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Entscheidungen

StPO

Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO, erforderliches Rügevorbringen, Vorlage eines ärztlichen Attests

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Urt. v. 24.07.2023 - 3 ORs 38/23 – 121 Ss 84/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Im Revisionsverfahren befreit die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung den Angeklagten nicht von dem Erfordernis, zu seinem Krankheitszustand im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorzutragen.
2. Ein gesonderter Revisionsvortrag zu dem am Verhandlungstag bestehenden Krankheitszustand des Angeklagten ist nur dann entbehrlich, wenn und soweit die ärztliche Bescheinigung Angaben enthält, die hinreichend konkret und belastbar den Rückschluss zulassen, dass der diagnostizierte Krankheitszustand und dessen Symptome auch noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorlagen.


In der Strafsache
gegen pp.

wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts aufgrund der Hauptverhandlung am 24. Juli 2023, an der teilgenommen haben:
pp.

für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2023 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten durch Urteil vom 15. Juli 2022 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von 24 Monaten angeordnet. Auf die vom Angeklagten gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das Landgericht Berlin für den 27. März 2023, 10:30 Uhr, Termin zur Berufungshauptverhandlung anberaumt und den Angeklagten sowie seinen Verteidiger ordnungsgemäß geladen.

Per E-Mail vom 26. März 2023 und 27. März 2023, jedenfalls vor Sitzungsbeginn, teilte der Verteidiger dem Gericht mit, der Angeklagte sei aufgrund einer grippalen Erkrankung nicht verhandlungsfähig. Da in der Berufungshauptverhandlung weder der Angeklagte noch sein Verteidiger erschienen sind, hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten durch Urteil vom 27. März 2023 gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen und in den Urteilsgründen unter anderem ausgeführt, die Kammer sei durch den pauschalen Vortrag des Angeklagten, er sei wegen einer grippalen Erkrankung verhandlungsunfähig, nicht gedrängt gewesen, das Erforderliche aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung herzuleiten oder bei dem behandelnden Arzt nachzufragen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er neben der Sachrüge auf die Verfahrensrüge stützt, das Landgericht habe die Berufung zu Unrecht gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Zumindest hätte es bei Zweifeln Nachforschungen bei dem behandelnden Arzt vornehmen müssen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Revisionsvorbringens wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 6. April 2023 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück zu verweisen.

II.

Der Revision bleibt der Erfolg versagt.

Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe die Berufung des Angeklagten zu Unrecht verworfen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorgelegen hätten, entspricht nicht den Darlegungsvoraussetzungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist deshalb bereits unzulässig. Danach muss die Verfahrensrüge den geltend gemachten Verfahrensmangel unter Darlegung bestimmter Tatsachen so genau und vollständig bezeichnen, dass das Revisionsgericht ohne Rückgriff auf die Akten prüfen kann, ob - unterstellt das tatsächliche Vorbringen trifft zu – ein Verfahrensfehler vorliegt; die Bezugnahme auf den Akteninhalt oder einzelne Schriftstücke ist unzureichend (Senat, Beschluss vom 26. März 2021 – (3) 121 Ss 27/21 (14/21) -; OLG Düsseldorf NZV 1990, 444; OLG Hamm VRS 59, 43; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl., § 344 Rdn. 21 m.w.N.).

a) Die formgerechte Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO erfordert demnach, dass der Angeklagte die die Entschuldigung begründenden bestimmten Tatsachen so schlüssig vorträgt, dass sich dem Revisionsgericht die Unmöglichkeit oder die Unzumutbarkeit der Terminsteilnahme konkret erschließt. Denn von maßgeblicher Bedeutung ist, ob der Angeklagte entschuldigt war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. April 2023 - 203 StRR 95/23 -, juris). Behauptet der Angeklagte, er sei wegen einer Erkrankung außerstande gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, sind von ihm hierzu die jedenfalls nach allgemeinem Sprachgebrauch zu benennende Art der Erkrankung, die konkrete Symptomatik und die daraus zur Terminszeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen zu benennen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Juni 2018 - 3 Ws (B) 161/18 - m.w.N. und 24. Oktober 2016 - 3 Ws (B) 504/16 - (beide zu § 74 Abs. 2 OWiG); BayObLG a.a.O. m.w.N.; OLG Hamm BeckRS 2013, 41).

Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen nicht. Zwar wird mitgeteilt, der Angeklagte habe dem Verteidiger am 26. März 2023 (einen Tag vor der Berufungshauptverhandlung) mitgeteilt, er sei wegen einer Grippe mit erhöhter Temperatur bettlägerig und nicht in der Lage, an der Hauptverhandlung am Folgetag teilzunehmen. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass das - dem Verteidiger gegenüber behauptete - Ausmaß der Erkrankung auch noch am Folgetag vorgelegen hat.

b) Soweit der Angeklagte seine Revision ergänzend auf die am 24. März 2023 ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützt, enthebt ihn dies nicht von dem dargelegten Vortragserfordernis, weil sie ebenso wenig Aufschluss über den Krankheitszustand des Angeklagten am Verhandlungstag erbringt und dem Senat deshalb die Prüfung verwehrt ist, ob die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vorlagen.

