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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

Einziehung, Beratung des Angeklagten, Erforderlichkeit der Beratung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hagen, Beschl. v. 31.05.2023 - 44 Qs 26/23

Eigener Leitsatz:

1. Nach der Neuregelung der §§ 73 ff. StGB n.F. kommt es für die Entstehung der Nr. 4142 VV RVG auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme nicht mehr an.
2. Die Gebühr Nr. 4142 VV RVG ist wegen der Beratung des Angeklagten entstanden, wenn im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung "in Betracht kam". Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist. Für die Bewertung der Notwendigkeit einer betreffend einer Einziehung gerichteten Beratung kommt es nicht darauf an, ob die Einziehung in der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft nicht beantragt wurde, die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde und das Gericht den Angeklagten zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen hat, dass er seine Verteidigung darauf einzurichten habe, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Betracht komme.


44 Qs 26/23

Landgericht Hagen

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren
Betreffend pp.

wegen Untreue

hier: sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss
hat die 4. große Strafkammer des Landgerichts Hagen durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht pp., die Richterin am Landgericht pp. und die Richterin pp. am 31.05.2023 beschlossen:

1. Die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors des Landgerichts Hagen gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Altena vom 31.01.2023 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem früheren Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 937,72 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Hagen hat gegen den früheren Angeklagten pp. ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue geführt. Mit Anklageschrift vom 14.06.2018 hat die Staatsanwaltschaft Hagen dem Angeklagten vorgeworfen, in der Zeit von November 2014 bis Sommer 2015 in pp. in 88 Fällen gemeinschaftlich mit, dem Mitangeklagten pp. die ihnen durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht zu haben und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen sie zu betreuen hatten, Nachteil zugefügt zu haben, wobei sie gewerbsmäßig handelten. Dem vormals Angeklagten pp. wurde vorgeworfen, seine im Tatzeitraum bestehende Stellung als Geschäftsführer missbraucht zu haben, um sich zu bereichern. Der frühere Angeklagte pp. sei im Tatzeitraum als Geschäftsführer des Unternehmens pp. GmbH & Co. KG tätig gewesen. Der vormals Mitangeklagte pp. habe bei dem Unternehmen GmbH & Co. KG mit Entscheidungsgewalt und eigenem Ermessensspielraum im Bereich „Einkauf" gearbeitet. Die ursprüngliche Geschäftsbeziehung beider Unternehmen habe sich derart gestaltet, dass Stahl direkt zwischen beiden Unternehmen vertrieben worden sei. Um sich zu bereichern, hätten die damaligen Angeklagten beschlossen, unter Zwischenschaltung der eigens zu diesem Zweck geschaffenen und von den Ehefrauen der vormals Angeklagten geführten pp GmbH und pp. UG.

Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend habe der vormals Angeklagte den für seinen Arbeitgeber benötigten Stahl bei der Firma pp. GmbH bewusst zu einem höheren Kaufpreis eingekauft, als wenn er den Stahl direkt bei der pp. GmbH & Co. KG eingekauft hätte. Die pp. GmbH habe sodann eine Mitteilung an die pp. UG gemacht, woraufhin der vormals Angeklagte für die GmbH & Co. KG Stahl an die pp. UG verkauft habe, wobei der Kaufpreis regelmäßig bewusst niedriger gewesen sei als bei Verkäufen an die pp. GmbH & Co. KG. Rein körperlich sei der Stahl weiterhin direkt von der pp. GmbH & Co. KG an die pp. GmbH & Co. KG geliefert worden, wobei Unternehmen durch den einerseits geringeren Verkaufspreis und andererseits höheren Einkaufspreis einen Gesamtschaden in Höhe von 22.648,79 € erlitten haben sollen, Diesen Betrag sollen die vormals Angeklagten für sich behalten haben.

Rechtsanwalt pp. legitimierte sich mit Schriftsatz vom 02.04.2019 als Wahlverteidiger für den Angeklagten, BI. 858 f. d. Akte.

Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft wurden das Verfahren gegen den Angeklagten am 17.05.2022 durch Beschluss des Amtsgerichts Altena nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des An-geklagten der Landeskasse auferlegt, Bl. 1114 R d. Akte.

Am 17.05.2022 beantragte der Verteidiger beim Amtsgericht Altena, die folgenden Gebühren und Auslagen festzusetzen, BI. 1148 ff. d. Akte:

Verteidigung im Vorverfahren
1. Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 300,00 €
2. Vorverfahrensgebühr Nr. 4101 VV RVG 200,00 €
3. Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
4. Aktenversendungspauschale · 12,00 €
Zwischensumme 532,00 €
5. Umsatzsteuer 19 % Nr. 7008 VV RVG 101,08 €
Summe 1 633,08 €

Verteidigung im Hauptverfahren 1. Instanz
6. Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG 200,00 €
7. Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG 788,00 €
8. Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG am 03.09.2019 27.5,00€
9. Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG am 17.05.2022 7 275,00 €
10. Fotokopien und Dateien Nr. 7000 VV RVG 184,00 €
11. Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
12. Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG am 03.09.2019 10,80 €
13. Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV RVG am 03.09.2019 25,00 €
14. Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG am 17.05.2022 10,80 €
15. Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV RVG am 17.05.2022 25,00 €
16. Parkgebühr 7,49 €
Zwischensumme 1.821.09 €
17 Mehrwertsteuer 19 % Nr. 7008 VV RVG 346,01 €
Summe II 2167,10 €
Gesamtsumme 2.800,18 €

Hinsichtlich der entstandenen Zusatzgebühr Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 788,00 € trug der Verteidiger vor, das Risiko eines etwaig anzuordnenden Wertersatzes in Höhe von 22.648,79 € im Falle der Verurteilung wegen mittäterschaftlicher gewerbsmäßiger Untreue in 88 Fällen sei mehrfach im Rahmen der Erörterung der Verteidigungsstrategie Gegenstand der Besprechung mit dem Angeklagten gewesen.

Auf entsprechenden Hinweis des Amtsgericht Altena vom 04.01.2023, wonach die Aktenversendungspauschale sowie die Paketgebühr abzusetzen wäre und hinsichtlich der Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG aufgrund der Zeitdauer der Hauptverhandlung lediglich ein Betrag in Höhe von 160,00 € erstattungsfähig sei, BI. 1155 f. d; Akte, korrigierte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.01.2023 den geforderten Betrag entsprechend, BI. 1158 f. d. Akte.

Soweit das Amtsgericht Altena im vorgenannten Schriftsatz anmerkte, eine Tätigkeit bzgl. der Gebühr Nr. 4142 VV RVG sei nicht erforderlich gewesen, da kein Antrag auf Festsetzung und Einziehung des Wertersatzes gestellt. wurde und die Gebühr somit nicht entstanden sei (vgl. BI. 1155 R d. Akte), trug der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.01.2023 vor, die sich auf eine mögliche Einziehung bezogene Beratung sei nach Aktenlage geboten gewesen, da im Falle des Schuldspruchs eine entsprechende Einziehung nahe gelegen habe.

Mit Beschluss vom 31.01.2023 hat das Amtsgericht Altena durch den Rechtspfleger die zu erstattenden Kosten des Verteidigers auf 2.640,13 € festgesetzt. Abgesetzt von dem ursprünglichen Antrag des Verteidigers wurden insoweit lediglich die Aktenversendungspauschale sowie die Paketgebühr; darüber hinaus wurde die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG für den Hauptverhandlungstermin am 17.05.2022 mit 160,00 € erstattet.

Hinsichtlich der Gebühr Nr. 4142 VV RVG wurde — wie von dem Verteidiger beantragt ein Betrag in Höhe von 788,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % erstattet. Insoweit hat das Amtsgericht Altena im Beschluss vom 31.01.2023 ausgeführt, dass die Beratung geboten war, da die Einziehung im Verfahren naheliegend gewesen sei (BI. 1160 R d. Akte).

