Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 30.06.2023 – 3 ORs 37/23 - 161 Ss 76/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Vom Gebot des § 21f Abs. 1 i. V. m. § 76 Abs. 1 Satz 1 2. Var. GVG, wonach bei den kleinen Strafkammern ein Vorsitzender Richter (vgl. § 19a DRiG) den Vorsitz führt, kann im Falle eines unabweisbaren, rechtlich begründeten Bedürfnisses abgewichen werden.
2. Ein solches ist z. B. gegeben, wenn für eine planmäßig endgültige Anstellung als Richter in Betracht kommende Assessoren auszubilden sind, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen, wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist oder aber, wenn planmäßige Richter unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben.
3. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die kommissarische Besetzung nicht auf einem strukturellen personellen Engpass beruht, sondern Ausfluss einer auch in der Justiz erforderlichen geordneten Personalplanung und –entwicklung ist.
4. Etwas anderes kann gelten, wenn die Abordnung unter dem Gesichtspunkt der Erprobung ungeeignet, dysfunktional oder gar rechtswidrig erscheint.
3 ORs 37/23 – 161 Ss 76/23
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Betrugs
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 30. Juni 2023 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Januar 2023 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
Die Revisionen bleiben aus den in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen ohne Erfolg. Die Schriftsätze der Verteidigerin und des Verteidigers vom 23. Juni 2023 lagen vor, gaben aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Die in beiden Revisionen erhobenen und ausgeführten Sachrügen betreffen überwiegend – mit zum Teil urteilsfremden Ausführungen – die Beweiswürdigung, in die einzugreifen hier kein Anlass besteht.
1. Zunächst tragen die Urteilsfeststellungen die rechtliche Würdigung der Taten als Betrug in zwei Fällen (X) bzw. Beihilfe zum Betrug (Y). Unzutreffend führt die Revision der Angeklagten X aus, deren Beihilfehandlung werde im Urteil nur durch einen Satz des Inhalts festgestellt, dass die Angeklagte ihr Konto zur Verfügung stellte und die Zahlungen „in Empfang nahm“ (UA S. 6/7). Die Revision verschweigt weitere Ausführungen zum äußeren (UA S. 8) und inneren Tatbestand (UA S. 7). Im Übrigen bilden die Urteilsgründe eine Einheit (vgl. BGH AfP 78, 103; Beschluss vom 14. April 2010 – 1 StR 131/10 – und Urteil vom 11. Februar 1998 – 3 StR 546/97 – [jeweils bei juris]; Senat, Beschlüsse vom 25. April 2015 – 3 Ws (B) 183/15 – und vom 31. Oktober 2014 – 3 Ws (B) 538/14 –; KG StV 2013, 491; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 267 Rn. 3), und das kollusive Zusammenwirken der Angeklagten wird in der Beweiswürdigung substantiell ausgeführt und belegt.
2. Das Landgericht hat keinesfalls „spekulativ“ (RB Y S. 4), sondern nachvollziehbar begründet, warum es davon überzeugt ist, dass es sich bei den auf dem Konto der Angeklagten Y eingegangenen Beträgen von 27.992,49 und 53.273,21 Euro um einen der Angeklagten X zustehenden Betrag (Schenkung oder Erbschaft [UA S. 19/20]) sowie um eine Erbschaft gehandelt hat und sich die Angeklagte Y sogar mit dem zum Nachteil der öffentlichen Hand begangenen Betrug „gebrüstet“ (UA S. 25, 18) hat. Dass die Kammer hierbei einem Zirkelschluss unterliegt (RB X S. 9), kann der Senat nicht erkennen; die Argumentation erscheint im Gegenteil logisch induktiv: Die Strafkammer trägt unterschiedliche Umstände zusammen, aus deren Gesamtheit sie folgert, der Angeklagten X zustehende Geldbeträge seien zur Verschleierung der Finanzflüsse nicht ihrem, sondern dem Konto der Mitangeklagten gutgeschrieben worden. Von der Verteidigung vermisste „Alternativszenarien“ hat die Kammer ausreichend erörtert und verworfen (UA S. 23). Die Aussage der Belastungszeugin Z ist sorgfältig und ausreichend gewürdigt worden (UA S. 18/19); dass deren Aussage „praeter legem“ durch einen argumentativen Kniff „gerettet“ werden musste (RB X S. 9), kann der Senat nicht nachvollziehen.
