Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 04.09.2023 - 1 Ws 326/23
Eigener Leitsatz:
Für die Störung des Vertrauensverhältnisses zum Pflichtverteidiger kann von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt. Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält. Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen aber gewahrt sein.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
BESCHLUSS
1 Ws 326/23
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger: RA Pp1 und RA Pp2
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Naumburg pp., den Richter am Oberlandesgericht pp. und die Richterin am Landgericht pp. am 4. September 2023 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer – Schwurgerichtskammer - des Landgerichts Magdeburg vom 10. August 2023 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Mit ihrer zur Schwurgerichtskammer des Landgerichts Magdeburg erhobenen Anklage vom 20. Juli 2023 hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg dem Beschwerdeführer einen Mord (§ 211 Abs. 1, Abs. 2 StGB) zur Last gelegt. Mit Beschluss vom 10. August 2023 hat die Kammer die Anklage mit der Maßgabe, dass hinreichender Tatverdacht des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) bestehe, zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit Verfügung von demselben Tag beraumte der Kammervorsitzende vier Hauptverhandlungstermine ab dem 25. August 2023 an.
Mit Beschluss vom 25. März 2023 hatte der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Aschersleben dem Beschwerdeführer auf dessen Antrag Rechtsanwältin Pp1 zur Verteidigerin bestellt. Unter dem 01. August 2023 beantragte der Beschwerdeführer über seinen Wahlverteidiger, ihm nunmehr diesen als Pflichtverteidiger beizuordnen und Rechtsanwältin Pp1 zu entpflichten.
Den Antrag hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Kammer des Landgerichts Magdeburg am 10. August 2023 abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 16. August 2023, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag. Diese begründet er im Wesentlichen damit, dass Rechtsanwältin Pp1 ihn nicht häufig genug – insbesondere im Hinblick auf die Exploration durch den Sachverständigen und die bevorstehende Hauptverhandlung - im Gefängnis aufgesucht habe. Das Vertrauensverhältnis zu der bisherigen Pflichtverteidigerin sei daher endgültig zerstört.
II.
Die nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Entpflichtung der Rechtsanwältin Pp1 zu Recht abgelehnt.
Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 2020 - StB 4/20, NStZ 2021, 60 Rn. 7 mwN; vom 24. März 2021 - StB 9/21, NStZ-RR 2021, 179, 180).
Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. November 2010 - III-1 Ws 290/10, NStZ-RR 2011, 48; OLG Braunschweig, Beschluss vom 6. September 2012 - Ws 268/12, StV 2012, 719; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 2. Juni 1972 - 2 Ws 195/72, MDR 1972, 799). Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 – StB 24/21 –, juris; KG, Beschluss vom 9. August 2017 - 4 Ws 101/17, juris Rn. 12; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 - Vf. 107-IV-12 [HS], juris Rn. 11, 32 f.). Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2008 - 5 StR 251/08, NStZ 2009, 465; vom 18. Januar 2018 - 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84 mwN).
Daran gemessen ist aus Sicht eines verständigen und vernünftigen Angeklagten nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Bereits nach dem Vorbringen des Angeklagten hat die Rechtsanwältin Pp1 den Angeklagten nach der Verkündung des Haftbefehls in ihrer Anwesenheit am 25. März 2023 einmal im April 2023 in der Justizvollzugsanstalt persönlich aufgesucht, erinnerte ihn darüber hinaus im Juni 2023 schriftlich daran, Beweismittel zu benennen und versicherte, für Rückfragen – die durch den Angeklagten nicht an sie herangetragen wurden - zur Verfügung zu stehen. Die Tatsache, dass sie den Angeklagten nicht unaufgefordert besuchte, begründet keine endgültige Störung des Vertrauensverhältnisses (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2023 – StB 49/23 –, juris). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist sehr wohl zu berücksichtigen, dass der Angeklagte seit April 2023 neben der Pflichtverteidigerin einen Wahlverteidiger hatte (vgl. BGH a.a.O.). Trotz dessen war die Pflichtverteidigerin – wie aus dem Schreiben vom 22. Juni 2023 ersichtlich – darum bemüht, mit dem Angeklagten im Austausch zu bleiben, obwohl dessen Verhalten, nämlich dessen fehlende Rückmeldung auf die Anfrage seiner Pflichtverteidigerin, den Schluss nahelegte, er wolle allein mit dem Wahlverteidiger zusammenarbeiten. Etwas anderes gilt auch nicht mit Blick auf einen etwaigen Beratungsbedarf vor der Exploration oder dem Beginn der Hauptverhandlung. Auch hier hat der Angeklagte etwaigen Beratungsbedarf nicht an die Pflichtverteidigerin herangetragen. Ein solcher musste sich der Rechtsanwältin angesichts der Beauftragung des Wahlverteidigers auch nicht derart aufdrängen, dass sie unaufgefordert den Angeklagten hätte aufsuchen müssen. Dies bedeutet entgegen des Beschwerdevorbringens nicht, dass ein Pflichtverteidiger keine Tätigkeit mehr entfalten muss, wenn ein Wahlverteidiger beauftragt wurde. Einen Einfluss auf den Umfang der erforderlichen Tätigkeit und damit auf die unverzichtbaren Mindeststandards der Kontakthaltung kann die Beauftragung eines weiteren Verteidigers – wie das Landgericht zutreffend ausführte - gleichwohl haben.
Zudem muss Berücksichtigung finden, dass der Angeklagte die Entpflichtung nicht durch eigenes Verhalten erzwingen können soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, § 143a Rn 20). Reagiert der Angeklagte also nicht auf (schriftliche) Kontakthalteversuche des Pflichtverteidigers, kann er damit nicht die Auswechslung des Verteidigers erzwingen. Anderenfalls könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren.
Die vom Angeklagten vorgebrachten Gesichtspunkte reichen auch in ihrer Gesamtheit nicht aus, um eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses darzutun.
Einsender: RA T. Reulecke, Wernigerode
Anmerkung:
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