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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Schwere der Tat, mehrere Verfahren, Gesamtstrafübel

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 31.08.2023 - 5 Qs 9/23 jug.

Eigener Leitsatz:

Ein geringfügiges Delikt rechtfertigt nicht schon dann die Bejahung des Merkmals der „Schwere der Tat“ im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO, weil später voraussichtlich eine Freiheitsstrafe/ (Einheits-) Jugendstrafe von mehr als einem Jahr unter Berücksichtigung des hiesigen geringfügigen Delikts zu erwarten ist. Vielmehr ist eine Prüfung im Einfall erforderlich, ob das andere Verfahren und die Erwartung einer späteren Gesamtstrafe/Einheitsjugendstrafe das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöht, dass die Mitwirkung des Verteidigers geboten ist.


5 Qs 9/23 jug.

LG Bad Kreuznach

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Betrug

hier: sofortige Beschwerde des Angeschuldigten I

hat die 5. Strafkammer (Jugendkammer) des Landgerichts Bad Kreuznach durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht pp., die Richterin am Landgericht pp. und die Richterin am Landgericht pp. am 31.08.2023 beschlossen:

1. Die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 27.07.2023 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeschuldigte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach vom 28.06.2023 wird dem Angeschuldigten ein Betrug gemäß § 263 StGB vorgeworfen.

Er soll am 09.09.2022 an den Zeugen pp. eine Bahncard 100 verkauft haben, obwohl er von Anfang an die Absicht hatte, die Bahncard nach Erhalt des Kaufpreises nicht zu versenden. Der Zeuge pp. soll an den Angeschuldigten eine Anzahlung in Höhe von 100 € vor-genommen haben. Entsprechend seiner vorgefassten Absicht, soll der Angeschuldigte nach Erhalt der Anzahlung die Bahncard nicht verschickt haben.

Mit Schriftsätzen vom 30.06.2023 und 07.07.2023 hat der Verteidiger des Angeschuldigten beantragt, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Dies begründete er damit, dass in dem Verfahren 1043 Js 5713/23 dem Angeschuldigten ein Verbrechen vorgeworfen werde, sodass das zu erwartende Gesamtübel seine Mitwirkung auch in dem hiesigen Verfahren erforderlich mache.

Mit Beschluss vom 27.07.2023 lehnte das Amtsgericht Bad Kreuznach de Beiordnung des Verteidigers Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger ab. Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 68 JGG würde nicht vorliegen. Das von dem Verteidiger angebrachte Verfahren sei noch nicht abschlussreif.

Der Beschluss wurde dem Verteidiger am 31.07.2023 zugestellt. Mit Schreiben vom 05.08.2023, Eingang bei Gericht am selben Tag, legte der Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Be-schluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach ein.

Diese begründete er im Wesentlichen damit, dass es für die Notwendigkeit der Beiordnung nicht darauf ankomme, in welchem Verfahrensstadium sich ein anderes Verfahren befindet.

Die zulässige sofortige Beschwerde war unbegründet. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 68 JGG liegt nicht vor.

Der hierfür einzig in Betracht kommende Grund gemäß § 68 Nr. 1 JGG liegt nicht vor.

Nach dieser Norm liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn im Verfahren gegen einen Erwachsenen ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegen würde. Fälle der notwendigen Verteidigung richten sich nach § 140 StPO. Auch nach dieser Vorschrift liegt kein Fall der notwendigen Verteidigung vor.

Insbesondere liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nicht aufgrund der Schwere der zu er-wartenden Rechtsfolge gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor.

Für die Bewertung, ob eine Schwere der Rechtsfolge zu erwarten ist, kommt es zunächst auf das Gewicht der Rechtsfolgen an, die in dem betreffenden Verfahren, in dem sich der Beschuldigte verteidigen muss, zu erwarten sind (OLG Stuttgart in NStZ-RR 2012, 214).

In dem vorliegenden Verfahren wird dem Angeschuldigten ein einfacher Betrug mit einem Schaden in Höhe von 100 € vorgeworfen. Unter Berücksichtigung seiner strafrechtlichen Vorbelastung ist demnach mit keiner schwerwiegenden Sanktion zu rechnen. Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach hat das hiesige Verfahren bereits mit Verfügung vom 15.03.2023 vorläufig nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt. Eine endgültige Einstellung scheiterte jedoch daran, dass der Angeschuldigte keine Schadenswiedergutmachung leistete, weshalb die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach Anklage erhob. Nunmehr hat der Angeschuldigte aber die Schadenswiedergutmachung geleistet, sodass eine Einstellung nach § 47 JGG konkret in Betracht kommt.