aa) Hat der Betroffene dem Gericht eine ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Bescheinigung vorgelegt, belegt dies zwar, dass ein ausgebildeter Mediziner einen krankheitswertigen Zustand festgestellt hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. Februar 2022 - 3 Ws (B) 328/21 -, juris m.w.N. und 5. November 2021 - (3) 161 Ss 131/21 (57/21) -), weswegen dies einen Umstand mit relativ hohem Beweiswert darstellt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. Februar 2022 und 5.November 2021, jeweils a.a.O.). Daher ist auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht von vornherein ungeeignet, Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zu bieten (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Februar 2022, a.a.O. m.w.N.; Brandenburgisches OLG, Beschlüsse vom 5. November 2020 a.a.O. und vom 26. August 2019 - (1 B) 53 Ss-OWi 173/19 (263/19) -; OLG Hamm, Beschlüsse vom 23. August 2012 - III-3 RBs 170/12 -, und vom 22. Dezember 2009 - (3) 6 Ss OWi 984/09 (330) - und vom 28. Oktober 2002 - 2 Ss OWi 873/02 -; OLG Oldenburg, Urteil vom 11. August 2011 - 2 SsRs 187/11 -; OLG Dresden, Beschluss vom 19. September 2008 - Ss (OWi) 543/08 -, jeweils juris).

bb) Daraus folgt aber im Revisionsverfahren noch nicht ohne weiteres, dass die Mitteilung einer solchen ärztlichen Bescheinigung den Angeklagten von dem Erfordernis befreit, zu seinem Krankheitszustand im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorzutragen. Hierbei ist nämlich in den Blick zu nehmen, dass die Symptome von Erkrankungen der diagnostizierten Art (akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet; sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis nicht näher bezeichneten Ursprungs; Kreuzschmerz) in der Regel zeitlich eng begrenzt, häufig auch akut „von einer auf die andere Minute“ auftreten (vgl. Senat, Beschluss vom 18. November 2019 - 3 Ws 352/19 -, juris). Ein gesonderter Revisionsvortrag zu dem am Verhandlungstag bestehenden Krankheitszustand des Angeklagten ist deswegen nur dann entbehrlich, wenn und soweit die ärztliche Bescheinigung Angaben enthält, die hinreichend konkret und belastbar den Rückschluss zulassen, dass der diagnostizierte Krankheitszustand und dessen Symptome auch noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorlagen.

Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Umstand, dass ein Arzt die genannten Erkrankungen am 24. März 2023 diagnostiziert und eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. März 2023 bescheinigt hat, besagt noch nichts darüber, ob die Symptome auch noch am 27. März 2023 vorgelegen haben; bei der Art der Erkrankung ist es genauso gut denkbar, dass die Symptome zwischenzeitlich abgeklungen waren und es dem Angeklagten durchaus möglich war, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen.

2. Soweit der Angeklagte vorträgt, das Landgericht hätte weitere Erkundigungen einholen müssen, anstatt die Berufung zu verwerfen, genügt sein Vorbringen auch insoweit nicht den Darlegungsanforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

a) Will die Revision beanstanden, dass das Berufungsgericht trotz vorliegender Anhaltspunkte für einen bestimmten Entschuldigungssachverhalt diesem nicht in dem gebotenen Maße nachgegangen sei und die Aufklärung das Vorliegen eines genügenden Entschuldigungsgrundes ergeben hätte, handelt es sich der Sache nach um eine Aufklärungsrüge (vgl. BGHSt 28, 348), die den Darlegungsanforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu genügen hat (vgl. Senat NStZ-RR 2002, 218). Dem folgend ist durch den Revisionsführer darzulegen, welcher konkrete Umstand aufgeklärt werden sollte, welches Beweismittel benutzt werden sollte, warum sich diese Aufklärung aufdrängte und was sie zugunsten des Beschwerdeführers ergeben hätte (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Köln NStZ-RR 1999, 337; OLG Saarbrücken NJW 1975, 1613; KG GA 1974, 116; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 74 Rdn. 48b; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 329 Rdn. 100). Weil auf der Hand liegt, dass das Landgericht nur solche Beweismittel hätte ausschöpfen können, die ihm auch zugänglich gewesen sind, muss dem Revisionsvorbringen auch entnommen werden können, das Gericht habe die Möglichkeit gehabt, auf das sich aufdrängende Beweismittel zurückzugreifen.

b) Daran fehlt es hier. Zwar trägt die Revision vor, als Beweismittel zur weiteren Aufklärung habe die Möglichkeit eines Telefonanrufs „bei dem […] Arzt“ bestanden. Dem Vortrag ist jedoch nicht zu entnehmen, welcher Arzt dies gewesen sein soll. Auch wird nicht vorgetragen, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, dessen Inhalt der Revisionsführer ohnehin nur rudimentär wiedergibt, überhaupt der Name und eine Telefonnummer des Arztes enthielt oder ob die Kontaktdaten gegebenenfalls zumindest durch das Gericht hätten ermittelt werden können. Zudem ist dem Rügevortrag nicht zu entnehmen, welches Ergebnis die vermisste Aufklärung erbracht hätte.

3. Mit der (allgemeinen) Sachrüge dringt der Angeklagte ebenso wenig durch, denn diese führt bei einem Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO nur zu der Prüfung, ob Verfahrenshindernisse vorliegen oder Prozessvoraussetzungen fehlen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Mai 2023 - 3 ORs 21/23 - für den gleichlautenden § 74 Abs. 2 OWiG: 28. September 2022 - 3 Ws (B) 226/22 -, juris). Dies ist hier nicht der Fall.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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