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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Klimaaktivist, Straßenblockade, Nötigung, Verwerflichkeit, Versammlungsgesetz

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Tiergarten, Urt. v. 16.05.2023 - 298 Cs 269/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Bei der den Protestierenden sog. "Letzten Generation" vorgeworfenen Nötigung sind bei Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64) zu beachten. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
2. Wurden Autofahrende auf einer der staubelasteten Autobahn Deutschlands durch die Blockade rund 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert, wobei sich ein Stau von mehreren Metern bildete, die Blockadeaktion jedoch zumindest abstrakt im Vorfeld medial angekündigt wurde und ein konkreter Sachbezug ("Öl sparen statt Bohren" und "Nordseeöl? Nö!") gegeben war, stellt sich die Nötigung nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar, wenn die Polizei die Blockade vor der Räumung versammlungsrechtlich nicht beschränkt oder aufgelöst hat.
3. Ist die Nötigung nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, kommt ein Verstoß gegen das VersFG Bln in Betracht, wenn die Polizei die Versammlung beschränkt bzw. aufgelöst hat, die Protestierenden hierauf jedoch nicht reagiert haben.


In pp.

Die Angeklagte wird wegen versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15 Euro
verurteilt. Daneben wird die Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin zu einer Geldbuße von 150 Euro und einer Geldbuße von 300 Euro verurteilt.
Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und Ihre notwendigen Auslagen.
§§ 240, 22, 23 Abs. 1 StGB, 14 Abs. 1, 27 Abs. 1 Nr. 5 VersFG BE

Gründe

I.

Die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 23 Jahre alte deutsche Angeklagte ist ledig und kinderlos. Sie ist Studentin der Theaterwissenschaften im zweiten Semester und bezieht BaföG-Leistungen in Höhe von monatlich ca. 800 Euro. Daneben erhält sie das an ihre Eltern gezahlte Kindergeld in Höhe von monatlich 250 Euro.

Die Angeklagte ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.

II.

1. Tat vom 29. Juni 2022

Am 29. Juni 2022 ab etwa 8.00 Uhr setzte sich die Angeklagte mit sechs weiteren Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans nach der Abfahrt der Bundesautobahn (BAB) 100 Seestr. zwischen dem Westhafen-Verbindungskanal und der nördlichen Seestraßenbrücke in Berlin auf die komplette Breite der Fahrbahn. Vor sich hatten sie mehrere Transparente mit der Aufschrift „Nordseeöl? Nö!“ und „Öl sparen statt bohren“ ausgebreitet bzw. hochgehalten. Wie von ihr und ihren Mittätern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade zwischen 8.00 Uhr und etwa 8.30 Uhr dazu, dass kein Fahrzeug die Abfahrt passieren konnte, sodass es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus von mehreren hundert Metern kam.

Um 8.10 Uhr wurde der Versammlung durch PHK B. ein anderer Ort zugewiesen und die Teilnehmer aufgefordert, sich dorthin zu begeben. Daneben wurde auf den Einsatz unmittelbaren Zwangs hingewiesen, sofern die Fahrbahn nicht freiwillig verlassen werde. Diese Aufforderung wurde um 8.25 Uhr wiederholt und jeweils von der Angeklagten und den weiteren Mittätern verstanden. Die Versammlung wurde schließlich um 9.12 Uhr aufgelöst. Bereits zuvor wurde die Angeklagte, die den jeweiligen Aufforderungen der Polizei nicht nachkam, um 8.26 Uhr von der Fahrbahn getragen.

2. Tat vom 1. Juli 2022

Am 1. Juli 2022 gegen 8.07 Uhr setzte sich die Angeklagte mit sieben weiteren Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans nach der Abfahrt der Bundesautobahn BAB 111 Abfahrt Heckerdamm/ Kurt-Schumacher-Damm in Berlin auf die komplette Breite der Fahrbahn. Vor sich hatten sie mehrere Transparente mit der Aufschrift „Nordseeöl? Nö!“ und „Öl sparen statt bohren“ ausgebreitet. Wie von ihr und ihren Mittätern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade zwischen 8.07 Uhr und 8.30 Uhr dazu, dass kein Fahrzeug die Abfahrt passieren konnte. Zumindest drei Fahrzeugreihen mit jeweils drei Fahrzeugführenden wurden an der Weiterfahrt gehindert.

Vor der Räumung der Blockade hatte die Polizei ab 8.10 Uhr durch drei Lautsprecherdurchsagen, die von der Angeklagten und den weiteren Mittätern auch verstanden wurden, der Versammlung einen anderen Ort zugewiesen und die Teilnehmer aufgefordert, sich dorthin zu begeben. Nachdem auch nach der dritten Durchsage keine Reaktion der Protestierenden erfolgt war, wurde die Versammlung aufgelöst. Im Anschluss wurde die Angeklagte von der Fahrbahn getragen.

