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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Strafzumessung, Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln, Bewährungswiderruf

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 03.03.2023 – (3) 161 Ss 212/22 (73/22)

Leitsatz des Gerichts:

1. Von genaueren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des verfahrensgegenständlichen Rauschgifts kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehaltes das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen kann.
2. Bei Kleinstmengen von Buprenorphin kommt dem Wirkstoffgehalt keine bestimmende Bedeutung für die Strafbemessung zu.
3. Die Prüfung des Verschlechterungsverbots nach § 331 Abs. 1 StPO im Hinblick auf eine gegebenenfalls zu bildende nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe entzieht sich einer schematischen Beurteilung. Zur Klärung, ob dem Verurteilten durch die Entscheidung der Vorinstanz tatsächlich ein Vorteil entstanden ist, muss gegebenenfalls der konkrete Vollstreckungsstand einer nachträglich einzubeziehenden Geldstrafe zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung festgestellt werden.


(3) 161 Ss 212/22 (73/22)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 3. März 2023 beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. September 2022, soweit von der nachträglichen Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach §§ 55 Abs. 1, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen wurde, aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 27. Juni 2022 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde dabei nicht zur Bewährung ausgesetzt. Von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe mit der gesamtstrafenfähigen Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro aus dem seit dem 11. Dezember 2021 rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgericht Tiergarten vom 26. Oktober 2021 hat das Gericht nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, die
das Landgericht Berlin mit Urteil vom 20. September 2022 verworfen hat. An der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe sah sich das Berufungsgericht wegen des Verschlechterungsverbots gehindert.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten form- und fristgerechten Revision. Mit der umfassend erhobenen Sachrüge macht er insbesondere geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Strafaussetzung zur Bewährung nicht gewährt, indem es die Implikationen der erstmaligen Strafhaft und eines möglichen Bewährungswiderrufs nicht hinreichend bedacht habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Soweit sich die Revision gegen den Schuldausspruch und die Festsetzung der Freiheitsstrafe von sechs Monaten richtet, ist sie nach § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Die Prüfung des Urteils auf die erhobene Sachrüge deckt insoweit keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

a) Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist rechtsfehlerfrei. Gemäß § 261 StPO ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters (vgl. BGH NStZ 2009, 284). Es obliegt allein ihm, die für den Urteilsspruch relevanten Tatsachen und Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu bilden (vgl. BGH NStZ 2009, a.a.O.). Das Revisionsgericht hat die Beweiswürdigung des Tatrichters grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler enthalten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 337 Rn. 26 m.w.N.). Rechtsfehler sind in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NJW 2019, 945 m.w.N).

Dass die vom Tatgericht gezogene Schlussfolgerung nicht zwingend ist, ist revisionsrechtlich unschädlich; es reicht aus, dass die gezogenen Schlüsse möglich sind (vgl. BGH NJW 2019, a.a.O.; Senat, Urteil vom 18. Januar 2022 – (3) 121 Ss 138/21 (59 - 60/21) –, juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hält die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafkammer hat sich die Überzeugung von der Tat sowie der Täterschaft des Angeklagten rechtsfehlerfrei aufgrund einer Gesamtwürdigung aller für die Beweiswürdigung bedeutsamen Umstände verschafft.

Der Angeklagte, der sich seit dem 24. März 2022 in Strafhaft befindet, hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, dass er am 14. September 2021 von seinem behandelnden Arzt für 14 Tage 14 Tabletten Subutex eines ausländischen Herstellers erhalten habe, und er die erste Tablette bereits in der Praxis eingenommen habe. Die restlichen Tabletten habe er mit einem „Marco“ tauschen wollen, der Subutex eines deutschen Herstellers erhalte und die er präferiert habe. Da er diesen jedoch nicht in der Karl-Marx-Straße angetroffen habe, habe er eine Tablette für 10 Euro an den Erwerber M. verkauft. Von dem Erlös habe er sich eine Tablette eines deutschen Herstellers kaufen wollen.
Subutex erhalte er zur Schmerzbehandlung. Von 2017 bis 2019 habe er von seinem behandelnden Arzt ein deutsches Medikament bekommen. Danach habe seine Krankenkasse die Kosten für das Medikament deutscher Herstellung nicht weiter getragen und er sei auf Subutex französischer Herkunft umgestellt worden. Das Medikament französischer Herkunft habe jedoch bei ihm keine Wirkung gezeigt.

