Gericht / Entscheidungsdatum: LG Koblenz, Beschl. v. 22.08.2022 - 6 Qs 38/23
Eigener Leitsatz:
In Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
6 Qs 38/23
Landgericht Koblenz
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hier: sofortige Beschwerde des Verteidigers gegen d. Kostenfestsetzungsbeschluss
hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin und den Richter am Landgericht am 22.08.2023 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 24.07.2023 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Mit Bußgeldbescheid vom 22.02.2022 hatte das Polizeipräsidium Rheinpfalz - Zentrale Bußgeld-stelle - wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes, konkret wegen des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 22 km/h, gegen den Betroffenen pp. ein Bußgeld in Höhe von 120,00 € festgesetzt, was nach Rechtskraft die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister zur Folge gehabt hätte (BI. 37 f. d.A.). Mit Schreiben vom 10.03.2022 hat der Verteidiger für den Betroffenen Einspruch „gegen einen möglicherweise bereits erlassenen Bußgeldbescheid" eingelegt und Akteneinsicht beantragt (BI. 41 d.A.).
Mit weiterem Schreiben vom 18.03.2022 beantragte der Verteidiger Einsicht in diverse Aufzeichnungen und Unterlagen, unter anderem in die Videoaufnahmen der Übersichts- und Identkameras im Originalformat, den öffentlichen Schlüsseln ("Public Key"), die Statistikdatei, das Referenzvideo betreffend die Einrichtung der Messstelle, vorhandene Wartungs-. Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgeräts, die „Lebensakte", die Gebrauchsanweisung des Messgeräts. Protokolldateien der Wechselverkehrszeichenanlage, die Baumusterprüfbescheinigung, Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung (vgl. BI. 48 d. A.).
Mit Schreiben vom 23.03.2022 stellte die Bußgeldbehörde dem Verteidiger die aus ihrer Sicht vor-zulegenden Dokumente zur Verfügung, lehnte jedoch darüber hinaus die Übersendung weiterer Unterlagen ab. So sei insbesondere die Vorlage einer Konformitätserklärung nicht erforderlich, da das Gerät vom zuständigen Eichamt geeicht worden sei, was beweise, dass dieses der Bauart-zulassung entspreche (BI. 52 d. A.).
Der Verteidiger beantragte daraufhin gerichtliche Entscheidung dahingehend, die Verwaltungsbehörde anzuweisen, die begehrten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In der neunseitigen Be-gründung des Antrags finden sich im Wesentlichen zahllose Rechtsprechungsnachweise (BI. 55 d. A.)
Mit Schreiben vom 18.05.2022 (BI. 84 d. A.) nahm die Zentrale Bußgeldstelle nochmals Stellung zu den einzelnen seitens der Verteidigung beantragten Unterlagen. Noch bevor eine gerichtliche Entscheidung hierüber in dem am Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler geführten Verfahren unter dem Az. 2 Owi 57/22 erging, gab die Verwaltungsbehörde das hiesige Verfahren am 13.07.2022 über die Staatsanwaltschaft Koblenz an das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler ab, welches zunächst Termin zur Hauptverhandlung auf den 09.11.2022 bestimmte (BI. 97 d. A.).
In dem Verfahren 2 OWi 57/22 verwarf das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler am 24.07.2022 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen prozessualer Überholung als unzulässig und gab dem Betroffenen die Verfahrenskosten sowie dessen notwendige Auslagen auf. Gleichzeitig führte das Gericht aus, dass der Antrag auch unbegründet gewesen wäre, da der Verteidigung umfassend Akteneinsicht gewährt worden sei und ein weitergehender Anspruch nicht bestehe (BI. 210 d. A.).
Nachdem der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.08.2022 nochmals beantragt hatte. der Verteidigung die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, welche bereits Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung nach § 62 Abs. 1 OWiG waren, erhielt er ein weiteres Mal Akteneinsicht.
