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Entscheidungen

OWi

Bußgeldverfahren, Rahmengebühr, Mittelgebühr, Bedeutung der Sache, Privates Sachverständigengutachten

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 04.05.2023 - 6 Qs 394 Js 26340/21 (56/23)

Leitsatz des Gerichts:

1. Den gesetzlichen Regelungen des RVG ist nicht zu entnehmen, dass in den Fällen straßenverkehrsrechtlicher Bußgeldverfahren grundsätzlich von einer unterdurchschnittlichen Bedeutung der Sache im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG auszugehen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Rahmen des Zwischenverfahrens die technischen Voraussetzungen der Messung, die der in einem Bußgeldbescheid vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung zu Grunde liegt, durch ein privates Sachverständigengutachten überprüft werden sollen.
2. Die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens im Rahmen eines Bußgeldverfahrens sind dann als notwendige Kosten im Sinne der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1, 464 a Abs. 1 S, 2 StPO anzusehen, wenn ohne die Anbringung durch sachverständige Feststellungen unterlegte, konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung damit zu rechnen gewesen wäre, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 S. 2 StPO ablehnen würde.


Beschluss

In pp.

Auf die sofortige Beschwerde des Verteidigers hin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 24.02.2023 Az. 13 OWi 1306121 (394 Js 26340121) dahingehend abgeändert, dass die aufgrund des rechtskräftigen und vollstreckbaren Beschlusses des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 14.06.2022 dem Betroffenen von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 3.086,01 EUR
festgesetzt werden.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

Gegen den Betroffenen erging am 04.08.2021 ein Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle der Polizei Sachsen-Anhalt (Az. #). Ihm wurde zur Last gelegt, am 24.03.2021 um 1 1 :41 Uhr in Dessau-Roßlau, BAB 9 - km 72,100 Richtung Berlin als Führer des PKW pp. die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h überschritten zu haben. Es wurde deshalb eine Geldbuße von i.H.v. 100,00 EUR gegen ihn festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz Einspruch ein. Der Betroffene beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Messung. In dem sodann erstellten und mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29.12.2021 dem Amtsgericht vorgelegten Gutachten kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Messserie im Hinblick auf die Fotopositionen Auffälligkeiten aufweise. Es sei ein Abgleiten beim Fahrzeug-Tracking zu zurückversetzten Fahrzeugteilen nachzuvollziehen. Das Amtsgericht hob daraufhin den zuvor bestimmten Termin zur Hauptverhandlung auf und beauftragte seinerseits einen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens zu der Frage, ob das Ergebnis der Messung am Tattag zur Tatzeit am Tatort mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs nicht übereinstimme. In dem Gutachten kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Befunde bei der Stichprobenprüfung die einwandfreie elektronische Funktion der Messanlage für den Messzeitraum nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne. In der Folge wurde der Betroffene durch das Amtsgericht im Beschlusswege freigesprochen und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse auferlegt. Der Beschluss vom 14.06.2022 ist seit dem 01.07.2022 rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 10.08.2022 beantragte der Verteidiger namens und im Auftrag des Betroffenen die diesem entstandenen notwendigen Auslagen gegen die Landeskasse i.H.v. insgesamt 3.086,01 EUR festzusetzen, die sich wie folgt ergeben:

• Grundgebühr Bußgeldverfahren gem. Nr. 5100 VV RVG 110,00 €
• Verfahrensgebühr Verwaltungsbehörde gem. Nr. 5103 VV RVG 176,00 €
• Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
• Verfahrensgebühr Amtsgericht gem. Nr. 5109 VV RVG
• Gebühr Mitwirkung Entbehrlichkeit Hauptverhandlung 176,00 €
gem. Nr. 51 15, 5101 VV RVG 71 €
• Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Nettobetrag 573,50 €
• 19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 108,97 €
Summe Gebühren 682,47 €
• Sachverständigenkosten vom 03.08.2022 2.391 €
an BG vom 15.07.2021 12,00 €
Gesamtbetrag 3.086.01 €

Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Dessau-Roßlau hat in ihrer Stellungnahme vom 06.12.2022 ausgeführt, dass es sich in dem vorliegenden Fall um eine Ordnungswidrigkeit und dabei zunächst um einen häufig vorkommenden und tatsächlich und rechtlich unterdurchschnittlich einfach gelagerten Routinesachverhalt einer technischen Geschwindigkeitsmessung mit Fahrerlichtbild handele. Da kein Fahrverbot angeordnet worden sei, handele es sich grundsätzlich um eine unterdurchschnittliche Angelegenheit. Zu dem Zeitpunkt der Akteneinsicht durch den Verteidiger habe die Akte einen Bestand von 42 Blatt gehabt, sodass von einem unterdurchschnittlichen Umfang auszugehen sei. Abgesehen von dem Akteneinsichtsgesuch und dem unbegründeten Einspruch befänden sich keine weiteren Einlassungen in der Akte, sodass auch bezüglich der Verfahrensgebühr eine unterdurchschnittliche Tätigkeit vorliege. Daher seien aus ihrer Sicht für die Grundgebühr nach Nr. 5100 W RN/G 90,00 EUR und für die Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV RVG 135,00 EUR erstattungsfähig. Die weiteren beantragten Gebühren seien nicht zu beanstanden. Die entsprechende Erklärung nach § 464b S. 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO sei nachzureichen.

Die Kosten für den privat durch den Betroffenen beauftragten Sachverständigen seien nach ihrer Auffassung nicht durch die Staatskasse zu erstatten. Außergerichtliche Sachverständigenkosten fielen grundsätzlich nicht unter den Begriff der notwendigen Auslagen gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO. Eigene private Ermittlungen seien in der Regel nicht notwendig, da die Rechtsfindung und damit auch die Begutachtung durch das Gericht zu erfolgen habe. Der Betroffene habe in diesem Rahmen die Möglichkeit entsprechende Beweisanträge zu stellen. Jedenfalls aber sei es für die Erstattungsfähigkeit notwendig, dass sich die privaten Ermittlungen entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen auswirkten. In dem verfahrensbeendenden Beschluss sei auf das im Bußgeldverfahren erstellte gerichtliche Gutachten Bezug genommen worden. Eine Verwendung des Privatgutachtens sei nicht erfolgt. Zudem sei es Aufgabe der Verteidigung anhand von Rechtsprechung und Literatur selbst zu prüfen, ob es Anhaltspunkte für Messfehler und sonstige Ungenauigkeiten gegeben habe. Im Übrigen wird auf die Stellungnahme BI. 155 der Akte verwiesen.

Mit Schreiben vom 07.02.2023 teilte der Verteidiger mit, dass der Betroffene vorsteuerabzugsberechtigt sei.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 24.02.2023 - Az. 13 OWi 1306/21 (394 Js 26340/21) - wurden die dem Betroffenen von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 544,50 EUR festgesetzt, wobei die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5103 VV RVG i.H.v. 135,00 EUR festgesetzt wurde. Die geltend gemachten Sachverständigenkosten wurden nicht erstattet. Eine Festsetzung der Umsatzsteuer erfolgte ebenfalls nicht, da der Betroffene vorsteuerabzugsberechtigt sei. Im Übrigen entspricht die Festsetzung dem Antrag des Verteidigers.

Gegen den dem Verteidiger am 09.03.2023 zugestellten Beschluss legte dieser durch Schriftsatz vom 23.03.2023, eingegangen bei dem Amtsgericht Dessau-Roßlau am selben Tag, sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass hier zu berücksichtigen sei, dass ein vorgerichtliches Sachverständigengutachten eingeholt worden sei, dass sich auf die technischen Parameter beziehe und eine umfangreiche Durcharbeitung und Besprechung mit dem Betroffenen erforderlich gemacht habe. Sodann sei im Nachgang auf die Ausarbeitung ein Beweisantrag gestellt und umfangreich Stellung zu der Ordnungsgemäßheit der Messung genommen worden.

Die Auslagen für das eingeholte Privatgutachten seien notwendig gewesen. Es handele sich vorliegend um ein standardisiertes Messverfahren, im Rahmen dessen nach der Rechtsprechung bei gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten seien. Insoweit sei das Amtsgericht nicht gehalten gewesen, auf einen reinen Beweisantrag hin für die Ordnungsgemäßheit der Messung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ein solches komme nur dann in Betracht, wenn sich im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte ergäben, die geeignet seien, Zweifel an der Richtigkeit des Messergebnisses zu begründen. Nur durch Vorlage und Hinweis auf die entsprechende Fehlerhaftigkeit der konkreten Messung habe überhaupt die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht erreicht werden können.

Im Hinblick auf den Abzug der Umsatzsteuer werde darauf hingewiesen, dass im Rahmen strafrechtlicher Sanktionen und solcher im Ordnungswidrigkeitenrecht kein Anspruch auf Vorsteuerabzug bestehe.

Im Übrigen wird auf die Beschwerdebegründung BI. 170 ff. der Akte verwiesen.

