Gericht / Entscheidungsdatum: LG Leipzig, Beschl. v. 12.09.2023 - 13 Qs 242/23
Eigener Leitsatz:
1. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn sich der Beschuldigte in anderer Sache in Haft befindet.
2. Die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung liegen auch dann vor, wenn das Verfahren unverzüglich nach Eingang bei der Staatsanwaltschaft nach § 154 f StPO eingestellt worden ist.
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen gefährlicher Körperverletzung
ergeht am 12.09.2023
durch das Landgericht Leipzig - 13. Strafkammer als Beschwerdekammer -
nachfolgende Entscheidung:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 13.06.2023 aufgehoben.
2. Dem Beschuldigten wird auf seinen Antrag Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger gemäß §§ 140 Abs. 1 Nr. 5, 141 StPO
beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen den Beschuldigten sowie einen weiteren mutmaßlichen Tatbeteiligten wegen des Vorwurfs der Körperverletzung, die am 31.08.2022 begangen worden sein soll.
Die Ermittlungen konnten bislang nicht abgeschlossen werden, da der (zwischenzeitliche) Aufenthalt des Beschuldigten nicht bekannt war.
Mit Verteidigerschriftsatz vom 12.05.2023 begehrte der Beschuldigte die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger. Zur Begründung des Antrages wurde aus-geführt, dass der Beschuldigte sich (nach Auslieferung aus Italien) derzeit (in anderer Sache) in Haft in der JVA Dresden befinde. Insoweit seien die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gegeben.
Die Polizei hat - insbesondere auch nach der zwischenzeitlichen Inhaftierung des Beschuldigten - weitere Ermittlungen angestrengt.
Die Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 07.06.2023 das Verfahren gemäß § 154 f StPO vorläufig eingestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Beschuldigte für längere Zeit abwesend sei, da er aufgrund des Spezialitätsgrundsatzes (Art. 14 EUAuslÜbk, § 83 h Abs. 1 IRG) im hiesigen Verfahren trotz des Umstandes, dass er in der JVA Dresden inhaftiert ist, nicht verfolgt werden könne.
Hinsichtlich des Beiordnungsantrages hat die Staatsanwaltschaft beantragt, diesen zurückzu-weisen.
Insoweit wurde argumentiert, dass die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung nicht vorliegen würden, da das Verfahren unverzüglich nach Eingang in der Staatsanwaltschaft nach § 154 f StPO eingestellt wurde und dem Beschuldigten derzeit keine Strafverfolgung drohe. Dazu wurde ausgeführt:
„Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Beschuldigte in Italien festgenommen wurde und sich nunmehr in der JVA Dresden in Haft befindet. Die Festnahme des Beschuldigten erfolgte in einem anderen Verfahren (...). Aufgrund des Spezialitätsgrund-satzes (...). Erfasst der Haftbefehl aufgrund dessen der Beschuldigte inhaftiert ist, nicht das hiesige Verfahren. Die Staatsanwaltschaft hat insoweit nicht den Anschluss an den Haftbefehl beantragt. Der Beschuldigte kann daher auch bei Auslieferung nicht in diesem Verfahren verfolgt werden, er ist da insoweit weiter abwesend i.S. von § 154 f StPO.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Beschuldigte darauf verzichten sollte, was er bislang aber nicht getan hat. Sollte ein solcher Verzicht erklärt werden, die Auslieferung tatsächlich er-folgen, wird die Staatsanwaltschaft erneut die Voraussetzung des § 140 StPO prüfen...."
Das Amtsgericht hat sich in dem angefochtenen Beschluss der Auffassung der Staatsanwaltschaft angeschlossen und den Antrag mit der entsprechenden Begründung zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschuldigten, eingelegt mit Verteidiger-schriftsatz vom 26.07.2023, ergänzt durch weiteren Schriftsatz vom 31.07.2023.