Nach Rücksendung der Akte durch das Amtsgericht an die Zentrale Bußgeldstelle zur erneuten Stellungnahme wies diese darauf hin, dass die begehrten Unterlagen, soweit diese vorhanden seien, bereits zur Verfügung gestellt worden seien. Unterlagen oder Videodateien, die dort nicht existent seien, könnten auch nicht zur Verfügung gestellt werden (BI. 109).
Im Hauptverhandlungstermin am 09.11.2022 (BI. 120) bestritt der Betroffene. vertreten durch einen Herrn Rechtsanwalts pp. in Untervollmacht, die Fahrereigenschaft und gab unter Vorlage eines entsprechenden Fotos an, dass sein Bruder das Fahrzeug ebenfalls nutze. Zudem wurde der Verwertbarkeit des Messergebnisses widersprochen, ein „Einsichts- bzw. Aussetzungsantrag" (Anlage I) gestellt sowie ein Widerspruch gegen die Verwertung der Messfotos, des Mess-ergebnisses, der Messdaten sowie der Geschwindigkeitsberechnung (Anlage II) eingelegt. Ferner legte die Verteidigung ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten der „GFU Verkehrsmess-technik Unfallanalytik Akademie für Bildung und Beratung GmbH" (Anlage III) vor.
Daraufhin setzte das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler das Verfahren aus und beauftragte sowohl ein anthropologisches als auch ein messtechnisches Sachverständigengutachten und beraumte nach erneuter Gewährung von Akteneinsicht einen neuen Hauptverhandlungstermin für den 21.02.2023 an, zu welchem neben den Sachverständigen und dem Zeugen pp. (Messbeamter) auch der Betroffene erneut persönlich und diesmal Frau Rechtsanwältin in pp. in Untervollmacht erschienen (vgl. Protokoll Bl. 157 d. A.). Nachdem sich der Betroffene in diesem Termin nunmehr schweigend verteidigt hatte, reichte die Unterbevollmächtigte erneut einen „Einsichts- und Aussetzungsantrag" zu Protokoll. Nachdem das Gericht dennoch die Beweisaufnahme eröffnet hatte, beanstandete die Verteidigung die Entscheidung des Gerichts und beantragte einen gerichtlichen Beschluss sowie die Aushändigung des gerichtlichen Beschlusses. Letztlich sprach das Amtsgericht den Betroffenen nach der anthropologischen Begutachtung durch die Dipl. Biologin pp. frei. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen wurden der Staatskasse auferlegt. Das Urteil (BI. 181 d. A.) ist seit dem 12.04.2023 rechtskräftig.
Der Verteidiger pp. beantragte mit Schriftsatz vom 11.04.2023 (BI. 197 d. A.) die Festsetzung der folgenden Gebühren und Auslagen gegenüber der Landeskasse, wobei er ausführte, dass aufgrund der besonderen Bedeutung für den Betroffenen und der Dauer des Termins vom 21.02.20203 (fast 1,5 Stunden) teilweise Gebühren oberhalb der Mittelgebühr in Ansatz gebracht worden seien:
Grundgebühr in Bußgeldsachen § 14 RVG, Nr. 5100 VV RVG 110.00 €
Verfahrensgebühr für Verfahren vor der Verwaltungsbehörde
(Geldbuße 60,00 bis 5.000,00 €) § 49 RVG, Nr. 5103 VV RVG 211,00 €
Verfahrensgebühr für Verfahren vor dem Amtsgericht
(Geldbuße 60,00 bis 5.000,00 €) § 49 RVG, Nr. 5109 VV RVG 211,00 €