3. Tat vom 31. Oktober 2022

Am 31. Oktober 2022 gegen 8.10 Uhr setzte sich die Angeklagte mit acht weiteren Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans im Kreuzungsbereich Badstr./ Böttgerstr./ Behmstr. in 13357 Berlin auf die komplette Breite der Fahrbahn. Vor sich hatten sie mehrere Transparente mit der Aufschrift „100 Km/h und 9 € für alle“ und „Was, wenn die Regierung das nicht im Griff hat?“ ausgebreitet. Die Angeklagte beabsichtigte, Fahrzeugführende für mindestens eine Stunde an ihrer Weiterfahrt zu hindern und ging davon aus, dass eine Weiterfahrt aufgrund der Blockade auch nicht möglich sei. Tatsächlich kam es zu keinem größeren Aufstauen von Fahrzeugen, da der Verkehr durch die unmittelbare Umfahrungsmöglichkeit über die Hochstraße und Böttgerstraße umgeleitet werden konnte.

III.

1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 16. Mai 2023.

Die Angaben zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der in der Hauptverhandlung verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 26. April 2023.

2. Die Überzeugung, dass die Angeklagte die Taten begangen hat, ergibt sich aus ihrer geständigen Einlassung sowie den nachfolgend benannten Beweismitteln:

a) Die Angeklagte hat in der Hauptverhandlung angegeben, dass sie bei den jeweils ihr vorgeworfenen Taten Menschen blockiert habe bzw. es wegen des Vorwurfs vom 31. Oktober 2022 vorgehabt habe. Weiter gab sie auf Nachfrage an, dass sie vor rund einem Jahr zur „Letzten Generation“ gekommen sei, um friedlichen zivilen Widerstand zu leisten. Demonstrationen und Petitionen, an denen sie zuvor teilgenommen habe, hätten aus ihrer Sicht wenig bis gar nichts gebracht, sodass ein Handeln erforderlich gewesen sei. Sie habe sich zu keinem Zeitpunkt festgeklebt, da es ihr immer wichtig gewesen sei, sich eigenständig fortzubewegen und eine Rettungsgasse bilden zu können. Seit dem Winter 2022 habe sie nicht mehr an Aktionen teilgenommen, da es ihr zu kräftezehrend gewesen sei, sich mit verbalen und physischen Aggressionen der Fahrzeugführenden auseinanderzusetzen. Weiter bekundete die Angeklagte, dass man sich im Vorfeld der jeweiligen Aktionen mit seiner Bezugsgruppe treffe und im Einzelnen bespreche, wer welche Position im Rahmen der Blockade einnehme, also wer etwa festgeklebt sei oder wer lediglich sitzend die Blockade durchführe.

Wegen des Geschehens vom 31. Oktober 2022 gab die Angeklagte an, dass sie davon ausgegangen sei, dass durch die Blockade Fahrzeugführende für mindestens eine Stunde an der Weiterfahrt gehindert worden wären. Sie sei weiter davon ausgegangen, dass die Fahrzeuge nicht hätten ausweichen können.

Schließlich bekundete die Angeklagte, dass sie ihr Verhalten für straflos halte, da sie zumindest gerechtfertigt sei im Hinblick auf die Untätigkeit der Bundesregierung die für den Klimaschutz erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.

b) Die Überzeugung, dass die Angeklagte die Tat begangen hat, hat das Gericht neben der Einlassung, die glaubhaft ist und an deren Richtigkeit das Gericht keinen Zweifel hatte, zumal sie sich mit den nachfolgend benannten Beweismitteln deckt, insbesondere aufgrund der folgenden Zeugenaussagen gewonnen. Daneben wurden nachbenannte Lichtbilder in Augenschein genommen, auf die jeweils nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird.

aa) Tat vom 29. Juni 2022

(1) PM’in S. hat in der Hauptverhandlung bekundet, dass sie am Tattag an der unter II. 1. benannten Örtlichkeit ab etwa 8.00 Uhr eingesetzt gewesen sei. Sie sei jedoch mit ihren Kollegen nicht die ersteintreffenden Kräfte gewesen. Für die Zeugin habe sich das Bild ergeben, dass insgesamt sieben Personen nebeneinander auf der kompletten Breite der Fahrbahn gesessen hätten. Jede der Personen habe eine orangefarbene Weitwarnweste getragen. Darüber hinaus wären insgesamt fünf Transparente mit den Aufschriften „Nordseeöl? Nö!“ und „Öl sparen statt Bohren“ hochgehalten worden bzw. vor sich ausgelegt gewesen. Der Verkehr sei kurz nach dem Eintreffen der Zeugen und ihrer Kollegen wieder gerollt, sodass einzelne Fahrzeuge an den Protestierenden vorbeigeleitet werden konnte. Wann dies genau gewesen sei, könne sie – wie auch zum Umfang des Staus – nichts sagen.

Weiter bekundete die Zeugin – nach Vorhalt ihrer Strafanzeige -, dass PHK B. den Protestierenden einen anderen Versammlungsort zugewiesen habe und sie weiter darüber belehrt habe, was die Folge sei, wenn sie der Auflage nicht nachgekommen würden. Diese Aufforderung sei auch von den Protestierenden verstanden worden. Daneben bekundete die Zeugin, dass eine beschränkende Verfügungsdurchsage grundsätzlich auch die Auflösung der Versammlung beinhaltet, konnte jedoch auch auf mehrfache Nachfrage des Gerichts nicht darlegen, ob im konkreten Fall eine Auflösung der Versammlung geschehen sei. Um 8.26 Uhr sei die Angeklagte von der Fahrbahn getragen worden. Ab 9.12 Uhr habe man die Personen von der Fahrbahn gelöst, die mittels Sekundenkleber festgeklebt gewesen seien.