Gegen diesen Beschluss hat der Bezirksrevisor des Landgerichts Hagen am 13.02.2023 — beim Amtsgericht Altena eingegangen am 16.02.2023, BI. 1166 d. Akte — ein als „Beschwerde" bezeichnetes Rechtsmittel eingelegt, BI. 1167 d. Akte. Zur Begründung hat der Bezirksrevisor vorgetragen, die Gebühr sei nicht erstattungsfähig, da die Tätigkeit ausweislich der Verfahrensakten nicht notwendig im Sinne von § 464a StPO gewesen seien, da zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens eine Einziehung i.S.d. Nr. 4142 VV RVG im Raume gestanden habe. Im Übrigen sei ein Wert für das Einziehungsverfahren nicht festgesetzt worden.

Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 21.03.2023 hat dieser beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

In einer weiteren Stellungnahme des Bezirksrevisors des Landgerichts Hagen vom 18.04.2023 führte dieser an, dass eine Maßnahme der Einziehung im Sinne der Nr. 4142 VV RVG zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens im Raume stand; auch die Anklageschrift vom 14.06.2018 habe nicht ansatzweise einen solchen Hinweis enthalten. Das Amtsgericht Altena habe die Eröffnung des Hauptverfahrens durch Beschluss vom 09.01.2019 unter Bezugnahme auf die vorgenannte Anklageschrift ohne jegliche Änderung zugelassen. Ein Hinweis gemäß § 265 StPO auf die Möglichkeit der Einziehung des Wertes von Taterträgen sei weder im Eröffnungsbeschluss, noch im Laufe des sich anschließenden Verfahrens erfolgt. Selbst im Falle einer Verurteilung wegen der angeklagten Tat wäre mangels entsprechenden Hinweises die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen unzulässig. Insoweit nahm der Bezirksrevisor Bezug auf eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 30.06.2021 (Az. 1 Ws 16/21), BI. 1179 f. d. Akte.

II.

1. Das als „Beschwerde" bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Altena vom 31.01.2023 auszulegen. Gemäß §§ 464b Satz 3 StPO i.V.m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 304 Abs. 2 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG1statthaft. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt: Der Bezirksrevisor erstrebt die Festsetzung eines um 788,00 € nebst Umsatzsteuer in Höhe von 19 % (also insgesamt 937,72 €) ermäßigten Betrages. Die sofortige Beschwerde ist darüber hinaus form- und fristgerecht eingelegt worden.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Zu den erstattenden Gebühren gehört auch grundsätzlich die Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht.

Vorliegend hat das Amtsgericht Altena unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes in Höhe von 22.648,79 € zu Recht die dem zugrunde liegenden Antrag des Verteidigers begehrte Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG (788,00 €) nebst Umsatzsteuer in Höhe von 19 % (149,72 €), mithin insgesamt 937,72 €, festgesetzt.

a) Dem Verfahren liegen Straftaten von November 2014 bis Sommer 2015 zugrunde. Der Beschluss des Amtsgerichts Altena, mit welchem das Verfahren gegen den früheren Angeklagten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, ist am 17.05.2022 ergangen. Bezogen auf die vorliegend in Rede stehende Frage, ob in dem Verfahren eine Einziehungsentscheidung hätte getroffen werden können, finden daher gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB die §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 (BGBl. I S. 872) Anwendung (im. Folgenden: n.F.). Gemäß der Übergangsvorschrift in Art. 316h EGStGB sind die §§ 73-73c, 75 Abs . 1 und 3, 73d, 73e, 76, 76a, 76b und 78 Abs. 1 Satz 2 StGB auch auf Alttaten anwendbar, es sei denn, vor dem 01.07.2017 wurde bereits eine Verfallsentscheidung (worunter nach BGH 4 StR 568/17 v. 29.3.18 auch das nichtbegründete Unterbleiben einer Anordnung fällt) getroffen, was im vorliegenden Fall nicht anzunehmen war.

b) Im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB a.F. entspricht es der herrschenden Meinung, dass es sich um eine Maßnahme handeln musste, die dem Betroffenen den Gegenstand endgültig entzieht und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommt, weshalb vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe nach §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F. nicht zum Anfall der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG führten (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 06.03.2019 - 1 Ws 31/18, juris Rn. 5 m.w.Nachw.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4142 Rn. 6 m.w.Nachw. in Fn. 13; a.A. aber OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.05.2014 - 1 Ws 212/13, NStZ-RR 2014, 360).

