung, dass Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG – und mithin auch die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Absatz 5 Satz 1 Nr. 3 – zeitlich erst nach der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes getroffen werden sollen.

In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Verkehrsausschusses zu der 2014 in Kraft getretenen Gesetzesänderung wird ausgeführt, dass zwar für die Punkteentstehung das Tattagprinzip gelte. Für das Ergreifen von Maßnahmen habe das Tattagprinzip aber keine Relevanz, „denn Maßnahmen können erst nach Rechtskraft (und Registrierung) der Entscheidung über die Tat und damit deutlich später an die Tat geknüpft werden“ (BT-Drs. 18/2775 S. 10). Da die Registrierung im Fahreignungsregister, das das Kraftfahrt-Bundesamt führt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a KBAG) erfolgt, gingen der Verkehrsausschuss und in der Folge der Deutsche Bundestag davon aus, dass die bloße Mitteilung des Betroffenen oder die sonstige Kenntnis der Behörde von der Rechtskraft für eine Punktereduzierung nicht ausreichen sollen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25. November 2020 – 16 B 854/20 –, juris Rn. 32 ff.; NdsOVG, Beschl. v. 3. März 2020 – 12 ME 6/20 –, juris Rn. 17).

Die aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte erkennbare Tendenz wird durch die Binnensystematik von § 4 StVG sowie durch § 28 Abs. 4 StVG gestützt. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG ist die nach Landesrecht zuständige Behörde bei den Maßnahmen nach Satz 1 an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Sie hat nach Satz 5 der Vorschrift auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Sowohl die Rechtskraft als auch die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts sind nach der Regelungssystematik des Gesetzes Voraussetzung dafür, dass die vom Gesetz vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden können. Die Regelungssystematik von § 4 Abs. 5, 6 und 8 StVG spricht somit dafür, dass maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG und eine Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG (nur) die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG bereits übermittelten Zuwiderhandlungen sind (SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 – 6 B 269/20 –, juris Rn. 5). Da die Gerichte, Staatsanwaltschaften und anderen Behörden nach § 28 Abs. 4 Satz 1 StVG dem Kraftfahrt-Bundesamt unverzüglich die nach § 4 Abs. 3 StVG zu speichernden oder zu einer Änderung oder Löschung einer Eintragung führenden Daten mitteilen, ist hiermit in der Regel kein erheblicher Zeitverzug verbunden, wenn auch das Kraftfahrt-Bundesamt die Mitteilung an die Behörde zeitnah vornimmt (zweifelnd aber insoweit Pießkalla, NZV 2017, 261, 263). Dass sich die Formulierung „Kenntnis erhält“ in § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG an § 48 Abs. 4 VwVfG anlehnt, führt zu keiner anderen Beurteilung. § 48 Abs. 4 VwVfG statuiert eine Jahresfrist ab Kenntnis der Behörde von Tatsachen, verhält sich aber nicht dazu, woher die Kenntnis stammt und welche Informationen fachrechtlich kenntnisbegründend sein können (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 a. a. O.; OVG NRW, Beschl. v. 20. Juli 2016 – 16 B 382/16 –, juris Rn. 12 f.).

Auch Sinn und Zweck des Fahreignungs-Bewertungssystems sprechen für diese Lösung. Nur das Kraftfahrt-Bundesamt kann zuverlässig über die Eintragungen im Fahreignungsregister unterrichten, das bei ihm geführt wird. Würden auch private Mitteilungen als Informationsquellen zugelassen, wäre dies mit der Gefahr von fehlerhaften Mitteilungen und demzufolge mit einem hohen Prüfaufwand der Fahrerlaubnisbehörde verbunden (VGH BW, Beschl. v. 13. März 2023 – 13 S 2370/22 –, juris Rn. 8; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, StVG § 4 Rn. 88b). So tritt z. B. die Rechtskraft bei der Rücknahme eines Einspruchs ein, wenn dieser in den Machtbereich der Behörde gelangt ist, was dann von der Fahrerlaubnisbehörde ggf. geprüft werden müsste. Das Ziel, ein für die für die Behörden einfaches und Rückfragen bei anderen Behörden oder dem Kraftfahrt-Bundesamt im Einzelfall auf ein Mindestmaß reduzierendes Verfahren zu etablieren, spricht dafür, § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG dahingehend zu verstehen, dass es für die Kenntnisnahme allein auf eine Übermittlung der vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister durch das Kraftfahrt-Bundesamt gemäß § 4 Abs. 8 StVG ankommt und nicht auf eine Selbstanzeige des Fahrerlaubnisinhabers oder seines bevollmächtigten Rechtsanwalts (SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 – 6 B 269/20 –, juris Rn. 5). Zwar könnten Erwägungen der Verkehrssicherheit, der materiellen Richtigkeit und der Gleichbehandlung (vgl. ausführlich zu Letzterer: SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 a. a. O. Rn. 6 ff.) dafür sprechen, auch die sonstige Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde zu berücksichtigen und nicht abzuwarten, bis eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vorliegt, wie der Antragsteller vorträgt. Erwägungen der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität in der Massenverwaltung sprechen gleichwohl für eine grundsätzliche Beschränkung auf die vom Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilten Verstöße. Diese Interpretation vermindert auch die Möglichkeit des Betroffenen, durch die – zulässige – gezielte Einspruchsrücknahme und Kenntnisverschaffung der Behörde die für ihn günstigen Rechtsfolgen des § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG auszulösen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 20. Juli 2016 – 16 B 382/16 –, juris Rn. 26).

Dass die Mitteilung hier nicht von dem Antragsteller persönlich, sondern durch den von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege unternommen wurde, führt mit Blick auf den Gesetzeszweck zu keiner anderen Bewertung (vgl. VGH BW, Beschl. v. 13. März 2023 – 13 S 2370/22 –, juris Rn. 11). Dies gilt auch für die Tatsache, dass im vorliegenden Fall die Einspruchsrücknahme bei der Ordnungswidrigkeitenbehörde der Antragsgegnerin erfolgte. Auch in diesem Fall fehlt es an der Registrierung im Fahreignungsregister und der durch die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vermittelten Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde von der Rechtskraft des Verstoßes. Die Fahrerlaubnisbehörde ist auch in solchen Fällen nicht gehalten, bei der Ordnungswidrigkeitenbehörde nachzufragen, ob und zu welchem Zeitpunkt die Rücknahme des Einspruchs eingegangen ist, sondern kann sich auf die Berücksichtigung der Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts beschränken.

Ob etwas Anderes gilt, wenn ein Berufen der Fahrerlaubnisbehörde auf die Unkenntnis als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (vgl. BayVGH, Beschl. v. 28. April 2016 – 11 CS 16.537 –, ZfS 2016, 415 Rn. 13), kann offen bleiben. Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch, etwa eine willkürliche Verzögerung der weiteren Mitteilung, ergeben sich hier nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Sie erfolgt unter Berücksichtigung von Nrn. 1.5, 46.1 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt z. B. in: SächsVBl. 2014, Heft 1, Sonderbeilage; vgl. SächsOVG, Beschl. v. 15. September 2020 – 6 E 66/20 –, juris).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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