Diese Angaben werden ergänzt durch die Bekundungen von POM A., der angab, dass er sich am Tattag in der Kruppstraße im Gebäude der Zentralen Erstbefassung befunden haben und nicht vor Ort gewesen sei. Er habe die Information, die er niedergelegt habe, von der Einsatzhundertschaft vor Ort bekommen und verschriftlicht. Auf Vorhalt der vom Zeugen gefertigten „Checkliste - Blockaden Grunddaten“ gab dieser an, dass dies die Daten seien, die ihm mitgeteilt wurden. Aus dieser Checkliste ergab sich, dass eine moderierende Durchsage um 8.11 Uhr sowie eine Beschränkung der Versammlung um 8.25 Uhr erfolgt sei. Um 9.12 Uhr sei die Versammlung aufgelöst worden. Welche Maßnahmen getroffen wurden und ab wann eine Durchfahrt für Fahrzeugführende möglich gewesen sei, konnte der Zeuge nicht angeben.

Wegen der Blockadedauer und des Umfangs des Staus, hat das Gericht schließlich die zeugenschaftliche Äußerung der Zeugin V. mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung verlesen, aus der sich ergab, dass der Zeuge S. das Fahrzeug am Tattag gefahren habe und gegen 8:00 Uhr in die Blockade geraten sei. Vor sich hätten sich Fahrzeuge befunden, die durch die Protestierenden blockiert worden seien. Er, der Zeuge S. habe sich etwa auf Höhe des Tegeler Weg befunden, könne jedoch nicht mehr genau angeben über welchen Zeitraum er blockiert worden sei, gehe jedoch von einer Zeit von mehr als 30 Minuten aus.

Das Gericht hat schließlich die Lichtbilder, Bl. 16-17 und das Beistück/II, in Augenschein genommen. Aus diesen ergab sich, dass die Angeklagte auf der Mitte der Fahrbahn saß. Weiter ergab sich aus der von der Polizei gefertigten Skizze, Bl. 16/II d.A., dass die Blockade bis 9.35 Uhr gedauert habe, zeitnah jedoch ein Fahrstreifen frei gewesen sei.

Die Aussagen und Angaben der vorbenannten Zeugen sind glaubhaft, plausibel, nachvollziehbar und in sich stimmig, zumal sie sich mit den Angaben der Angeklagten decken. Sie konnten sich an das von ihnen Bekundete noch sicher erinnern und es besteht kein Zweifel daran, dass sie das von ihnen Geschilderte, soweit es in ihr Wissen gestellt ist, zutreffend wahrgenommen und wahrheitsgemäß wiedergegeben hat. Ein Motiv, die Angeklagte zu Unrecht zu belasten hatten die Zeugen nicht, zumal die Zeugen und die Angeklagte erstmals am Tattag aufeinander trafen. Sowohl be- als auch entlastende Tendenzen waren den Aussagen der Zeugen nicht zu entnehmen.

(2) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme geht das Gericht von einer Blockade mehrerer Fahrzeugführender bei einer Dauer von mindestens 30 Minuten aus.

Insbesondere die Angaben zur Dauer von ca. 90 Minuten aus der Strafanzeige, der gefertigten Skizze von PM'in S. und den Angaben von POM A. konnten nicht bestätigt werden. Denn PM'in S. gab in der Hauptverhandlung an, dass bereits kurz nach dem Eintreffen gegen 8.00 Uhr der Verkehr zumindest auf einzelnen Fahrspuren wieder gerollt sei. Dies deckt sich auch mit den Angaben des Zeugen S., der sich am Tegeler Weg, also rund 1,8 km von der Tatörtlichkeit im Fahrzeug befand und eine Blockadedauer von mehr als 30 Minuten schilderte, wenngleich er sich insoweit unsicher war.

Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme auch zu der Überzeugung gelangt, dass die Versammlung erst um 9.12 Uhr aufgelöst wurde. Denn PM'in S. konnte insoweit lediglich allgemeine Ausführungen tätigen, ohne jedoch Erinnerungen an den Einzelfall zu haben. Aus der von ihr gefertigten Strafanzeige ergab sich selbst nicht, dass es zu einer Auflösung der Versammlung vor dem Wegtragen der Angeklagten von der Fahrbahn gekommen sei.

Dass eine Auflösung der Versammlung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt ist, bestätigt aus Sicht das Gericht auch die von POM A. gefertigte Checkliste, nach der lediglich eine moderierende Durchsage um 8.11 Uhr und eine Beschränkung um 8.25 Uhr, die Auflösung jedoch selbst jedoch erst um 9.12 Uhr erfolgt sein soll. Im Anschluss wurden nach Angaben von PM'in S. die sich an der Fahrbahn festgeklebten Personen gelöst.

bb) Tat vom 1. Juli 2022

Aus der Strafanzeige von PM U. ergibt sich, dass Polizeibeamte der 11. Einsatzhundertschaft am Tattag unter der unter II. 2. benannten Örtlichkeit um 8.07 Uhr alarmiert und gegen 8.10 Uhr eingetroffen seien. Auf der Fahrbahn seien insgesamt acht Personen mit Transparenten festgestellt worden, die die komplette Fahrbahnbreite blockiert hätten. Den dahinter sich befindlichen Fahrzeugführenden, wobei insgesamt Personalien von neun Geschädigten (jeweils drei Fahrzeugreihen mit drei Fahrzeugen) festgestellt worden seien, sei es nicht möglich gewesen weiterzufahren. Um 8.00 Uhr 8.15 und 8.19 Uhr habe es Versammlungsbeschränkungen mit der Zuweisung eines neuen Versammlungsortes gegeben. Diese seien auch von der Angeklagten und den Mittätern verstanden worden, die hierauf jedoch jeweils nicht reagiert hätten. Um 8.20 Uhr sei dann die Versammlung aufgelöst und im Anschluss an die Angeklagte herangetreten worden. Da diese sich nicht habe freiwillig auf den Gehweg begeben, sei sie von Polizeibeamten auf den Gehweg getragen worden.