Terminsgebühr im Verfahren vor dem Amtsgericht
für Termin am 09.11.2022
(Geldbuße 60,00 bis 5.000,00 €) § 49 RVG, Nr. 5110 VV RVG 280,50 €
Terminsgebühr im Verfahren vor dem Amtsgericht für Termin am 16.02.2022
(Geldbuße 60.00 bis 5.000,00 €) § 49 RVG, Nr. 5110 VV RVG 336,00 €
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 40,00 €
Fahrtkosten gem. Nr. 7003 VV RVG zum Gerichtstermin am 09.11.2022
RA pp. (gemeint wohl RA pp. (65 km x 2 x 0,42 €) 79,80 €
Tage- und Abwesenheitsgeld gem. Nr. 7005 VV RVG 30,00 €
Fahrtkosten gem. Nr. 7003 VV RVG zum Gerichtstermin am 21.02.2023
RA'in pp. (48 km x 2 x 0,42 €) 40,32 €
Tage- und Abwesenheitsgeld gem. Nr. 7005 VV RVG 30,00 €
Aktenversendungspauschale x 3 (30.06.22 02.09.2022.11.11.2022) 36.00 E
Zwischensumme 1.379,42 €
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 262.09 €
Summe 1.641,51 €
Parteikosten
Fahrtkosten gem. § 5 JVEG zum Gerichtstermin am 09.11.2022
- Bad Neuenahr- Ahrweiler 111 km x 2 x 0.35 € 77,70 €
Fahrkosten gemäß § 5 JVEG zum Gerichtstermin am 21.02.2023
- Bad Neuenahr-Ahrweiler 111 km x 2 x 0,35 € 77.70€
Summe 155.40 €
Gesamtsumme 1.796,91 €
Der Bezirksrevisor nahm mit Verfügung vom 26.04.2023 (BI. 208 d. A.) Stellung zum Kostenfestsetzungsantrag und führte aus, die Bestimmung der Gebührenhöhe sei unbillig. In einfach gelagerten Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten seien im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen anzusehen. Unter Berücksichtigung des in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfachen Sachverhalts, des geringen Aktenumfangs von 40 Seiten und andererseits der besonderen Bedeutung für den Betroffenen sei eine Grundgebühr von 90,00 € (20 % unter der Mittelgebühr) angemessen. Im Vorverfahren sei lediglich ein unbegründeter Einspruch eingelegt worden, weshalb hier eine Gebühr (5103 VV RVG) von 105,00 € (60 % unter der Mittelgebühr) angemessen sei. Das Verfahren auf gerichtliche Entscheidung unter dem Aktenzeichen 2 OWi 57/22 sei hier nicht berücksichtigungsfähig, da der Betroffene diesbezüglich seine notwendigen Auslagen nach dem Beschluss vom 24.07.2023 selber tragen müsse. Die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren sei ebenfalls mit 105,00 € zu bemessen. Der Verteidiger habe durch die gewählte Konfliktverteidigung das Verfahren unnötig verzögert. Aufgrund dessen hätte auch der Termin am 09.11.2022 schnell zu einem Ende geführt werden können, weswegen hier eine Terminsgebühr von 170,00 € (ca. 40 % unter der Mittelgebühr) und hinsichtlich der Hauptverhandlung vom 21.02.2023 eine Terminsgebühr in Höhe von 225,00 € (ca. 20 % unter der Mittelgebühr) geltend gemacht werden könnten. Auch dieser Termin wäre nach den Ausführungen des Bezirksrevisors in kurzer Zeit beendet gewesen. wenn man die nicht notwendigen konfliktträchtigen Verfahrensbestandteile ausklammere. In diesem Zusammenhang sei auch nur eine Akteneinsicht notwendig gewesen.
