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Entscheidungen

Vereinsrecht

Vereinsrecht, Verlust der Gemeinnützigkeit, actio pro socio, Zuständigkeit der Mitgliederversammlung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Urt. v. 11.05.2023 – 5 U 38/23

Leitsatz des Gerichts:

Der von dem Mitglied eines eingetragenen Vereins der Wohlfahrtspflege befürchtete Verlust der Gemeinnützigkeit durch die mit dem Geschäftsführer des Vereins getroffene Beendigungsvereinbarung, die eine Gehaltsfortzahlung von sechs Monaten bei Freistellung nach Abberufung enthält, stellt keinen den Vereinszweck aushöhlenden Satzungsverstoß dar, der in Umgehung der verbandsinternen Zuständigkeiten die Annahme einer actio pro socio rechtfertigen könnte. Es liegt allein bei der Mitgliederversammlung die Vor- und Nachteile einer solchen Vereinbarung gegeneinander abzuwägen und gegebenenfalls den Vorstand anzuweisen.


In pp.

1. Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 26. Januar 2023, Az. 6 O 237/22, abgeändert und die Verfügungsklage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Verfügungskläger zu tragen, die Kosten des Berufungsverfahrens die Verfügungskläger zu 1 bis 4.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Streitwert für das Verfahren beider Instanzen wird auf bis zu 200.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Verfügungskläger (im Folgenden nur: Kläger) verlangen von dem Verfügungsbeklagten (im Folgenden nur: Beklagter) im Wege der einstweiligen Verfügung, den Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit der angestellten Geschäftsführerin zu unterlassen, weil sie hierin die Gemeinnützigkeit des Beklagten sowie in der Folge auch ihre Gemeinnützigkeit gefährdet sehen.

Der Beklagte ist ein eingetragener Verein der Wohlfahrtspflege. Er verfolgt nach seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige sowie mildtätige Zwecke. Die Kläger zu 1 bis 4 sind als ebenfalls eingetragene gemeinnützige Vereine Mitglieder des Beklagten (§ 4 Abs. 1 der Satzung). Sie können zum Schluss eines Kalenderjahres mit einer Frist von 12 Monaten aus dem Beklagten austreten (§ 4 Abs. 4 der Satzung). Der vormalige Kläger zu 5 ist Mitglied im Vorstand des Beklagten. Organe des Beklagten sind die Landeskonferenz genannte Mitgliederversammlung, der Landesvorstand und der Landesausschuss. Die Landeskonferenz (Mitgliederversammlung) ist mindestens im Abstand von vier Jahren mit einer Frist von vier Wochen einzuberufen, auf Antrag von einem Drittel der Mitglieder als außerordentliche (§ 8 Abs. 2 der Satzung). Der Beklagten bestellte Frau A. B. als besondere Vertreterin nach § 30 BGB; sie ist als angestellte Geschäftsführerin des Beklagten tätig. Ihr Geschäftsführer-Angestelltenvertrag kann frühestens zum 31. Dezember 2024 gekündigt werden.
Randnummer3
Im Herbst 2022 beabsichtigen der Vorstand des Beklagten und Frau B., den Geschäftsführervertrag vorzeitig zu beenden. Hierzu war zunächst eine Verkürzung der restlichen Vertragslaufzeit bis zum 31. Dezember 2023 gegen Freistellung von der Dienstleistung bei gleichzeitiger Zahlung von Gehaltsbestandteilen beabsichtigt. Hiermit befasste sich der Vorstand des Beklagten zunächst auf seiner Sitzung vom 3. November 2022 und fasste am 23. November 2022 einen dahingehenden Beschluss, den er am 12. Dezember 2022 nochmals bestätigte.

In der Folge (am 21. Dezember 2022) erklärten die Kläger zu 1, 3 und 4 den Austritt aus dem Beklagten. Auf Antrag des Beklagten vom 29. Dezember 2022 erteilte das Finanzamt Potsdam dem Beklagten am 14. März 2023 die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO, dass es der Auffassung zustimme, die Vergütungsfortzahlung im Sinne der im Antrag gestellten Regelung bei Freistellung sei nicht gemeinnützigkeitsschädlich. Grundlage der Anfrage war der Entwurf einer Beendigungsvereinbarung mit einer Restlaufzeit unter Freistellung von 6 Monaten ab Zugang der Auskunft des Finanzamts.