Diese Angaben werden ergänzt durch die zeugenschaftliche Äußerung des vorbenannten Zeugen, der angab, dass die Transparente mit den Aufschriften „Nordseeöl? Nö!“ und „Öl sparen statt bohren“ sich vor den Aktivistinnen befunden hätten, was sich jeweils durch die in Augenschein genommen Lichtbilder deckt.

cc) Tat vom 31. Oktober 2022

In seiner zeugenschaftlichen Äußerung bekundete PM K., dass er mit weiteren Kräften der 32. Einsatzhundertschaft an der unter II. 3. benannten Örtlichkeit gegen 8.10 Uhr eingesetzt gewesen sei. Insgesamt neun Personen, darunter die Angeklagte, hätten den Kreuzungsbereich auf der kompletten Breite der Fahrbahn blockiert, sodass eine Weiterfahrt nicht möglich gewesen sei. Bereits vor dem Eintreffen des Zeugen sei der Verkehr durch Kräfte des Verkehrsdienstes in die Hoch- und Böttgerstraße abgeleitet worden. Ob und wie lange Fahrzeugführende an der Weiterfahrt seit Beginn der Blockade gehindert worden seien, habe der Zeuge nicht angeben können.

Diese Angaben werden ergänzt durch die zeugenschaftliche Äußerung von PK N., der angab, dass auf der Fahrbahn zwischen der von der Polizei errichteten „Vorsperre“ und der Sitzblockade keine Fahrzeuge gestanden haben.

Das Gericht konnte schließlich durch die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder, Bl. 18-29/I d.A., sich von der Absperrung selbst bzw. der Umleitung des Verkehrs über den vorangehenden Kreuzungsbereich sowie den Inhalt der Transparente einen eigenen Eindruck verschaffen.

dd) Auch wegen der Taten vom 1. Juli und 31. Oktober 2022 bestanden für das Gericht bei den Aussagen und Angaben der oben benannten Zeugen keine Zweifel an der Richtigkeit. Sie waren glaubhaft, plausibel, nachvollziehbar und in sich stimmig, zumal sie sich im Wesentlichen mit den Angaben der Angeklagten deckten.

IV.

Die Angeklagte hat sich damit wegen Verstoßes gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG BE) nach §§ 14 Abs. 1, 27 Abs. 1 Nr. 5 VersFG BE für die Taten vom 29. Juni und 1. Juli 2022 (vgl. 1.) und wegen versuchter Nötigung gemäß §§ 240, 22, 23 StGB am 31. Oktober 2022 (vgl. 2.) schuldig gemacht. Die Taten stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit.

1. Taten vom 29. Juni und 1. Juli 2022

Die Angeklagte hat sich nicht wegen Nötigung nach § 240 StGB strafbar gemacht (vgl. a)). Es liegt jedoch ein Verstoß gegen das VersFG BE in zwei Fällen vor (vgl. b)).

a) Eine Verurteilung wegen des Vorwurfs der Nötigung nach § 240 StGB, soweit der Angeklagten vorgeworfen wurde durch eine Sitzblockade auf der BAB 100 Abfahrt Seestraße/ Seestraßenbrücke (Tat vom 29. Juni 2022) für ca. 30 Minuten sowie auf der BAB 111 am Heckerdamm/ Kurt-Schumacher-Damm (Tat vom 1. Juli 2022) für etwa 20 Minuten Fahrzeugführende behindert zu haben, kam nicht in Betracht. Denn es mangelt jedenfalls an der für die Nötigung erforderlichen Verwerflichkeit i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB.

Rechtswidrig im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB ist die Anwendung der Gewalt, wenn sie im Verhältnis zum jeweilig angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Verquickung von Mittel und Zweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar ist, sie also „sozial unerträglich“ ist. Es entspricht verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn dabei alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen erfasst werden und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation erfolgt (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 57). Das Gericht hat dabei die grundrechtsbeschränkenden Gesetze, also auch § 240 StGB, im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 38).

aa). Der Schutzbereich von Art. 8 GG ist eröffnet.

(1) Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 87, 399 <406>). Geschützt sind nicht allein Veranstaltungen, bei denen Meinungen in verbaler Form kundgegeben oder ausgetauscht werden, sondern auch solche, bei denen die Teilnehmer ihre Meinungen zusätzlich oder ausschließlich auf andere Art und Weise, auch in Form einer Sitzblockade, zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>) (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 32).

