Gericht / Entscheidungsdatum: LG Aachen, Urt. v. 15.06.2023 - 12 O 398/22
Eigener Leitsatz:
Die Verwertung eines Dashcam-Videos zur Aufklärung eines Verkehrsunfalls ist zulässig, wenn sich die dadurch begünstigte Partei in einer Beweisnot befindet, die Aufnahmen nur die sogenannte „Öffentlichkeitssphäre“ betreffen und nur auf diese Weise eine materielle Gerechtigkeit sichergestellt ist.
Landgericht Aachen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
pp.
hat die 12. Zivilkammer des Landgerichts Aachen
auf die mündliche Verhandlung vom 15.06.2023
durch die Richterin am Landgericht pp. als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadenersatz aus einem Verkehrsunfallgeschehen vom 20.10.2020 in Aachen.
Der Kläger ist Eigentümer des Fahrzeugs der Marke Mercedes GLA mit dem amtlichen Kennzeichen pp. das zum Unfallzeitpunkt auch durch ihn geführt wurde. Der Zeuge pp. befand sich als Beifahrer in dem Fahrzeug. Der Beklagte zu 1.) ist Halter des Fahrzeugs VW Passat mit dem amtlichen Kennzeichen pp., das er zum Zeitpunkt des Unfalls ebenfalls selbst führte. Die Beklagte zu 2.) ist die Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 1.).
Der Kläger befuhr auf der Sedanstraße die linke, der Beklagte zu 1) die rechte zweier Fahrspuren in Richtung Adalbertsteinweg. Die linke Fahrspur ermöglicht ein Abbiegen nach links auf den Adalbertsteinweg, die rechte Fahrspur ebenfalls ein Abbiegen nach links und gleichzeitig das Weiterfahren geradeaus, also die Überquerung des Adalbertsteinwegs. Im Kreuzungsbereich kam es zu einer Kollision beider Fahrzeuge, konkret insbesondere zwischen dem vorderen linken Teil des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) und dem Bereich vorne rechts des klägerischen Fahrzeugs.
Der Beklagte zu 1) war mit seinem Fahrzeug an der streitgegenständlichen Örtlichkeit bereits zuvor mehrfach verunfallt.
Am 11.02.2021 reichte der Beklagte zu 1.) Klage beim Amtsgericht Aachen ein und verklagte den Kläger nebst dessen Haftpflichtversicherung auf 4.316,58 EUR wegen ihm entstandener Unfallschäden. Mit Urteil vom 20.09.2021 wies das Amtsgericht Aachen die Klage als unbegründet ab. Das Amtsgericht führte aus, der Hergang des Verkehrsunfalls sei durch das Gericht nicht aufzuklären gewesen, da die Klage unabhängig von dem Hergang bereits unbegründet sei. Es sei streitig, ob sämtliche Fahrzeugschäden durch den streitgegenständlichen Unfall entstanden sind. Der (hiesige) Beklagte zu 1), der dortige Kläger, habe zu Vorschäden an seinem Fahrzeug nicht substantiiert vorgetragen.
Mit Schreiben vom 01.04.2022 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zu 2.) auf, den streitgegenständlichen Schaden bis zum 18.04.2022 zu regulieren. Eine Zahlung erfolgt nicht
Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1) habe im Zuge des Linksabbiegens die Kurve so eng befahren, dass es hierdurch zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen sei. Er habe sein Fahrzeug danach nach rechts lenken müssen, um nicht gegen eine auf der Straße befindliche Verkehrsinsel gedrückt zu werden. Bei dem Unfall seien ein Außenspiegel und die Verkleidung der Radläufe rechts sowie die Leuchteinheit hinten rechts beschädigt worden. Die Reparaturkosten betrügen 4.534,14 EUR netto, die Wertminderung 300,00 EUR, der Nutzungsausfallschaden (4 Tage à 79,00 EUR Gruppe J der Liste Sanden, Danner, Küppersbusch) 316,00 EUR sowie die Unkostenpauschale 25,00 EUR. Der Kläger meint, die Beklagten seien ihm gegenüber für den Gesamtbetrag in Höhe von 5.175,14 EUR einstandspflichtig.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 5.175,14 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB hieraus seit dem 19.04.2022 zu zahlen.