Unter Geltung der §§ 73 ff. StGB n.F. entspricht es jedoch der (derzeit) herrschenden Meinung, dass es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für die Gebührenentstehung nicht mehr ankommt, vielmehr soll die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen können (so insbesondere KG, Beschluss vom 06.03.2019 - 1 Ws 31/18, juris Rn. 6, 14; LG Berlin, Beschluss vom 27.03.2018 - 537 Qs 26/18, juris 4 f.; LG Berlin, Beschluss vom 16.01.2018 - 501 Qs 127/17, juris Rn. 6 ff.; LG Hanau, Beschluss vom 28.06.2019 - 4b Qs 50/19, juris Rn. 10 ff.; AG Frankfurt a.M., Beschluss vom 29.06.2020 - 911 Ls-5163 Js 232283/19, BeckRS 2020, 18961 Rn. 8 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG W 4142 Rn. 6; BeckOK-RVG/Knaudt, Stand: 01.12.2020, Nr. 4142 VV RVG Rn. 4; Fromm, JurBüro 2019, 59; Klüsener, JurBüro 2018, 169, 170). Schon der Wortlaut der Nr. 4142 VV RVG spricht für diese Rechtsauffassung, da das neue Recht einheitlich die in Betracht kommenden Maßnahmen als "Einziehung" bezeichnet. Sinn und Zweck der Neuregelung sprechen ebenso dafür, dass der sachliche Anwendungsbereich der Gebührenvorschrift auch bei einer Maßnahme nach § 73c StGB n.F. eröffnet ist. Die Einziehungsentscheidung wird nach neuem Recht bereits endgültig zu Lasten des Einziehungsbetroffenen im Strafverfahren getroffen. Es geht in dem nachträglichen Verfahren nur noch darum, ob die eingezogenen Vermögenswerte dem Staat anfallen oder nach dem in §§ 459h ff. StPO geregelten Verfahren an den Verletzten zurück. übertragen werden (vgl. hierzu LK-StGB/Lohse, 13. Aufl. 2020, Vorbem. zu §§ 73-76b Rn. 27); Die Tätigkeit des Rechtsanwalts betrifft damit bereits im Strafverfahren eine auf den endgültigen Verlust bei dem Einziehungsbetroffenen gerichtete Maßnahme (zutreffend LG Berlin, Beschluss vom 16.01.2018 - 501. Qs 127/17, juris Rn. 8; LG Cottbus, Beschluss vom 22.01.2018 - 22 Wi Qs 16/17, juris Rn. 11; LG Aachen, Beschluss vom 01.04.2021 60 Qs 7/21 —, juris Rn. 23; AG Frankfurt a.M., Beschluss vom 29.06.2020 - 911 Ls-5163 Js 232283/19, BeckRS 2020, 18961 Rn. 10-12). Damit fehlt es nach neuem Recht an einem "Nachfolgeverfahren", in dem der Rechtsanwalt die Möglichkeit hat, für die Rechtsvertretung des Mandanten Gebühren zu verdienen (zutreffend KG, Beschluss vom 06.03.2019 - 1 Ws 31/18, juris Rn. 14).