Nach diesen Maßstäben lag eine Versammlung vor, soweit sich die Angeklagte gemeinsam mit weiteren Personen bei den Taten vom 29. Juni und 1. Juli 2022 im Rahmen einer Sitzblockade im Straßenverkehr an den unter II. 1. und 2. benannten Örtlichkeiten niederließ und Transparente mit der Aufschrift „Nordseeöl? Nö!“ und „Öl sparen statt bohren“ hochhielt bzw. vor sich ausbreitete. Der Angeklagten ging es dabei jeweils unter anderem darum abstrakt auf die bestehende Klimakrise und konkret auf einen sparsamen Umgang mit fossilen Brennstoffen hinzuweisen, also auf die öffentlichen Meinungsbildung Einfluss zu nehmen.

(2) Der Schutz der Versammlungsfreiheit i.S.d. Art. 8 GG entfällt auch nicht wegen einer denkbaren Unfriedlichkeit der durchgeführten Blockade.

Art. 8 GG schützt die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe bis zur Grenze der Unfriedlichkeit. Die Unfriedlichkeit wird in der Verfassung auf einer gleichen Stufe wie das Mitführen von Waffen behandelt. Unfriedlich ist eine Versammlung daher erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>). Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>; BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 <250>).

Die Blockade der Abfahrten der BAB 100 und BAB 111 erstreckte sich nach den Schilderungen sämtlicher Polizeizeugen auf ein rein passives und friedliches Verhalten. Die Angeklagte ließ sich ohne Widerstand von der Fahrbahn tragen.

bb) Unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht an die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG nachfolgend aufgestellten Anforderungen, ist die Demonstration der Angeklagten jeweils als nicht verwerflich anzusehen.

Hierbei ist bei der am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Mittel-Relation insbesondere die Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion (1), deren vorherige Bekanntgabe (2), Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten (3), die Dringlichkeit des blockierten Transports (4), aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (5). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Gericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64)

Hieran gemessen ist die Nötigung der Angeklagten nicht verwerflich, da dessen Ausübung von Art. 8 GG gegenüber der verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelange der durch die Blockade beeinträchtigten Fahrzeugführenden überwiegt.

(1) Die Blockade am 29. Juli 2022 bezog sich auf einen Zeitraum von ca. 30 Minuten, bei der sich ein Stau von mehreren hundert Metern bildete. Die Blockade am 1. Juli 2022 wurde nach 23 Minuten gelöst, wobei mindestens drei Fahrzeugreihen mit jeweils drei Fahrzeugführenden an der Weiterfahrt gehindert wurden.

Bei einem Stau auf der Stadtautobahn von etwa 23 bzw. 30 Minuten handelt es sich aus Sicht des Gerichts um die regelmäßige Staudauer unter Berücksichtigung eines etwa leichten Verkehrsunfalls. Nach der aktuellen Staubilanz des ADAC gab es im Jahr 2021 insgesamt 58.141 Staus. Die Staus summierten sich auf 43.858 Kilometer. Die A 100 wird nach der vorbenannten Staubilanz als Stadtautobahn mit der längsten Staudauer und mit den meisten Staukilometern in Berlin gelistet. Bei insgesamt 77 Kilometern Autobahn in Berlin gab es in 2021 darauf je Kilometer Autobahn insgesamt 570 Staukilometer.

Dass über diese aus Sicht des Gerichts kurze – gleichwohl nachvollziehbar unangenehme – Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Fahrzeugführenden der sog. zweiten Reihe in besonderer Intensität in die Grundrechtspositionen eingegriffen wurde, ist nicht ersichtlich. Die Fortbewegungsfreiheit ist danach vorliegend nur in überschaubaren Umfang beeinträchtigt worden (vgl. hierzu auch LG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2023, 502 Qs 138/22, welches die Verwerflichkeit bei einer Blockadedauer von 35 Minuten verneint hat).

(2) Die Blockadeaktionen wurden durch die politische Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ medial angekündigt, sodass für die betroffenen Fahrzeugführenden grundsätzlich die Möglichkeit bestand öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Dabei ist eine Ankündigung aus Sicht des Gerichts auch nicht derart erforderlich, dass konkrete Örtlichkeiten und Zeit angegeben werden müssen. Denn insoweit wäre den Aktionen die von der Gruppierung gewünschte Aufmerksamkeit in Politik, Medien und Öffentlichkeit insgesamt für deren Anliegen nicht zugekommen, da sie durch die Polizei frühzeitig unterbunden worden wäre.

(3) Bei der Blockade am 29. Juni 2022 kam zu einem Stau von mehreren hundert Metern, die Blockade am 1. Juli 2022 führte dazu, dass mindestens drei Fahrzeugreihen mit jeweils drei Fahrzeugführenden an der Weiterfahrt gehindert wurden.

(4) Eine Blockade eines dringlichen Transports (z.B. Rettungsfahrzeuge, Eilige Medikamente o.ä.) lag nicht vor.

(5) Ein konkreter Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand lag vor.

Denn Ziel der Blockade und damit verbundenen Demonstration war es ausweislich der Transparente („Öl sparen statt Bohren“ und „Nordseeöl? Nö!”) nicht nur die Öffentlichkeit insgesamt auf ein Handeln angesichts des fortschreitenden Klimawandels und konkret auf den sparsamen Umgang mit fossilen Brennstoffen aufmerksam zu machen. Daneben betrifft die angesprochene Thematik auch die von der Blockade unmittelbar betroffenen Fahrzeugführenden, die als Nutzer von Verbrennungsmotoren maßgeblich an dem Verbrauch von Öl beteiligt sind, da Kraftstoff in Raffinerien aus Erdöl gewonnen wird.