Dieser Einlassung hat das Landgericht hinsichtlich der Angabe, dass die übrigen Tabletten zum Tausch mit den Medikamenten eines „Marcos“ und nicht zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt waren, keinen Glauben geschenkt und in seinen Erwägungen zum Ausdruck gebracht, dass es den vom Angeklagten geschilderten Sachverhalt diesbezüglich für lebensfremd hält. Dies hat es nachvollziehbar damit begründet, dass fernliegend sei, dass eine Schmerzbehandlung über zwei Jahre mit einem vermeintlich ungeeigneten Medikament erfolge, ohne dass eine Umstellung auf ein anderes von der Krankenkasse finanziertes Schmerzmittel geschehe. Diese Schlussfolgerung des Tatgerichts begegnet keinen Bedenken.

b) Die dem Tatgericht obliegende Strafzumessung hält sachlich rechtlicher Überprüfung stand.

Es ist grundsätzlich die Aufgabe des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1995 – 3 StR 478/95 –, juris). Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist regelmäßig nur bei beachtlichen Rechtsfehlern in dem Sinne, dass die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen, bestimmende Strafzumessungstatsachen übergangen wurden oder sich die verhängte Freiheitsstrafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs offenkundig löst, möglich (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 – 3 StR 413/11 –, juris m.w.N.).

(1) Im Hinblick auf § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB und den Strafzweck der Resozialisierung ist der Umstand drohenden Bewährungswiderrufs regelmäßig zu erörtern, wenn auf Grund eines möglichen Widerrufs die gesamte Länge der zu verbüßenden Haft diejenige der neu verhängten Strafe beträchtlich übersteigt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 – (3) 121 Ss 170/21 (62/21) –, juris m.w.V.). Eine Erörterung oder gar strafmildernde Bewertung eines möglicherweise drohenden Bewährungswiderrufs kann jedoch im Einzelfall dann unterbleiben, wenn ein übermäßiges Gesamtvollstreckungsübel namentlich aus spezialpräventiven Gründen nicht naheliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 , a.a.O.; OLG Hamburg NStZ-RR 2017, 72), etwa bei Intensiv- oder Serientätern, bei hoher Rückfallgeschwindigkeit oder bei einer Tat kurz nach der Haftentlassung, nachdem die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 03. August 2021 – 2 StR 129/20 –, juris; Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 a.a.O.).
Den vorstehenden Anforderungen wird die Strafzumessungsentscheidung gerecht. Das Landgericht hat zutreffend auf den Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG abgestellt und seine umfassenden Strafzumessungserwägungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung den infolge der erneuten Verurteilung drohenden Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus der Verurteilung des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. August 2021 – Az. 260 Ds 96/20 – nur im Zuge der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB explizit erwähnt hat. Denn ungeachtet des Umstandes, dass die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGHSt 65, 75; Senat, Beschluss vom 29. April 2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22) –, juris m.w.V.), sind im vorliegenden Fall ausführliche Erörterungen zum möglichen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht angezeigt. Zwar droht dem Angeklagten bei Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in dem Verfahren 260 Ds 96/20 die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat, die die hier verhängte Strafe von sechs Monaten beträchtlich übersteigt. Jedoch hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Intensivtäter handelt und die früheren Verurteilungen im notwendigen Umfang geschildert. Vor diesem Hintergrund konnte eine ausführliche Erörterung des Bewährungswiderrufs oder gar dessen strafmildernde Bewertung unterbleiben.

(2) Die Strafzumessung hält auch insoweit der rechtlichen Überprüfung stand, als dass das Landgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Buprenorphin in den Subutex-Tabletten getroffen hat. Der Wirkstoffgehalt des gehandelten Rauschgifts ist grundsätzlich für die Bestimmung des Unrechts- und Schuldgehalts einer Straftat rechtlich belangvoll (vgl. BGH NStZ 2023, 46; KG, Beschluss vom 4. Januar 2012 – (4) 1 Ss 466/11 (322/11), BeckRS 2012, 12416; OLG München Beschluss vom 6. August 2009 – 4 St RR 113/09, BeckRS 2010, 30585). Von genaueren Feststellungen kann aber ausnahmsweise abgesehen werden, wenn ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß im Rahmen des § 29 Abs. 1 und 3 BtMG zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen kann. Dies kann insbesondere bei Kleinstmengen der Fall sein, da der Schuldgehalt der Tat durch die Qualität des Rauschgifts nicht wesentlich geprägt wird (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 250, Patzak, NStZ 23,17; BeckOK BtMG/Becker, 16. Ed. 15.9.2022, BtMG § 29 Rn. 145g).