Hierzu nahm die Verteidigung mit Schriftsatz vom 05.06.2023 nochmals Stellung und führte aus, dass bereits aufgrund der bestehenden Punkteeintragung im Fahreignungsregister eine erhöhte Bedeutung der Sache für den Betroffenen vorgelegen habe, der mit Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde zu rechnen gehabt hätte. Zudem sei hinsichtlich des relativ neuen Messgerätes (VKS 4.5) zunächst eine intensive Einarbeitung und Prüfung erforderlich gewesen. Zu beachten seien die umfangreiche Vorbereitung der beiden Hauptverhandlungstermine sowie die Dauer des zweiten Termins. Es sei zudem bedenklich, dass seitens des Bezirksrevisors die Verteidigungsstrategie im Rahmen der Kostenfestsetzung bewertet und ,.abgestraft" worden sei. Die Wahl der Verteidigungsstrategie sei zunächst Sache des Betroffenen und der-Verteidigung und nachdem die Bußgeldbehörde offensichtlich von der Fahrereigenschaft ausgegangen sei, habe man mit dem Angriff der Messdaten ein „zweites Standbein" der Verteidigung schaffen wollen. In diesem Zusammenhang sei auch die frühzeitige Anforderung der notwendigen Unterlagen zur Prüfung der Messung unter Einsatz des umfangreich begründeten Rechtsbehelfs des § 62 OWiG notwendig gewesen. Insoweit könne die Ausübung prozessualer Rechte dem Betroffenen nicht nachteilig ausgelegt werden. In keiner Weise sei zudem nachvollziehbar, weshalb mehrere Akteneinsichten nicht notwendig gewesen sein sollen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Schriftsatz des Verteidigers (BI. 224 ff. d. A.) Bezug genommen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24.07.2023 setzte das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahr-weiler die von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1.303,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 17.04.2023 fest und legte dem die folgende Berechnung zugrunde:
Gebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 €
Gebühr Nr. 5103 VV RVG 105,00 €
Gebühr Nr. 5109 VV RVG 136,00 €
Gebühr Nr. 5110 VV RVG (09.11.2022) 170,00 €
Gebühr Nr. 5110 VV RVG (21.03.2023) 225,00 €
Nr. 7005 VV RVG (2x) 60,00 €
Nr. 7003 VV RVG (226 km x 0,42 €) 94.92 €
Akteneinsichtsgebühr (2x) 24,00 €
Nr. 7002 VV RVG 40,00 €
Zwischensumme 964.42 €
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 183.33 €
Summe 1.148,25 €
Festsetzbare Privatkosten 155,40
Gesamtsumme 1.303,65 €
Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass die beantragte Grundgebühr mit 110.00 € nur 22 % über der vom Bezirksrevisor als angemessen erachteten Gebühr und damit nur knapp über der Grenze zur Unbilligkeit liege, es jedoch aufgrund der Voreintragungen und der Auseinandersetzung mit einem neu verwendeten Messgerät bei der beantragten Gebühr verbleiben könne. Für die Gebühr Nr. 5103 VV RVG seien aufgrund des nicht weiter begründeten Einspruchs lediglich 105,00 angemessen. für die Gebühr Nr. 5109 VV RVG wegen der Auseinandersetzung mit den umfangreichen Messdaten 136,00 € (23 % unter der Mittelgebühr). Für den kurzen Termin vom 09.11.2022, in welchem keine Zeugen oder Sachverständigen gehört, sondern lediglich das Messergebnis und die Fahrereigenschaft bestritten worden seien, hielt das Amtsgericht eine Gebühr von 170,00 € (40 % unter der Mittelgebühr) für angemessen, für den Termin vorn 21.02.2023 mit den zwei Sachverständigen und einem Zeugen einen Betrag von 225,00 € (20 unter der Mittelgebühr). Die Auslagenpauschale vom 30.06.2022 betreffe ein anderes Verfahren und sei daher nicht erstattungsfähig.
Mit Schriftsatz vom 04.08.2023, bei Gericht am selben Tag eingegangen, legte der Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24.07.2023 ein, soweit darin dem Antrag vom 11.04.2023 nicht gefolgt wurde. Zur Begründung verwies er zunächst vollumfänglich auf die Ausführungen vorn 05.06.2023. Im Rahmen der Gebühr Nr. 5103 VV RVG sei selbstverständlich der Aufwand für ein Verfahren nach § 62 OWiG zu berücksichtigen. Die Verwerfung als unzulässig sei nur aufgrund der verfrühten Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt. Die gewählte Verteidigungsstrategie sei keinesfalls durch das Gericht im Kostenfestsetzungsverfahren darauf hin zu überprüfen, ob die aus seiner Sicht zweckmäßigste Vorgehensweise gewählt wurde. Auch die Auslagenpauschale hinsichtlich der Aktenübersendung vom 30.06.2022 sei als notwendig anzusehen, da ein ausreichender Zusammenhang mit dem hiesigen Verfahren bestehe.