(6) In einer Gesamtschau der genannten Umstände, insbesondere einer zwar teils großen Zahl an beeinträchtigten Verkehrsteilnehmenden und einem nicht unerheblichen Maß an tatsächlicher Beeinträchtigung, welches jedoch den tagtäglich in Berlin vorkommenden Verkehrsbeeinträchtigungen entspricht, und einem sehr konkreten Bezug des Protestgegenstandes zum Straßenverkehr, ist in einer Gesamtschau nur eine so große Beeinträchtigung von Rechten von Verkehrsteilnehmenden festzustellen, dass die verursachte Beschränkung ihrer Fortbewegungsfreiheit als sozial-adäquate (Neben-) Folge der rechtmäßig durchgeführten Versammlung hinzunehmen ist und hinter der Versammlungsfreiheit zurücktreten muss. Dabei hat das Gericht bei der Abwägung der jeweiligen Positionen für die Tat vom 29. Juni 2022 schließlich auch zugunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass die Versammlung durch die Polizei nicht aufgelöst wurde, sondern im Gegenteil bereits vor der Auflösung der Versammlung die Angeklagte von der Straße getragen wurde. Die stellt aus Sicht des Gerichts einen gravierenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG dar, wobei es der Polizei unbenommen gewesen wäre die Versammlung nach dem VersFG BE aufzulösen und Anschlussmaßnahmen zu treffen.

b) Die Angeklagte hat vorsätzlich gegen §§ 27 Abs. 1 Nr. 5, 14 Abs. 1 VersFG BE verstoßen.

Denn die Polizei hat bei den Taten am 29. Juni und am 1. Juli 2022 die Versammlung jeweils derart beschränkt, dass ihr ein neuer Versammlungsort zugewiesen wurde. Es lag auch eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor. Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 VersFG BE umfasst neben dem Schutz zentraler Rechtsgüter wie etwa Leben und Gesundheit auch die gesamte Rechtsordnung und damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Insoweit kommt eine Gefahr für die Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, insbesondere der Protestierenden in Betracht, die dem Versammlungsrecht nach Art. 8 GG überwiegen. Denn die Angeklagte und die weiteren Mittäter, die sich auf einer Abfahrt der Autobahn im Fließverkehr befanden, waren durch die Blockade der Gefahr ausgesetzt von Fahrzeugführenden körperlich angegriffen oder mittels Fahrzeug verletzt zu werden. Hierbei hat das Gericht auch nicht die besondere Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG und die Relevanz des Ortes für das Versammlungsthema verkannt. Das konkrete Versammlungsthema, das sich für einen sparsamen Umgang mit fossilen Brennstoffen einsetzt, weist zwar einen konkreten Bezug zu den Fahrzeugführenden aus. Abstrahiert steht dieses Thema im Kontext des Klimaschutzes, der von großer öffentlicher Bedeutung ist.

Gegen die Beschränkung der Versammlung und Zuweisung an einen anderen Ort hat die Angeklagte am 29. Juni und 1. Juli 2022 jeweils vorsätzlich zuwider gehandelt, indem sie hierauf nicht reagiert hat und die Fahrbahn auch nicht verließ.

Die Beschränkung einer Versammlung steht im Ermessen der Behörde (Art. 14 Abs. 1 VersFG BE). Dabei hat die Polizei das Ermessen im Lichte des Art. 8 Abs. 1 GG auszuüben, wobei vorliegend Ermessensfehler nicht ersichtlich waren.

2. Tat vom 31. Oktober 2022

a) Die Angeklagte ging nach ihrer eigenen Vorstellung davon aus, dass durch die Sitzblockade Fahrzeugführende für zumindest eine Stunde im Innenstadtbereich blockiert werden und diesen ein Ausweichen auch nicht möglich ist.

Hierzu hat die Angeklagte auch unmittelbar angesetzt, in dem sie sich auf der Fahrbahn mit weiteren Mittätern im Wege einer Sitzblockade niedergelassen hat.

b) Die Tat ist nicht gerechtfertigt.

aa) Die Tat ist nicht wegen Notwehr im Sinne des § 32 StGB gerechtfertigt, da eine Rechtfertigung jedenfalls am Fehlen der Rechtswidrigkeit eines etwaigen Angriffs der Fahrzeugführenden auf das Klima scheitert. Autofahren ist trotz seiner klimaschädlichen Folgen grundsätzlich erlaubt, so dass wegen der damit notwendig verbundenen Emissionen ein Recht auf Umweltverschmutzung besteht.

bb) Die Tat ist auch nicht wegen eines Notstands nach § 34 StGB gerechtfertigt.

(1) Zunächst dürfte eine Notstandslage nach § 34 StGB vorliegen, soweit eine gegenwärtige Gefahr für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen als anderes Rechtsgut im Sinne des Art. 20a GG vorliegt. Denn jedenfalls seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (BVerfGE 157, 30), das eine staatliche Pflicht zur Herstellung von Klimaneutralität erfordert und dies als Staatszielbestimmung ansieht, zählt auch das menschengerechte Klima als Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne von Art. 20a GG zu den rechtlich anerkannten Kollektivgütern.

(2) Es fehlt jedoch zumindest an der Angemessenheit der Tat nach § 34 S. 2 StGB.