Das Amtsgericht legte die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vor.

II.

Die gemäß § 464b S. 3 und 4 StPO, 1 1 Abs. 1, 21 Nr. 1 RPflG i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Sie wurde fristgerecht innerhalb von zwei Wochen eingelegt. Der Beschwerdegegenstand übersteigt entsprechend den Vorgaben des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 304 Abs. 3 StPO einen Wert von 200,00 EUR.

Die sofortige Beschwerde ist darüber hinaus auch begründet.

Die von dem Verteidiger geltend gemachten Gebühren entsprechen billigem Ermessen und sind daher verbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 1, 4 RVG). Die von dem Rechtspfleger vorgenommene Kürzung der Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV RVG hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch die Ablehnung der beantragten Erstattung der außergerichtlichen Sachverständigenkosten und der Umsatzsteuer ist rechtsfehlerhaft.

Die Bemessung von Rahmengebühren hat der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen vorzunehmen. Unbillig und damit nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unverbindlich ist der Gebührenansatz dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Gebühr liegt, da einem Rechtsanwalt insoweit eine Toleranzgrenze eingeräumt wird (BGH, Urteil vom 31.10.2006 - VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420, 421 m.w.N.). Maßgebliche Kriterien für die Bemessung von Rahmengebühren sind u.a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers. Die sog. Mittelgebühr ist anzusetzen, wenn der „Normalfall" vorliegt, also ein Fall in dem sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, durchschnittlicher Art sind (Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG § 14 Rn. 10). Aus Sicht der Kammer ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des RVG kein Grund dafür, in den Fällen straßenverkehrsrechtlicher Bußgeldverfahren grundsätzlich davon auszugehen, dass der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt nicht gerechtfertigt ist (so auch Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., Rn. 54 m.w.N.). Vielmehr ist stets der konkrete Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts zu bemessen.

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV RVG entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information durch den Rechtsanwalt, Dazu gehören insbesondere auch die Tätigkeiten im gerichtlichen Zwischenverfahren oder in Zusammenhang mit Rechtsbehelfen betreffend Akteneinsicht (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., RVG W 5101 Rn. 4). Der Verteidiger hat vorliegend nicht nur den Einspruch eingelegt, sondern im Rahmen des Zwischenverfahrens nach vorheriger Besprechung mit dem Betroffenen ein privates Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben (vgl. BI. 54 der Akte). Insofern war bereits zu diesem Zeitpunkt eine Auseinandersetzung mit den technischen Voraussetzungen der Messung erforderlich. Daher hat die Kammer keine Anhaltspunkte für einen unterdurchschnittlichen Arbeitsaufwand des Verteidigers im Hinblick auf vergleichbare Verfahren in diesem Verfahrensstadium.

Hinzu kommt, dass dem Betroffenen ausweislich des rechtlichen Hinweises des Amtsgerichts BI. 67 ff. der Akte - die Verhängung eines Fahrverbotes drohte. Die ausgesprochene Geldbuße i.H.v. 100,00 EUR lag zudem zwar am unteren, jedoch nicht am untersten Rand innerhalb des Gebührenrahmens von 60,00 EUR - 5.000,00 EUR. Daher ist auch die Bedeutung der Sache nicht als unterdurchschnittlich anzusehen.

Vielmehr entspricht die Schwierigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hier einem durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren betreffend eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Jedenfalls aber liegt die angemessene Gebühr innerhalb der Toleranzgrenze von 20 % ausgehend von der Mittelgebühr,

Darüber hinaus sind dem Betroffenen die Auslagen für das durch seinen Verteidiger in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten zu erstatten. Es handelt sich dabei in dem vorliegenden Fall um notwendige Auslagen im Sinne des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 467 Abs. 1, 464a Abs. 2 StPO.

Notwendige Auslagen sind die einem Beteiligten erwachsenen, in Geld messbaren Aufwendungen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich waren (LG Aachen Beschl. v. 12.7.2018 66 Qs-509 Js-OWi 2524/16-31/18 BeckRS 2018, 16186, Rn. 3). Aufwendungen für private Ermittlungen oder Beweiserhebungen sind in der Regel nicht notwendig, weil Ermittlungsbehörden (§ 160 Abs. 1 u. 2 StPO) und Gericht (§ 244 Abs. 2 StPO) von Amts wegen zur Sachaufklärung und zur Beachtung des Zweifelssatzes verpflichtet sind und die Betroffenen daneben regelmäßig durch Initiativanträge, insbesondere Beweisanträge, das Gericht zu der begehrten Beweisaufnahme bestimmen können und werden (KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, § 464a Rn. 7 m.w.N.).