Mit Verfügung vom 14.08.2023 legte die Staatsanwaltschaft Koblenz die Akte der Kammer zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vor.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 464b S. 3, S. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPfIG zulässig. Insbesondere ist die aus § 464b S. 4 StPO folgende Zweiwochenfrist gewahrt und der von § 304 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG vorausgesetzte Beschwerdewert von 200,00 Euro überschritten.
Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Festsetzung der Wahlverteidigergebühren durch das Amtsgericht und die Zurückweisung des weitergehenden Kostenfestsetzungsantrages sind zu Recht erfolgt.
1. Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt - hier der Wahlverteidiger - bei den hier geltenden Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände. Die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung ist nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Ob das der Fall ist, unterliegt im Kostenfestsetzungsverfahren und auch im Beschwerdeverfahren einer Wertung. wobei das grundsätzliche Gebührenbestimmungsrecht des Anwalts nicht dadurch ausgehöhlt werden darf, dass eine Gebührenbemessung schon dann als unbillig korrigiert werden darf, wenn sie lediglich „gut bemessen" ist. Da billiges Ermessen nicht positiv in dem Sinne bestimmt werden kann, dass jeweils nur ein konkreter Gebührenbetrag in Betracht kommt, ist lediglich eine negative Abgrenzung möglich, nämlich danach, ob eine konkrete Gebührenbestimmung außerhalb eines Bereichs liegt, der noch vom billigen Ermessen abgedeckt ist (zu allem: Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl. § 14 Rn. 5).
Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler hat in der angefochtenen Entscheidung - nach Stellungnahmen des Bezirksrevisors und der Verteidigung - jeweils differenzierte Betrachtungen für die einzelnen Gebührentatbestände angestellt. die auf das Rechtsmittel hin zu überprüfen sind. Dabei sind jeweils alle Umstände zu berücksichtigen, die für eine Erhöhung der Mittelgebühr und gleichfalls alle Umstände, die für eine Unterschreitung der Mittelgebühr sprechen können, wobei die Mittelgebühr in der Rechtspraxis als die konkret billige Gebühr in Normalfällen angesehen wird (Gerold/Schmidt, a.a.O. Rn. 10). Die jeweils in der einen oder anderen Richtung relevanten Umstände - Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten und die Bedeutung der Angelegenheit - sind außerdem gegeneinander abzuwägen (Gerold/Schmidt. a.a.O. Rn 11). Schließlich ist - nach gerichtlicher Bemessung der jeweils angemessenen Gebühr - unter Achtung des dem Rechtsanwalt vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraums ein Überschreiten der von dem Gericht als angemessen erachteten Gebühr durch den Rechtsanwalt in einem gewissen Rahmen grundsätzlich zu tolerieren. Die Grenze dieses Rahmens, die sogenannte Toleranzgrenze (Gerold/Schmidt, a.a.O., Rn 12), zieht die Kammer bei 20 % und sieht darüberhinausgehende Gebührenbestimmungen des Rechtsanwalts als unbillig an.
2. In dem vorliegenden Verfahren waren die durch das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler festgesetzten Gebühren angemessen und haben auch den Ermessensspielraum des Verteidigers von 20 % ausreichend inkludiert.
Die auf dieser Grundlage festgesetzten Gebühren bewegen sich durchgehend weit über den Mindestsätzen. Sie tragen auch der Bedeutung der Sache für den Betroffenen hinreichend Rechnung. Dies gilt insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass die angesetzte Geldbuße auf 120,00 € festgesetzt worden war und damit einhergehend die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister im Raum stand, weshalb die Angelegenheit bei den bestehenden Voreintragungen und im Hinblick auf mögliche Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde als nicht ganz unerheblich für den Betroffenen einzustufen ist. In diesem Zusammenhang ist jedoch einschränkend zu berücksichtigen, dass gegen den Betroffenen kein Fahrverbot verhängt wurde, die unmittelbaren Folgen sich als nicht gravierend und möglicherweise berufsbeeinträchtigend darstellen. Auch dass die Regelgeldbuße gemäß § 17 OWiG i.V.m. § 3 BKatV wegen einer oder mehrerer Voreintragungen im Fahreignungsregister auf insgesamt 120,00 erhöht wurde, lässt mangels dahin-gehenden Vortrags eine finanzielle Notlage und dadurch eine gesteigerte Bedeutung für den Betroffenen nicht erkennen. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse des Betroffenen ergibt sich aus der Akte lediglich, dass dieser als selbstständiger Gastronom tätig ist und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.