Denn stellt die Rechtsordnung für die Bewältigung der Gefahrenlage ein bestimmtes rechtlich geordnetes Verfahren zur Verfügung, dann ist die Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter außerhalb dieses Verfahrens kein angemessenes Mittel der Gefahrenabwehr (NK-StGB/Ulfrid Neumann, 5. Aufl. 2017, StGB § 34 Rn. 119, beck-online). So liegt der Fall hier, da insoweit andere Gestaltungsinstrumente zur Beeinflussung der staatlichen Klimaschutzpolitik vorhanden sind. Die Angeklagte kann etwa ihre Grundrechte nach Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art 17 GG (Petitionsrecht) ausüben, bzw. von der Möglichkeit des Art. 21 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien) Gebrauch machen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29 Juli 2022 – 2 Ss 91/22 – juris Rn. 11). Dies mag anders zu bewerten sein, etwa wenn die zuständigen Institutionen bewusst den Kopf in den Sand stecken und ihre Schutzpflichten vernachlässigen, wofür aktuell – nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30-177, Rn. 154) – kein Anhaltspunkt besteht.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass § 34 StGB als „Supergrundrecht“, das noch weiter reichende Einflussnahme auf die Politik ermöglicht, aufgewertet werden soll. Denn die Fälle der vorliegenden Art hat der Gesetzgeber bereits abschließend geregelt. Eine auf den Einzelfall beschränkte Analogie zu § 34 StGB, die lediglich eine Interessenabwägung voraussetzt und auf die weiteren Anwendungsvoraussetzung von § 34 StGB verzichtet oder die Anerkennung eines selbständigen, neu zu schaffenden, Rechtfertigungsgrundes, bei dem es ausschließlich auf die Abwägung ankommt, verbietet sich daher (vgl. Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts - 5. Strafsenat – vom 21. April 2023, 205 StRR 63/23).

(3) Selbst wenn man annehmen mag, dass die Angeklagte über die rechtlichen Grenzen des Notstandsrechts nach § 34 StGB geirrt hat, soweit sie ihre Tat für angemessen gehalten hat, ist dieser Irrtum zumindest nach § 17 S. 2 StGB vermeidbar.

Die Einschätzung, dass das geschützte Interesse als „wesentlich überwiegend“ anzusehen ist oder die Beurteilung der „Angemessenheit“ der Tat sind beides eine Frage der rechtlichen Grenzen von § 34 StGB und damit als Verbotsirrtum iSd §17 StGB einzustufen (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2020, StGB § 34 Rn. 293). Für die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums gilt: Der Täter ist zunächst verpflichtet zur gehörigen Gewissensanspannung unter Aufbietung seiner intellektuellen Erkenntniskräfte, um dadurch das Unrechtmäßige seiner Handlung zu erkennen. Hat er dies unterlassen und es aufgrund dessen in zurechenbarer Weise versäumt, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen, so war der Irrtum vorwerfbar und somit vermeidbar (BGHSt 2, 194 (201)). Das Maß der erforderlichen Gewissensanspannung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei auf den Lebens- und Berufskreis des Täters (BGHSt 2, 194 (201)) sowie auf seine individuellen Fähigkeiten abzustellen ist (BGHSt 3, 366). Nach diesen Maßstäben war der Irrtum für die Angeklagte vermeidbar. Denn diese – die innerhalb der „Letzten Generation“ und darüber hinaus gut vernetzt zu sein scheint – wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, rechtlichen Rat zu der Frage einzuholen, inwieweit ihr Handeln gerechtfertigt sein kann. Soweit in der Rechtsprechung vereinzelt die Voraussetzungen des § 34 StGB bejaht wurden (AG Flensburg, Urteil vom 7. November 2022 – 440 Cs 107 Js 7252/22 –, juris, welches über die Strafbarkeit eines Baumbesetzers unter Berücksichtigung eines rechtfertigenden Notstands zu entscheiden hatte), führt dies nicht zur Unvermeidbarkeit ihres Irrtum. Denn das Urteil ist nach den hiesigen Taten ergangen.

cc) Die Tat ist auch nicht durch „zivilen Ungehorsam“ gerechtfertigt.

Unter zivilem oder bürgerlichem Ungehorsam wird – im Unterschied zum Widerstandsrecht gegenüber einem Unrechtssystem – ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen verstanden, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen (BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, juris Rn. 91).

Das Bayerische Obersten Landesgerichts führt insoweit in seinem Beschluss vom 21. April 2023 wie folgt aus, dem sich das Gericht umfassend anschließt:

„Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage, ob „ziviler Ungehorsam“ speziell eine gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden rechtfertigen kann, ausgeführt, dies komme zumindest dann nicht in Betracht, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden. Dabei bliebe zudem außer Acht, dass zum Wesen des zivilen Ungehorsams nach der Meinung seiner Befürworter die Bereitschaft zu symbolischen Regelverletzungen gehört, dass er also per definitionem Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen einschließt als Mittel, auf den öffentlichen Willensbildungsprozess einzuwirken. Angesichts dieser Zielrichtung erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen (BVerfG, a.a.O. Rn. 93).

