Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dresden, Beschl. v. 04.08.2023 - 2 Qs 34/23 jug
Eigener Leitsatz:
Für die Beantwortung der Frage, ob wegen der Schwierigkeit der Rechtslage ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich von einem Verwertungsverbot auszugehen ist. Eine schwierige Rechtslage ist bereits dann anzunehmen, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich sein wird, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt.
LG Dresden
2 Qs 34/23 jug
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Vergehens nach § 29 Abs. 1 BtMG ergeht am 04.08.2023 durch das Landgericht Dresden - 2. Strafkammer - nachfolgende Entscheidung:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Dippoldiswalde vom 29.06.2023, Az. aufgehoben.
2. Dem Angeschuldigten wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Dresden legte mit Anklageschrift vom 04.05.2023 dem Angeschuldigten zur Last, sich des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gemacht zu haben.
PP. soll am 04.02.2023 am Hauptbahnhof in Dresden 0,62 g Marihuana und 3,99 g Methamphetamin mit sich geführt haben. Dabei soll das Methamphetamin in sieben verkaufsfertigen Einheiten aufgeteilt und abgepackt gewesen sein und der Angeschuldigte soll geplant haben, durch den späteren Verkauf der Betäubungsmittel Gewinne zu erzielen.
Der Tatverdacht gegen den Angeschuldigten beruht u.a. auf einer von Beamten der Bundespolizei am 04.02.2023 durchgeführten Durchsuchung, bei der die vorgenannten Betäubungsmittel in der Kleidung des Angeschuldigten aufgefunden wurden. Der Durchsuchung war eine Identitätskontrolle des Angeschuldigten vorausgegangen, bei der dieser sich nervös verhalten haben soll.
Nach Anklageerhebung zum Jugendrichter beim Amtsgericht Dippoldiswalde zeigte Rechtsanwalt pp. mit Schriftsatz vom 14.06.2023 die anwaltliche Vertretung des Angeschuldigten an und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger.
Zur Begründung seines Beiordnungsantrages verwies der Verteidiger auf die Schwierigkeit der Angelegenheit. Es sei nicht einfach zu beurteilen, ob das Auffinden von Betäubungsmitteln in mehreren Cliptütchen den Verdacht des Handeltreibens mit Begründungsmittel begründe. Des Weiteren sei zu prüfen, ob die durchgeführte Durchsuchung rechtmäßig erfolgt sei und es stelle eine schwierige Rechtsfrage dar, ob bei dem heranwachsenden Angeschuldigten das Jugendstrafrecht anzuwenden sei. Eine sachgerechte Verteidigung erfordere zudem Akteneinsicht.
Mit Beschluss vom 29.06.2023, Az. 8 Ds lehnte das Amtsgericht Dippoldiwalde die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass weder die zu erwartende Strafe noch die Sach- und Rechtslage die Beiordnung eines Verteidigers erfordern würden. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich der Angeschuldigte nicht selbst verteidigen könne.
Gegen diese Entscheidung des Amtsgerichts Dippoldiswalde vom 29.06.2023, zugestellt am 12.07.2023, richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten vom 12.07.2023.
Zur Begründung seines Rechtsmittels nahm der Angeschuldigte Bezug auf sein Vorbringen vom 14.06.2023 und wies ergänzend darauf hin, dass nach dem polizeilichen Sachstandsbericht vom 04.02.2023 keine Rechtsgrundlage für die Durchsuchungsmaßnahme, die zum Auffinden der Betäubungsmittel geführt habe, ersichtlich sei. Deshalb mache auch die Prüfung eines Beweisverwertungsverbots die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich.
Die Staatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers entgegengetreten.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dippoldiswalde vom 29.06.2023, ist statthaft und zulässig.
Nach § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO sind gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde vom 12.07.2023 erfolgte form- und fristgerecht.
2. Die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten hat auch in der Sache Erfolg.
Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß §§ 109 Abs. 1 Satz 1, 68 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO vor, da sich die Rechtslage im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit des Ergebnisses der polizeilichen Durchsuchung des Angeschuldigten am 04.02.2023 als schwierig im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
Für die Beantwortung der Frage, ob wegen der Schwierigkeit der Rechtslage ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich von einem Verwertungsverbot auszugehen ist. Eine schwierige Rechtslage ist bereits dann anzunehmen, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich sein wird, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 140, Rn. 28 m. w. N.).
Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben, da es aufgrund des polizeilichen Aktenvermerks vom 04.02.2023, BI. 5 d.A., zweifelhaft erscheint, ob hinreichende Verdachtsmomente für die Durchsuchung der Person des Angeschuldigten gegeben waren. Die schriftlichen Ausführungen von PMA pp., dass der Angeschuldigte sich bei Ansprache nervös verhalten und die Abfrage seiner Personalien im INPOL-System einen Alt:: bestand ergeben habe, erscheinen noch nicht geeignet, einen die Durchsuchung der Person gemäß §§ 102, 105 StPO rechtfertigenden Anfangsverdacht zu begründen.
Es wird daher in der Hauptverhandlung zu prüfen sein, ob hinsichtlich der Durchsuchungsfunde ein Beweisverwertungsverbot vorliegt. Dazu werden der Anlass und die bestehende Verdachtslage vor Vollzug der strittigen Maßnahme näher aufzuklären sein. Aber allein die Möglichkeit des Bestehens eines Beweisverwertungsverbots führt zum Vorliegen eines Falls der notwendigen Verteidigung.
Von der Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann auch nicht deshalb abgesehen werden, weil der Angeklagte sich im Rahmen seiner späteren Vernehmung — zumindest zum Besitz der aufgefundenen Betäubungsmittel - weitgehend geständig eingelassen hat. Insofern ist zu prüfen, ob sich die Wirkung eines möglichen Beweisverwertungs-verbotes im Hinblick auf die Durchsuchungsfunde auf die anschließend unter dem Eindruck des Auffindens der Betäubungsmittel erfolgte Einlassung zur Sache erstreckt.
3. Bei einer erfolgreichen Beschwerde des Angeschuldigten trägt die Staatskasse die
Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 473, Rn. 2).
Einsender: RA A. Boine, Dresden
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