Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Zweibrücken, Beschl. v. 29.03.2023 - 1 Gs 295/23

Eigener Leitsatz:

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zulässig.


1 Gs 295/23

Amtsgericht Zweibrücken

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Beleidigung

Hier: Bestellung Pflichtverteidiger
hat das Amtsgericht Zweibrücken durch den Direktor des Amtsgerichts Biehl am 29.03.2023 beschlossen:

Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp. ab Antragstellung zum Pflichtverteidiger bestellt.

Gründe:

I.

Das Verfahren geht auf einen Vorfall vom 1.12.2022 zurück, bei dem der Beteiligte, für den wegen allgemeiner Einschränkungen ein Betreuer bestellt, und eine GdB von 70 % wegen einer Lernbehinderung und einer Sprachstörung festgestellt wurde, laut Zeugen Personen auf dem Bahnhof Landstuhl unter Alkohol Einfluss anpöbelte.

Der Beschuldigte wurde mit Schreiben vom 2.12.2022 zu dem Vorfall angehört. Am 13.12.2022 verzichtete ein Geschädigter auf einen Strafantrag, im Übrigen wurde kein Strafantrag gestellt. Am 27.12.2022 bestellte sich Rechtsanwalt Pp. für den Beschuldigten, legte Unterlagen betr. die Einschränkungen des Beschuldigten vor und beantragte Akteneinsicht sowie die Bestellung als Pflichtverteidiger.

Das Verfahren wurde zunächst bei der StA Kaiserslautern geführt und am 11.02.2023 an die Staatsanwaltschaft Zweibrücken, wo es am 15.2.2023 einging, abgegeben. Die Staatsanwaltschaft Zweibrücken übernahm das Verfahren am 23.02. 2023 und stellte es mit Verfügung vom gleichen Tag ein.

Der Verteidiger ist der Ansicht, er hätte unverzüglich bestellt werden müssen, deshalb sei er nunmehr rückwirkend zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Staatsanwaltschaft widersetzt sich einer Pflichtverteidigerbestellung. Sie verweist auf die Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses und ist weiter der Ansicht, Rechtsanwalt Pp. sei nicht beschwerdeberechtigt.

II.

Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ist dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung auf seinen Antrag hin unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Eine Zuleitung der Akten an die Beschwerdekammer, von der die Staatsanwaltschaft offenbar ausgeht, ist vorliegend nicht veranlasst; vielmehr war über den Antrag des Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers, gestellt durch Rechtsanwalt Pp. als Wahlverteidiger, zu entscheiden.

Der Sache nach lag zum Zeitpunkt der Antragstellung am 27. 12. 2022 ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 11 StPO vor. Denn der Beschuldigte ist durch eine Sprachstörung beeinträchtigt. Er war auch unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach dem Wortlaut dieser Norm wird ein Pflichtverteidiger grundsätzlich nur bestellt, wenn der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat. In Fällen wie diesem, in denen sich bereits ein Wahlverteidiger legitimiert hat, reicht es aus, wenn dieser ankündigt, im Moment der Bestellung als Pflichtverteidiger sein Wahlmandat niederzulegen (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 141 Rn. 4). Zwar enthält der Schriftsatz von Rechtsanwalt Pp. vom 27.12.2022 eine solche Ankündigung nicht, dies steht der Beiordnung aber nicht entgegen. Denn auch der bloße Antrag des Wahlverteidigers, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen, enthält die Erklärung, die Wahlverteidigung solle mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger enden (Kämpfer/Travers in: MüKo, StPO, 2. Auflage, § 141 Rn. 4; Jahn in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 141 Rn. 9).

Ein Absehen von der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO war entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht möglich, denn soweit nach § 141 Abs. 2 S. 3 StPO die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, bezieht sich die Regelung dem Wortlaut und der systematischen Stellung nach nicht auf den hier vorliegenden Fall der Antragstellung nach Abs. 1, sondern nur auf den Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO.

Obwohl zum Zeitpunkt der Antragstellung am 27 Dezember 2022 die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung vorlagen, hat die Staatsanwaltschaft die Akten nicht zur Beiordnung unverzüglich (§ 141 Abs. 1 Satz 1 StPO) vorgelegt, sondern das Verfahren ca. 6 Wochen später an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben wonach Verfahrenseinstellung eine Vorlage an den Ermittlungsrichter erfolgte. In Fällen, in denen wie vorliegend die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor (rechtskräftigem) Abschluss des Verfahrens gestellt, aber aus justizinternen Gründen nicht verbeschieden wurde, ist es nach Auffassung des Gerichts ausnahmsweise möglich und geboten, rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung einen Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.12.2022 – 4 Ws 529/22.)


Einsender: RA P. Feth, Landstuhl

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".