Im vorliegenden Fall kann ausnahmsweise aufgrund der gehandelten Kleinstmenge von der Bestimmung des genauen Wirkstoffgehalts abgesehen werden.

Bezüglich der hier gegenständlichen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte eine Tablette Subutex für 10,- € an den Zeugen M. verkauft und im Übrigen 12 weitere Subutex-Tabletten bei sich geführt habe, um auch diese gewinnbringend an weitere Abnehmer zu veräußern. Bei dieser Menge an Subutex handelt es sich um eine Kleinstmenge an Rauschgift unabhängig vom Gehalt des Buprenorphin der einzelnen Tablette, wobei eine Tablette eine Konsumeinheit darstellt. Dies ergibt sich auch daraus, dass die geringe Menge an Buprenorphin im Sinne des § 29 Abs. 5 BtMG bei 1-3 Konsumeinheiten Subutex liegt (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl., BtMG § 29 Rn. 1659; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., BtMG § 29 Rn. 1680) und die nicht geringe Menge bei einem Wirkstoffgehalt von 416,67 mg Buprenorphin liegt (vgl. BGH NJW 2007, 2054). Auch unter Annahme der höchsten am Arzneimarkt erhältlichen Dosis von 8 mg Buprenorphin pro Subutex-Tablette (vgl. BGH NJW 2007, 2054) übersteigt der Wirkstoffgehalt 104 mg Buprenorphin nicht. Bei einer solchen Sachlage ist der Wirkstoffgehalt kein bestimmender Faktor bei der Strafzumessung im Sinne des § 46 StGB und das Absehen diesbezüglicher Feststellungen – wie vorliegend – ist rechtsfehlerfrei.

2. Die Entscheidung des Landgerichts über das Absehen der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe kann gestützt auf das Verschlechterungsverbot nach § 331 Abs. 1 StPO wegen des ausschließlichen Rechtsmittels des Angeklagten demgegenüber keinen Bestand haben.

a) Zwar geht das Landgericht in der vorliegenden Verfahrenskonstellation im Ansatz zutreffend davon aus, dass das Verbot der reformatio in peius zu beachten ist. Danach hat das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass dem Angeklagten die durch das erste Urteil erlangten Vorteile belassen werden, selbst wenn sie gegen das sachliche Recht verstoßen (vgl. BGHSt 27, 176). Dies setzt aber voraus, dass dem Angeklagten durch die Entscheidung der Vorinstanz tatsächlich ein Vorteil entstanden ist.
Ein Vorteil ist dem Angeklagten - entgegen der Ansicht der Strafkammer - nicht ohne Weiteres dadurch entstanden, dass das Amtsgericht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung aus Freiheitsstrafe und Geldstrafe abgesehen hat. Zwar mag eine Freiheitsstrafe im Verhältnis zur Geldstrafe grundsätzlich als das schwerere Übel anzusehen sein und die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe verbundene Einbeziehung einer Geldstrafe regelmäßig zu einer Verschlechterung gegenüber dem Rechtszustand vor der Bildung der Gesamtstrafe führen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 1988 - 4 StR 516/87 - und vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 358/16 -, Senat, Beschluss vom 17. April 2020 - (3) 161 Ss 32/20 (17/20), alle juris). Aber dies gilt nicht ausnahmslos (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016, a.a.O. juris). Vielmehr erfordert das Verschlechterungsverbot stets eine "ganzheitliche Betrachtung" (Paul in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung 8. Aufl., § 331 Rn. 4), die sich einer schematischen Handhabung entzieht und eine Vorgabe für die über die Gesamtstrafe zu treffende Entscheidung ist (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Dezember 2017 – 2 BvR 2312/17 –, juris). Dieser vom Bundesverfassungsgericht geforderten „ganzheitlichen Betrachtung“ kann das Berufungsgericht im vorliegenden Fall nur durch Mitteilung des konkreten Vollstreckungsstandes der nachträglich einzubeziehenden Geldstrafe zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung gerecht werden und der sich daran anschließend darzulegenden Prüfung, ob das Absehen von der Bildung einer Gesamtstrafe dem Angeklagten tatsächlich einen nach § 331 Abs. 1 StPO schützenswerten Vorteil erbracht hat. Einer differenzierten und nachvollziehbaren Darlegung bedarf es in den Urteilsgründen aus den folgenden Erwägungen:

Hat die Vollstreckung der einzubeziehenden Geldstrafe noch nicht begonnen, wird das Absehen von der nachträglichen Gesamtstrafenbildung für den Angeklagten in der Regel vorteilhaft sein, denn das größere Strafübel der zu verbüßenden Freiheitsstrafe ist in diesem Fall geringer. (Etwas Anderes kann gelten, wenn die Strafkammer in der Berufungshauptverhandlung feststellt, dass der Angeklagte wirtschaftlich nicht (mehr) in der Lage ist, die Geldstrafe zu begleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016, a.a.O.) oder sie durch freie Arbeit abzuleisten. Die Geldstrafe wäre in einem solchen Fall als Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken (vgl. Senat, Beschluss vom 17. April 2020 a.a.O.).

Hat hingegen die Vollstreckung der einzubeziehenden Geldstrafe bereits begonnen oder ist sie sogar weit fortgeschritten, reduzieren diese Zahlungen im Falle einer Gesamtstrafenbildung die Vollstreckungsdauer der (Gesamt-) Freiheitsstrafe. Denn die Strafvollstreckungsbehörde hat gemäß § 51 Abs. 2 StGB die bisherigen Zahlungen auf die einzubeziehende Geldstrafe obligatorisch (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2015 - 4 StR 378/15 -, juris) und vollständig (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 - 5 StR 24/07 -; Urteil vom 7. Juli 1970 - 5 StR 164/70 -, beide juris) anzurechnen. Daher kann es - je nach Vollstreckungsstand - zu einem erheblichen "Anrechnungsüberhang" kommen, so dass sich dadurch die konkret zu verbüßende Freiheitsstrafe des Angeklagten deutlich verkürzt. In einem solchen Fall hat der Angeklagte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen schützenswerten Vorteil durch das Amtsgericht erlangt und das Verschlechterungsverbot steht der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe nicht entgegen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29. November 2021 - 2 Ss 132/21 -, juris).

Da das Landgericht hier keine konkreten Feststellungen zum Vollstreckungsstand der im Grundsatz gesamtstrafenfähigen Geldstrafe getroffen hat, ist dem Senat die Überprüfung verwehrt, ob die Annahme des Landgerichts zutrifft, das Verschlechterungsverbotes habe einer Einbeziehung der Geldstrafe entgegengestanden (UA S. 11). Dieser Darstellungs- und Erörterungsmangel nötigt indes unmittelbar nur zur Aufhebung der Entscheidung, von der Bildung einer Gesamtstrafe (§ 55 StGB) abzusehen.

b) Der Mangel entzieht des Weiteren der für sich genommen nicht zu beanstandenden Bewährungsentscheidung den Boden, so dass auch über diese neu zu befinden sein wird (vgl. KG, Beschluss vom 8. Februar 2023 – (1) 121 Ss 10/23 (4/23) –). Der Senat merkt lediglich an, dass das Landgericht in seinen Urteilsgründen, die eine Einheit darstellen, unzweifelhaft erkannt hat, dass sich der Angeklagte aufgrund der Verurteilung des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Dezember 2020 – Az. 258 Ds 102/20 – als Erstverbüßer in Strafhaft befunden hat, und es hat sich ausführlich mit den Indikationen dieser Haft und des Vollzugsverlaufs auseinandergesetzt.

Die Verwendung des Begriffes „anerkannter Asylant“ im Zuge der Schilderung der Lebenssituation des Angeklagten lässt zudem im konkreten Fall nicht auf sachfremde Erwägungen bei der Ermessensausübung schließen.

III.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Der Senat weist darauf hin, dass das zur Entscheidung berufene Gericht zu bedenken hat, dass für die Gesamtstrafenbildung der Vollstreckungsstand der im Jahr 2021 verhängten Geldstrafe zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils (20. September 2022) maßgebend ist (vgl. BGH StV 2019, 90).

Auch wenn die genaue Berechnung der anzurechnenden Zahlungen der Strafvollstreckungsbehörde obliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2014 - 5 StR 166/14 -, juris), gibt der Vollstreckungsstand dem Tatgericht Auskunft darüber, ob es zu einem (erheblichen) "Anrechnungsüberhang" gekommen ist, so dass sich dadurch die konkret zu verbüßende Freiheitsstrafe des Angeklagten deutlich verkürzt. Die neue Strafkammer wird auch den Umstand, dass sich der Angeklagte seit dem 24. März 2022 in Strafhaft befindet, in Bezug auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in den Blick zu nehmen haben.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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