c) Unter Geltung der §§ 73 ff. StGB n.F. ist weiter umstritten, welche anwaltliche Tätigkeit zum Anfall der Gebührenvorschrift der Nr. 4142 VV RVG führt. Nach der (zutreffenden) ganz herrschenden Meinung genügt für die Gebührenentstehung jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Danach wird die Gebühr bereits durch die außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst; die Gebühr Nr. 4142 VV RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 14.02.2020 - 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.03.2022 — 1 Ws 38/22; LG Amberg, Beschluss vom 29.05.2019 - 12 KLs. 107 Js 2871/18, juris Rn. 4; LG Chemnitz, Beschluss vom 09.01.2020 - 4 KL 310 Js 40553/18, juris Rn. 7; AG Mainz, Beschluss vom 28.05.2019 - 402 Ls 3444 Js 80146/17, juris Rn. 7; BeckOK-RVG/Knaudt, Stand: 01.12.2020, Nr. 4142 VV RVG Rn. 10 m.w.Nachw.; Ge-rold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG W 4142 Rn. 12; m.w.Nachw.; a.A. KG, Beschluss vom 17.06.2008 - 1 Ws 123/08, NStZ-RR 2008, 391, 392; KG, Be-schluss vom 25.10.2019 - 1 Ws 86/19, juris Rn. 8; KG, Beschluss vorn 08.11.2019 - 1 Ws 53/19, BeckRS 2019, 33300).

d) Allerdings kommt auch unter Zugrundelegung der vorgenannten herrschenden Meinung ein Gebührenfall nur in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung "in Betracht kam" (so LG Amberg, Beschluss vom 31.05.2019 - 11 KLs 106 Js 7350/18, juris Rn. 2; LG Amberg, Beschluss vom 29.05.2019 - 12 KLs 107 Js 2871/18, juris Rn. 4; BeckOK-RVG/Knaudt, Stand: 01.12.2020, Nr. 4142 VV RVG Rn. 10 m.w.Nachw.) bzw. "nach Aktenlage geboten" war, "ernsthaft in Betracht kam" (so LG Chemnitz, Beschluss vom 09.01.2020 - 4 KL 310 Js 40553/18, juris Rn. 6) bzw. "nahelag" (so OLG Dresden, Beschluss vom 14.02.2020 - 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; AG Mainz, Beschluss vom 28.05.2019 - 402 Ls 3444 Js 80146/17, juris Rn. 7 f.). Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist (vgl. hierzu Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG W 4142 Rn. 12).

Für die Bewertung der Notwendigkeit einer betreffend einer Einziehung gerichteten Beratung kommt es nach Auffassung der Kammer nicht darauf an, ob die Einziehung in der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft nicht beantragt wurde, die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde und das Gericht den Angeklagten zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen hat, dass er seine Verteidigung darauf einzurichten habe, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Betracht komme.

Die Kammer folgt insoweit der von dem Bezirksrevisor zitierten Entscheidung des KG Berlin vom 30.06.2021 (Az. 1 Ws 16/21) sowie der vorgenannten Entscheidungen des KG Berlin insgesamt nicht, da das erkennende Gericht die Einziehungsentscheidung von Amts wegen treffen muss. Soweit eine Einziehungsentscheidung nach Aktenlage in Betracht kommt, ist ein entsprechender Antrag oder gerichtlicher Hinweis bis zum Schluss der Beweisaufnahme zu erwarten, weil die Einziehung insoweit nach Neufassung der §§ 73 ff. StGB nunmehr obligatorisch ist. Insoweit ist aus Sicht des Verteidigers auch im Verlauf des Verfahrens damit zu rechnen, dass ein zunächst unterbliebener Antrag zur Einziehung in der Anklageschrift sowie bei Eröffnung des Hauptverfahrens in der Hauptverhandlung erfolgen kann, sodass eine hierauf entsprechende Verteidigung und Beratung nicht erst im Falle des Hinweises, sondern schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlich ist, wie der Verteidiger des Angeklagten im Rahmen seiner Stellungnahme vom 21.03.2023, BI. 1173 ff. d. Akte zutreffend ausgeführt hat und was bei einer lebensnahen .Betrachtungsweise auch zur gewissenhaften Erfüllung seiner Tätigkeit als Verteidiger erforderlich war.