Das Amtsgericht ist bei der Festsetzung der zu erstattenden Gebühren zudem zu Recht davon ausgegangen, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach der Sach- und Rechtslage und ihrer Schwierigkeit als deutlich unter dem Durchschnitt der Bußgeldverfahren liegend anzusehen ist. Denn Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit wie auch des zeitlichen Aufwands sind nicht isoliert Verkehrsordnungswidrigkeiten, sondern es ist das gesamte Spektrum an Ordnungswidrigkeiten zu berücksichtigen, die von den Gebührensätzen, die im Vergütungsverzeichnis vorgesehen sind, abgedeckt werden. Um zu spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen etwa auf dem Gebiet des Umwelt-, Wirtschafts- und Steuerrechts, die einerseits erhebliche Bußgelder vorsehen, andererseits häufig mit rechtlichen Schwierigkeiten sowie umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, eine angemessene Relation herzustellen, können bei Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten daher im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 11.07.2012, 1 Qs 149/12. juris Rdnr. 8).
So liegt der Fall auch hier. Es handelte sich der Sache nach um einen äußerst einfach gelagerten Fall, in dem es um einen Geschwindigkeitsverstoß mit einem Lichtbild als Beweismittel ging. Den Einspruch hat der Verteidiger im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht begründet. Den in der Folge entstandenen Besonderheiten - es wurde ein gerichtliches Verfahren nach § 62 OWiG eingeleitet sowie ein zweiter Hauptverhandlungstermin durchgeführt, in dem ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde - ist durch die Erhöhung der Mindestgebühren angemessen Rechnung getragen worden. Ansonsten kann allenfalls von einem für Verkehrsordnungswidrigkeiten durchschnittlichen Aufwand ausgegangen werden. Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft sowie - nach Vorlage eines Privatgutachtens - die Richtigkeit der Messung bestritten.
Darüber hinaus hat der Verteidiger wiederholt die Unvollständigkeit der zur Verfügung gestellten Messdaten und -unterlagen gerügt und die Übersendung diverser Dateien und Dokumente beantragt. Dies erfolgte zunächst jedoch ebenfalls durch pauschale Aufzählung sämtlicher ein Mess-verfahren betreffender Unterlagen. Bei der dann folgenden - auf den ersten Blick umfangreichen - Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG handelt es sich offen-kundig um allgemeine Textbausteine nebst beigefügten gerichtlichen Entscheidungen. Überdies ist in dem gesonderten Verfahren 2 OWi 57/22 eine eigenständige Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen worden, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhöhten Gebühren wegen der Einleitung eines solchen Verfahrens verlangt werden können, da sich im Falle des dortigen Obsiegens die Auslagen für den konkreten Aufwand des Verfahrens nach § 62 OWiG für die Staatskasse "doppelt" niederschlagen würden, obgleich diese nur einmal angefallen sind.