Die Kläger haben unter dem 19. Dezember 2022 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, deren Anträge sie mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 geändert haben. Sie haben die Auffassung vertreten, dass die beabsichtigte Beendigungsvereinbarung - mit Laufzeitende 31. Dezember 2023 - den Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB verwirkliche. Das Zahlungsversprechen sei deshalb nach § 134 BGB unwirksam. Die geplanten Zahlungen würden die Gemeinnützigkeit des Beklagten für das Jahr 2023 gefährden und Steuerpflichten begründen. Da die Kläger Mitgliedsbeiträge an den Beklagten zahlen würden, wäre ihr Status der Gemeinnützigkeit ebenfalls in Gefahr. Da die Kläger nicht kurzfristig aus dem Beklagten austreten könnten, die Mittelfehlverwendung nicht im Nachhinein beseitigt werden könnte, liege ein Verfügungsgrund vor.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils vom 26. Januar 2023 Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 26. Januar 2023 dem Beklagten bei Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, an Frau A. B. für Zeiträume ab dem 1. Januar 2023 Zahlungen auf Vergütungen, Nebenleistungen, sonstige Leistungen mit steuerwerten Vorteilen und Abfindungen zu leisten und sie gleichzeitig von arbeits- oder dienstrechtlichen Verpflichtungen freizustellen, oder mit ihr einen Vertrag abzuschließen, mit dem sich der Beklagte hierzu verpflichtet. Ein Rechtsschutzbedürfnis des vormaligen Klägers zu 5 hat das Landgericht nicht gesehen. Für die Kläger zu 1 bis 4 hat es den Antrag für begründet erachtet. Zur Begründung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das Landgericht ausgeführt, dass ein Anspruch aus dem Mitgliedsverhältnis in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB gegeben sei. Damit seien Rechte, Rechtsgüter und Interessen wechselseitig zu schützen. Durch die mit entsprechenden Vorstandsbeschlüssen manifestierte Absicht, mit Frau B. einen Abfindungsvertrag zu schließen, bestünde die nicht hinreichend ausschließbare Gefahr, dass die Kläger zu 1 bis 4 für das Steuerjahr 2023 ihre Gemeinnützigkeit verlören, wie näher ausgeführt wird. Weil etwaige jetzt verwirklichte Sachverhalte erst zu einem späteren Zeitpunkt der steuerlichen Bewertung unterlägen und sich im Nachhinein nicht mehr rückgängig machen ließen, sei ein Verfügungsgrund gegeben.

Gegen dieses ihm am 26. Januar 2023 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner in formeller Hinsicht bedenkenfreien Berufung. Er rügt, die einstweilige Verfügung sei aufzuheben, da das Finanzamt am 14. März 2023 die verbindliche Auskunft im Sinne des § 89 Abs. 2 AO erteilt habe, dass die Vereinbarung einer Gehaltsfortzahlung von sechs Monaten bei Freistellung nach Abberufung nicht schädlich für die Gemeinnützigkeit sei. Die erteilte Auskunft wirke zurück in der Vergangenheit, so dass der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung von Anfang an unbegründet gewesen sei. Das Landgericht habe einen Verfügungsanspruch zu Unrecht angenommen. Es sei auch unklar, woraus der Anspruch zur besonderen Rücksichtnahme folge und wieso er den Verpflichtungen des Beklagten gegenüber seinen Organen vorgehen solle. Den Mitgliedern stünden für die Verfolgung ihrer Anliegen hinreichende Verfahrensmöglichkeiten im Zusammenhang mit den innerverbandlichen Gremien und Organen sowie mit dem Beschluss der Landeskonferenz (Mitgliederversammlung) zur Verfügung. Anderenfalls würden die Vorgaben der Satzung für die Einbindung der Mitglieder umgangen. Ferner habe das Landgericht mit seiner Entscheidung unzulässigerweise die Hauptsache vorweggenommen. Es fehle auch ein Verfügungsgrund, da die Vorstandsmitglieder am 20. Januar 2023 erklärt hätten, bis zur Auskunft des Finanzamtes keine Beendigungsvereinbarung einzugehen. Die Kostenentscheidung, auch im Hinblick auf den vormaligen Kläger zu 5, sei unzutreffend.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 26. Januar 2023, Az. 6 O 237/22, abzuändern und die Verfügungsklage insgesamt abzuweisen.

Die Berufungsbeklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das Urteil des Landgerichts. Insbesondere sei auch die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung des Landgerichts erteilte Auskunft des Finanzamts nicht ausreichend, da der dem Finanzamt mitgeteilte Sachverhalt unklar sei.