Selbst wenn eine Einstellung nicht erfolgen sollte, wäre mit keiner schwerwiegenden Rechtsfolge zu rechnen. Zwar wurde der Angeschuldigte durch das Amtsgericht Bad Kreuznach am 05.01.2023 wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt und deshalb verwarnt. Ihm wurde aufgegeben, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit binnen eines Jahres nach Rechtskraft abzuleisten. Das Urteil ist seit dem 13.01.2023 rechtskräftig. Dennoch führt diese Vorbelastung nicht dazu, dass eine schwere Rechtsfolge erwartet werden kann.

Das Amtsgericht Bad Kreuznach hat sich in dem Urteil vom 05.01.2023 damit beschäftigt, ob gegen den Angeschuldigten eine Jugendstrafe zu verhängen ist. Im Rahmen dessen hat es auch geprüft, ob bei ihm schädliche Neigungen vorlagen. Es kam dabei zu dem Ergebnis, dass solche zum Zeitpunkt der Verurteilung - die nach der hier streitgegenständlichen Tat erfolgte - keine solchen mehr vorlagen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht Bad Kreuznach nunmehr zu einer anderen Einschätzung gelangen wird.

Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass gegen den Angeschuldigten bei der Staats-anwaltschaft Bad Kreuznach unter dem Aktenzeichen 1043 Js 5713/23 ein Verfahren wegen Geldfälschung anhängig ist und der Wahlverteidiger in diesem Verfahren dem Angeschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde.

Insofern ist anzumerken, dass für die Beurteilung der Schwere der Rechtsfolge die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen ist. Hierzu gehören grundsätzlich auch weitere gegen den Beschuldigten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafeinbildung kommen kann (OLG Stuttgart in NStZ-RR 2012, 214, OLG Stuttgart in NStZ 1981, 490; OLG Hamm, Beschluss vom 20.11.2003 - 2 Ws 279/03, juris; KG Berlin, Beschluss vom 06.01.2017 - 4 Ws 212/16, juris). Diesbezüglich ist folglich grundsätzlich auch das im Ermittlungsverfahren noch anhängige Ver-fahren 1043Js 5713/23 gegen den Angeschuldigten zu berücksichtigen.

Anders als in den bisher durch die obergerichtliche Rechtsprechung entschiedenen Fällen, ist in diesem Verfahren jedoch noch keine Anklage erhoben. Ob eine solche erfolgen wird, steht vielmehr noch nicht fest; die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Demnach unterscheidet sich der hiesige Sachverhalt insofern, dass derzeit eine Gesamtstrafe bzw. Einheitsjugendstrafe nicht möglich ist und auch ungewiss ist, ob eine solche im Falle einer Verurteilung in beiden Verfahren möglich ist.

Dass im Falle einer Verurteilung in beiden Verfahren insgesamt eine erhebliche Rechtsfolge zu erwarten ist, lässt sich demnach nicht prognostizieren.

Sollte während des laufenden Verfahrens noch in dem anderen Verfahren Anklage erhoben wer-den, wäre ggf. erneut zu prüfen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt.

Im Übrigen macht nicht jedes andere Verfahren, in welchem eine erhebliche Rechtsfolge zu er-warten ist, die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich.

Ein geringfügiges Delikt wird vielmehr nicht dann zur Schwere der Tat im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO, weil später voraussichtlich eine Freiheitsstrafe/ (Einheits-) Jugendstrafe von mehr als einem Jahr unter Berücksichtigung des hiesigen Verfahrens zu erwarten ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. 3. 2012 - 2 Ws 37/12 in NStZ-RR 2012, 214). Vielmehr ist eine Prüfung im Einfall erforderlich, ob das andere Verfahren und die Erwartung einer späteren Gesamtstrafe/Einheitsjugendstrafe das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöht, dass die Mitwirkung des Verteidigers geboten ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. 3. 2012 - 2 Ws 37/12). Hierfür ist darauf abzustellen, ob eine erhebliche Verschärfung des Strafübels durch die Bildung einer Gesamtstrafe/Einheitsjugendstrafe in Betracht kommt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. 3. 2012 - 2 Ws 37/12).

Dies ist hier nicht angezeigt. Vorliegend handelt es sich um ein Bagatelldelikt, das bereits im Ermittlungsverfahren nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt werden sollte. Nunmehr hat der Angeschuldigte eine Schadenswiedergutmachung erbracht. Es ist im Falle einer Verurteilung mit einer Ver-warnung zu rechnen. Die vorliegende Tat wird eine etwaige Einheitsjugendstrafe allenfalls minimal erhöhen. Eine etwaige hiesige Verurteilung wird nicht ins Gewicht fallen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO


Einsender: RA T. Scheffler, Windesheim

Anmerkung:


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