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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Halle, Beschl. v. 08.09.2023 - 397 Gs 193 Js 32985/21 (635/22)

Eigener Leitsatz:

Zwar kommt grundsätzlich die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Abschluss des Verfahrens nicht in Betracht. Die rückwirkende Beiordnung ist jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn trotz des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist oder die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat.


Amtsgericht Halle (Saale)

Beschluss

397 Gs 193 Js 32985/21 (635/22)
08.09.2023

In dem Ermittlungsverfahren

gegen pp.

wegen gefährlicher Körperverletzung

wird dem Beschuldigten pp. als Verteidiger bestellt. da eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist bzw. sind:

Dem Beschuldigten wird/wurde ein Verbrechen zur Last gelegt (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 Straf-prozessordnung (StPO)).

Der Beschuldigte hat die Bestellung des ausgewählten Pflichtverteidigers nach Belehrung ausdrücklich beantragt.

wird dem Beschuldigten Herr Rechtsanwalt pp. als Verteidiger bestellt, da eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist bzw. sind:

Der Beschuldigte befindet sich aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 Strafprozessordnung (StPO)).

Der Beschuldigte hat die Bestellung des ausgewählten Pflichtverteidigers ausdrücklich beantragt.

Gründe

Gegen den ehemals Beschuldigten wurde wegen des Verdachts des versuchten Totschlags u.a. ermittelt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22.08.2021 — gerichtet an die PI Halle - meldete sich der Verteidiger und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger sowie die Vorlage des Antrags beim zuständigen Gericht. Nach weiteren Ermittlungen stellte die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren mit Verfügung vom 04.08.2022 gern. § 170 Abs. 2 StPO ein. Mit Schriftsatz vorn 12.08.2022 erinnerte der Verteidiger an den Beiordnungsantrag, woraufhin die Staatsanwaltschaft die Akten an das Amtsgericht Halle (Saale) zur Entscheidung über den Antrag auf Beiordnung übersandte, wobei die Staatsanwaltschaft beantragte, den Antrag abzulehnen, weil eine nachträgliche Beiordnung nach Abschluss des Verfahrens nicht zulässig sei.

Zwar kommt grundsätzlich die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Abschluss des Verfahrens nicht in Betracht. Die rückwirkende Beiordnung ist jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn trotz des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist oder die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat (LG Frankfurt, StraFo 2022, 316-317).

§ 141 Abs. 1 S. 1 StPO gebietet es, den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung unverzüglich dem Gericht der Entscheidung vorzulegen, damit die Entscheidung hierüber innerhalb angemessener Zeit erfolgen kann. Um das Recht auf zeitnahen Zugang zu einem nach § 140 StPO notwendigen Verteidiger nicht zu umgehen, ist für den Fall, dass die vorgenannte unverzügliche Vorlage nicht erfolgt, der Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung ausnahmsweise nicht heranzuziehen. Hiergegen lässt sich insbesondere nicht einwenden, dass eine solche Beiordnung allein noch dem Kosteninteresse des Beschuldigten und seines Verteidigers dient. Dies mag zwar bezogen auf das jeweils einzelne Verfahren zutreffen. Würde aber ein Verteidiger generell Gefahr laufen, im Falle einer nicht rechtzeitigen Bescheidung seines (begründeten) Beiordnungsantrages keine Vergütung zu erhalten, wäre er gehalten, erst im Nachgang zu einer Beiordnungsentscheidung überhaupt Tätigkeiten zu entfalten. Dies ist mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO, demjenigen, bei dem ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, auf seinen Antrag hin unverzüglich einen Pflichtverteidiger beizuordnen, nicht zu vereinbaren. Überdies ist die Annahme, dem Recht der Pflichtverteidigung sei die Berücksichtigung des Kosteninteresses des Beschuldigten und seines Verteidigers fremd, unzutreffend. Dies wird deutlich an der Vorschrift des § 48 Abs. 6 RVG, wonach der Verteidiger auch für diejenigen Tätigkeiten zu vergüten ist, die er (unabhängig davon ob bereits ein entsprechender Antrag gestellt war) vor der Beiordnung erbracht hat (vgl. hierzu LG Köln, Beschluss vom 17. Mai 2023 — 111 Qs 35/23 juris).

Gemessen daran war hier eine nachträgliche Beiordnung vorzunehmen. Der Antrag auf Beiordnung lag den Ermittlungsbehörden bereits am 22.08.2021 vor. Die Einstellung des Verfahrens erfolgte erst fast 1 Jahr später.
Wäre der Antrag hier dem § 141 Abs. 1 S. 1 StPO genügend unverzüglich an den Ermittlungsrichter weitergeleitet worden. hätten bei der Entscheidung des Amtsgerichts die Voraussetzungen für das Vorliegen eines notwendigen Verteidigers nach § 140 StPO Abs. 1 Nr. 2 StPO vorgelegen.

Eine Beiordnung konnte auch nicht nach § 141 Abs. 2 S. 3 StPO unterbleiben. Zwar kann nach dieser Vorschrift eine Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden soll. Zum einen war dies hier gar nicht der Fall. Zum anderen beschränkt sich der Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf Fälle der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO Auf Fälle einer Bestellung auf Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO ist Abs. 2 hingegen nicht anwendbar. Gegen die unmittelbare Anwendung sprechen sowohl der Wortlaut, als auch die systematische Stellung innerhalb des § 141 StPO (vgl. LG Halle, Beschluss vom 04.02.2021 - 3 Qs 6/21). Eine entsprechende Anwendung kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 19.10.2020 - 1 Qs 53/20)..


Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig

Anmerkung:


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