2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Kosten in Höhe von 627,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, der Kläger habe den Unfall allein schuldhaft verursacht. Sie behaupten, der Beklagte zu 1) habe seine Fahrspur ordnungsgemäß befahren. Es sei vielmehr der Kläger gewesen, der mit seinem Fahrzeug beim Abbiegen die Trennlinie zwischen den beiden Fahrspuren überfahren habe und insofern auf die Spur des Beklagten zu 1) gefahren sei. Dort sei es dann zur Kollision gekommen. Diese Geschehnisse seien auf der Aufzeichnung einer sogenannten Dashcam, die sich im Fahrzeug des Beklagten zu 1) befunden habe, klar zu erkennen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen _und durch Inaugenscheinnahme der Dashcam-Videos Anlage B-1 113703820.3091107.5 und Anlage B-2 113703720.3091107.5 Teil 2. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme sowie des Sach- und Streitstands wird auf die Videoaufzeichnungen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.5.2023 (BI. 306 ff. GA) und auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des streitgegenständlichen Unfallereignisses zu. Insbesondere ergibt sich ein solcher Schadensersatzanspruch nicht aus § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 2 StVG i.V.m. § 421 S. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG.
1. Der darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat nicht beweisen können, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines entsprechenden Anspruchs vorlägen mit der Konsequenz, dass die Beklagten für die geltend gemachten Schäden (vollständig) einstandspflichtig wären. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht für das Gericht vielmehr fest, dass es der Kläger war, der die Unfallursache durch einen Wechsel der Fahrspur unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO gesetzt hat. Infolge des hierin liegenden gravierenden Pflichtverstoßes des Klägers tritt in der Haftungsabwägung die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) vollständig zurück.
Im Einzelnen:
a) Der Kläger hat den Nachweis nicht geführt, dass der Beklagte zu 1) die Kreuzung „zu eng" durchfahren hätte.
aa) In der Behauptung, der Kläger habe die Kreuzung „zu eng" durchfahren, liegt der Vorwurf, der Beklagte zu 1) sei mit seinem Fahrzeug im Kreuzungsbereich auf die Fahrspur des Klägers geraten. Die Aussage des klägerseits in diesem Zusammenhang benannten Zeugen pp.., der sich als Beifahrer im Fahrzeug des Klägers befand, war insoweit allerdings unergiebig.
Zwar hat der Zeuge pp. mehrmals betont, der Kläger sei mit seinem Fahrzeug während des gesamten Abbiegevorgangs in der „eigenen" Spur geblieben. Auf Nachfrage, woran er dies festmache, hat er allerdings geantwortet, er habe dies feststellen können, weil er nach dem Unfall aus dem Fahrzeug ausgestiegen sei und dann die Szenerie in Augenschein genommen habe. Dem Gericht erschließt sich nicht, wie der Zeuge aus der Inaugenscheinnahme der Szenerie nach der Kollision sichere Rückschlüsse darauf ziehen konnte, dass zuvor kein (teilweiser) Fahrspurwechsel stattgefunden hat, zumal der Zeuge selbst ausgesagt hat, dass der Kläger zwischenzeitlich das Fahrzeug nach rechts gelenkt habe, um dem durch das Fahrzeug des Beklagten zu 1) verursachten Druck nach links entgegen zu wirken. Ausdrücklich nicht behauptet hat der Zeuge hingegen, die Fahrspuren während des Abbiegevorgangs beobachtet zu haben.
Ein für den Kläger günstiger Beweiswert kommt der Aussage des Zeugen pp. damit nicht zu.
bb) Eine andere Bewertung der Geschehnisse wird auch nicht dadurch bedingt, dass der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug offenbar schon mehrmals an der hier streitgegenständlichen Örtlichkeit verunfallt ist. Dies lässt keinen belastbaren Schluss darauf zu, dass er den hiesigen Unfall schuldhaft verursacht hätte. Abgesehen davon, dass sich aus der Inaugenscheinnahme des Dashcam-Videos ein konträres Bild ergibt (vgl. unten), ist im Übrigen auch nicht konkret vorgetragen worden, dass der Beklagte zu 1) die zurückliegenden Unfälle (allein) schuldhaft verursacht hätte.
b) Das Gericht ist nach Inaugenscheinnahme des Dashcam-Videos vielmehr davon überzeugt, dass sich das Unfallgeschehen so zugetragen hat, wie die Beklagten es vorgetragen haben. Infolgedessen ist dem Kläger ein gravierender Verkehrsverstoß vorzuwerfen, weshalb im Zuge der Haftungsabwägung die dem Beklagten zu 1) zuzurechnende Betriebsgefahr vollständig zurücktritt.