Nach Auffassung der Kammer ist vorliegend davon auszugehen, dass eine Einziehung nach Aktenlage in Betracht kam. Bei den in Rede stehenden Taten wurden ausgehend von der Anklageschrift vom 14.06.2018 Geldbeträge in Höhe von insgesamt 22.648,79 € veruntreut. Dass diese Geldbeträge schon aufgrund der Tatbegehung nicht als Original vorhanden waren, liegt auf der Hand. In Betracht kam daher nur noch eine Einziehung von Wertersatz nach § 73c StGB. Da dem Angeklagten vorgeworfen worden ist, gemeinschaftlich gehandelt und sich dadurch den gesamten Betrag zumindest zeitweise einverleibt zu haben, lag nach Auffassung der Kammer auch die vom Bundesgerichtshof für eine solche Einziehung geforderte tatsächliche (Mit-)Verfügungsgewalt (vgl. BGH, Urt. v. 18.07.2018 - 5 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 278, juris Rn. 7 m.w.Nachw.; BGH, Beschl. v. 21.08.2018 - 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20, juris Rn. 8 m.w.Nachw.; BGH, Urt. v. 07.06.2018 - 4 StR 63/18, juris Rn. 12; BGH, Urt. v. 24.05.2018 - 5 StR 623/17, juris Rn. 8 m.w.Nachw.) nahe.

Folglich waren vermögensabschöpfende Maßnahmen bis zur Beendigung des Verfahrens durch Beschluss vom 17.05.2022 nicht ausgeschlossen bzw. zumindest jedoch nicht derart fernliegend, dass eine anwaltliche Beratung hierzu nicht sachgerecht gewesen wäre.

e) Bei der Gebühr Nr. 4142 VV RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind da-bei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr unabhängig vom Umfang der Tätigkeit zusteht. Damit genügt es, wenn der Verteidiger beratend im Zusammenhang mit der möglichen Einziehung tätig wird (LG Chemnitz, 4. große Strafkammer, Beschluss vom 09.01.2020 – 4 KLs 310 Js 40553/18; OLG Dresden (Strafsenat), Beschluss vom 14.02.2020 - 1 Ws 40/20).

Der Gegenstandswert richtet sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Danach ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Anspruch auf Einziehung, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes bezieht. Gegenstandswert ist der objektive Geldwert des Gegenstandes. Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe richtet sich nach den zum Zeitpunkt der Beratung erkennbaren Anhaltspunkten. Ob sich später Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben, ist insoweit unerheblich (OLG Oldenburg, Beschluss vom 06.07.2011 - 1 Ws 351/11). Für die Bestimmung des Gegenstandswertes ist somit nicht maßgeblich darauf abzustellen, ob und in welcher Höhe eine Einziehung im Urteil letztlich angeordnet worden ist, sondern vielmehr darauf, in welcher Höhe dem Angeklagten eine Einziehung drohte (LG Berlin, Beschluss vom 13.04.2018 - 511 KLs 255 Js 739/14 - 11/17; LG Essen - XXIV. große Strafkammer - Jugendkammer, Beschluss vom 04.12.2018 - 64 Qs-68 Js 11.80/16-23/18). Hier wurde dem Angeklagten Untreue in Höhe von 22.648,79 € vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung drohte dem Angeschuldigten eine Einziehung in dieser Höhe. Dieser Wert war somit _ wie von dem Amtsgericht Altena zu Recht in Ansatz gebracht — maßgeblich für die Festlegung des Verfahrenswertes.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO analog.

4. Der Beschwerdewert errechnet sich aus der Differenz zwischen dem erstinstanzlich festgesetzten und dem mit der sofortigen Beschwerde beanstandeten Betrag.

5. Eine (weitere) Beschwerde gegen diesen Beschluss findet nicht statt (vgl. § 310 StPO). Die Kammer kann nicht gemäß § 464b Satz 3 StPO LV. mit § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO über die Zulassung der Rechtsbeschwerde entscheiden, da die Regelung aus den oben genannten Gründen in Kostenfestsetzungsverfahren in Strafsachen keine Anwendung findet (vgl. BGH, Beschl. v. 27.11.2002 - 2 ARs 239/02, BGHSt 48, 106 = NJW 2003, 763).


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