3. Einer vertieften Erläuterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge.
Die Beanstandung, die Strafkammer sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO), ist jedenfalls unbegründet. Das dem Senat unterbreitete Verfahrensgeschehen offenbart namentlich keinen Verstoß gegen § 21f Abs. 1 i. V. m. § 76 Abs. 1 Satz 1 2. Var. GVG, wonach bei den kleinen Strafkammern ein Vorsitzender Richter (vgl. § 19a DRiG) den Vorsitz führt. Zwar hatte den Vorsitz hier kein Vorsitzender Richter am Landgericht inne, sondern eine Richterin am Amtsgericht als so genannte Hilfsrichterin. Dies erweist sich indes als nicht verfahrensfehlerhaft, weil es hierfür ein unabweisbares, rechtlich begründetes Bedürfnis gab (vgl. BVerfGE 14, 156; BGHZ 162, 333; KG NStZ 2018, 491). Ein solches ist z. B. gegeben, wenn für eine planmäßig endgültige Anstellung als Richter in Betracht kommende Assessoren auszubilden sind, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen, wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist oder aber, wenn planmäßige Richter unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben (vgl. BVerfGE 14, 156 [Rn. 17]). Nach den mitgeteilten Verfahrenstatsachen und namentlich aufgrund des den Revisionsführerinnen bekannten Vermerks des Präsidenten des Landgerichts Berlin war letzteres hier der Fall. Die Richterin war für die Dauer eines Jahres, beginnend am 1. Januar 2022, vom Amtsgericht an das Landgericht abgeordnet und hierfür mit der Leitung einer kleinen Strafkammer betraut worden. Da die Abordnung – durch eine dreimonatige Abordnung zum Verfassungsgerichtshof – unterbrochen worden war, wurde sie um diesen Zeitraum bis zum 31. März 2023 verlängert. Wie oben ausgeführt, können zur Eignungserprobung abgeordnete Richter als Ausnahme zu § 21f GVG den Vorsitz kleiner Strafkammern führen.
Es liegt auch kein Fall einer unangemessenen, übermäßigen oder gar missbräuchlichen Ausübung dieser Grundsätze vor. Solches ist in der durch die Revisionsführer vielfach zitierten Entscheidung des Kammergerichts vom 14. Dezember 2017 (NStZ 2018, 491) angenommen worden. Dort allerdings stand nicht nur eine außerordentlich lange, nämlich mehr als fünfjährige Vakanz des Vorsitzes in Rede, die den Vorsitz kommissarisch führende Person wurde auch gar nicht im Rahmen einer Erprobung, die sie im Zeitpunkt der Hauptverhandlung tatsächlich bereits erfolgreich abgeschlossen hatte, verwendet. Der entschiedene Fall unterscheidet sich damit substantiell von dem hier unterbreiteten und zu bewertenden Verfahrensgeschehen, in welchem die Strafkammer bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021 in Übereinstimmung mit § 21f GVG besetzt war und nunmehr für die Dauer eines Jahres im Rahmen einer Eignungserprobung kommissarisch von einer Richterin am Amtsgericht geleitet werden sollte.
Zwar ist anerkannt, dass auch bei den an sich rechtlich gebilligten Ausnahmen vom gesetzlichen Grundsatz des § 21f Abs. 1 GVG die Verwendung von Hilfsrichtern dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (vgl. BVerfG BVerfGE 14, 156). Dass dies hier der Fall war, wird durch die Revisionen nicht behauptet, und es liegt auch in tatsächlicher Hinsicht fern. Denn die kommissarische Besetzung beruhte gerade nicht auf einem strukturellen personellen Engpass, sondern war Ausfluss einer auch in der Justiz erforderlichen geordneten Personalplanung und -entwicklung. Dass die Abordnung unter dem Gesichtspunkt der Erprobung ungeeignet, dysfunktional oder gar rechtswidrig gewesen sein könnte, wird durch die Revisionen gleichfalls nicht behauptet. Zwar dürfte die obergerichtliche Erprobung, die hier zugleich in der Gerichtsverwaltung (Leitung der Pressestelle Moabit) und im Bereich der Rechtsprechung des Landgerichts erfolgte, eher Ausnahmecharakter gehabt haben. Sie steht aber als so genannte Ersatzerprobung in Übereinstimmung mit den Verwaltungsvorschriften der zuständigen Senatsverwaltung (lit. A Nr. 2 Satz 2 ErprobungsAV vom 5. Dezember 2007). Auch gegen die – in der Summe – einjährige Dauer der Abordnung und kommissarischen Übertragung des Vorsitzes ist nichts zu erinnern, zumal, wie die Revisionen unter Bezug auf den Geschäftsverteilungsplan zutreffend vortragen, das Rechtsprechungspensum der Richterin nur „0,4“ betrug.
Die Strafkammer war damit ordnungsgemäß besetzt, und auch die diesbezüglich in beiden Revisionen erhobene Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg.
Die Angeklagten haben die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
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