(aa) Aus den in Augenschein genommenen Dashcam-Videos wird erkennbar, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug die Trennlinie zwischen den beiden Linksabbieger-bzw. Geradeausspuren überfahren hat und hierdurch auf die Fahrspur des Beklagten zu 1) geraten ist, wo es dann zur Kollision zwischen den Fahrzeugen gekommen ist. Das Video „Anlage B-1 113703820.3091107.5“ zeigt ca. ab Minute 2:33, dass das klägerische Fahrzeug die Trennlinie überfahren hatte. Zu diesem Zeitpunkt ist auch die Kollision akustisch zu vernehmen. Dass das Fahrzeug erst nach der Kollision nach rechts auf die rechte Fahrspur gelenkt worden wäre, wie es der Kläger behauptet hat, etwa um die – ohnehin noch in einiger Entfernung befindliche – Verkehrsinsel zu umfahren, ist hingegen nicht erkennbar.
Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass die Darstellung in den Videos lediglich Folge einer „geschickten“ – im Sinne einer für den Beklagten zu 1) günstigen – Platzierung der Kamera ist. Zwar mögen sich beispielweise Abstände je nach Kamerawinkel unterschiedlich und dementsprechend mehr oder weniger realitätsgetreu darstellen lassen. Hier hat die Kamera allerdings auch die Straßenmarkierung aufgezeichnet. Dass der Kläger zu 1) diese Markierung – konkret die Trennlinie zwischen den beiden Spuren – überfahren hat, ist eindeutig zu erkennen, weil die Markierung unter seinem Fahrzeug gleichsam „verschwindet“. Insoweit handelt es sich nicht um eine Frage der Perspektive.
(bb) Die Verwertung des Dashcam-Videos war als Beweismittel auch zulässig.
(1) Keine Partei – insbesondere nicht der Kläger – hat der Verwertung der Dashcam-Videos widersprochen.
(2) Es kann auch dahinstehen, ob die streitgegenständliche Videoaufzeichnungen nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig sind Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre ihre Verwertung als Beweismittel dennoch zulässig. Das ergibt sich aus einer vorzunehmenden Güterabwägung (ausführlich BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – VI ZR 233/17 –, BGHZ 218, 348-377, Rn. 39, juris).
(a) Auf der einen Seite stehen das Interesse des (Gegen-)Beweisführers – hier des Beklagten zu 1) – an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche und seines im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und an einer materiell richtigen Entscheidung nach freier Beweiswürdigung. Auf der anderen Seite steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – VI ZR 233/17 –, BGHZ 218, 348¬377, Rn. 40 m.w.N., juris).
(b) Zwar begründet die Dashcam-Aufnahme, durch die das Fahrzeug des Klägers mit dessen Kraftfahrzeugkennzeichen in und kurz nach der Unfallsituation aufgenommen und diese Sequenz abgespeichert worden ist, einen Eingriff in das Recht des Klägers, der durch die Nutzung als Beweismittel fortgesetzt wird (BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – VI ZR 233/17 –, BGHZ 218, 348-377, Rn. 41 f., juris).
(c) Der Eingriff ist allerdings nicht rechtswidrig, da die schutzwürdigen Belange des Beklagten zu 1) das Schutzinteresse des Klägers überwiegen. In der Rechtsprechung sind wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts, dessen Reichweite nicht absolut feststeht, Abwägungskriterien u.a. nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit bestimmter Sphären, in denen sich die Persönlichkeit verwirklicht, herausgearbeitet worden. Danach genießen besonders hohen Schutz die sogenannten sensitiven Daten, die der Intim-und Geheimsphäre zuzuordnen sind. Geschützt ist aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören. Allerdings hat der Einzelne keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über "seine" Daten; denn er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen Realität dar, der nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Vielmehr ist über die Spannungslage zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person zu entscheiden (BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – VI ZR 233/17 –, BGHZ 218, 348-377, Rn. 44 m.w.N.).
(d) Bei der gebotenen Abwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger lediglich in seiner Sozialsphäre betroffen ist. Aufgezeichnet wurde ein Unfallgeschehen unter Beteiligung seines Kraftfahrzeugs. Das Geschehen ereignete sich im öffentlichen Straßenraum, in den er sich freiwillig begeben hat. Er hat sich durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Rechnung zu tragen ist zudem der häufigen besonderen Beweisnot, die der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldet ist. Wenn überhaupt Zeugen vorhanden sind, ist der Beweiswert ihrer Aussagen angesichts der Flüchtigkeit des Unfallgeschehens und der Gefahr von Rekonstruktions- und Solidarisierungstendenzen regelmäßig gering; unfallanalytische Gutachten setzen verlässliche Anknüpfungstatsachen voraus, an denen es häufig fehlt. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Aufnahmen auch Feststellungen zum Fahrverhalten des Aufzeichnenden erlauben und grundsätzlich auch zu Gunsten des Beweisgegners sprechen und verwertet werden können.