Dem schließt sich der Senat unter Bezugnahme auf die dargestellte Begründung des Bundesverfassungsgerichts an, wobei zusätzlich noch berücksichtigt wurde, dass ziviler Ungehorsam Rechtsbruch ist, er die innerstaatliche Friedenspflicht verletzt, er gegen das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz verstößt und er sich über das Mehrheitsprinzip hinwegsetzt, das für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen konstituierend ist (vgl. BVerfG, a.a.O Rn 92). Zusätzlich spricht gegen die Anerkennung von „zivilen Ungehorsam“ als Rechtfertigungsgrund folgende Argumentation: Ziviler Ungehorsam ist Protest, der sich gegen eine verfassungsgemäß zustande gekommene Mehrheitsentscheidung - einen fundamentalen Gemeinschaftswert - richtet und diese gestützt auf vorgeblich verallgemeinerungsfähige, aber offenkundig noch nicht mehrheitlich getragene Prinzipien und Wertvorstellungen in Frage stellt. Anstatt für die eigene Meinung auf legale Weise um eine Mehrheit zu werben, setzt der, der zivilen Ungehorsam leistet, die Überlegenheit der eigenen Ansicht voraus und leitet daraus das Recht ab, diese auch mit illegalen Mitteln durchsetzen zu dürfen. Die Annahme einer Rechtfertigung würde bedeuten, ein solches Recht tatsächlich zuzugestehen und damit der Ansicht einer Minderheit ein höheres Gewicht zuzubilligen als der im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses entstandenen Entscheidung der Mehrheit. Dies verstieße nicht nur gegen Art. 3 Abs. 3 GG, der die Bevorzugung einer aktiv geltend gemachten politischen Anschauung ausdrücklich verbietet, sondern stellte durch den Verzicht auf die Durchsetzung der Mehrheitsregel auch eine Selbstaufgabe von Demokratie und Rechtsfrieden durch die Rechtsordnung dar (Rönnau in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2019, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff StGB Rn. 142).“

c) Die Tat war auch – nach dem Vorstellungsbild der Angeklagten – als verwerflich i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen, zumal die Blockade – trotz Sachbezug zwischen dem Versammlungsthema und der von der Blockade betroffenen Personen – mehr als eine Stunde im Innenstadtbereich andauern sollte.

V.


1. Wegen der Taten vom 29. Juni und 1. Juli 2022 ist das Gericht vom Bußgeldrahmen des § 27 Abs. 2 VersFG ausgegangen. Danach kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 1.000 Euro geahndet werden.

Eine Geldbuße von 150,00 Euro wegen der Tat vom 29. Juni und 300,00 Euro wegen der Tat vom 1. Juli 2022 ist angemessen und entspricht dem Grad des vorwerfbaren Handelns der Angeklagten. Das Gericht hat dabei bedacht, dass gem. § 17 Abs. 3 OWiG Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit ist, der Vorwurf, der die Täterin trifft und gegebenenfalls dessen wirtschaftliche Verhältnisse, wobei letztere bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten (wie der vorliegenden) in der Regel unberücksichtigt bleiben.

Vor dem Hintergrund, dass die Angeklagte wegen des Geschehens am 29. Juni 2022 Ersttäterin ist, war die Geldbuße auf 150 Euro festzusetzen. Wegen des Geschehens am 1. Juli 2022 war die Geldbuße im Hinblick auf den Umstand, dass die Angeklagte nur wenige Tage zuvor in gleichförmiger Weise eine Ordnungswidrigkeit beging, maßvoll auf 300 Euro – unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse – festzusetzen.

2. Wegen der Tat vom 31. Oktober 2022 ist das Gericht bei der Strafzumessung vom Strafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB ausgegangen. Das Gericht war sich der Milderungsmöglichkeit nach §§ 17 S. 2, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB bewusst, hat hiervon jedoch abgesehen, da der Irrtum besonders leicht zu vermeiden war, zumal hinzukommt, dass der Angeklagten bewusst war, dass ihr Verhalten zumindest sozialwidrig war. Auch hing es wegen des Geschehens vom 31. Oktober 2022 letztlich vom Zufall ab, dass es nicht zu einer vollendeten Nötigung kam.

a) Bei der Beantwortung der Frage, welche konkrete Strafe die Angeklagte treffen musste, hatte das Gericht die für und gegen sie sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte abzuwägen.

Zugunsten der Angeklagten war zu berücksichtigen, dass sie bislang weder straf- noch verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Strafmildernd war weiter zu berücksichtigen, dass die Angeklagte das äußere Geschehen eingeräumt hat. Auch hat das Gericht zugunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass sie handelte, um Aufmerksamkeit für die durch den Klimawandel verursachten erheblichen Schäden für die Menschheit, den Planeten und künftige Generationen zu erzeugen und dem Phänomen dadurch entgegenzuwirken. Es ging ihr bei der Tat nicht um einen eigenen materiellen oder immateriellen Vorteil. Zulasten der Angeklagten sprach nichts.

Für die Angeklagte hält das Gericht unter Abwägung aller für und gegen sie sprechenden Umstände eine Geldstrafe von 20 (zwanzig) Tagessätzen für tat- und schuldangemessen.

Unter Berücksichtigung der Einkünfte der Angeklagten war die Tagessatzhöhe mit 15,00 (fünfzehn) Euro festzusetzen. Berücksichtigt worden dabei sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten, insbesondere, dass sie über BaföG-Leistungen, die das Gericht Leistungen nach dem SGB II gleichstellt, von monatlich 750 Euro bezieht und das an ihre Eltern gezahlte Kindergeld erhält.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1 StPO.


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