Dabei wurde argumentiert, dass bei dem weiterhin in Haft befindlichen Beschuldigten die Vor-aussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vorliegen würden.
Auch sei eine strafrechtliche Verfolgung des Beschuldigten grundsätzlich möglich, da § 83 h Abs. 2 Nr. 3 IRG i.V.m. Art. 27 Abs. 3 c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 vorgibt, dass die Zustimmung des Mitgliedsstaates zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme erst dann vorliegen muss, wenn die wegen der anderen Handlung i.S. von Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses angeordnete Freiheits-strafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu vollstrecken ist.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger.
a) Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach Aktenlage auch nach der Haft in anderer Sache in Deutschland Ermittlungshandlungen durchgeführt worden sind (u.a. BI. 88 d.A.). Auch wurde der Sachverhalt dem Beschuldigten über seinem Verteidiger - Rechtsanwalt pp. - am 11.05.2023 bekannt, indem ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Tatvorwurf eingeräumt wurde und dieser damit auch dem Beschuldigten eröffnet worden ist, wobei u.a. darauf hingewiesen wurde, dass das Verfahren gegen (ursprünglich) Unbekannt an die Staatsanwaltschaft abgegeben und wieder angefordert sei, da es neue Ermittlungsansätze zu einem Beschuldigten - wohl dem Beschwerdeführer - gebe.
b) Zu Recht hat der Verteidiger darauf hingewiesen, dass auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Spezialitätengrundsatz grundsätzlich nicht die weitere Ermittlung und auch Ahndung generell verbiete. Insoweit hat der BGH u.a. eine Entscheidung vom 27.07.2011 (Az.: 4 StR 303/11 [juhe folgendes ausgeführt:
„Nach der vom Generalbundesanwalt zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 01. Dezember 2008 ist die in Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c des Rahmen-beschlusses 2002/584 JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (= § 83 h Abs. 2 Nr. 3 IRG) vorgesehene Ausnahme darin auszulegen, dass bei einer „anderen Handlung" als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, nach Art. 27 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses um Zustimmung ersucht werden und diese Zustimmung spätestens dann eingegangen sein muss, wenn eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu vollstrecken ist. Die übergebene Person kann wegen einer solchen Handlung verfolgt und verurteilt werden, bevor diese Zustimmung eingegangen ist, sofern während des diese Handlung betreffenden Ermittlungs- und Strafverfahrens keine freiheitsbeschränkende Maßnahme angewandt wird. Die Ausnahme des Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c des Rahmenbeschlusses verbietet es jedoch nicht, die übergebene Person einer freiheits-beschränkenden Maßnahme zu unterwerfen, bevor die Zustimmung eingegangen ist, wenn diese Beschränkung durch andere Anklagepunkte im Europäischen Haftbefehl gerechtfertigt wird. ..."
Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.
c) Soweit die 5. Strafkammer des Landgerichts Leipzig in einem anderen Verfahren eine vergleichbare Beschwerde des Beschuldigten zurückgewiesen hat, insbesondere auch mit der Begründung, dass diesem der Tatvorwurf bislang nicht eröffnet worden ist, ist diese Entscheidung für den gegenwärtigen Fall nicht anwendbar.
d) Soweit die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Stellungnahme gegenüber dem Amtsgericht darauf hingewiesen hat, dass der Beschuldigte auf den Spezialitätengrundsatz verzichten könne, muss angemerkt werden, dass gerade auch zu dieser Frage anwaltliche Beratung ge-boten ist, zu deren Wahrnehmung der in Haft befindliche Beschuldigte auf § 140 StPO zurück-greifen kann.
Nach alledem steht dem Beschuldigten zum derzeitigen Zeitpunkt ein Pflichtverteidiger zu.
Dem Beschuldigten ist antragsgemäß Rechtsanwalt pp. beizuordnen, da Gründe in der Person des gewählten Verteidigers, die der Beiordnung entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 467 StPO.
Einsender: RA M. Thomas, Leipzig
Anmerkung:
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