Soweit daneben die Einarbeitung in das „neue" Messgerät VKS 4.5 zu einem überdurchschnittlichen Aufwand geführt haben soll, so ist dies zum einen mit der überdurchschnittlichen und antragsgemäßen Festsetzung der Grundgebühr (Nr. 5100 VV RVG) von 110.00 € hinreichend berücksichtigt. da diese Gebühr gerade für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall gewährt wird. Zum anderen dürfte zweifelhaft sein, ob für den konkret vorliegenden Fall - mit welchem der Verteidiger erstmals im März 2022 befasst war - eine umfassende Einarbeitung in die Funktionsweise des neuen Messgerätes erfolgen musste. So findet sich auf der Internetpräsenz des Verteidigers ein ausführlicher Artikel mit dem Titel "Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen mit VKS 4.5 - neue Verteidigungsansätze". der auf den 27.01.2022 datiert und sich umfassend mit den Verteidigungsstrategien bei dem genannten Messverfahren beschäftigt.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Akte zum Zeitpunkt des ersten Akteneinsichtsgesuchs am 10.03.2020 einen Umfang von 41 Seiten hatte. Zwar gibt es auch Bußgeldakten, die im Anfangs-stadium noch bei der Bußgeldstelle deutlich weniger Seiten aufweisen. Gleichwohl ist dieser Aktenumfang in Verfahren, die den Tatvorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Form eines Geschwindigkeitsverstoßes zum Gegenstand haben, als durchschnittlich anzusehen. da oftmals -und so auch hier - zunächst Ermittlungen zur Identifizierung des verantwortlichen Betroffenen durch Ausgabe von Zeugenfragenbögen bzw. Halteranhörungen seitens der Bußgeldbehörde anzustellen sind. Der Aktenumfang bis zur Beendigung des Verfahrens stellt sich zwar als überdurchschnittlich dar. Dies resultiert jedoch insbesondere aus einer Vielzahl seitens der Verteidigung schriftlich gestellter und oftmals inhaltsgleicher oder -ähnlicher Anträge.
Neben vorstehenden Erwägungen gilt im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 5103 und 5109 VV RVG zudem ebenfalls, dass die Höhe der Geldbuße im Bußgeldverfahren maßgebliches Kriterium für die Gebührenhöhe ist, was der Gesetzgeber hier durch die Bestimmung eines Wertrahmens zum Ausdruck gebracht hat: anderenfalls hätte es einer Gebührenstaffelung für verschiedene Geldbußen gerade nicht bedurft (LG Koblenz, Beschluss vom 15.09.2010, 4 Qs 53/10). Hier liegt die verhängte Geldbuße mit 120,00 € am untersten Rand der Staffelung (60,- bis 5.000,- €), was den Ansatz von Mittelgebühren ebenfalls nicht zwingend nahelegt. Generell ist auch hier der anzusetzende Vergleichsmaßstab nicht innerhalb verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten zu suchen, sondern vielmehr im Hinblick auf die Frage, ob es sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Bußgeldverfahren handelt, ein Vergleich zwischen Verkehrsordnungswidrigkeiten einerseits und spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen andererseits anzustellen.
Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 5110 VV RVG) für die Termine am 09.11.2022 und am 21.02.2023 ist ebenfalls zunächst auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Die Dauer des Hauptverhandlungstermins am 21.02.2023 geht aus dem Protokoll mangels Angabe des Sitzungsendes (vgl. BI. 163) nicht hervor. Der Umstand, dass dieser Termin für Bußgeldangelegenheiten aber offenbar vergleichsweise lange andauerte und ein Zeuge sowie eine Sachverständige gehört worden sind, ist vom Amtsgericht (das sogar von zwei Sachverständigen ausgegangen ist, obwohl der Gutachter pp. im Termin offenbar nicht zu Wort kam) hinreichend berücksichtigt worden. Im Übrigen sind die in den jeweiligen Terminen durch die Unterbevollmächtigten vorgelegten ,.Einsichts- bzw. Aussetzungsanträge" wortgleich. Der Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung und auf gerichtliche Entscheidung bezieht sich in der knappen Begründung erneut auf die bereits seitens der Vereidigung zuvor dargestellte Problematik der umfassenden Ein-sicht in alle Unterlagen und Dateien der Messung, bedurfte mithin keiner erneuten Einarbeitung.
Hinsichtlich der Auslagenpauschale vom 30.06.2022 geht das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass diese Aktenübersendung nicht das hiesige Verfahren betrifft und insofern nicht erstattungsfähig ist.
Nach alldem ist eine Festsetzung von über den bereits vom Rechtspfleger festgesetzten Beträgen liegenden Gebühren nicht gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA A. Gratz, Bous
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