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 517, 519, 520 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.

Jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, haben die Berufungsbeklagten weder einen Verfügungsanspruch noch einen Verfügungsgrund hinreichend schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht.

1. Einen Anspruch der Kläger, von dem Beklagten zu verlangen, den beabsichtigten Aufhebungsvertrag mit der Geschäftsführerin B. nicht abzuschließen, haben die Kläger nicht schlüssig dargelegt.

a) Grundsätzlich obliegt der Abschluss des (Aufhebungs-)Vertrages dem Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführung (§ 27 Abs. 3 BGB) mit Vertretungsmacht für den Verein (§ 26 BGB). Grundsätzlich besteht Gleichlauf zwischen Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis. Die Satzung kann aber die Geschäftsführungsbefugnis so ausgestalten, dass sie hinter der Vertretungsmacht zurückbleibt. Dann ist ein Vorstandsverhalten, das von der Geschäftsführungsbefugnis nicht gedeckt ist, zwar eine wirksame Vertretungshandlung, im Innenverhältnis jedoch eine pflichtwidrige Geschäftsführungsmaßnahme (BeckOK/Schöpflin BGB § 27 Rn. 19).

Die Geschäftsführung des Vorstands für den Verein richtet sich nach den Vorschriften des Auftrags (§§ 27 Abs. 3, 664 bis 670 BGB). Im Verhältnis zum Vorstand ist der Verein durch seine Mitgliederversammlung als Geschäftsherr anzusehen. Wie beim Auftrag kann der Geschäftsherr Weisungen an den Vorstand erteilen. Enthält nicht bereits die Satzung Weisungen an den Vorstand, erfolgen sie also aufgrund Beschlussfassung der Mitgliederversammlung. An solche Weisungen der Mitgliederversammlung ist der Vorstand gebunden (§ BGB § 665); das Weisungsrecht gegenüber einzelnen Vorstandsmitgliedern steht der Mitgliederversammlung als „Auftraggeber“ und nicht dem gesamten Vorstand zu (BGHZ 119 S. 379). Folglich können einzelne Vereinsmitglieder dem Vorstand nicht bestimmte Handlungen auferlegen, sondern allenfalls die Unterlassung und Beseitigung konkreter Satzungsverstöße verlangen sowie in der Mitgliederversammlung Missstände aufzeigen, die Entlastung verweigern oder bei einer Schädigung des Vereins Schadensersatz verlangen (BeckOK/Schöpflin BGB § 27 Rn. 20; MüKoBGB/Leuschner, 9. Aufl. 2021, BGB § 38 Rn. 25).

b) Hat demnach das einzelne Mitglied grundsätzlich gegenüber dem Vorstand keinen Anspruch darauf, dass dieser bestimmte Handlungen vornimmt, kommen Ansprüche allenfalls ausnahmsweise in der Form der action pro socio in Betracht (vgl. hierzu MüKoBGB a.a.O.). Die umstrittene Anwendung dieses Rechtsinstituts im Vereinsrecht kann damit begründet werden, dass ein Rechtsschutz durch die Einhaltung vereinsinterner Zuständigkeiten möglicherweise zu spät eingreift. Verfügt der Verein über kein Aufsichtsorgan, das in der Lage oder willens ist, die Ansprüche geltend zu machen, könnte eine actio pro socio in Betracht kommen (MüKoBGB/Leuschner a.a.O.).

c) Aufgrund dieser Besonderheiten wäre eine actio pro socio ausnahmsweise nur dann gegeben, wenn ein satzungs- oder gesetzwidriger Zustand durch die Mitgliederversammlung, insbesondere die Anfechtung rechtswidriger Beschlüsse der Versammlung, nicht mehr rechtzeitig repariert werden könnte. Sie führt nicht zu konkreten Handlungsansprüchen, sondern allenfalls zu Unterlassungs- oder Schadensersatzpflichten (OLG Köln Urteil vom 31. Januar 2020, Az. 6 U 187/19 = NZG 2020, 555 Rn. 15). Zudem kommt sie wegen des Ausnahmecharakters nicht bei jeder beabsichtigten Handlung des Vorstands in Betracht. Vielmehr ist entscheidend, ob Rechte der Vereinsmitglieder beeinträchtigt sind, weil durch die zu treffende Entscheidung der Vereinszweck aushöhlt wird. Hierzu gehört ein behaupteter drohender Verlust der steuerlich anerkannten Gemeinnützigkeit (§ 63 Abs. 1 AO) jedoch nicht. Insoweit ist zwischen Vereinszweck und der finanziellen Auswirkung eines konkreten Geschäfts zu unterscheiden. Die behauptete Gefahr des Verlustes der Gemeinnützigkeit ändert nichts daran, dass die Satzung selbst und der danach von dem Verein verfolgte Zweck nicht geändert werden. Gleiches gilt für die satzungsgemäßen Rechte der Mitglieder, die unverändert bestehen bleiben. Demgegenüber ist die Frage, ob das konkrete Handeln des Vorstandes dem Ziel der Gemeinnützigkeit entspricht, lediglich eine Frage der Steuerbegünstigung (OLG Celle Beschluss vom 12. Dezember 2017, Az. 20 W 20/17).

d) Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Kläger bereits nicht schlüssig dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine actio pro socio vorliegen, so dass es auf die Frage der Anwendung dieses Rechtsinstituts auf das Vereinsrecht letztlich nicht ankommt.

aa) Die von den Klägern befürchtete finanzielle Auswirkung durch den Abschluss der Beendigungsvereinbarung mit Frau B. stellt von vornherein keinen den Vereinszweck des Beklagten aushöhlenden Satzungsverstoß dar, der in Umgehung der verbandsinternen Zuständigkeiten die Annahme einer actio pro socio rechtfertigen könnte. Es liegt demgemäß allein bei der Mitgliederversammlung, hier also der Landeskonferenz, die Vor- und Nachteile einer solchen Vereinbarung gegeneinander abzuwägen und gegebenenfalls den Vorstand anzuweisen (vgl. auch OLG Celle a.a.O.).

bb) Jedenfalls für den maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, ist nicht ersichtlich, dass die Kläger ausnahmsweise Rechte im Wege der actio pro socio geltend machen müssen, weil die Einhaltung vereinsinterner Zuständigkeiten zu spät greifen würde. Weder im erstinstanzlichen Verfahren noch auf den entsprechenden Berufungsangriff haben sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu dieser Voraussetzung vorgetragen.

Aus den eingereichten Unterlagen, insbesondere der Satzung des Beklagten, ergibt sich, dass die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, die einzig zu entsprechenden Weisungen gegenüber dem Vorstand berufen wäre, durch ein Drittel der Vereinsmitglieder verlangt werden kann (§ 8 Abs. 2 der Satzung; vgl. § 37 BGB). Vortrag, ob sie dieses Quorum nicht erreichen und bereits deshalb der vereinsinterne Entscheidungsprozess verschlossen ist, fehlt. Auch im Hinblick auf die Einberufungsfrist von 4 Wochen (§ 8 Abs. 2 S. 1 der Satzung) ist nicht ersichtlich, dass sie jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einer Entscheidung der Mitgliederversammlung entgegen gestanden hätte. Hierbei kann offen bleiben, ob die unzutreffende Verweisung in § 8 Abs. 2 S. 2 der Satzung ebenfalls zur Einhaltung der Vier-Wochen-Frist verpflichtet. War den Klägern jedenfalls bei ihrem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 19. Dezember 2022 die Absicht des Vorstandes bekannt, den verfahrensgegenständlichen Beendigungsvertrag abzuschließen, wäre ihr Verlangen auf Einberufung einer Landeskonferenz zeitgleich möglich gewesen. Sie haben bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 27. April 2023 nicht vorgetragen, dass ihr Rechtsschutz durch ein solches Verlangen und die damit verbundene Einhaltung vereinsinterner Zuständigkeiten gleichwohl zu spät eingreifen würde. Letztlich gehen sie auch mit ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 3. Mai 2023 davon aus, dass die Einberufung einer Landeskonferenz (Mitgliederversammlung) zu Ende März 2023 hätte erfolgen können.

Ist folglich bereits aus dem Vortrag der Kläger nicht ersichtlich, dass sie ausnahmsweise zur Wahrung ihrer Rechte unter Umgehung der vereinsinternen Regelungen auf eine actio pro socio angewiesen sind, fehlt es an einem Anspruch, den Beklagten resp. dessen Vorstand zu einem Unterlassen zu verpflichten.

2. Aus Vorstehendem ergibt sich zugleich, dass jedenfalls bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein Verfügungsgrund fehlt.