Die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens sind jedoch unter anderem dann ausnahmsweise als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (LG Göttingen Beschl. v. 4.7.2022 - 1 Qs 13/22 -, BeckRS 2022, 17434, Rn. 14 m.w.N.). Unabhängig von der subjektiven Bewertung der Prozesslage durch den Betroffenen sind die Kosten eines durch ihn in dem Bußgeldverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens nach einem Freispruch von dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit aber jedenfalls dann erstattungsfähig, wenn das eingeholte Privatgutachten zu dem Freispruch beigetragen hat (vgl. LG Aachen Beschl. v. 12.7.2018, a.a.O., 7; LG Aachen Beschl. v. 30.9.2019 - 66 Qs 58/19 BeckRS 2019, 35426).

Die vorgenannten Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Sachverständigenkosten sind hier gegeben. Das durch den Verteidiger des Betroffenen beauftragte Sachverständigengutachten hat erkennbar zu dem Freispruch des Betroffenen beigetragen.

Das wird schon daran deutlich, dass das Amtsgericht nach dem Eingang des Verfahrens bereits Termin zur Hauptverhandlung bestimmt und im Rahmen der Ladung explizit darauf hingewiesen hatte, dass aus seiner Sicht Anhaltspunkte für einen Messfehler derzeit nicht ersichtlich seien, Allein das sodann durch den Verteidiger vorgelegte Sachverständigengutachten führte dazu, dass das Amtsgericht den Termin zur Hauptverhandlung aufhob und seinerseits einen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens zu der Frage, ob das Ergebnis der Messung am Tattag zur Tatzeit am Tatort mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs nicht übereinstimme, beauftragte.

Ohne die Anbringung konkreter Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung wäre daher damit zu rechnen gewesen, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 S. 2 StPO ablehnen würde. zur Überprüfung auf solche Zweifel war angesichts der technisch komplizierten Materie aber die Überprüfung durch einen Sachverständigen notwendig (so auch LG Oldenburg Beschl. v. 28.3.2022 - 5 Qs 108/20, BeckRS 2022 8935, Rn. 6).

Hinzu kommt, dass in dem durch das Gericht eingeholten Sachverständigengutachten ausdrücklich auf das Privatgutachten des Betroffenen Bezug genommen und weitgehend Übereinstimmung in den festgestellten Ergebnissen konstatiert wurde.

Vor dem Hintergrund dieser objektiven Umstände ist es hier nicht entscheidungserheblich, dass das Amtsgericht in seiner Entscheidungsbegründung in dem Beschluss vom 14.06.2022 nicht ausdrücklich auch auf das Privatgutachten des Betroffenen verwiesen hat. Der Beitrag des durch den Betroffenen eingeholten Sachverständigengutachtens zu seinem Freispruch ergibt sich vielmehr aus dem tatsächlichen Verfahrensverlauf.

Die beantragten Sachverständigenkosten sind darüber hinaus auch in der Höhe plausibel und daher erstattungsfähig.

Schließlich ist auch die beantragte Umsatzsteuer dem Betroffenen in dem vorliegenden Fall zu erstatten. Für die Frage, ob einem Freigesprochenen die von seinem Verteidiger in Rechnung gestellte Umsatzsteuer erstattet werden kann, kommt es nach § 464b S. 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO nicht darauf an, ob der Freigesprochene generell vorsteuerabzugsberechtigt ist, sondern ob er die von seinem Verteidiger in Rechnung gestellten Beträge tatsächlich als Vorsteuer abziehen kann (LG Berlin, Beschluss vom 8. Januar 1996 519 Qs 463/95 juris). Für das Strafverfahren kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Vorsteuer auf Verteidigerkosten nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden kann, weil es sich bei der Verteidigertätigkeit nicht um eine Leistung für das Unternehmen des Freigesprochenen im Sinne des § 15 UStG handelt (ebd.; vgl. auch BFH, Urteil vom 1 1. April 2013 - V R 29/10 -, BFHE 241, 438, BStBl Il 2013, 840, juris). Diese Grundsätze müssen evident auch für das ebenfalls von einem Sanktionscharakter geprägten Ordnungswidrigkeitenrecht gelten. In dem vorliegenden Fall gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es dem Betroffenen möglich war, die Kosten der Verteidigung aufgrund seiner unternehmerischen Tätigkeit als Maschinentechniker als Vorsteuer abzuziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO analog.


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