Der mögliche Eingriff in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer, Fußgänger, Radfahrer oder anderer Kraftfahrer bzw. Insassen führt nicht zu einer anderen Gewichtung. Zwar besteht durch permanent und anlasslos aufzeichnende Videokameras in zahlreichen Privatfahrzeugen für das informationelle Selbstbestimmungsrecht der übrigen Verkehrsteilnehmer ein Gefährdungspotential, da durch die bestehenden Möglichkeiten von Gesichtserkennungssoftware, Weiterleitung und Zusammenführung der Daten zahlreicher Aufzeichnungsgeräte nicht auszuschließen ist, dass letztlich Bewegungsprofile individueller Personen erstellt werden könnten. Dem ist jedoch nicht durch Beweisverwertungsverbote im Zivilprozess zu begegnen. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Möglichkeit einer Beweisverwertung Anreize für die Nutzung von Dashcams setzen kann, doch ist ihr Gefahrenpotential nicht im Zivilprozess einzugrenzen oder (zusätzlich) zu sanktionieren. Deshalb ist es für die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels nicht von Bedeutung, dass der Teil der Aufzeichnung, der nicht im Prozess vorgelegt worden oder für die Unfallrekonstruktion nicht erheblich ist, möglicherweise zu Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dritter Personen führt.
Dem danach nicht so schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Klägers steht nicht nur ein "schlichtes" Beweisinteresse gegenüber. Denn jedes Beweisverwertungsverbot beeinträchtigt nicht nur die im Rahmen der Zivilprozessordnung grundsätzlich eröffnete Möglichkeit der Wahrheitserforschung und damit die Durchsetzung der Gerechtigkeit und die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege, sondern auch durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechte der auf Durchsetzung ihres Anspruchs klagenden Parteien. Es besteht auch ein individuelles Interesse der Partei eines Zivilprozesses an der Findung der materiellen Wahrheit bis hin zur Abwehr eines möglichen Prozessbetruges (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 — VI ZR 233/17 —, BGHZ 218, 348-377, Rn. 43 ff. m.w.N., juris).
(e) In der Konsequenz war die Verwertung der Dashcam-Aufzeichnungen hier zulässig. Dabei war im konkreten Einzelfall zusätzlich zu berücksichtigen, dass dem Beklagten zu 1) hier insbesondere auch keine anderen Beweismittel zur Verfügung standen, um den Gegenbeweis zu führen und seine (vollständige oder quotale) Haftung zu widerlegen, wohingegen der Kläger mit dem Zeugen II» über ein Beweismittel verfügte.
(cc) Nach allem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger zu 1) im Zuge des Abbiegevorgangs einen (teilweisen) Fahrspurwechsel durch Überfahren der Trennlinie vorgenommen hat und es hierdurch zum Unfall gekommen ist. Damit hat der Kläger gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Dass er einen Abbiegevorang beabsichtigt und angekündigt hätte, hat er bereits nicht vorgetragen, sondern bestritten, einen Wechsel überhaupt vorgenommen zu haben. Ohnehin konnte ein Wechsel der Fahrspur zum fraglichen Zeitpunkt nicht ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vonstattengehen, wie es § 7 Abs. 5 StVO allerdings voraussetzt, weil sich der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug praktisch neben dem klägerischen Fahrzeug befand und insofern kein Einscheren an der fraglichen Stelle möglich war.
c) In die nach § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmende Haftungsabwägung war kein Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) einzustellen. Es ist nicht erkennbar, dass der Beklagte zu 1) sich regelwidrig verhalten hätte, beispielsweise durch abruptes Beschleunigung bzw. hohe Geschwindigkeit, also durch ein Verhalten, mit der der Kläger im Kreuzungsbereich nicht hätte rechnen müssen. Die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs, die sich der Beklagte zu 2) im Rahmen der Haftungsabwägung grundsätzlich anrechnen lassen muss, tritt im hiesigen Fall aufgrund des gravierenden Verkehrsverstoßes des Klägers ebenfalls zurück (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 2014 —1-9 U 60/14 —, Rn. 20, juris).
d) Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagten besteht danach nicht.
2. Die auf Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.
II.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2
ZPO.
Streitwert:5.175,14 EUR
Einsender: RA M. Nugel, Essen
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