Um möglicherweise die Rechte der Kläger zu wahren, war von vornherein nicht erforderlich, dem Beklagten unbeschränkt den Abschluss des beabsichtigten Beendigungsvertrages zu untersagen. Die Entscheidung herüber obliegt, wie ausgeführt, den Organen des Beklagten, mithin grundsätzlich der Landeskonferenz als Mitgliederversammlung. Dient die actio pro socio dem Rechtsschutz, weil die Herbeiführung einer Abwägung und Entscheidung, dem Vorstand den Abschluss zu untersagen, zu spät käme, kann das Rechtsinstitut folglich nur gewährleisten, dass bis zu einer Mitgliederversammlung keine nicht rückgängig zu machenden Tatsachen geschaffen werden. Nur wenn zu besorgen ist, dass vor einer Mitgliederversammlung durch den Abschluss des Beendigungsvertrages die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO), könnte ein Verfügungsgrund vorliegen. Er setzt grundsätzlich von den Klägern dazulegende und glaubhaft zu machende (§ 294 ZPO) Dringlichkeit voraus. Hieran fehlt es: Die Kläger haben nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ab Kenntnis von den Absichten des Vorstands am 19. Dezember 2022 die Einberufung einer Landeskonferenz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 27. April 2023 nicht möglich gewesen wäre und ihnen deshalb gleichwohl Nachteile drohen, die nur durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung verhindert werden könnten.

3. Der Schriftsatz der Kläger vom 3. Mai 2023 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, ohne dass die Besonderheiten des hiesigen Eilverfahrens zu erörtern wären. Weder § 139 ZPO noch § 156 ZPO gebieten die Wiederöffnung der mündlichen Verhandlung.

a) Zwar darf die in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, dass das Rechtsmittelgericht sie rechtzeitig darauf hinweist, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will. Freilich bedarf es trotz günstiger erstinstanzlicher Entscheidung keines gerichtlichen Hinweises an die im ersten Rechtszug obsiegende Partei, wenn der fragliche Gesichtspunkt einen zentralen Streitpunkt in der Berufungsinstanz bildet. Die in erster Instanz siegreiche Partei muss in einem solchen Fall immer damit rechnen, dass sich das Rechtsmittelgericht der Ansicht des Prozessgegners anschließt (BeckOK/von Selle ZPO § 139 Rn. 40; BGH Beschluss vom 13. September 2016, Az. VI ZR 377/14; Beschluss vom 16. September 2015, Az. V ZR 8/15).

So liegt es hier, weil der Berufungskläger gerade auch die Umgehung der verbandsinternen Zuständigkeit durch die beantragte einstweilige Verfügung zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht hat (Seiten 20 ff. der Berufungsbegründung). Soweit der Senat auch weitere, letztlich jedoch nicht entscheidungserhebliche Gesichtspunkte angesprochen hat, bedarf es weder einer Gelegenheit zur Stellungnahme für die Berufungsbeklagten noch der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

b) Inhaltlich gibt, wie aus den oben stehenden Ausführungen folgt, der Schriftsatz keinen Ansatz für eine abweichende Bewertung. Die Kläger zu 1 bis 4 machen ihre Rechte als Mitglieder des Beklagten geltend. Dass andere Kreisverbände nicht Mitglieder des Beklagten sind und gleichwohl von dessen Entscheidungen betroffen sein können, ist ohne Relevanz. Weil es vorliegend, wie ausgeführt, um die Frage von Rechten der einzelnen Mitglieder gegenüber dem Verein geht, solche jedoch vorliegend nicht gegeben sind, kommt es auf die Frage des § 58 AO letztlich nicht an.

c) Mit der Anregung im Schriftsatz vom 3. Mai 2023, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, übersehen die Kläger nicht nur, dass der Senat auf Grundlage der mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheidet, sondern auch gemäß §§ 542 Abs. 2, 574 Abs. 1 S. 2 ZPO ein Rechtsmittel nicht statthaft ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

5. Für die Festsetzung des Gegenstandswerts ist das Interesse der Kläger an dem Erlass der einstweiligen Verfügung maßgeblich. Weil sie dieses Interesse in den finanziellen Auswirkungen eines Verlustes ihrer Gemeinnützigkeit sehen, sind die von ihnen angegebenen finanziellen Belastungen von ca. 591.000 € zugrunde zu legen. Der Gegenstandswert des einstweiligen Verfügungsverfahrens beträgt 1/3 davon.


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